Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.12.2012, Az. 1 StR 336/12

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 770

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
1
StR
336/12

vom
4. Dezember
2012
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom
4. Dezember 2012, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Nack

und [X.] am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
[X.]in am Bundesgerichtshof
Cirener,

Staatsanwalt

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,
Rechtsanwalt

-
in der Verhandlung -,
Rechtsanwalt

als Vertreter der Nebenkläger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der [X.] wird das Urteil des [X.] Freiburg
vom 13. Februar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen.

2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird
die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zustän-dige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen ge-richteten, auf die jeweils näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, mit denen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes erstrebt wird, haben weitgehend Erfolg.

I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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-
1. Der Angeklagte unterhielt seit 2002 zu dem späteren Tatopfer

C.

eine Liebesbeziehung. Ende Mai
2011 beendete

C.

diese Beziehung und wandte sich dem Zeugen

[X.]

zu. Der Angeklagte fühlte sich emotional und, weil er während der [X.] nicht unerhebliche materielle Aufwendungen für

C.

getätigt hatte, auch finanziell ausgenutzt.

C.

be-wohnte Haus in S.

auf, in dem sich zu diesem Zeitpunkt auch

[X.]

aufhielt. Dabei hatte er zunächst versucht, mit einer Leiter ins [X.] des Hauses zu gelangen, weil ihm zuerst der Zugang von

C.

verwehrt worden war.
Nachdem sie ihn dann doch eingelassen hatte, kam es zu einer zunächst verbalen Auseinandersetzung, in deren Folge der Angeklagte

C.

ins Gesicht
schlug
und mit den Worten er Vorhalt eines [X.], sie zu
erstechen, und später noch,
sie zu erschießen. Hierauf reagierte

C.

beruhigen, wobei sie ihm auch eine betragsmäßig noch nicht näher bestimmte Entschädigung für seine finanziellen Aufwendungen zusagte.
Am Morgen des 2. Juli 2011, einem Samstag, traf der Angeklagte gegen

[X.]

auf dem Park-platz eines Hotels und verwickelte diesen in ein Streitgespräch. Er beruhigte sich erst, als

[X.]

ihm mitteilte, dass er die Nacht allein ver-bracht habe, und ließ

C.

ausrichten, er wolle sich mit ihr um 11.00 Uhr in seinen Büroräumen
treffen, um Einzelheiten der finanziellen Entschädigung zu regeln. Dabei stellte er

[X.]

frei, ebenfalls bei dem Gespräch anwesend zu sein.
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Nachdem das Treffen telefonisch auf 13.00 Uhr verschoben worden war, trafen

C.

und

[X.]

gegen 13.00 Uhr in den Büroräumen des Angeklagten in E.

ein. Der Angeklagte schloss, nachdem

[X.]

,

C.

und er
das Büro betreten hatten, die Tür von innen ab und warf die Schlüssel auf einen im Eingangsbereich stehenden
Schreibtisch. Er forderte

[X.]

und

C.

auf, sich zu setzen, was diese auch taten. [X.] holte er einen zuvor im hinteren Teil des Büros versteckten, geladenen Revolver und setzte sich

[X.]

und

C.

ge-genüber an den Schreibtisch. Er beabsichtigte,

C.

unter Vorhalt der Waffe zu einem schriftlichen Schuldanerkenntnis über 28.000 Euro und zu der Zusicherung zu zwingen, sich bis zu ihrem Wegzug aus S.

dort nicht mehr mit

[X.]

in der Öffentlichkeit zu treffen. Nach den Feststellungen der Kammer war der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Tötung seiner früheren Lebensgefährtin entschlossen, hielt es jedoch für

-
gegen

C.

und gegen sich selbst -
Gebrauch machen

Trotz [X.] der Waffe blieb

C.

signalisierte dem Angeklagten, dass sie allenfalls bereit sei, seinen finanziellen, jedoch nicht den übrigen Forderungen
nachzukommen; auch werde sie nichts unterschreiben. Hierauf begann eine etwa halbstündige verbale Auseinander-setzung, während derer der Angeklagte sich mehr und mehr in [X.] redete. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, bedrohte er

C.

mehrfach unter Vorhalt der Waffe mit dem Tod und verlas ein vorgefer-tige-

C.

blieb dennoch gelassen, da 6
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sie sich sicher war, den Angeklagten, der bis zum Vortag nie gegen sie tätlich geworden war, erneut beruhigen zu können.
Diese Gelassenheit und

C.

s Bitte, er möge doch zum Rauchen einen Aschenbecher benutzen, kränkten den Angeklagten bis s-

C.

, die sich noch immer nicht e

, dannun entschlossen war, sie zu töten, seine Waffe an den Kopf und drückte ab. Dann begab er sich, ohne

[X.]

weiter zu beachten, in den hin-teren Bereich des Büros und schoss sich in die rechte Schläfe, um auch sich zu töten. Nachdem er am Boden lag, gelang es

[X.]

, den Revolver zur Seite zu schieben und mit den zu Boden gefallenen Schlüsseln die Tür zu öffnen.

