Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2016, Az. 4 StR 210/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 8661

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:060716B4STR210.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 210/16

vom
6. Juli
2016
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 6.
Juli

2016
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8.
Januar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurück-verwiesen.
2.
Die weiter
gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensbeschwerde und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es un-begründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO.
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-
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-
1. Der [X.] kann nicht bestehen
bleiben, weil die Urteils-ausführungen das Vorliegen eines die Unterbringung nach §
63 StGB rechtfer-tigenden [X.] beim
Angeklagten nicht hinreichend belegen.
a) Nach den Feststellungen wurde bei dem zur Tatzeit 17 Jahre und 11 Monate alten Angeklagten im [X.] 2014 eine akute möglicherweise drogen-indizierte psychotische Entwicklung diagnostiziert, die sich in akustischen Hal-luzinationen in Gestalt kommentierender Stimmen zeigte und in der Folgezeit zu "stark beschleunigten psychopathologischen Symptomen"
führte. Sowohl im häuslichen Umfeld als auch in der Öffentlichkeit reagierte der Angeklagte [X.] aggressiv. Bei Begehung der Tat war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der eine Blutalkoholkonzentration von maximal 0,87 Promille auf-wies,
infolge der affektiven Aufladung und hohen emotionalen Erregung im Zu-sammenspiel mit der alkoholbedingten Senkung der Hemmschwelle erheblich beeinträchtigt.
Die
[X.] hat -
dem psychiatrischen Sachverständigen folgend
-
als Eingangsmerkmal des §
20 StGB neben einer krankhaften seelischen
Störung auch eine affektbedingte tiefgreifende Bewusstseinsstörung bejaht. Die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit hat sie damit begründet, dass aufgrund der drogenassoziierten primär psychotischen
Störung die psy-chische Verfassung des Angeklagten zur Tatzeit durch eine hohe affektive Auf-ladung, Expansivität und fehlendes Krankheitsgefühl geprägt gewesen sei. Des Weiteren hätte ein psychotisches Erleben in Form von akustischen Halluzinati-onen sowie Beeinflussungserleben und Gedankenentzug bestanden.
b) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §
63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unter-2
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zubringende bei Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf die-sem Zustand beruht. Der [X.] muss, um eine [X.] tragen zu können, von längerer Dauer sein (st.
Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 17.
Juni 2015 -
2
StR 358/14, [X.]R StGB §
63 Zustand
44; Beschlüsse vom 16.
Januar 2013 -
4
StR 520/12, [X.], 141; vom 26.
September 2012 -
4
StR 348/12, insoweit in [X.], 424 nicht abgedruckt). Der Tatrich-ter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 15.
Januar 2015 -
4
StR 419/14, [X.], 394, 395; vom 29.
April 2014 -
3
StR 171/14, [X.], 243, 244).
c) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines die Unterbringung rechtfertigenden [X.] beim
Angeklagten nicht gerecht. Nach den Feststellungen beruhte die erheblich beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit auf der affektiven Aufladung und hohen emotionalen Erregung im Zusammenspiel mit einer alkoholbedingten Senkung der Hemmschwelle, mithin nicht auf einem dauerhaften Zustand des Angeklagten. Vor dem Hintergrund der von der [X.] neben einer krankhaften seelischen Störung als Eingangsmerkmal des §
20 StGB ange-nommenen affektbedingten tiefgreifenden Bewusstseinsstörung sind auch die Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung zu der auf die psychotische
Störung zurückzuführenden affektiven Anspannung des Angeklagten zur Tatzeit nicht geeignet, tragfähig darzutun, dass die verminderte Schuldfähigkeit im [X.] des §
21 StGB allein durch die psychotische Störung des Angeklagten be-wirkt wurde. Nach der Rechtsprechung des [X.] reicht für die Bejahung eines die Unterbringung nach §
63 StGB rechtfertigenden [X.]
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-
stands zwar aus, dass der Täter an einer länger dauernden,
unter §
20 StGB zu subsumierenden psychischen Störung leidet, bei der bereits
alltägliche [X.] die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen [X.] und dies getan haben (vgl. [X.], Urteil vom 17.
Februar 1999 -
2
StR 483/98, [X.]St
44, 369, 374
f.; Beschlüsse vom 23.
Januar
2008 -
2
StR 426/07, [X.], 141; vom 6.
Oktober 2009 -
3
StR 376/09, [X.], 42; vom 23.
September 2015 -
4
StR 371/15 Rn.
9; [X.], StGB, 63.
Aufl., §
63 Rn.
6a; [X.] in Satzger/Schluckebier/[X.], StGB, 2.
Aufl., §
63 Rn.
29). Zu diesen Voraussetzungen verhalten sich
die [X.] nicht. Soweit das [X.] schließlich ergänzend auf das psychotische Erleben des Angeklagten verweist, lassen die [X.] schon nicht erkennen, ob und in welcher Weise sich diese
psychotische Symptomatik auf die konkrete Tatbegehung ausgewirkt hat.
2. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen den nicht tragfähigen Erwägungen zur Unterbringungsanordnung und der von der [X.] vor-genommenen Beurteilung der Schuldfähigkeit hebt der Senat auch den Schuld-spruch auf. Ein Fall, in welchem eine vollständige Aufhebung der Schuldfähig-

7
-
6
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keit durch das Revisionsgericht sicher ausgeschlossen werden kann, ist nicht gegeben. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatge-schehen können bestehen bleiben; neue ergänzende Feststellungen dürfen den
bisherigen nicht widersprechen.
Sost-Scheible Cierniak Mutzbauer

Bender

[X.]

Meta

4 StR 210/16

06.07.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2016, Az. 4 StR 210/16 (REWIS RS 2016, 8661)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8661

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4 StR 78/16

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