Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.02.2024, Az. VI S 24/23

6. Senat | REWIS RS 2024, 1141

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Gegenstand

Geltendmachung der Energiepreispauschale durch Abgabe der Einkommensteuererklärung


Leitsatz

1. Eine vom Arbeitgeber nicht ausgezahlte Energiepreispauschale ist vom Arbeitnehmer nicht gegenüber dem Arbeitgeber, sondern im Rahmen des Veranlagungsverfahrens für 2022 durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung geltend zu machen.

2. Kommt das Finanzamt der Festsetzung der Energiepreispauschale nicht nach, kann diese nach Durchführung eines Vorverfahrens vor dem Finanzgericht erstritten werden.

Tenor

Als für den Rechtsstreit zuständiges Gericht wird das [X.] bestimmt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tatbestand

I.

1

Die [X.]eklagte ist eine beim [X.]mtsgericht in [X.] mit der Geschäftsanschrift [X.] 21 in [X.] eingetragene GmbH. Der in [X.] wohnhafte Kläger war auf Grundlage eines am 26.09.2022 mit der [X.]eklagten geschlossenen [X.]rbeitsvertrags ab dem 28.09.2022 bei Kunden der [X.]eklagten im Rahmen einer von der [X.]gentur für [X.]rbeit in [X.] erlaubten [X.]rbeitnehmerüberlassung beschäftigt. [X.]ls [X.]rbeitgeber ist im vorgenannten [X.]rbeitsvertrag die [X.]eklagte mit dem Zusatz "Niederlassung … [in] [X.]" bezeichnet. Diese Niederlassung ist unter der [X.]nschrift [X.] 30 in [X.] ansässig (vgl. [X.]nlage K2, [X.]l. 10 der [X.]kte des [X.] --[X.]--). Diese [X.]nschrift ist auch mittels Firmenstempel auf dem [X.]rbeitsvertrag aufgebracht (s. S. 6 des [X.]rbeitsvertrags, Rückseite [X.]l. 9 der [X.]-[X.]kte).

2

Die [X.]eklagte zahlte dem Kläger keine [X.] aus. Ferner waren [X.] für September 2022 und Oktober 2022 streitig. Deshalb erhob der Kläger am [X.] gegen die [X.]eklagte Klage vor dem [X.]rbeitsgericht ([X.]rbG) in [X.]. Mit [X.]eschluss vom 05.07.2023 hat das [X.]rbG den Rechtsstreit auf Zahlung der [X.] abgetrennt und an das [X.] verwiesen. Die [X.]eteiligten haben diesen [X.]eschluss nicht angefochten.

3

Das [X.] hat mit [X.]eschluss vom 03.11.2023 - 4 K 867/23 den [X.]undesfinanzhof ([X.]FH) zwecks Entscheidung darüber angerufen, welches Finanzgericht im vorliegenden Rechtsstreit örtlich zuständig ist. Der beschließende Senat hat den [X.]eteiligten Gelegenheit gegeben, zur [X.]estimmung des örtlich zuständigen Finanzgerichts Stellung zu nehmen.

Gründe

II.

4

Das Gesuch um Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts ist zulässig, denn der [X.] ist eröffnet, eine örtliche Zuständigkeit nach § 38 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) jedoch nicht gegeben (§ 39 [X.]bs. 1 Nr. 5 [X.]O). [X.]ls örtlich zuständiges Gericht ist das [X.] zu bestimmen.

5

1. Die Voraussetzungen für eine [X.]nrufung des [X.] nach § 39 [X.]bs. 2 Satz 1 [X.]O durch das [X.] liegen vor.

6

a) Die Bestimmung eines örtlich zuständigen Finanzgerichts durch den [X.] setzt voraus, dass der [X.] eröffnet ist. Das [X.] ist zu Recht davon ausgegangen, dass es an den Verweisungsbeschluss des [X.] hinsichtlich des Rechtswegs gebunden ist. Denn auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss, der sachlich nicht hätte ergehen dürfen, entfaltet nach § 17a [X.]bs. 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes grundsätzlich Bindungswirkung hinsichtlich des Rechtswegs. Dies gilt ausnahmsweise nur dann nicht, wenn er offensichtlich unhaltbar ist. Von einem schlechthin nicht nachvollziehbaren Verweisungsbeschluss kann vorliegend jedoch keine Rede sein. Vielmehr hat das [X.] in [X.] zutreffend entschieden, dass vorliegend der [X.] eröffnet ist. Denn bei dem Streit über die [X.]uszahlung einer [X.], jedenfalls soweit sie noch nicht nach § 117 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ausgezahlt ist, handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, zu deren Entscheidung die Finanzgerichte nach § 33 [X.]bs. 1 Nr. 1 [X.]O berufen sind (im Einzelnen s. [X.], Beschluss vom 05.09.2023 - 11 K 1588/23 Kg (PKH), Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2023, 1616, Rz 10 f.; [X.], Beschluss vom 17.10.2023 - 7 Ta 81/23, Zeitschrift für Tarifrecht, [X.]rbeitsrecht und Sozialrecht 2024, 50; [X.], Beschluss vom 05.10.2023 - 3 Ta 240/23, [X.]rbeitsrechtliche Entscheidungen 2023, 243, jeweils m.w.N.).

