Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.07.2015, Az. III R 32/13

3. Senat | REWIS RS 2015, 8036

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Gegenstand

Entscheidung über Masseschuld im Festsetzungsverfahren - Einkommensteuer als Masseschuld bei Aufnahme einer einzelunternehmerischen Tätigkeit während des Insolvenzverfahrens


Leitsatz

1. Über die Frage, ob nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Einkommensteuerforderungen aus Gewinnanteilen an einer Mitunternehmerschaft als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren oder dem insolvenzfreien Vermögen des Insolvenzschuldners zuzuordnen sind, ist nicht im einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahren, sondern im Einkommensteuerfestsetzungsverfahren zu entscheiden .

2. Die Einkommensteuer aus einer nach Insolvenzeröffnung neu aufgenommenen einzelunternehmerischen Tätigkeit ist als Masseschuld aufgrund massebezogenen Verwaltungshandelns gegen den Insolvenzverwalter (Treuhänder) festzusetzen, wenn dieser die selbständige Tätigkeit im Interesse der Masse erlaubt, die Betriebseinnahmen zur Masse zieht, soweit sie dem Schuldner nicht für seinen Unterhalt belassen werden, und die Aufnahme der Tätigkeit ermöglicht, indem er zur Masse gehörende Mittel einsetzt, um durch die selbständige Tätigkeit entstehende Forderungen Dritter zu begleichen (vgl. auch Senatsurteil vom 16. April 2015 III R 21/11, BFHE 250, 7) .

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 28. Juni 2012  11 K 1069/09 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Treuhänder über das Vermögen der Schuldnerin und Beigeladenen (Beigeladene). Das vereinfachte Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beigeladenen wurde am 27. März 2001 eröffnet.

2

Die Beigeladene war seit dem 1. Juli 2001 als Zahnärztin bei der [X.] ... ([X.]) tätig. Bezüglich dieser Tätigkeit existiert eine Vereinbarung vom 1. Juli 2001, die neben der Beigeladenen und einem Vertreter der [X.] auch der Kläger unterschrieb. Hiernach stellte die [X.] der Beigeladenen die erforderlichen Betriebsmittel und die Infrastruktur entgeltlich zur Verfügung. Dafür trat die Beigeladene die ihr gegenüber Patienten und der [X.] zustehenden Forderungen an die [X.] ab. Nach der Vereinbarung vom 1. Juli 2001 wurden die abgerechneten Honorarforderungen bis auf Widerruf durch den Kläger direkt an die Beigeladene ausgezahlt. Der Kläger sollte die jeweiligen Abrechnungen der [X.] in Kopie erhalten. Nach einem von der Beigeladenen ohne Mitwirkung des [X.] abgeschlossenen [X.] standen ihr pauschal 25 % der von ihr abrechenbaren Honorare zu, während 75 % beim Seniorpartner der [X.] verblieben. Die Differenz zwischen den Ausgaben und dem Anteil des [X.] in Höhe von 75 % der Arzthonorare verblieb dem Seniorpartner als Gewinn.

3

Für das Streitjahr 2004 führte der Kläger den pfändbaren Teil der Einkünfte der Masse in der Weise zu, dass er die vertraglich gestattete direkte Auszahlung der Honorarforderungen an die Beigeladene Ende des Jahres 2004 widerrief und den pfändbaren Anteil dieser Honorare mit Ansprüchen der Beigeladenen des Jahres 2005 verrechnete. Ab dem Streitjahr 2005 vereinnahmte der Kläger die Entgelte aus der von der Beigeladenen ausgeübten Tätigkeit in voller Höhe. Anschließend zahlte er den selbst errechneten pfändungsfreien Anteil dieser Einkünfte an die Beigeladene aus.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) setzte gegenüber dem Kläger als Treuhänder über das Vermögen der Beigeladenen mit Bescheiden vom 13. Februar 2007 die Einkommensteuer für die [X.] und 2005 sowie mit Bescheid vom 2. Februar 2007 [X.] für das [X.] fest. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 2. März 2009).

