Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.03.2016, Az. 2 AZR 182/15

2. Senat | REWIS RS 2016, 14299

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Gegenstand

Betriebsbedingte Kündigung - Interessenausgleich mit Namensliste


Leitsatz

Die Wirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG treten nur ein, wenn die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung vollumfänglich Gegenstand einer Verständigung der Betriebsparteien iSv. § 111 Satz 1, § 112 BetrVG ist. Ein Interessenausgleich nur über Teile der Betriebsänderung reicht nicht aus.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 25. Februar 2015 - 3 Sa 431/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

[X.]ie Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

2

[X.]ie im Jahr 1967 geborene Klägerin ist seit August 1996 bei der [X.] bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Maschinenbedienerin beschäftigt.

3

[X.]ie [X.]eklagte führte an ihrem [X.]itz in [X.] zwei [X.]etriebe. Im [X.]etrieb „[X.]“, der aus zwei [X.]etriebsteilen bestand und für den ein [X.]etriebsrat gewählt war, beschäftigte sie in den Jahren 2011 und 2012 mehr als 800 Arbeitnehmer. [X.]ie Klägerin war im [X.]etriebsteil „[X.]“ tätig, in dem digitale [X.]atenträger hergestellt wurden. Im [X.]etriebsteil „t“ wurden [X.]ooklets und Verpackungen produziert. In einer [X.]ntfernung von etwa 7 km führte die [X.]eklagte den [X.]etrieb „[X.]“ mit den Abteilungen „[X.]“ und „F“.

4

Am 9. August 2012 vereinbarte die [X.]eklagte mit dem [X.]etriebsrat „[X.]“ (im Folgenden: [X.]etriebsrat) einen Interessenausgleich ([X.] 2012). Nach dessen Nr. 2, 3.1 bis 3.4 sollten aufgrund eines dort beschriebenen Umsatzrückgangs im [X.]ereich der Herstellung von [X.]atenträgern 38 Arbeitsplätze zum 31. [X.]ezember 2012 entfallen. Außerdem heißt es im Interessenausgleich:

        

„3.5. 

[X.]ie [X.]ozialauswahl erfolgt unter den vergleichbaren Mitarbeitern zu den Auswahlkriterien gem. Ziffer 4.1 des (Rahmen-)[X.]ozialplan Umstrukturierung a vom 08. April 2011.

                 

…       

                 

[X.]ie von der [X.]eendigung des Arbeitsverhältnisses betroffenen Mitarbeiter sind in der Anlage [X.] … aufgelistet; Anlage [X.] ist eine Namensliste gem. § 1 Abs. 5 K[X.]ch[X.]. …

                 

…       

        

5.    

[X.]ozialplan/Transfergesellschaft

                 

…       

        

5.2.   

[X.]as Unternehmen wird den gem. Anlage [X.] kündigungsbedrohten Mitarbeitern möglichst noch vor Ausspruch der Kündigung, spätestens jedoch mit Ausspruch der Kündigung, einen Wechsel in die [X.] anbieten. …“

5

[X.]benfalls am 9. August 2012 wurde als Anlage [X.] zum [X.] 2012 eine von der [X.] und dem [X.]etriebsrat unterschriebene Liste mit den Namen von 38 Arbeitnehmern erstellt. Unter der Rubrik „Produktion“ sind - aufsteigend nach der [X.]ozialpunktzahl geordnet - die Namen von 32 Arbeitnehmern aufgeführt. [X.]er Name der Klägerin, neben dem eine Punktzahl von 61,5 vermerkt ist, steht an der Position 21.

6

Mit [X.]chreiben vom 18. [X.]eptember 2012 hörte die [X.]eklagte den [X.]etriebsrat zu einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin an. In diesem teilte die [X.]eklagte mit, sie beabsichtige eine ordentliche [X.]eendigungskündigung zum 31. März 2013 auszusprechen. „Vorsorglich“ werde der [X.]etriebsrat „zugleich“ zu einer ordentlichen Änderungskündigung angehört, die zu dem genannten Termin bei Vorliegen der unter Nr. 3 des [X.]s beschriebenen Voraussetzungen „anstelle der [X.]eendigungskündigung“ ausgesprochen werden solle. [X.]azu ist in dem [X.]chreiben ausgeführt:

        

„3.     

Keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit

        

a)    

[X.]in anderer gleichwertiger und freier Arbeitsplatz ist weder in diesem [X.]etrieb noch in einem anderen [X.]etrieb des Unternehmens vorhanden.