C.

verstarb gegen 15.43 Uhr desselben Tages im [X.]. Der Angeklagte erlitt durch den selbst beigebrachten Kopf-schuss multiple Kopfverletzungen, die zu dauerhafter Erblindung, Schwerhörig-keit, Anosmie, Konzentrations-
und Schlafstörungen sowie Schwindelanfällen führten.
Die insoweit sachverständig beratene Kammer hat bei dem Angeklagten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und histrionischen Persönlichkeitsmerkmalen ([X.]) festgestellt, die sich in einem
über-höhten Selbstbild, mangelndem Empathievermögen und besonderer [X.] gegenüber Kränkungen ausdrücke. Die Störung habe aber weder allein noch in Verbindung mit seiner im Tatzeitpunkt bestehenden affektiven Erre-8
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gung zu einer Verminderung seiner
Fähigkeit zu normgerechtem Verhalten ge-führt.
2. Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags (§ 212 StGB) verurteilt. Eine Verurteilung wegen Mordes (§ 211 StGB) hat es hingegen [X.].
Nach Auffassung der Strafkammer erfüllt das Verhalten des Angeklagten insbesondere nicht das Mordmerkmal der Heimtücke, denn er habe nicht den Willen gehabt, die Arg-
und Wehrlosigkeit von

C.

zu deren A

Die Tötung sei auch nicht aus niederen Beweggründen begangen [X.]. Nicht Eifersucht, sondern die durch das Verhalten von

C.

erlittene Demütigung sei bestimmendes Motiv des Handelns des Ange-

u-dem sei der [X.] vor dem Hintergrund der krankheitswertig narzissti-

h-keitsstörung sei er auch nicht in der Lage gewesen, eine etwaige Niedrigkeit seiner Beweggründe zu erkennen und zu beherrschen.

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II.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage haben
im Wesentlichen
Erfolg. Beide beanstanden zu Recht, dass das [X.] die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe abgelehnt hat.
1. Beim Mordmerkmal der Heimtücke (§ 211 Abs. 2 StGB) ist die [X.] -
mit revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Begründung -
davon aus-gegangen, dass

C.

im Zeitpunkt der Abgabe des Schus-ses arg-
und wehrlos war. [X.] hat der Tatrichter jedoch in der Fol-ge das Bewusstsein des Angeklagten verneint, diese Arg-
und Wehrlosigkeit
zur Tötung ausgenutzt zu haben.
Das subjektive Merkmal des [X.]s liegt vor, wenn der Täter die Arg-
und Wehrlosigkeit seines Opfers in ihrer Bedeutung für des-sen hilflose Lage und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen ([X.], Beschluss vom 4. Mai 2011
-
5 [X.], [X.], 634 ff. [X.]; Urteile vom 10. November 2004
-
2 [X.], [X.], 688 ff.; vom 20. Juli 2004 -
1 [X.]; vom 30.
April 2003 -
2 StR 503/02, [X.], 535 ff. [X.]; vom 20. April 1989
-
4 [X.], [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 9 [X.]).
Eines darüber hinausgehenden, voluntativen Elements in dem Sinne, dass der Täter die Arglosigkeit des Opfers für seine Tat instrumentalisieren
oder anstreben muss, bedarf es nicht ([X.], Urteil
vom 20. April 1989 -
4 [X.], [X.]R StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 9
[X.]). Das [X.] durfte deshalb das [X.] nicht mit der Begründung ablehnen, der

C.

s zur Tötung auszunutzen ([X.]), bzw., er habe die Arg-
und Wehr-14
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losigkeit

C.

Gleichsam fehlerhaft ist die Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte habe sich darum bemüht, die Arglosigkeit

C.

s
zu beseitigen
([X.]). Denn wenn es schon grundsätzlich nicht
darauf ankommt, ob der Täter die Arglosigkeit seines Opfers anstrebt, ist auch ein entgegengesetzter Wille unbeachtlich; der Täter muss nur erkennen, dass das Opfer arglos ist und sich deshalb des Angriffs auf sein Leben nicht oder nur in geringerem Umfang erwehren kann.

2. Auch die Prüfung des [X.] der niedrigen Beweggründe lei-det an einem durchgreifenden Rechtsfehler. Bezüglich der Anforderungen an die subjektive Tatseite geht die Kammer von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab aus.
Der Vertreter der Nebenkläger, RA Prof. Dr. W.,
hat in seiner Revisions-begründung hierzu u.a. ausgeführt:
"Rechtlich fehl geht auch die Hilfserwägung der Kammer, wonach [X.] die subjektive Seite des [X.] der niedrigen Beweg-gründe nicht gegeben

Bei der Prüfung der niedrigen Beweggründe ist erforderlich und zu-gleich genügend, dass der Täter die Umstände kennt und bewusst er-fasst, welche die Bewertung seines Handlungsantriebes als niedrig begründen. Dagegen braucht er ihre Bewertung als weder niedrig vor-zunehmen noch nachzuvollziehen; auf seine eigene Einschätzung oder rechtsethische Bewertung kommt es nicht an ([X.]St 6, 329, 331; [X.]R StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 6, 13, 15, 23, 24; st.

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Dem ist vom Senat nichts hinzuzufügen.

Diese Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils mit den [X.]. Ausgenommen sind die -
rechtsfehlerfrei -
getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben können. Der neue Tatrichter
kann ergänzende, nicht in
Widerspruch stehende
Feststellungen treffen; die subjektive Tatseite ist neu festzustellen.
[X.]Rothfuß Graf

Sander

Cirener
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Meta

1 StR 336/12

04.12.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.12.2012, Az. 1 StR 336/12 (REWIS RS 2012, 770)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 770

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 65/11

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