7

b) Gemäß § 39 [X.]bs. 1 Nr. 5 [X.]O wird das zuständige Finanzgericht durch den [X.] bestimmt, wenn eine örtliche Zuständigkeit nach § 38 [X.]O nicht gegeben ist. § 38 [X.]O geht für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit davon aus, dass es sich bei dem [X.]n um eine (Finanz-)Behörde handelt; eine juristische Person des privaten Rechts als [X.]n kennt die Vorschrift nicht. Deshalb lässt sich die örtliche Zuständigkeit nicht nach § 38 [X.]O bestimmen, wenn der [X.] die Rechtsform einer GmbH hat. Insoweit entsteht jedenfalls im [X.] an eine hinsichtlich des Rechtswegs bindende Verweisung eine Lücke, die die [X.]nwendung des § 39 [X.]bs. 1 Nr. 5 [X.]O eröffnet (Senatsbeschluss vom 10.02.2012 - VI S 10/11).

8

2. Für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ist in solchen Fällen regelmäßig maßgebend, in welchem Finanzgerichtsbezirk der [X.] seinen Sitz hat. Dies folgt aus der allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundregel, wonach hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit auf den Sitz des [X.]n abzustellen ist (Senatsbeschluss vom 26.08.2008 - VI B 68/08, [X.]/NV 2008, 2036, unter Hinweis auf die Regelung des § 38 [X.]bs. 1 [X.]O sowie des § 17 [X.]bs. 1 i.V.m. § 12 der Zivilprozessordnung --ZPO--; Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 9. [X.]ufl., § 39 Rz 8).

9

a) Danach wäre die örtliche Zuständigkeit des Finanzgerichts grundsätzlich nach dem Sitz der [X.]n in [X.] zu bestimmen. Im Streitfall besteht jedoch die Besonderheit, dass der Kläger das [X.]rbeitsverhältnis ausweislich des vorgelegten [X.]rbeitsvertrags direkt mit der Niederlassung der [X.]n in [X.] geschlossen hat und nach den für den [X.] nach § 118 [X.]bs. 2 [X.]O bindenden Feststellungen des [X.] von dieser Niederlassung das [X.]rbeitsverhältnis --wenn auch nur mittelbar-- gelenkt worden ist. Für arbeits- und zivilrechtliche Streitigkeiten ist damit nach § 21 [X.]bs. 1 ZPO der besondere Gerichtsstand der Niederlassung neben dem allgemeinen Gerichtsstand juristischer Personen nach § 17 [X.]bs. 1 ZPO begründet (vgl. dazu Pulz in [X.] Handbuch zum [X.]rbeitsrecht, Bd. 4, 5. [X.]ufl. 2022, § 389 Rz 68, m.w.N.).

Unter mehreren zuständigen Gerichten hat der Kläger die Wahl (§ 35 ZPO), deren [X.]usübung regelmäßig durch die Klageerhebung erfolgt ([X.]/[X.], Zivilprozessordnung, 44. [X.]ufl., § 35 Rz 2). Im Streitfall hat der Kläger sein Wahlrecht dahin ausgeübt, dass er seine Klage an das nach dem besonderen Gerichtsstand der Niederlassung (§ 21 ZPO) zuständige [X.] in [X.] und nicht an das nach § 17 ZPO zuständige [X.] in [X.] gerichtet hat. Der beschließende Senat hält es angesichts dessen für sachgerecht, für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Finanzgerichts dieser Entscheidung des [X.] zu folgen und von einer Bestimmung eines anderen --auch des allgemeinen-- Gerichtsstands abzusehen. Damit ist vorliegend das [X.] örtlich zuständig, da sich die Niederlassung der [X.]n in [X.] und damit in dessen Bezirk befindet. Dabei kann offenbleiben, ob die Vorschriften der §§ 21, 35 ZPO über § 155 [X.]O im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechende [X.]nwendung finden können. Die §§ 21, 35 ZPO sollen die Rechtsverfolgung gegen Gewerbetreibende dadurch erleichtern, dass der Kläger ein örtlich günstigeres Gericht anrufen kann (MüKoZPO/[X.], § 21 Rz 1). Jedenfalls dieser zivilprozessualen Wertung ist für das finanzgerichtliche Verfahren zu folgen. [X.]uch § 38 [X.]O ist letztlich von dem Grundsatz getragen, dem Kläger einen ortsnahen Rechtsschutz zu gewährleisten (vgl. v. [X.] in Gosch, [X.]O § 38 Rz 11).