        

b)    

[X.]ie Weiterbeschäftigung auf einem anderen nicht gleichwertigen Arbeitsplatz innerhalb dieses [X.]etriebs oder in anderen [X.]etrieben des Unternehmens wird fortlaufend in Absprache mit dem [X.]etriebsrat geprüft.

                 

Im [X.]etriebsteil t können danach vier derzeit von Leiharbeitnehmern besetzte [X.]tellen als ‚Maschinenhelfer Weiterverarbeitung t‘ mit vom Arbeitsplatzwegfall betroffenen Mitarbeitern besetzt werden. [X.]ie [X.]esetzung dieser [X.]tellen erfolgt mit den betroffenen Mitarbeitern, die nach der Auswahlrichtlinie gem. Ziffer 4.1 des [X.]ozialplans Umstrukturierung a vom 08.04.2011 die höchste [X.] [X.]chutzwürdigkeit genießen (höchste Punktzahl). [X.]is zum 26.09.2012 haben die vom Arbeitsplatzabbau betroffenen Mitarbeiter die Möglichkeit das Angebot auf Wechsel in die Transfergesellschaft anzunehmen. Welcher dieser Mitarbeiter von diesem Angebot [X.]ebrauch macht, lässt sich derzeit nicht vorhersagen. [X.]ollte sich nach Ablauf der Annahmefrist herausstellen, dass [die Klägerin] das Angebot für einen Wechsel in die Transfergesellschaft abgelehnt hat und nach der Auswahlrichtlinie die Weiterbeschäftigung auf einer der freien [X.]tellen als ‚Maschinenhelfer Weiterverarbeitung t‘ in [X.]etracht kommt, so wird [der Klägerin] diese [X.]telle im Rahmen einer Änderungskündigung unter [X.]inhaltung der Kündigungsfrist zum 01.04.2013 angeboten.

                 

[X.]as in der Änderungskündigung enthaltene Änderungsangebot ist diesem Anhörungsschreiben (…) beigefügt.

        

c)    

Andere freie [X.]tellen stehen im Unternehmen nicht zur Verfügung.

        

4.    

Angebot zum Wechsel in die Transfergesellschaft

        

[[X.]ie Klägerin] hat das Angebot erhalten, zum 01.01.2013 in die [X.] („[X.]“) zu wechseln. [X.]as Angebot kann bis zum 26. [X.]eptember 2012 angenommen werden. Mit Annahme des Angebots würde das Arbeitsverhältnis zum 31. [X.]ezember 2012 enden. … [X.]iese Anhörung erfolgt somit vorsorglich für den Fall, dass bis zum Ablauf der Annahmefrist … das Vertragsangebot zum Wechsel in die [X.] durch [die Klägerin] nicht angenommen wurde. In diesem Fall ist der Ausspruch einer ordentlichen betriebsbedingten Änderungs-/[X.]eendigungskündigung unvermeidlich.“

7

Unter dem 20. [X.]eptember 2012 erklärte der [X.]etriebsrat, dass er sich inhaltlich nicht äußere.

8

[X.]ie Klägerin lehnte das Angebot, in die Transfergesellschaft zu wechseln, ab. Mit [X.]chreiben vom 27. [X.]eptember 2012, das der Klägerin am 28. [X.]eptember 2012 zuging, erklärte die [X.]eklagte eine ordentliche [X.]eendigungskündigung zum 31. März 2013. [X.]agegen erhob die Klägerin rechtzeitig die vorliegende Klage.

9

[X.]ie Klägerin hat die Kündigung vom 27. [X.]eptember 2012 für sozial ungerechtfertigt gehalten. Ihr Arbeitsplatz sei nicht weggefallen. In der „Abteilung F“ habe eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf der [X.]telle eines Vorarbeiters bestanden. [X.]ie [X.] Auswahl sei grob fehlerhaft erfolgt. [X.]ie [X.]eklagte habe den kündigungsschutzrechtlichen [X.]etriebsbegriff verkannt.

[X.]ie Klägerin hat beantragt,

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der [X.] vom 27. [X.]eptember 2012 nicht aufgelöst worden ist.

