Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05.06.2014, Az. 2 AZR 418/13

2. Senat | REWIS RS 2014, 4988

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Gegenstand

Tariflicher Sonderkündigungsschutz - Stilllegung wesentlicher Betriebsteile - kündbarer Personenkreis


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 1. März 2013 - 12 Sa 1169/12 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung.

2

Die [X.]eklagte ist ein Unternehmen der Textilindustrie. Im Frühjahr 2012 beschäftigte sie etwa 225 Arbeitnehmer. An ihrem Sitz in [X.] ist ein [X.]etriebsrat gebildet. Der 1952 geborene Kläger war seit April 1993 bei ihr als Maschinenführer im [X.]ereich „Ausrüstung“ tätig. Er war an der „[X.]“, an der „[X.]abcock“ und an der „[X.]enninger-Waschmaschine“ eingesetzt.

3

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der „Tarifvertrag zur Sicherung älterer Arbeitnehmer (Arbeiter)“ vom 23. Mai 1974 ([X.]) Anwendung. Der Tarifvertrag wurde ursprünglich zwischen dem [X.] und der (damaligen) Gewerkschaft Textil-[X.]ekleidung abgeschlossen. Im März 1998 wurde er in der Fassung vom 5. Mai 1980 nebst Protokollnotizen auf die [X.] „übergeleitet“. Unter § 2 des Tarifvertrags („Kündigungsschutz“) heißt es:

        

„1.     

Einem gewerblichen Arbeitnehmer kann nach Vollendung des 55. Lebensjahres und einer ununterbrochenen [X.]etriebszugehörigkeit von mindestens 10 Jahren bis zur [X.]ewilligung des [X.], längstens jedoch bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, das [X.]eschäftigungsverhältnis nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden.

                 

[X.]ei [X.]etriebsstillegung ist die ordentliche Kündigung erst zum Zeitpunkt der endgültigen Produktionseinstellung zulässig.

        

2.    

Wenn der [X.]etriebsrat nicht widerspricht, kann von Ziffer 1 abgewichen werden:

                 

a)    

bei Stillegung wesentlicher [X.]etriebsteile

                 

b)    

in anderen sachlich begründeten Fällen.

                 

Erhebt der [X.]etriebsrat Widerspruch, so hat er diesen sachlich zu begründen. Kommt zwischen Geschäftsleitung und [X.]etriebsrat keine Einigung zustande, so werden die Tarifparteien angerufen. [X.]leiben auch deren Einigungsbemühungen erfolglos, so steht der Rechtsweg offen.

        

3.    

Für Änderungskündigungen gelten die [X.]estimmungen des [X.]etrVG mit der Maßgabe, dass die von einer Maßnahme nach § 99 [X.]etrVG betroffenen Arbeitnehmer Anspruch auf die Leistungen nach § 3, Ziffer 2 und 3 dieses Tarifvertrages haben.“

4

Am 28. März 2012 vereinbarte die [X.]eklagte mit dem [X.]etriebsrat einen Interessenausgleich mit zwei Namenslisten als Anlagen. Die „Namensliste 1“, die laut § 2 „fester [X.]estandteil dieses Interessenausgleichs und mit diesem durch Heftung fest verbunden“ ist, weist die Namen von 50 zu kündigenden Arbeitnehmern aus. Unter Nr. 1 ist der Name des [X.] aufgeführt. In der „Namensliste 2“ sind Arbeitnehmer genannt, die für eine Versetzung vorgesehen waren und ggf. eine Änderungskündigung erhalten sollten.

5

Mit Schreiben vom 29. März 2012 kündigte die [X.]eklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien „unter Einhaltung der tarifvertraglichen Kündigungsfrist“ zum 31. Mai 2012.

