Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.09.2023, Az. B 12 BA 26/22 B

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Tenor

1. Der Antrag der Klägerin, ihr zur Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 22. Juli 2022 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird abgelehnt.

2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil des [X.] wird als unzulässig verworfen.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

4. [X.] auf 11 083,25 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über eine Nachforderung von [X.] in Höhe von 11 083,25 Euro aus der Verbeitragung angesparter Wertguthaben.

2

Das [X.] hat auf die Berufung der Klägerin das die Klage insgesamt abweisende Urteil des [X.] geändert und den Bescheid der Beklagten über die Nachforderung von [X.] aufgehoben. Im Übrigen, bezüglich des Antrags auf Erstattung der bereits eingezogenen Beitragsnachforderung, hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 22.7.2022).

3

Gegen das der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am [X.] zugestellte Urteil hat diese fristgerecht am [X.] Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt. Gleichzeitig hat sie eine Begründung mit gesondertem Schreiben angekündigt. Mit einem am 10.10.2022 beim [X.] eingegangenen Schreiben vom selben Tag hat sie nachgefragt, ob ihr Fristverlängerungsantrag vom [X.] bei Gericht eingegangen sei. Aufgrund technischer Schwierigkeiten im System des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs [X.]) sei das Schreiben dort nicht mehr auffindbar. Auf den Hinweis des Vorsitzenden, dass ein solcher Antrag beim [X.] nicht eingegangen ist, hat sie am 2.11.2022 wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und eine Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde beigefügt.

4

II. 1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist abzulehnen. Wiedereinsetzung ist nach § 67 Abs 1 [X.] auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist nach § 160a Abs 2 Satz 1 [X.] innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Es handelt sich hierbei um eine Verfahrensfrist, welche die Klägerin nicht eingehalten hat. Denn das angegriffene Urteil wurde am [X.] wirksam zugestellt, sodass die Begründungsfrist am 4.10.2022 endete (§ 64 Abs 1 und 3 [X.]). Innerhalb dieser Frist ging weder ein Fristverlängerungsantrag noch eine Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde beim [X.] ein. Vielmehr ist die Nichtzulassungsbeschwerde erst mit Schriftsatz vom 2.11.2022 und damit verspätet begründet worden.

5

Die Klägerin war nicht ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Frist einzuhalten. Ein solches Unverschulden setzt voraus, dass die Beteiligte diejenige Sorgfalt gewahrt hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist ([X.] Urteil vom 31.3.1993 - 13 RJ 9/92 - [X.]E 72, 158 = [X.]-1500 § 67 [X.]). Daran fehlt es hier. Das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten ist der Klägerin zuzurechnen (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 13. Aufl 2020, § 67 RdNr 3e mwN).

6

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeführt, am 28.9.2022 einen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde diktiert zu haben, der von ihr am nächsten Tag unterzeichnet und zur Versendung an das [X.] per [X.] freigegeben worden sei. Hierzu habe sie die klare Anweisung gegeben, dass der Fristverlängerungsantrag vor allen anderen Arbeiten an das [X.] zu versenden, die ordnungsgemäße Versendung zu überprüfen und hierüber eine Notiz zur Akte zu nehmen sei. Dies habe die gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte M als ihre erste Tätigkeit am [X.] genauso befolgt, insbesondere habe sie eine Nachricht über die durchgeführte Versendung erhalten und den Postausgang kontrolliert. Das [X.] sei wegen Urlaubsabwesenheit [X.] am 10.10.2022 geöffnet worden. Dabei sei ein Übertragungsfehler wegen einer ungesendeten Nachricht im Postausgang gemeldet worden. Das beschriebene Vorgehen entspreche der üblichen Organisation in der Kanzlei. Die Prozessbevollmächtigte mache durch die Unterzeichnung eines Schriftsatzes deutlich, dass dieser zur Versendung per [X.] freigegeben sei. Die Versendung erfolge dann unverzüglich durch die Rechtsanwaltsfachangestellte. Zur Glaubhaftmachung sind entsprechende eidesstattliche Versicherungen der Prozessbevollmächtigten sowie der Rechtsanwaltsfachangestellten beigefügt worden.

7

Es kann offenbleiben, ob die unterbliebene Versendung des [X.] auf einen unverschuldeten technischen Fehler zurückzuführen ist, der unverschuldet nicht rechtzeitig bemerkt wurde. Denn ein solcher technischer Mangel wäre nach der geschilderten [X.] jedenfalls nicht allein für die Fristversäumnis kausal geworden. Selbst wenn die Versendung entsprechend der beschriebenen üblichen Organisation der Kanzlei innerhalb der Frist technisch einwandfrei durchgeführt worden wäre, würde es an einem fristgerecht eingegangenen ordnungsgemäßen Fristverlängerungsantrag fehlen.