[X.]ie [X.]eklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. [X.]ie Kündigung sei am Maßstab des § 1 Abs. 5 K[X.]ch[X.] zu messen. [X.]ie tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift lägen vor. [X.]ie Kündigung sei aufgrund eines Personalabbaus erfolgt, der die Voraussetzungen einer [X.]etriebseinschränkung i[X.]v. § 111 [X.]atz 3 Nr. 1 [X.]etrV[X.] erfülle. [X.]ie im Interessenausgleich vereinbarten Maßnahmen seien [X.]estandteil eines „in Wellen“ durchgeführten [X.]tellenabbaus, dem eine einheitliche unternehmerische Planung aus dem [X.] zugrunde liege. [X.]anach sei zu vermuten, dass die Kündigung durch dringende betriebliche [X.]rfordernisse bedingt sei.

[X.]as Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. [X.]as [X.] hat die [X.]erufung der [X.] zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die [X.]eklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage zu Recht entsprochen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 27. September 2012 nicht aufgelöst worden. Diese ist zwar nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.], wohl aber nach § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] unwirksam.

I. Die Kündigung ist nicht schon deshalb unwirksam, weil es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats fehlte. Die Würdigung des [X.], es handele sich um eine unzulässige Anhörung „auf Vorrat“, verletzt § 102 Abs. 1 [X.]. Dies rügt die Revision mit Recht.

1. Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gemäß Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Diese Verpflichtungen bestehen auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs iSd. § 1 Abs. 5 [X.] ([X.] 5. November 2009 - 2 [X.] - Rn. 37). Nach § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam.

2. Eine Kündigung ist iSv. § 102 Abs. 1 Satz 3 [X.] nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen. Sie ist es auch dann, wenn er ihn nicht ordnungsgemäß beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 Satz 2 [X.] nicht ausreichend nachgekommen ist. Für die Mitteilung der Kündigungsgründe gilt dabei der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen [X.] tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt ([X.] 16. Juli 2015 - 2 [X.] - Rn. 15 f.).

3. Die Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 [X.] soll dem Betriebsrat Gelegenheit geben, die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung zu bilden, um ggf. auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen ([X.] 16. Juli 2015 - 2 [X.] - Rn. 14). Diesem Zweck widerspricht es, das Verfahren zu einem Zeitpunkt einzuleiten, in dem der Arbeitgeber seinen [X.] noch nicht abschließend gefasst hat. Die Anhörung des Betriebsrats erfolgt dann vorzeitig, nämlich in einer Phase, in der die Kündigungsüberlegungen noch unter dem Vorbehalt der weiteren Entwicklung stehen. Eine solche Anhörung „auf Vorrat“ ist unzulässig. Der Betriebsrat könnte sich lediglich gutachterlich zu einem fiktiven Sachverhalt äußern ([X.] 22. April 2010 - 2 [X.] - Rn. 14).

4. Davon zu unterscheiden sind Anhörungen, die lediglich offen lassen, ob der Arbeitgeber eine Änderungs- oder eine Beendigungskündigung erklären wird, der [X.] für beide Alternativen im Zeitpunkt der Anhörung aber feststeht und jedenfalls eine der beiden Kündigungen definitiv ausgesprochen werden soll. Eine solche Anhörung widerspricht nicht dem Schutzzweck des § 102 Abs. 1 [X.]. Die Willensbildung des Arbeitgebers, auf die dem Betriebsrat die Einflussnahme ermöglicht werden soll, ist dann regelmäßig abgeschlossen ([X.] 22. April 2010 - 2 [X.] - Rn. 16).

5. Gemessen an diesen Grundsätzen liegt im Streitfall keine Anhörung „auf Vorrat“ vor.

a) Die Beklagte hatte im Zeitpunkt der Anhörung den endgültigen und ernsthaften Entschluss gefasst, den Personalbestand im Arbeitsbereich der Produktionsmitarbeiter dem verbliebenen Auftragsvolumen anzupassen. Nach den Mitteilungen im [X.] stand aus ihrer Sicht überdies fest, dass ein gleichwertiger freier Arbeitsplatz nicht zur Verfügung gestanden hat. Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte erklärt, sie werde das Arbeitsverhältnis bei Ablehnung des der Klägerin unterbreiteten Angebots, in die Transfergesellschaft zu wechseln, in jedem Fall kündigen. Gleichzeitig stand für sie fest, dass im Betriebsteil „t“ vier freie Arbeitsplätze verfügbar waren. Diese Stellen sollten Arbeitnehmern angeboten werden, die nach der dem [X.] 2012 beigefügten Namensliste zur Kündigung anstanden und die nach Nr. 4.1 des im [X.] 2012 in Bezug genommenen Sozialplans vom 8. April 2011 die jeweils höchste Sozialpunktzahl erreicht hatten. Die Klägerin sollte eine Änderungskündigung statt einer Beendigungskündigung erhalten, falls eine hinreichende Zahl der ihr im Rahmen der [X.] vorgehenden Arbeitnehmer das Angebot, in die Transfergesellschaft zu wechseln, annehmen werde.