6

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 [X.] lägen nicht vor. Interessenausgleich und Namensliste seien nicht fest miteinander verbunden gewesen. Sein bisheriger Arbeitsplatz sei nicht weggefallen. Die [X.] Auswahl sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Er sei sozial schutzbedürftiger als ein anderer - namentlich benannter - Arbeitnehmer. Die Kündigung sei überdies wegen Verstoßes gegen die Regelung über den Ausschluss der ordentlichen Kündigung in § 2 Nr. 1 Satz 1 [X.] unwirksam. Auch fehle es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des [X.]etriebsrats und einer korrekten Massenentlassungsanzeige. Zudem sei die Kündigungsfrist nicht gewahrt. Die im Manteltarifvertrag enthaltene Regelung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit für gewerbliche Arbeitnehmer kürzere Kündigungsfristen vereinbart seien als für Angestellte. Maßgebend sei deshalb auch für ihn die für Angestellte geltende - gesetzliche - Kündigungsfrist.

7

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der [X.]eklagten vom 29. März 2012 nicht beendet worden ist;

        

2.    

im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die [X.]eklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen [X.]edingungen als Maschinenführer weiter zu beschäftigen.

8

Die [X.]eklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, die ordentliche Kündigung sei wegen § 2 Nr. 2 [X.] nicht ausgeschlossen gewesen. Sie beruhe auf einer [X.]etriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.]etrVG in Form eines Personalabbaus. Darin liege, zumal ein Interessenausgleich und ein Sozialplan vereinbart worden seien, ein „sachlich begründeter Fall“ im Sinne der tariflichen Ausnahmeregelung. Ein Widerspruch des [X.]etriebsrats sei nicht erfolgt. Im Übrigen liege ein „sachlich begründeter Fall“ im Sinne der Tarifvorschrift stets dann vor, wenn die Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 [X.] durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sei. Davon sei im Streitfall auszugehen. Der Wegfall der [X.]eschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger sei nach § 1 Abs. 5 [X.] zu vermuten. Die erforderliche Schriftform sei von Interessenausgleich und Namensliste gewahrt. Einen groben Fehler bei der [X.] habe der Kläger nicht aufgezeigt. Mit sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmern aus dem [X.]ereich „Ausrüstung“ sei er wegen geringerer [X.] nicht vergleichbar. Die Anhörung des [X.]etriebsrats sei korrekt erfolgt. Eine Massenentlassungsanzeige habe sie ordnungsgemäß erstattet.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die [X.]eklagte ihr [X.]egehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der gegebenen Begründung durfte das [X.] der Klage nicht stattgeben. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. März 2012 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest.

I. Das [X.] hat zu Unrecht angenommen, die Kündigung sei wegen Verstoßes gegen § 2 Nr. 1 Satz 1 [X.] unwirksam (§ 134 BGB).

1. Die persönlichen Voraussetzungen des besonderen Kündigungsschutzes nach dieser Bestimmung liegen allerdings vor. Der Kläger war im Kündigungszeitpunkt 59 Jahre alt und konnte auf eine 18-jährige Betriebszugehörigkeit bei der [X.] zurückblicken. Sein Arbeitsverhältnis war deshalb - vorbehaltlich der in § 2 Nr. 2 [X.] genannten Ausnahmen - nur noch aus wichtigem Grund kündbar. Eine außerordentliche Kündigung hat die Beklagte nicht erklärt. Zu einer Stilllegung des Betriebs - die nach § 2 Nr. 1 Satz 2 [X.] die ordentliche Kündigung ebenfalls eröffnet hätte - kam es nicht.

2. Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen tragen aber nicht das Ergebnis, die ordentliche Kündigung sei auch mit Blick auf § 2 Nr. 2 [X.] unzulässig. Die Beklagte hat zwar nicht dargetan, dass die Kündigung wegen „Stilllegung wesentlicher Betriebsteile“ iSv. Satz 1 Buchst. a der Vorschrift erfolgt wäre. Ihrem Vorbringen zufolge liegt jedoch ein „anderer sachlich begründeter Fall“ iSv. Satz 1 Buchst. b der Regelung vor. Danach beruht die Kündigung auf einer Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.], die zu einem Interessenausgleich und Sozialplan geführt hat. Bei einer solchen Sachlage ist die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung gegeben. Das ergibt die Auslegung der tariflichen Bestimmungen.

a) Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien war nicht deshalb zulässig, weil die Beklagte sich entschlossen hatte, ihre Weberei stillzulegen und die Abteilung „[X.]“ aufzulösen. Die Würdigung des [X.]s, damit habe sie keinen Kündigungssachverhalt iSv. § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a [X.] aufgezeigt, ist im Ergebnis zutreffend.

aa) Dies folgt, anders als das [X.] gemeint hat, nicht schon daraus, dass der Kläger keinem dieser betrieblichen Bereiche zugeordnet war. Die [X.] lässt es durchaus zu, ältere Arbeitnehmer, die außerhalb eines „wesentlichen Betriebsteils“ tätig sind, mit dort beschäftigten Arbeitnehmern in die [X.] nach § 1 Abs. 3 [X.] einzubeziehen.