5

Während des hiergegen gerichteten --vor dem Finanzgericht ([X.]) geführten-- Klageverfahrens setzte das [X.] mit Bescheid vom 9. August 2010 die Einkommensteuer für 2007 fest. Im Klageverfahren ergingen wiederholt geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, zuletzt die [X.] vom 19. Oktober 2010 aufgrund geänderter Mitteilungen über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen bei der [X.]. Mit seiner Klage verfolgte der Kläger das Ziel, die Einkommensteuerbescheide für 2004, 2005 und 2007, alle vom 19. Oktober 2010, aufzuheben, hilfsweise die Einkommensteuer für die Streitjahre zwischen den insolvenzfreien Einkünften und den auf die Insolvenzmasse entfallenden Einkünften aufzuteilen. Das [X.] wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2013, 1686 veröffentlichten Gründen ab.

6

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er macht eine Verletzung materiellen Rechts geltend. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus:

7

Das Entstehen von Masseverbindlichkeiten bestimme sich ausschließlich nach § 55 der Insolvenzordnung in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung ([X.]). § 35 [X.] definiere hingegen den Begriff der Insolvenzmasse und lege fest, dass sämtliche Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit zur Insolvenzmasse als Neuerwerb gehörten. Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) führe die bloße Duldung der freiberuflichen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter nicht zu einer Masseverbindlichkeit. Zudem verlange der [X.] für einen Neuerwerb nach § 35 [X.], dass die Masse tatsächlich vermehrt worden sei. Außerdem seien Einkommensteuerschulden, die aus zur Masse gehörenden Einnahmen stammten, nicht automatisch als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren. Schließlich dürften Insolvenzschuldner mit Einkünften aus selbständiger Tätigkeit nicht anders behandelt werden als solche mit Einkünften aus [X.]er Tätigkeit. Für [X.] Tätige sei anerkannt, dass die aus dieser Tätigkeit resultierenden Einkommensteuerschulden keine Masseverbindlichkeiten seien. Ebenso sei die Beurteilung des [X.] unzutreffend, wonach er, der Kläger, von der Freigabemöglichkeit keinen Gebrauch gemacht habe. Er habe seine Zustimmung zu der Beteiligung der Beigeladenen an der [X.] nicht erteilt. Er habe auch keine Kenntnis von einem entsprechenden Vertrag gehabt. Er habe lediglich der Vereinbarung vom 1. Juli 2001 zugestimmt. Die Insolvenzmasse könne nicht allein durch das Verhalten des Insolvenzschuldners verpflichtet werden. Zum damaligen Zeitpunkt sei die Freigabe zwar noch nicht gesetzlich normiert, aber möglich gewesen. Das [X.] habe daher rechtsfehlerhaft eine Freigabe mit der Begründung abgelehnt, er, der Kläger, habe aufgrund der Vereinbarung vom 1. Juli 2001 auf den [X.] der Einkünfte aus der freiberuflichen Tätigkeit der Beigeladenen Einfluss nehmen können.

8

Jedenfalls sei die Insolvenzmasse nicht verpflichtet, Erträge zu versteuern, die sie nicht erhalten habe. Im Streitfall sei der Masse nur ein Teil der pfändbaren Anteile der von der Beigeladenen vereinnahmten Beträge zugeflossen. Daher seien die der Beigeladenen zugeflossenen Einkünfte bei der Beigeladenen zu besteuern und könnten allenfalls die der Masse zugeflossenen Beträge beim Kläger besteuert werden.

9

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und die ihm gegenüber ergangenen Einkommensteuerfestsetzungen für die [X.], 2005 und 2007 aufzuheben,
hilfsweise die Einkommensteuern für 2004, 2005 und 2007 in der Form aufzuteilen, dass gegenüber dem Kläger jeweils nur die Einkommensteuern festgesetzt werden, die sich bei Ansatz der der Masse zugeflossenen und nach Abzug des pfändungsfreien Anteils dort verbliebenen Einkünfte ergeben.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

[X.] Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Das [X.] musste das Verfahren nicht nach § 74 [X.]O aussetzen.