b) Die subjektiven Kündigungsüberlegungen der [X.] waren danach abgeschlossen. Der mitgeteilte [X.] bedurfte weder bei Ablehnung noch bei Annahme des Angebots einer Neubewertung. Der in der vorsorglichen Anhörung liegende Vorbehalt, von der Kündigung abzusehen, wenn sich die Kündigung aufgrund anderweitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht als erforderlich erweisen sollte, steht ihrer Wirksamkeit nicht entgegen. Er hindert den Betriebsrat nicht, ggf. Bedenken gegen die Kündigung zu äußern oder - ebenso vorsorglich - seine Widerspruchsrechte wahrzunehmen (wie hier [X.] 25. Oktober 2005 - 4 Sa 1163/04 - Rn. 172; ähnlich [X.]/[X.] 16. Aufl. § 102 [X.] Rn. 3; GK/Raab 9. Aufl. § 102 [X.] Rn. 40; [X.] 18. Oktober 2007 - 2 [X.]/07 - Rn. 44).

c) Die Anhörung ist ebenso wenig deshalb unwirksam, weil sie sowohl zu einer Beendigungs- als auch zu einer - alternativ - auszusprechenden Änderungskündigung erfolgte. Zwar hing die Wahl der [X.] davon ab, ob andere in der Namensliste zum [X.] 2012 aufgeführte Arbeitnehmer, die eine höhere Sozialpunktzahl als die Klägerin erreicht hatten, das Angebot zum Wechsel in die Transfergesellschaft annähmen. Im [X.] wurde aber unter Einbeziehung der Regelungen im Interessenausgleich exakt festgelegt, in welcher Reihenfolge die freien Stellen zu besetzen seien. Die dargestellte Zwangsläufigkeit ließ der [X.] keinen Spielraum bezüglich des Ausspruchs einer Beendigungs- oder Änderungskündigung. Damit handelte es sich auch insoweit um einen feststehenden Sachverhalt. Dem Betriebsrat standen sämtliche die Entscheidung der [X.] beeinflussenden Informationen zur Verfügung. Er war durch das [X.] in die Lage versetzt, sich ohne zusätzliche eigene Nachforschungen selbst ein Bild zu machen und die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen.

II. Einer hierauf gestützten Zurückverweisung (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO) bedarf es indes nicht. Die Würdigung des [X.], die Kündigung vom 27. September 2012 sei (auch) nach § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] unwirksam, ist frei von [X.]. Die Kündigung, auf die das [X.] Anwendung findet (§ 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 [X.]), ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] bedingt. Die angefochtene Entscheidung stellt sich damit aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

1. Entgegen der Auffassung der [X.] ist die Betriebsbedingtheit der Kündigung nicht gemäß § 1 Abs. 5 Satz 1 [X.] zu vermuten.

a) Nach dieser Vorschrift wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 Abs. 2 [X.] bedingt ist, wenn die Arbeitnehmer, denen aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 [X.] gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind. Dies gilt nicht, soweit sich die Sachlage nach dem Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat (§ 1 Abs. 5 Satz 3 [X.]).

b) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Eingreifen der Vermutung (Vermutungsbasis) hat der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen. Zu diesen gehören das Vorliegen einer Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 1 [X.], die für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal war, sowie dessen ordnungsgemäße Bezeichnung in einem Interessenausgleich ([X.] 27. September 2012 - 2 [X.] - Rn. 16, [X.]E 143, 177).

c) Danach fehlt es im Streitfall bereits an einer hinreichenden Vermutungsbasis.

aa) Das [X.] hat angenommen, als Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.] komme nur der von der [X.] angeführte, auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruhende Personalabbau in mehreren „[X.] gemäß des im April 2011 beschlossenen Konzepts in Betracht. Diese Würdigung lässt einen revisiblen Rechtsfehler nicht erkennen.

