Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.10.2016, Az. B 14 AS 51/16 B

14. Senat | REWIS RS 2016, 3741

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Verwerfung der Berufung durch Beschluss wegen Versäumung der Berufungsfrist - keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - verzögerte Postlaufzeiten durch längerfristigen Streik


Tenor

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] vom 27. Januar 2016 werden zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Mit Beschluss vom 27.1.2016 hat das [X.] die Berufung der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 4.5.2015 als unzulässig verworfen. Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 1.6.2015 zugestellte Urteil des [X.] haben die Kläger am 14.8.2015 Berufungen eingelegt und zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung ist vorgetragen, die Kläger hätten das Urteil, das ihnen vom Prozessbevollmächtigten zeitnah nach Zustellung übersandt worden sei, erst am 16.7.2015 erhalten und sich am 17.7.2015 telefonisch bei dem Prozessbevollmächtigten gemeldet. Nachdem das L[X.] den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Beschluss vom 25.9.2015 abgelehnt hatte, weil durch den unbefristeten Streik der [X.] im relevanten Zeitraum außergewöhnliche Ereignisse vorgelegen hätten, die den Prozessbevollmächtigten zu einer Überwachung des Zugangs wichtiger Schreiben hätten veranlassen müssen, ist mit dem vorliegenden angefochtenen Beschluss des L[X.] die Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist verworfen worden.

2

Mit ihren Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des L[X.] machen die Kläger einen Verfahrensfehler geltend, weil unter Verletzung von § 67 [X.]G der Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt worden sei. Außerdem rügen die Kläger eine Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß Art 103 Abs 1 GG, weil sie durch die Verwerfung der Berufung als unzulässig gehindert gewesen seien, neuen Vortrag zu bringen.

3

II. Die gegen die Nichtzulassung der Revision in dem angefochtenen Beschluss des L[X.] gerichteten Beschwerden der Kläger sind zurückzuweisen, weil sie jedenfalls unbegründet sind. Die Voraussetzungen des von den Klägern allein geltend gemachten [X.] des [X.], auf dem die angefochtenen Entscheidungen des L[X.] beruhen können (§ 160 Abs 2 [X.] 3 Halbsatz 1 [X.]G), sind nicht erfüllt.

4

Ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 [X.] 3 [X.]G ist ein Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (siehe nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 160 [X.] 16a mwN). Vor diesem Hintergrund greift die Rüge einer Verletzung des § 67 [X.]G vorliegend unmittelbar nicht durch, denn das L[X.] hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit einem gesonderten Beschluss vom 25.9.2015 abgelehnt, der gemäß § 177 [X.]G unanfechtbar war. [X.] Vorentscheidungen sind aber gemäß § 202 Satz 1 [X.]G iVm § 557 Abs 2 und § 512 ZPO nicht im Rahmen eines Revisionsverfahrens zu überprüfen, was für den vorliegenden Fall bedeutet, dass die beanstandete Ablehnung der Wiedereinsetzung als solche ohnehin nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein könnte und die entsprechende Rüge daher auch nicht zur Zulassung der Revision führen kann.

5

Ein Verfahrensmangel kann aber auch das Urteil selbst betreffen, wenn zB statt eines [X.] ein Prozessurteil ergangen ist oder umgekehrt (siehe bereits B[X.] Urteil vom [X.] - B[X.]E 34, 236, 237; B[X.] Urteil vom 20.3.1973 - 8/7 RU 11/70 - B[X.]E 35, 267, 271). In dem genannten Rahmen wäre auch die Entscheidung des L[X.] über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Maßgabe des § 67 [X.]G mittelbar zu überprüfen. Wenn man die Rüge "Prozess- statt Sachurteil" aufgrund des gesamten Vortrags in der Beschwerdebegründung als sinngemäß erhoben erachten würde, griffe sie vorliegend nicht durch, denn das L[X.] hat zu Recht die Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist (§ 151 Abs 1 [X.]G) durch Beschluss gemäß § 158 [X.]G als unzulässig verworfen, weil gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 1.6.2015 zugestellte Urteil erst am 14.8.2015 und damit nicht innerhalb der einmonatigen Frist Berufung eingelegt worden ist (§ 160a Abs 1, § 64 Abs 2 [X.]G). Zutreffend hat das L[X.] insoweit entschieden, dass der von den Klägern behauptete Zugang des anwaltlichen Schreibens bezüglich der Frage, ob Berufung eingelegt werden soll, erst am [X.] im vorliegenden Fall eine unverschuldete Fristversäumung nicht begründen kann.