8

Nach § 65a Abs 1 [X.] (in der seit dem 1.1.2020 geltenden Fassung des [X.] für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften vom 12.12.2019, [X.] 2633) können vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten (nur) nach Maßgabe des § 65a Abs 2 bis 6 [X.] (in der seit dem 1.1.2022 geltenden Fassung des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 5.10.2021, [X.] 4607) als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden. Nach § 65a [X.] [X.] muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Sicher ist nach § 65a Abs 4 Satz 1 [X.] [X.] ua der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b Bundesrechtsanwaltsordnung ([X.]). Diesen gesetzlichen Anforderungen hätte die technisch einwandfreie Übermittlung des [X.] durch die Rechtsanwaltsfachangestellte nicht genügt.

9

Nach den Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag war der Fristverlängerungsantrag von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin lediglich "unterzeichnet", also nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen worden. Wird ein Dokument von der verantwortenden Person lediglich (einfach) signiert, muss es auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Auch wenn die Übermittlung per [X.] nach § 65a Abs 4 Satz 1 [X.] [X.] einen sicheren Übermittlungsweg darstellt, ist das [X.] nach § 31a Abs 1 Satz 1 [X.] (in der Fassung des [X.] sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom [X.], [X.] 2363) jeweils dem einzelnen Anwalt zugeordnet. Es wird nach dieser Vorschrift für jede im Gesamtverzeichnis eingetragene natürliche Person eingerichtet. Der Postfachinhaber kann das Recht, [X.] elektronisch signierte Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg zu versenden, nicht auf andere Personen übertragen (§ 23 Abs 3 Satz 5 [X.] und -postfachverordnung). Echtheit und Integrität des per [X.] übermittelten Dokuments können nach der Rechtsprechung des [X.] (Beschluss vom 5.6.2020 - 10 [X.] 53/20 - [X.]E 171, 28 Rd[X.]1) deshalb nur gewährleistet werden, wenn es entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist oder von der verantwortenden Person selbst auf dem sicheren Übermittlungsweg bei der Justiz eingereicht worden ist. Ein elektronisches Dokument, das hingegen nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, wird danach gemäß § 130a [X.] ZPO iVm § 72 Abs 5 ArbGG bei Versendung aus einem [X.] nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmen. Dem schließt sich der Senat für das sozialgerichtliche Verfahren an. Insoweit wird auf die ausführliche Begründung des [X.] in dem genannten Beschluss vom 5.6.2020 (aaO RdNr 14 ff) Bezug genommen (vgl zum Ganzen auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/ [X.], [X.], 13. Aufl 2020 § 65a RdNr 9a mwN). Die für das Verfahren vor den Sozialgerichten geltende Vorschrift des § 65a [X.] [X.] entspricht wörtlich dem für die Arbeitsgerichtsbarkeit nach § 72 Abs 5 ArbGG entsprechend anzuwendenden § 130a [X.] ZPO.

Nach dem Vorbringen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist eine diesen Anforderungen gerecht werdende fristwahrende Versendung des [X.] per [X.] durch sie selbst nicht versucht worden. Vielmehr sollte die Rechtsanwaltsfachangestellte die Versendung mittels [X.] vornehmen, die aber - auch wenn keine technischen Schwierigkeiten aufgetreten wären - nicht die Frist gewahrt hätte. Die mangelnde Kenntnis der Prozessbevollmächtigten der Klägerin von der ordnungsgemäßen Nutzung des [X.] ist nicht unverschuldet und der Klägerin zuzurechnen.

Der Einwand der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, aufgrund der technischen Schwierigkeiten wäre auch ein von ihr selbst versandter Schriftsatz nicht rechtzeitig bei Gericht eingegangen, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Der Senat hat nicht über hypothetische Sachverhalte zu entscheiden. Wiedereinsetzung ist nicht deshalb zu gewähren, weil ein rechtmäßiges Alternativverhalten ebenfalls zur Fristversäumnis hätte führen können. Voraussetzung ist allein, dass die Ursache für die Fristversäumnis unverschuldet war. Führen mehrere Ursachen zur Fristversäumnis, müssen alle unverschuldet sein.

2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem angefochtenen Urteil des [X.] war wegen Nichteinhaltung der Begründungsfrist nach § 160a Abs 2 Satz 1 und 2 [X.] als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 [X.]).

3. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.] iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 Abs 3 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.] iVm § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG. Die Beteiligten sind hierzu angehört worden. Anhaltspunkte dafür, dass der Streitwert im Hinblick auf das teilweise Obsiegen der Klägerin in der Berufungsinstanz zu reduzieren wäre, liegen nicht vor.

        

Heinz 

Bergner

Waßer 

Meta

B 12 BA 26/22 B

14.09.2023

Bundessozialgericht

Beschluss

Sachgebiet: BA

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.09.2023, Az. B 12 BA 26/22 B (REWIS RS 2023, 9503)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9503

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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10 AZN 53/20

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