(1) Eine Betriebseinschränkung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.], die als Betriebsänderung (§ 111 Satz 1 [X.]) gilt, kann auch in einem bloßen Personalabbau liegen, wenn erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind. Richtschnur sind die Zahlen und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 [X.]. Für Großbetriebe wird diese Staffel eingeschränkt - dort ist eine Betriebseinschränkung iSd. § 111 Satz 3 Nr. 1 [X.] erst bei einem Personalabbau von 5 vH der Gesamtbelegschaft gegeben ([X.] 19. Juli 2012 - 2 [X.] - Rn. 17, [X.]E 142, 339).

(2) Wie in diesem Zusammenhang zeitversetzte [X.] zu beurteilen sind, hängt maßgeblich von den Planungsvorstellungen des Arbeitgebers ab. Beruht der sukzessive Personalabbau auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung, sind die Abbaumaßnahmen grundsätzlich zusammen zu betrachten ([X.] 27. September 2012 - 2 [X.] - Rn. 19, [X.]E 143, 177). Eine enge zeitliche Nähe der [X.] ist dabei nicht zwingend vorausgesetzt, kann aber eine einheitliche Planung indizieren. Eine spätere Entlassungswelle kann auch das Ergebnis einer neuen Planung sein. Dies gilt insbesondere, wenn nach der ersten Entlassungswelle neue, vom Arbeitgeber ursprünglich nicht vorhergesehene und eingeplante Umstände eingetreten sind ([X.] 28. März 2006 - 1 [X.] - Rn. 19, [X.]E 117, 296). In solchen Fällen sind die aufgrund neuer Planung ergriffenen Maßnahmen grundsätzlich unabhängig von einem bis dahin durchgeführten Personalabbau zu betrachten, auch wenn sie möglicherweise auf derselben wirtschaftlichen Entwicklung beruhen ([X.] 6. Juni 1978 - 1 [X.] -; [X.] NZA 2005, 1385).

(3) Die Beklagte hat behauptet, sie habe im April 2011 einen Personalabbau von insgesamt 192 Vollzeitkräften in den Jahren 2011 bis 2013 geplant, dessen sukzessive Durchführung in mehreren, zahlenmäßig konkret umrissenen Schritten erfolgen sollte, und an dieser Planung in der Folgezeit festgehalten. Vor Abschluss des [X.] 2012 habe sie keine neuen Planungen vorgenommen, sondern lediglich die ursprünglich gefasste Absicht, den nicht durch freiwillige Maßnahmen erreichten Stellenabbau durch Kündigungen zu realisieren, zahlenmäßig konkretisiert.

bb) Der [X.] 2012 und die diesem beigefügte Namensliste sind in Bezug auf die vom [X.] festgestellte Betriebsänderung nicht geeignet, die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 Satz 1 [X.] auszulösen.

(1) Ist über eine Betriebsänderung, die auf einer einheitlichen Planung beruht, ein wirksamer Interessenausgleich zustande gekommen, ist nach der Senatsrechtsprechung für das Eingreifen der Vermutungswirkung iSv. § 1 Abs. 5 [X.] nicht erforderlich, dass die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer in einer einheitlichen Namensliste zusammengefasst sind. Die [X.] können vielmehr zeitlich gestaffelt entsprechend den geplanten „[X.]“ jeweils eine vollständige Namensliste aufstellen. Ist in einem solchen Fall der gekündigte Arbeitnehmer von der zweiten „Welle“ betroffen und liegt hinsichtlich der beiden ersten Stufen jeweils eine abschließende Einigung der [X.] über den durchzuführenden Personalabbau und insoweit vollständige Namenslisten vor, bildet dies eine ausreichende Vermutungsbasis iSv. § 1 Abs. 5 [X.] ([X.] 19. Juli 2012 - 2 [X.] - Rn. 22; 22. Januar 2004 - 2 [X.] - zu [X.] 5 der Gründe).

(2) Mit dieser Konstellation ist der vorliegende Streitfall nicht vergleichbar. Nach dem Vorbringen der [X.] lag im Kündigungszeitpunkt lediglich für einen nicht abgrenzbaren Teil der behaupteten Betriebsänderung ein Interessenausgleich vor, der sich an vorausgehende, bereits durchgeführte Maßnahmen anschloss. Für diese haben die Betriebsparteien keinen Interessenausgleich abgeschlossen. Dies genügt den Anforderungen des § 1 Abs. 5 [X.] nicht. Dessen Vermutungswirkungen treten nur ein, wenn die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung vollumfänglich Gegenstand einer Verständigung der Betriebsparteien iSd. § 111 Satz 1, § 112 [X.] ist. Ein Interessenausgleich nur über Teile eines geplanten Stellenabbaus reicht hingegen nicht aus. Das ergibt die Auslegung.