Nach § 74 [X.]O kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Die Entscheidung im auszusetzenden Verfahren muss vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängen. Diese Abhängigkeit ist gegeben, wenn die andere Entscheidung für das auszusetzende Verfahren vorgreiflich ist. Danach muss ein Klageverfahren gegen einen Einkommensteuerbescheid regelmäßig dann ausgesetzt werden, wenn in ihm Einwendungen erhoben werden, über die in einem gesonderten Grundlagenbescheid zu entscheiden ist (vgl. [X.] vom 16. April 1993 I B 173/92, [X.] 1993, 745, unter [X.]). Dabei spielt es keine Rolle, ob der Grundlagenbescheid bereits ergangen und angefochten ist oder ob ein solcher erst noch ergehen muss (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 6. Dezember 1995 I R 131/94, [X.] 1996, 592, unter [X.]1.; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 74 [X.]O Rz 55). An der Vorgreiflichkeit fehlt es jedoch, wenn die Vorfrage im anhängigen Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich ist (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2005 III B 145/05, [X.] 2006, 1103, unter [X.]2.).

a) Der Kläger hat vor dem [X.] vorgetragen, es sei äußerst fraglich, ob die Beigeladene nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens überhaupt Mitunternehmerin der [X.] geworden sei. Über diese Frage ist zwar im Feststellungsverfahren zu entscheiden (vgl. [X.]-Urteil in [X.] 1996, 592, unter [X.]1.). Im Übrigen machte der Kläger aber allein geltend, dass die Einkommensteuerschulden für die Streitjahre nicht als Masseverbindlichkeiten gegenüber ihm als Treuhänder, sondern gegenüber der Beigeladenen als Insolvenzschuldnerin hätten festgesetzt werden müssen, hilfsweise, dass die Insolvenzmasse allenfalls insoweit mit Einkommensteuerschulden als Masseverbindlichkeiten hätte belastet werden dürfen, als die Einkommensteuerschulden tatsächlich auf von der Masse vereinnahmte und dort verbliebene Einkünfte zurückzuführen seien. Für die Beantwortung dieser Frage ist aber nicht entscheidungserheblich, ob die Beigeladene ihre freiberuflichen Einkünfte als Einzel- oder Mitunternehmerin erzielt hat (dazu unter 3. bis 5.). Denn die Höhe der von der Beigeladenen aus selbständiger Arbeit erzielten Einkünfte war vor dem [X.] --unabhängig von der Art ihrer [X.] nicht streitig.

b) Über die Frage, ob die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Einkommensteuerforderungen aus evtl. Gewinnanteilen an der [X.] als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren oder dem insolvenzfreien Vermögen des Insolvenzschuldners zuzuordnen sind, ist nicht im einheitlichen und gesonderten [X.], sondern im [X.] zu entscheiden ([X.] Niedersachsen, Urteil vom 28. Oktober 2008  13 K 457/07, E[X.] 2009, 486, unter [X.]; nachgehend [X.]-Urteil vom 18. Mai 2010 [X.], [X.], 62, [X.] 2011, 429; [X.] in [X.], § 180 [X.] Rz 164a; [X.], [X.], Rz 4.212; so wohl auch [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 180 [X.] Rz 64; a.A. aber [X.] in [X.], § 179 [X.] Rz 192; [X.], Betriebs-Berater --BB-- 2001, 1977, 1987).

Der Senat sieht hierfür als maßgeblich an, dass gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung ([X.]) gesondert und einheitlich die einkommensteuerpflichtigen und körperschaftsteuerpflichtigen Einkünfte und mit ihnen im Zusammenhang stehende andere Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Die Zuordnung der Einkommensteuerschuld zu den unterschiedlichen insolvenzrechtlichen Forderungskategorien betrifft aber weder "Einkünfte" noch "mit ihnen im Zusammenhang stehende andere Besteuerungsgrundlagen", sondern die Auswirkungen der unterschiedlichen Vermögensmassen eines Insolvenzverfahrens auf die Einkommensteuerfestsetzung. Diese Zuordnungsfrage ist dem (privaten) [X.] zuzuordnen. Danach wäre es mit dem Gesetzeswortlaut nicht mehr vereinbar, wollte man diesen zusätzlichen insolvenzrechtlichen Regelungsgehalt zum Gegenstand des [X.]s machen.