(1) Wird ein Betriebsteil oder eine Betriebsabteilung geschlossen, ist eine nach § 1 Abs. 3 [X.] gebotene [X.] Auswahl nicht auf die fragliche Einheit beschränkt. Sie ist bezogen auf den gesamten Betrieb vorzunehmen. Das gilt auch dann, wenn einzelne Betriebsstätten desselben Betriebs räumlich weit voneinander entfernt liegen ([X.] 3. Juni 2004 - 2 [X.] - zu [X.] der Gründe mwN). Fallen infolge der Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteils Beschäftigungsmöglichkeiten weg, kann dies dazu führen, dass statt des Arbeitsverhältnisses eines dort beschäftigten Arbeitnehmers dasjenige eines Mitarbeiters, der in einem anderen, nicht stillgelegten Teil des Betriebs tätig ist, gekündigt werden muss, weil dieser Mitarbeiter nach arbeitsplatzbezogenen Kriterien mit einem in dem stillgelegten Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer vergleichbar und sozial weniger schutzbedürftig ist (vgl. [X.] 3. Juni 2004 - 2 [X.] - aaO).

(2) Weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck der Tarifregelung sprechen für die Annahme, abweichend vom Gesetz sei die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung „bei Stilllegung wesentlicher Betriebsteile“ auf solche - älteren - Arbeitnehmer beschränkt, die im Kündigungszeitpunkt in dem betreffenden Betriebsteil tätig seien. Die Tarifvertragsparteien haben in § 2 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 Satz 1 Buchst. a [X.] die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis ordentlich zu kündigen, an Maßnahmen des Arbeitgebers gebunden, die in Unternehmen mit mehr als zwanzig Arbeitnehmern mitbestimmungspflichtige Betriebsänderungen iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.] darstellen (zu den inhaltsgleichen Regelungen in § 2 des Tarifvertrags der nordrheinischen Textilindustrie zur Sicherung älterer Arbeitnehmer [TV-Nordrhein] vgl. [X.] 8. August 1985 - 2 [X.] - zu [X.] 2 b aa der Gründe). Die damit einhergehende Einschränkung des besonderen Kündigungsschutzes dient erkennbar dem Zweck, ältere Arbeitnehmer innerhalb der betrieblichen Solidargemeinschaft dann nicht zu bevorzugen, wenn bestimmte kollektiv bedeutsame Tatbestände eintreten, die typischerweise die Belegschaft als Ganze oder doch wesentliche Teile von ihr betreffen (vgl. [X.] 23. Februar 2012 - 2 [X.] - Rn. 25). Das wiederum legt die Annahme nahe, dass die Tarifvertragsparteien im Falle des § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a [X.] die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung gegenüber dem geschützten Personenkreis ohne Beschränkung auf die betroffenen Betriebsteile zulassen wollten. Der Zweck der Regelung würde andernfalls zumindest teilweise verfehlt.

(3) Die gegenteilige Auslegung könnte im Übrigen dazu führen, dass ein „unkündbarer“ älterer Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz behielte, obwohl sich die darauf beruhende Auswahl eines [X.] als grob fehlerhaft erwiese. Eine tarifliche Regelung über den Schutz älterer Arbeitnehmer wiederum, die sich in dieser Weise auswirkte, könnte nicht mehr als gerechtfertigt iSv. § 10 Satz 1 AGG angesehen werden und wäre wegen Verstoßes gegen das Verbot der Altersdiskriminierung nach § 7 Abs. 1, Abs. 3, § 3 Abs. 1 AGG zumindest teilweise unwirksam ([X.] 20. Juni 2013 - 2 [X.] - Rn. 35 ff., 50 ff., [X.]E 145, 296). Auch diese - zumindest nicht gänzlich auszuschließende - Konsequenz spricht dagegen, die in Rede stehende Ausnahmebestimmung nur auf Arbeitnehmer anzuwenden, die der stillgelegten Einheit im Kündigungszeitpunkt zugeordnet waren.

bb) Die Beklagte kann sich dennoch nicht auf einen Kündigungstatbestand iSv. § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a [X.] berufen.