(a) Der Wortlaut der Bestimmung gibt kein eindeutiges Ergebnis vor. § 1 Abs. 5 [X.] verlangt eine (betriebsbedingte) Kündigung „aufgrund“ einer Betriebsänderung nach § 111 [X.] und die namentliche Benennung des betroffenen Arbeitnehmers in einem Interessenausgleich. Das schließt das Verständnis, ausreichend sei auch ein über Teile der Betriebsänderung geschlossener Interessenausgleich, nicht aus.

(b) Einer solchen Sichtweise widersprechen aber Sinn und Zweck von § 1 Abs. 5 [X.]. Die dort normierten Erleichterungen verfolgen das Ziel, bei betriebsbedingten Kündigungen einer größeren Zahl von Arbeitnehmern eine erhöhte Rechtssicherheit zu erreichen (vgl. [X.]. 15/1204 S. 11). Der Eintritt der Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 [X.] beruht auf der Erwägung des Gesetzgebers, dass von der übereinstimmenden Beurteilung der Betriebsparteien, die sich in einem Interessenausgleich auf die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer verständigt haben, eine hohe Gewähr für die Richtigkeit ihrer Einschätzung ausgeht. Nach seiner Vorstellung sollen die Betriebsräte verstärkt in die Verantwortung für Betriebsänderungen iSv. § 111 [X.] einbezogen werden sowie im Rahmen eines nicht durch Spruch der Einigungsstelle erzwingbaren Interessenausgleichs einen erhöhten Einfluss auf die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung und über die Einzelheiten der Betriebsänderung gewinnen ([X.] 19. Juli 2012 - 2 [X.] - Rn. 29). Die durch § 1 Abs. 5 [X.] bewirkten nachteiligen Folgen der Namensliste für die kündigungsrechtliche Stellung der von ihr betroffenen Arbeitnehmer ist verfassungsrechtlich nur durch die Einflussnahmemöglichkeit des Betriebsrats auf die gesamte unternehmerische Maßnahme und ihre Folgen für die davon betroffenen Arbeitnehmer zu rechtfertigen ([X.] 27. September 2012 - 2 [X.] - Rn. 27, [X.]E 143, 177). An einer solchen Einflussnahmemöglichkeit fehlt es aber, wenn der Arbeitgeber nach dem Scheitern eines Interessausgleichs über Teile der betriebsändernden Maßnahmen diese ohne Mitwirkung des Betriebsrats durchführen kann.

(c) Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob bei einem in mehreren „[X.] geplanten Personalabbau den Anforderungen des § 1 Abs. 5 [X.] Genüge getan ist, wenn die Betriebsparteien vor Durchführung der Abbaumaßnahmen verabreden, einen Interessenausgleich über die gesamte Maßnahme „stufenweise“ - äquivalent zu den „Wellen“ - herbeizuführen, und diesem Regelungsplan entsprechend handeln. Einen solchen Sachverhalt behauptet die Beklagte selbst nicht.

2. Die Kündigung ist nicht losgelöst vom Eingreifen der Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 Satz 1 [X.] sozial gerechtfertigt. Das [X.] hat angenommen, die Beklagte sei ihrer Darlegungslast aus § 1 Abs. 2 Satz 4 [X.] nicht nachgekommen. Die Würdigung lässt einen revisiblen Rechtsfehler nicht erkennen. Auch die Revision macht Gegenteiliges nicht geltend.

III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    [X.]    

        

    Sieg    

                 

Meta

2 AZR 182/15

17.03.2016

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Bielefeld, 18. März 2014, Az: 2 Ca 2442/12, Urteil

§ 1 Abs 1 KSchG, § 1 Abs 2 S 1 Alt 3 KSchG, § 1 Abs 2 S 4 KSchG, § 1 Abs 5 KSchG, § 102 Abs 1 BetrVG, § 111 S 1 BetrVG, § 111 S 3 Nr 1 BetrVG, § 112 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.03.2016, Az. 2 AZR 182/15 (REWIS RS 2016, 14299)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14299


Verfahrensgang

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Az. 2 AZR 182/15

Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 182/15, 17.03.2016.


Az. 2 Ca 2442/12

Arbeitsgericht Bielefeld, 2 Ca 2442/12, 18.03.2014.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

1 Ca 1806/20

1 Ca 1882/20

1 Ca 333/19

11 Sa 986/18

4 Sa 971/18

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