2. Entgegen der Auffassung des [X.] betreffen die Einwendungen des [X.] nicht das Erhebungsverfahren.

Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete [X.], die als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 [X.] zu qualifizieren sind, sind gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festzusetzen und von diesem vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Im vereinfachten Insolvenzverfahren werden die Aufgaben des Insolvenzverwalters durch den Treuhänder (vgl. § 313 Abs. 1 [X.] in der bis 30. Juni 2014 geltenden Fassung) wahrgenommen (vgl. [X.]-Urteil vom 13. April 2011 II R 49/09, [X.], 97, [X.] 2011, 944, Rz 11). Sonstige nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete [X.] sind insolvenzfrei und gegen den Schuldner festzusetzen (vgl. [X.]-Urteile vom 5. März 2008 [X.], [X.], 299, [X.] 2008, 787, unter [X.]1., m.w.[X.]; in [X.], 62, [X.] 2011, 429, Rz 35). Der gegen die Masse gerichtete Bescheid ist ein gegenständlich beschränkter Steuerbescheid, mit dem die Einkommensteuer festgesetzt wird. Er ist Teil des [X.] (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 62, [X.] 2011, 429, Rz 35). Danach wird über die insolvenzrechtliche Zuordnung eines Steueranspruchs im Festsetzungsverfahren, nicht im Erhebungsverfahren durch einen Abrechnungsbescheid i.S. des § 218 Abs. 2 [X.] entschieden (gleicher Ansicht [X.]/Rüsken, [X.], 12. Aufl., § 218 Rz 13; [X.], BB 2001, 1977, 1985).

3. Das [X.] hat zu Recht erkannt, dass die Einkommensteuerschulden für 2004, 2005 und 2007, die im Streitfall ausschließlich auf der selbständigen Tätigkeit der Beigeladenen beruhen, Masseverbindlichkeiten sind und durch Steuerbescheid gegenüber dem Kläger festzusetzen sind. Im Streitfall sind diese Einkommensteuerschulden jedenfalls gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 [X.] begründet worden, und zwar unabhängig davon, ob die Beigeladene ihre Tätigkeit als Einzelunternehmerin oder als Mitunternehmerin einer [X.] bürgerlichen Rechts (GbR) ausgeübt hat.

Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] solche Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss die Verbindlichkeit insoweit auf eine --wie auch immer geartete-- Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse zurückzuführen sein (vgl. [X.]-Urteil vom 21. Juli 2009 VII R 49/08, [X.], 97, [X.] 2010, 13, unter [X.]1.b aa; [X.]/[X.], Insolvenzordnung, 3. Aufl., § 55 Rz 15). Nach § 35 [X.] in der im Streitjahr noch geltenden Fassung (= § 35 Abs. 1 [X.] n.F.) ist Insolvenzmasse das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur [X.] der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt.

4. Geht man von einer Einzelunternehmerstellung der Beigeladenen aus, sind die Einkommensteuerschulden "in anderer Weise durch die Verwaltung ... der Insolvenzmasse begründet" worden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 [X.]).

a) Der Senat hat mit Urteil vom 16. April 2015 III R 21/11 ([X.], 7, Rz 16) entschieden, dass Einkommensteuerschulden, die auf einer nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortgeführten einzelunternehmerischen Tätigkeit des Schuldners beruhen, auch unter Geltung des im Streitfall anwendbaren § 35 [X.], der noch keine Erklärungspflicht des Insolvenzverwalters oder Treuhänders zur selbständigen Tätigkeit des Schuldners normierte, unter bestimmten Voraussetzungen Masseverbindlichkeiten sind. Dies ist dann der Fall, wenn der Insolvenzverwalter oder Treuhänder diese selbständige Tätigkeit im Interesse der Masse erlaubt, die Betriebseinnahmen zur Masse zieht, soweit sie dem Schuldner nicht auf dessen Antrag nach § 850i der Zivilprozessordnung --ZPO-- (ggf. [X.]. § 36 Abs. 1 Satz 2 [X.]) vom Gericht belassen werden, und die Fortführung der Tätigkeit ermöglicht, indem er zur Masse gehörende Mittel einsetzt, um durch die selbständige Tätigkeit entstehende Forderungen Dritter zu begleichen. In einem derartigen Handeln ist eine massebezogene Verwaltungsmaßnahme nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 [X.] zu sehen, die über eine bloße --keine Masseverbindlichkeit begründende-- Duldung (vgl. dazu Senatsurteil in [X.], 7, Rz 18) der selbständigen Tätigkeit hinausgeht.