6

Zwar darf ein Absender grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Post die normalen Postlaufzeiten einhält, dies gilt jedoch nicht bei voraussehbarer Verzögerung wegen außergewöhnlicher Ereignisse, insbesondere wenn die Verzögerungsgefahren bekannt gemacht worden sind oder offenkundig waren und wenn die Beteiligten Kenntnis davon haben mussten, dass eine konkrete Gefahr von Verzögerungen bestand, wie dies zB bei einem - hier gegebenen - längerfristigen Streik der Fall ist (siehe dazu nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 67 Rd[X.] 6c). Insoweit ist bereits geklärt, dass für einen solchen Fall, in dem der Absender ausnahmsweise nicht auf die normale Postlaufzeit vertrauen darf, er entweder einen anderen Übermittlungsweg wählen oder sich (bei Gericht) erkundigen muss, ob die Sendung eingegangen ist (vgl [X.] Beschluss vom 29.12.1994 - 2 BvR 106/93 - NJW 1995, 1210; [X.] Beschluss vom 9.12.1992 - [X.] - NJW 1993, 1333). Dasselbe gilt auch für einen Prozessbevollmächtigten, der seinen Mandanten über den Inhalt einer Entscheidung sowie über [X.] einschließlich der einzuhaltenden Fristen unterrichtet und diesen auffordert, rechtzeitig mitzuteilen, ob ein Rechtsmittel eingelegt werden soll. In Ausnahmefällen - so zB bei Streik - muss der Rechtsanwalt bei Schweigen des Mandanten nachfragen oder ohne konkrete Beauftragung ein Rechtsmittel einlegen (B[X.] Urteil vom 29.1.2001 - B 7 [X.] 8/00 R - [X.] 3-1500 § 67 [X.] 20 S 56 wo eine Pflicht zur Nachfrage mit Bezug auf Rechtsprechung des [X.] und des [X.] bejaht wurde, wenn mit besonderen Schwierigkeiten bei der Postzustellung zu rechnen ist). So lag es hier, denn nach den Feststellungen des L[X.] in seinem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ablehnenden Beschluss war es im vorliegenden Fall offenkundig, dass die konkrete Gefahr von Verzögerungen bei der Postzustellung bestand (vgl [X.] Beschluss vom 29.12.1994, aaO), nachdem nach mehreren, in Abständen ausgerufenen Streiks bei der [X.] unter großem medialen Interesse ein unbefristeter Streik zwischen dem 8.6. und dem 5.7.2015 stattfand.

7

Auch die Rüge einer Verletzung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]G) greift nicht durch. Zur Begründung haben die Kläger allein vorgetragen, sie seien durch die Verwerfung der Berufung als unzulässig gehindert gewesen neuen Vortrag zu bringen. Es mangelt aber insofern an der Darstellung, was vorgetragen worden wäre und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann, also der Darstellung der Entscheidungserheblichkeit des verhinderten Vorbringens (siehe dazu [X.]/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kapitel, Rd[X.] 204 mwN).

8

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 14 AS 51/16 B

19.10.2016

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Stade, 4. Mai 2015, Az: S 28 AS 532/13, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 67 Abs 1 SGG, § 67 Abs 4 SGG, § 158 S 1 SGG, § 158 S 2 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.10.2016, Az. B 14 AS 51/16 B (REWIS RS 2016, 3741)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3741

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