(1) Die Feststellungen des [X.]s und das ihnen zugrunde liegende Parteivorbringen lassen nicht erkennen, dass der Kläger von der Schließung der Weberei oder der Abteilung „[X.]“ zumindest im Rahmen einer [X.] betroffen gewesen wäre. Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung der Kündigung vielmehr auf eine Verringerung des [X.] im Bereich „Ausrüstung“ als Folge sich dort auswirkender organisatorischer Maßnahmen, insbesondere einer „Schichtenreduzierung“, berufen.

(2) Danach kann im Ergebnis offenbleiben, ob es sich bei der Weberei oder der Abteilung „[X.]“ um wesentliche Betriebsteile im Sinne der [X.] gehandelt hat. Die bisherigen Feststellungen lassen jedenfalls nicht erkennen, dass das Kriterium der „Wesentlichkeit“ erfüllt wäre. In beiden Bereichen waren - zusammengerechnet - lediglich neun Arbeitnehmer und damit deutlich weniger Personen beschäftigt, als für das Erreichen des Schwellenwerts des § 17 Abs. 1 [X.] erforderlich wäre (zur Berücksichtigung dieses Kriteriums im Rahmen von § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.] vgl. [X.] 28. März 2006 - 1 [X.] - Rn. 41, [X.]E 117, 296; 7. August 1990 - 1 [X.] - zu III 1 der Gründe). Es liegen auch keine genügenden Anhaltspunkte vor, die unabhängig von der Personalstärke zu der Annahme berechtigten, die fraglichen Einheiten stellten aufgrund anderer Umstände, insbesondere ihrer Bedeutung für den Gesamtbetrieb, „wesentliche“ Betriebsteile im tariflichen Sinne dar.

b) Entgegen der Auffassung des [X.]s ist, das Vorbringen der [X.] als wahr unterstellt, ein „anderer sachlich begründeter Fall“ iSv. § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b [X.] gegeben.

aa) Die Beklagte meint, nach dieser Vorschrift sei die ordentliche Kündigung bereits dann zulässig, wenn der Betriebsrat nicht widersprochen habe und die Kündigung durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 [X.] bedingt sei, ohne dass es noch auf weitere Voraussetzungen ankomme. Ob dieser Auffassung gefolgt werden kann, erscheint fraglich (so auch [X.] 8. August 1985 - 2 [X.] - zu [X.] 2 a der Gründe, zu § 2 Nr. 2 TV-Nordrhein).

(1) Die Tarifvertragsparteien haben nicht näher definiert, was sie unter einem „sachlich begründeten Fall“ im Sinne der [X.] verstehen.

(2) Der Wortlaut und die Systematik der Kündigungsregelung, insbesondere das in ihr zum Ausdruck kommende Regel-Ausnahme-Verhältnis sprechen aber dafür, dass sie über § 1 Abs. 2 [X.] hinausgehende Anforderungen stellen wollten und die [X.] Rechtfertigung der Kündigung allein nicht genügen soll.

(a) Die in § 2 Nr. 2 Satz 1 [X.] genannten Kündigungsmöglichkeiten stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Die Regelung verlangt für ihre zweite Alternative einen anderen „sachlich begründeten Fall“. Die Formulierung „anderer … Fall“ bezieht sich auf den voranstehenden Tatbestand einer Kündigung „bei Stilllegung wesentlicher Betriebsteile“. Dieser Kündigungssachverhalt dient ersichtlich als Vergleichsmaßstab für die „anderen“ Anwendungsfälle. Das spricht gegen die Annahme, die ordentliche Kündigung sei schon bei Vorliegen von Gründen iSv. § 1 Abs. 2 [X.] zulässig.