b) Diese Grundsätze greifen gleichermaßen ein, wenn es sich nicht um eine als Einzelunternehmer fortgeführte gewerbliche, sondern um eine von einem Einzelunternehmer neu aufgenommene freiberufliche Tätigkeit handelt. So fällt nicht nur ein Gewerbebetrieb, sondern im Grundsatz auch eine freiberufliche Praxis in die Insolvenzmasse (vgl. [X.]/[X.], Insolvenzordnung, 14. Aufl., § 35 [X.] Rz 276, m.w.[X.]; [X.]/ [X.] in [X.] Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl., § 35 [X.] Rz 102, m.w.[X.]). Zudem macht es keinen Unterschied, ob die selbständige Tätigkeit im Insolvenzverfahren fortgeführt oder während des Insolvenzverfahrens durch eine natürliche Person neu aufgenommen wird. In beiden Fällen gehört der Neuerwerb nach § 35 [X.] zur Insolvenzmasse, auf den sich die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters (Treuhänders) erstreckt (vgl. § 80 Abs. 1 [X.]).

c) Im Streitfall sind diese Voraussetzungen gegeben.

aa) Vorweg hat das [X.] zutreffend ausgeführt, dass der Kläger in der von ihm unterschriebenen Vereinbarung vom 1. Juli 2001, die das [X.] in Bezug genommen und damit zum Inhalt seiner tatsächlichen Feststellungen gemacht hat (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 37), keine Freigabe erklärt hat.

Die Auslegung von Verträgen gehört in der Regel zu den tatsächlichen Feststellungen des [X.], die den [X.] grundsätzlich nach § 118 Abs. 2 [X.]O binden (vgl. Lange in [X.], § 118 [X.]O Rz 195). Hat das [X.] eine Auslegung der betreffenden Verträge und Willenserklärungen unterlassen, so kann sie das Revisionsgericht selbst vornehmen, wenn das [X.] die dazu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen hat (vgl. [X.]-Urteil vom 22. Juli 1997 VIII R 13/96, [X.]E 184, 46, [X.] 1997, 767, unter [X.]1.a, m.w.[X.]).

(1) Selbst wenn das Insolvenzrecht die Freigabe einer Sachgesamtheit unter exakter Bezeichnung der freigegebenen Gegenstände erlauben sollte (vgl. dazu [X.], [X.] --WM-- 2013, 1145, 1146), hat das [X.] die genannte Vereinbarung vom 1. Juli 2001 für den Senat bindend dahingehend ausgelegt, dass eine derartige Freigabe nicht erfolgt ist. Im Streitfall fehlte es an einer entsprechend eindeutigen Willenserklärung.

(2) In der vom Kläger unterschriebenen Vereinbarung vom 1. Juli 2001 kann auch keine Erklärung gesehen werden, wonach der Kläger die selbständige Tätigkeit der Schuldnerin als solche freigeben wollte. Dies gilt unabhängig davon, ob eine solche Freigabe vor Geltung des § 35 Abs. 2 [X.] n.F. insolvenzrechtlich überhaupt möglich war (vgl. dazu [X.], [X.], 1145). Eine derartige Freigabeerklärung müsste jedenfalls darauf gerichtet sein, die selbständige Tätigkeit vollständig aus der Insolvenzmasse zu lösen (vgl. [X.], [X.], 1145, 1148). Hieran fehlt es. In der vom Kläger unterzeichneten Vereinbarung kommt nicht zum Ausdruck, dass er das Vermögen und die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit freigeben wollte. Vielmehr hat das [X.] für den Senat bindend festgestellt (vgl. § 118 Abs. 2 [X.]O), dass kein Verzicht auf die Massezugehörigkeit der Einkünfte aus der freiberuflichen Tätigkeit vorlag, sondern die pfändungsfreien Beträge weiterhin von der Masse vereinnahmt werden sollten.