b) Demgegenüber sprechen im Streitfall keine belastbaren Gesichtspunkte dafür, in entsprechender [X.]nwendung des § 38 [X.]bs. 2 [X.]O der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit (ausnahmsweise) den Wohnsitz des [X.] zugrunde zu legen. Zwar ist die [X.] soweit sie --wie vorliegend-- vom [X.]rbeitgeber nicht nach § 117 EStG ausgezahlt wurde, mit der Einkommensteuerveranlagung für den Veranlagungszeitraum 2022 festzusetzen (§ 115 [X.]bs. 1 EStG). Nach § 120 [X.]bs. 1 Satz 1 EStG sind auf die [X.] die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der [X.]bgabenordnung anzuwenden. [X.]nsprüche auf Steuervergütungen sind aber gegenüber dem Finanzamt --F[X.]-- (und nicht wie vorliegend gegenüber dem [X.]rbeitgeber) geltend zu machen (ebenso [X.], juris [X.] [X.]rbeitsrecht 9/2023, [X.]nm. 7). Zur Festsetzung der [X.] bedarf es folglich der [X.]bgabe einer Einkommensteuererklärung gegenüber dem (Wohnsitz-)F[X.] (vgl. BTDrucks 20/1765, S. 24; [X.]/[X.], EStG, 42. [X.]ufl., § 115 Rz 1; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 115 EStG Rz 2; [X.], Beschluss vom 05.09.2023 - 11 K 1588/23 Kg (PKH), E[X.] 2023, 1616, Rz 14, 16; [X.], Gerichtsbescheid vom 18.10.2023 - 1 K 163/23). Nur soweit das F[X.] der Festsetzung der [X.] im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung nicht nachkommt, kann der Kläger diese --nach Durchführung eines Vorverfahrens (§ 44 [X.]O)-- vor dem nach § 38 [X.]bs. 1 [X.]O örtlich zuständigen Finanzgericht erstreiten.

[X.]ngesichts dessen ist die örtliche Zuständigkeit vorliegend nicht nach dem Wohnsitz(-F[X.]) des [X.] zu bestimmen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die dahingehende Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit einem der Beteiligten für das finanzgerichtliche Verfahren im Streitfall irgendwelche Vor- oder Nachteile brächte (vgl. Senatsbeschluss vom 26.08.2008 - VI B 68/08, [X.]/NV 2008, 2036).

Zum einen hat der Kläger die Klage nicht, wie es zutreffend gewesen wäre, gegen das F[X.] gerichtet, sondern gegen die [X.]. [X.]ngesichts der eindeutigen Bezeichnung der [X.]n in der Klageschrift ist eine Umdeutung der vorliegenden Klage in ein "einkommensteuerliches Festsetzungsbegehren" gegen das Wohnsitz-F[X.] nicht möglich. [X.]ußerdem wäre eine Klage gegen das F[X.] unzulässig. Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger seinen vermeintlichen [X.]nspruch auf [X.]uszahlung der [X.] gegenüber dem F[X.] durch [X.]bgabe einer Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2022 geltend gemacht hat.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen (vgl. [X.]-Beschluss vom 29.06.2015 - III S 12/15, m.w.N.).

4. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 155 [X.]O i.V.m. § 37 [X.]bs. 2 ZPO).

Meta

VI S 24/23

29.02.2024

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 3. November 2023, Az: 4 K 867/23, Beschluss

§ 115 EStG 2009, § 117 EStG 2009, § 120 EStG 2009, § 38 FGO, § 39 FGO, § 44 FGO, § 155 FGO, § 12 ZPO, § 17 ZPO, § 21 ZPO, § 35 ZPO, § 37 Abs 2 ZPO, § 17a Abs 2 S 3 GVG, EStG VZ 2022

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.02.2024, Az. VI S 24/23 (REWIS RS 2024, 1141)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1141

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