(b) Ein anderes Verständnis hätte eine erhebliche Einschränkung des eigentlich beabsichtigten Schutzes älterer Arbeitnehmer zur Folge. Im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes hinge es - ausgenommen der Fall einer Betriebsstilllegung - ausschließlich vom Widerspruch des Betriebsrats ab, ob die Kündigung eines „wichtigen Grundes“ bedarf oder nicht. Da dem Arbeitgeber auch bei einem Widerspruch des Betriebsrats nach erfolglosen weiteren Einigungsbemühungen iSv. § 2 Nr. 2 Satz 3 [X.] „der Rechtsweg offen steht“, folgte aus dem Widerspruch unter Umständen nur ein zeitweiliger Aufschub der Kündigung. Dass die Tarifvertragsparteien lediglich einen solchen - marginalen - Schutz gewährleisten wollten, ist schwerlich anzunehmen. Dann wäre insbesondere fraglich, warum es der Ausnahme vom besonderen Kündigungsschutz bei der „Stilllegung wesentlicher Betriebsteile“ überhaupt bedurfte. Es hätte näher gelegen, lediglich auf einen „sachlich begründeten Fall“ und das Fehlen eines Widerspruchs des Betriebsrats abzustellen.

bb) Die Frage muss für den Streitfall nicht entschieden werden. Damit kann ebenso offenbleiben, ob die von den ursprünglichen Tarifvertragsparteien gemeinsam vorgenommenen „Erläuterungen zum Tarifvertrag für Arbeiter vom 23. Mai 1974“ als gerichtliche Interpretationshilfe dienen können (zum Charakter und den Voraussetzungen einer Heranziehung gemeinsamer Erläuterungen der Tarifvertragsparteien bei der Auslegung von Tarifnormen vgl. [X.] 5. Dezember 2001 - 10 [X.] - zu II 1 e der Gründe). Zum einen nämlich beruft sich die Beklagte zur Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung auf eine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.] in Form eines Personalabbaus mit darauf bezogenem Sozialplan und damit auf einen kollektiven Sachverhalt, für den die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung nach § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b [X.] in der Tat eröffnet ist. Zum anderen hat sich der Betriebsrat lediglich zu Kündigungen in Zusammenhang mit dem konkret anstehenden Personalabbau geäußert. In § 6 des Interessenausgleichs heißt es, er nehme „die auszusprechenden Beendigungskündigungen gem. § 2 Ziffer 2 des Tarifvertrages […] zur Kenntnis und stimm[e] ihnen ausdrücklich zu“. Ein davon abweichender Kündigungssachverhalt wurde dem Betriebsrat nicht unterbreitet. Für einen solchen - etwa rein individuellen - Sachverhalt hat er dementsprechend auf einen Widerspruch nicht verzichtet.

(1) Mit Blick auf die Regelung in § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. [X.] ist ein „anderer sachlich begründbarer Fall“, bei dem der Ausschluss der ordentlichen Kündigung - bei Ausbleiben eines Widerspruchs des Betriebsrats - aufgehoben wird, gegeben, wenn es um die Auswirkungen einer Betriebsänderung geht, die zu einem Sozialplan und Interessenausgleich für die davon betroffenen Arbeitnehmer geführt hat ([X.] 8. August 1985 - 2 [X.] - zu [X.] der Gründe). Mit den in § 2 Nr. 1 Satz 2, Nr. 2 Satz 1 Buchst. a TV-Nordrhein bezeichneten [X.] der Betriebsstilllegung und der Stilllegung wesentlicher Betriebsteile ist zumindest eine sozialplanpflichtige Personalabbaumaßnahme vergleichbar ([X.] 8. August 1985 - 2 [X.] - aaO).

(2) Für die inhaltsgleiche Regelung in § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b [X.] gilt nichts anderes. Das [X.], das einen „sachlich begründeten Fall“ nur annehmen will, wenn entweder für den Arbeitnehmer im Betrieb faktisch keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr bestehen oder aber Umstände vorliegen, die seine Weiterbeschäftigung unzumutbar erschweren, überspannt die Anforderungen an den tariflichen Ausnahmetatbestand.