(3) Mangels entsprechender Freigabeerklärung ist es daher auch nicht möglich, für den Fall, dass vor Geltung des § 35 Abs. 2 [X.] n.F. eine Freigabe einer selbständigen Tätigkeit insolvenzrechtlich nicht möglich gewesen sein sollte, in dem Vorgehen des [X.] eine bloße Duldung der selbständigen Tätigkeit i.S. des [X.]-Urteils in [X.] 2013, 411, Rz 26 zu sehen.

bb) Der Kläger hat die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit im Interesse der Insolvenzmasse erlaubt.

Nach Auffassung des Senats lässt sich der Vereinbarung vom 1. Juli 2001 entnehmen, dass erst die aktive Zustimmung des [X.] zu dieser Vereinbarung es der Beigeladenen ermöglichte, ihre freiberufliche Tätigkeit im Rahmen der [X.] aufzunehmen. So heißt es in der Präambel dieser Vereinbarung, dass sie "der Sicherstellung der Kooperation" zwischen der Beigeladenen und der [X.] dient und der in diesem Zusammenhang bestehenden Zahlungspflicht der Beigeladenen gegenüber der [X.]. Hieraus folgt, dass der Beigeladenen die selbständige Tätigkeit im Rahmen der [X.] ohne Zustimmung des [X.] nicht möglich gewesen wäre.

cc) Zudem hat der Kläger nach den für den Senat bindenden --nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen-- Feststellungen des [X.] (vgl. § 118 Abs. 2 [X.]O) für die Streitjahre den pfändbaren Betrag der Einkünfte zur Masse gezogen.

Bei einem selbständig tätigen Schuldner gehören Einkünfte, die er nach der Insolvenzeröffnung erzielt, ohne Abzug beruflich bedingter Ausgaben in vollem Umfang zur Insolvenzmasse (vgl. Beschluss des [X.] --BGH-- vom 20. März 2003 IX ZB 388/02, [X.], 980, unter [X.]). Der Schuldner konnte jedoch --auch bereits für vor dem 1. Dezember 2001 eröffnete Insolvenzverfahren ([X.] in [X.], 980, unter [X.])-- beantragen, dass ihm das Insolvenzgericht von den erzielten Einkünften gemäß § 850i ZPO einen pfändungsfreien Anteil belässt. Nach diesem Schema wurde im Streitfall verfahren. Dass für das [X.] ggf. nicht alle pfändungsfreien Einkünfte zur Masse gelangt sind, sieht der Senat als unerheblich an. Entscheidend ist, dass die Einkünfte nach Abzug eines pfändungsfreien Anteils von der Masse vereinnahmt werden sollten. Ebenso sieht es der Senat als unerheblich an, dass der Beigeladenen der pfändungsfreie Anteil der Einkünfte nicht vom Insolvenzgericht, sondern vom Kläger selbst belassen wurde.

dd) Schließlich ermöglichte der Kläger im Ergebnis die Aufnahme der Tätigkeit, indem er zur Masse gehörende Mittel einsetzte, um die durch die selbständige Tätigkeit entstehenden Forderungen Dritter zu begleichen.

Dies ergibt sich aus der Vereinbarung vom 1. Juli 2001, wonach die [X.] der Beigeladenen die erforderlichen Betriebsmittel und die Infrastruktur zur Ausübung ihrer freiberuflichen Tätigkeit entgeltlich zur Verfügung gestellt hat. Indem der Kläger dieser Vorgehensweise durch die Unterzeichnung genannter Vereinbarung zustimmte, ermöglichte er der Beigeladenen die Aufnahme dieser Tätigkeit und den Einsatz massezugehöriger Mittel zur Begleichung von Betriebsausgaben.