(a) Von § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b [X.] werden, wie aufgezeigt, Kündigungssachverhalte erfasst, die mit dem Tatbestand der „Stilllegung wesentlicher Betriebsteile“ sachlich auf [X.] liegen. Dazu zählt ein Personalabbau jedenfalls dann, wenn er die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 [X.] erreicht und deshalb - wie erwähnt - als Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.] zu qualifizieren ist. In einem solchen Fall ist regelmäßig davon auszugehen, dass die unternehmerische Maßnahme mit einer erheblichen Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Betriebs als Ganzem einhergeht. Dies ist typischerweise auch die Folge einer „Stilllegung wesentlicher Betriebsteile“. Für die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Betriebs macht es keinen entscheidenden Unterschied, ob sie ihren Grund in der Stilllegung ganzer Betriebsteile oder in einer erheblichen Reduzierung der Stammbelegschaft hat.

(b) Die tarifliche Ausnahmebestimmung kann nicht dahin verstanden werden, dass die ordentliche Kündigung gegenüber einem tariflich besonders geschützten Arbeitnehmer nur zulässig ist, wenn die Möglichkeiten, diesen im bisherigen Arbeitsbereich zu beschäftigen, gänzlich entfallen oder zumindest erheblich erschwert sind. Auch die tarifliche Möglichkeit einer Kündigung „bei Stilllegung wesentlicher Betriebsteile“ setzt nicht zwingend voraus, dass der konkrete Arbeitsplatz des älteren Arbeitnehmers entfallen ist. Ein Kündigungssachverhalt iSv. § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b [X.] ist vielmehr - wie gezeigt - auch dann gegeben, wenn der ältere Arbeitnehmer von dem in Rede stehenden Personalabbau zumindest im Rahmen der [X.] betroffen ist (so im Ergebnis auch [X.] 8. August 1985 - 2 [X.] - zu [X.] 2 b der Gründe; [X.] 21. Juli 2005 - 4 (17) [X.]/05 - zu 3 der Gründe). Die Qualifizierung eines erheblichen Personalabbaus als „anderer sachlich begründeter Fall“ entspricht dabei dem Regelungszweck. Den ansonsten besonders geschützten älteren Arbeitnehmern wird bei kollektiven Maßnahmen Solidarität mit der Gesamtbelegschaft abverlangt. Die ([X.] der ordentlichen Kündbarkeit und damit die [X.] vermeidet Widersprüche zu den gesetzlichen Regelungen in § 1 Abs. 3 bis Abs. 5 [X.] und trägt dem Verbot der Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer Rechnung.

(c) Für das Verständnis von § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b [X.] ist es unerheblich, dass der betroffene Arbeitnehmer - wie im Streitfall der Kläger - keine Abfindung beanspruchen kann, die ihrer Höhe nach geeignet wäre, finanzielle Einbußen bis zum Bezug von [X.] vollständig zu kompensieren.

(aa) Die Betriebsänderung gemäß dem Interessenausgleich vom 28. März 2012 hat zu einem Sozialplan geführt, der Abfindungsleistungen an betroffene Arbeitnehmer vorsieht. Danach kann der Kläger bei Ausscheiden aus dem Betrieb eine Abfindung von 4.807,00 [X.] beanspruchen. Aus einem [X.] steht ihm ein weiterer Betrag von 9.000,00 [X.] zu. Außerdem kann er die Rückzahlung von [X.] iHv. 18.195,00 [X.] verlangen.

(bb) Die Tarifvertragsparteien haben auch in den ausdrücklich geregelten Fällen der Betriebsstilllegung und der Stilllegung wesentlicher Betriebsteile für die ([X.] der Möglichkeit ordentlicher Kündigungen nicht etwa darauf abgestellt, dass Ansprüche auf hinreichend auskömmliche Leistungen aus einem Sozialplan entstünden. Ersichtlich genügte ihnen unter diesem Aspekt der Umstand, dass mit beiden Fällen von Betriebsänderungen überhaupt die Erzwingbarkeit eines Sozialplans einhergeht. Wie hoch die auf ihm beruhenden Leistungen ausfallen, ist für die Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung ohne Bedeutung. Für die Angemessenheit einer Abfindung kommt es nicht allein auf einen Ausgleich der zu erwartenden finanziellen Einbußen an, sondern auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit für das Unternehmen (vgl. [X.] 22. Januar 2013 - 1 [X.] - Rn. 16 ff. mwN).

II. Die Sache war an das [X.] zurückzuverweisen. Der [X.] kann mangels erforderlicher Feststellungen nicht beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist.

1. Es steht nicht fest, ob die ordentliche Kündigung tariflich zulässig ist. Zwar hat die Beklagte eine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.] und insoweit einen Anwendungsfall iSv. § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b [X.] schlüssig behauptet. Der am 28. März 2012 vereinbarte Interessenausgleich sieht die Entlassung von 50 Arbeitnehmern vor. Damit ist bei einer Beschäftigtenzahl von 225 Arbeitnehmern der von § 17 Abs. 1 Nr. 2 [X.] geforderte Schwellenwert erreicht. Der Betriebsrat hat einer auf dieser Betriebsänderung beruhenden Kündigung des [X.] auch nicht widersprochen. Der Kläger hat aber bestritten, dass die Beklagte den im Interessenausgleich verabredeten Personalabbau tatsächlich durchgeführt hat. Dieser Einwand ist nicht nur hinsichtlich einer möglichen Anwendung von § 1 Abs. 5 [X.], sondern auch mit Blick auf den tariflichen Sonderkündigungsschutz erheblich. Sollte sich die Beklagte von ihren ursprünglichen Planungen so weit entfernt haben, dass der tatsächliche Kündigungssachverhalt ein anderer wäre als derjenige, zu dem sich der Betriebsrat geäußert hat, wäre der Verlust des [X.] nicht eingetreten.

2. Das Bestreiten des [X.] ist nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil er außerdem gerügt hat, die Beklagte habe eine nur im Fall des § 17 Abs. 1 [X.] erforderliche Massenentlassungsanzeige nicht ordnungsgemäß erstattet. Es ist dem Kläger prozessual unbenommen, geltend zu machen, seine Kündigung stehe nicht in Zusammenhang mit der verabredeten Betriebsänderung, und sich zugleich - hilfsweise - den Vortrag der [X.] zu einem Personalabbau zu eigen zu machen.

3. Das [X.] wird demnach zu prüfen haben, ob die Kündigung in Zusammenhang mit dem vereinbarten Personalabbau steht. [X.]. wird es auf eine Ergänzung des Parteivorbringens hinwirken müssen. Sollte es erneut zu der Auffassung gelangen, die Voraussetzungen des § 2 Nr. 2 Satz 1 Buchst. b [X.] lägen nicht vor, wird es bei den gegebenen Sozialdaten davon ausgehen können, dass der damit einhergehende Ausschluss der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung mit dem Verbot der Altersdiskriminierung vereinbar ist.

4. Die Entscheidung des [X.]s stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Kläger hat sich zwar für die geltend gemachte Unwirksamkeit der Kündigung auch darauf berufen, diese sei sozial ungerechtfertigt. Außerdem hat er gerügt, es fehle an einer korrekten Massenentlassungsanzeige und einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats. Das [X.] hat sich mit dem Vorbringen aber nicht befasst und keine darauf bezogenen Feststellungen getroffen. Eine abschließende Beurteilung ist dem [X.] damit nicht möglich.

5. Sollte das [X.] zu dem Ergebnis gelangen, die ordentliche Kündigung sei wirksam, wird es sich mit der Frage zu befassen haben, ob die maßgebende Kündigungsfrist gewahrt ist. Auch insoweit ist der Sachverhalt nicht aufgeklärt. Es ist insbesondere nicht festgestellt, welche Fristenregelungen im Kündigungszeitpunkt auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung gelangten und ob diese mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind (vgl. dazu [X.] 23. Januar 1992 - 2 [X.] - [X.]E 69, 257; 23. Januar 1992 - 2 [X.] -).

6. Der Aufhebung und Zurückverweisung unterliegt auch die Entscheidung über den Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Koch    

        

        

        

    K. Schierle    

        

    [X.]    

                 

Meta

2 AZR 418/13

05.06.2014

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Osnabrück, 12. September 2012, Az: 4 Ca 156/12, Urteil

§ 1 TVG, § 134 BGB, § 1 Abs 3 KSchG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05.06.2014, Az. 2 AZR 418/13 (REWIS RS 2014, 4988)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4988

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