5. Die Einkommensteuerschulden sind auch dann durch ein massebezogenes Verwaltungshandeln i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 [X.] entstanden, wenn man mit dem [X.] von einer Mitunternehmerstellung der Beigeladenen ausgeht.

a) Der [X.] hat bereits entschieden, dass Einkommensteuerschulden, die aus einem zur Masse gehörenden [X.]santeil an einer GbR resultieren, Masseverbindlichkeiten sind ([X.]-Urteil in [X.], 62, [X.] 2011, 429, Rz 36 ff.). Diese Entscheidung betraf einen Fall, in dem der insolvente [X.]er seine gesellschaftsrechtliche Stellung bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens innehatte.

Sollte es das Zivilrecht gestatten, dass sich eine insolvente Person (hier die Beigeladene) während des Insolvenzverfahrens --auch ohne Freigabe des [X.] durch den [X.] an einer GbR als [X.]er beteiligt, wäre auch der neu entstandene [X.]santeil massezugehörig. Unter der Geltung des § 1 der Konkursordnung wurde es für möglich erachtet, dass ein ausgeschiedener insolventer [X.]er während des Konkursverfahrens als neues Mitglied der bisherigen [X.] aufgenommen wird, weil zur Konkursmasse nur das bisher erworbene Vermögen gehörte (vgl. Jäger/ [X.], Konkursordnung, 8. Aufl., § 212 Rz 6, m.w.[X.]; [X.]/Habermaier, [X.], § 728 Rz 25). Ob dies auch unter der Geltung des § 35 [X.] weiterhin möglich ist, wonach der Neuerwerb in die Insolvenzmasse fällt, erscheint fraglich (vgl. [X.]/ Habermaier, a.a.[X.], § 728 Rz 25). Aber selbst wenn sich eine insolvente Person während des Insolvenzverfahrens als [X.]er an einer GbR beteiligen kann, kann dies wegen § 35 [X.] im Grundsatz nicht dazu führen, dass der hierdurch begründete [X.]santeil insolvenzfrei ist. Vielmehr wäre auch der neu entstandene [X.]santeil massezugehörig und grundsätzlich von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters erfasst (§ 80 Abs. 1 [X.]). So sind [X.]santeile keine unpfändbaren Gegenstände nach § 36 Abs. 1 Satz 1 [X.], die nicht zur Insolvenzmasse gehören; sie unterliegen gemäß § 859 Abs. 1 ZPO der [X.] (vgl. auch [X.]/[X.] in [X.] Kommentar zum Insolvenzrecht, a.a.[X.], § 35 [X.] Rz 142).

b) Im Übrigen liegt weder eine Freigabe der mitunternehmerischen Tätigkeit bzw. des [X.] der Beigeladenen noch lediglich eine Duldung dieser Tätigkeit vor.

Zur Freigabe gelten die unter [X.]4.c aa gemachten Ausführungen entsprechend. Eine bloße Duldung der mitunternehmerischen Tätigkeit ist schon deshalb nicht gegeben, weil der Kläger die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit im Interesse der Insolvenzmasse erlaubt und deshalb an der Entstehung eines massezugehörigen [X.] mitgewirkt hat.

6. Ebenso hat das [X.] die Einkommensteuerschulden der Streitjahre zu Recht insgesamt als Masseverbindlichkeit qualifiziert. Die vom Kläger hilfsweise begehrte Aufteilung dieser Schulden kommt aus den im Senatsurteil vom 16. April 2015 III R 21/11, unter [X.]4. genannten Gründen nicht in Betracht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 und § 139 Abs. 4 [X.]O. Es entspricht nicht der Billigkeit, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen. Die Beigeladene hat weder [X.] gestellt noch anderweitig das Verfahren gefördert (vgl. [X.] vom 7. Dezember 2010 III B 33/10, [X.] 2011, 433, Rz 14).

Meta

III R 32/13

16.07.2015

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 28. Juni 2012, Az: 11 K 1069/09, Urteil

§ 35 InsO, § 55 Abs 1 Nr 1 Halbs 2 InsO, § 74 FGO, § 180 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a AO, § 18 EStG 2002, EStG VZ 2005, EStG VZ 2007

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 16.07.2015, Az. III R 32/13 (REWIS RS 2015, 8036)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8036

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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