Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.12.2013, Az. X B 205/12

10. Senat | REWIS RS 2013, 312

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Gegenstand

Beweiskraft einer Zustellungsurkunde; Nichtigkeit eines Schätzungsbescheids


Leitsatz

1. NV: Die Beweiskraft, die der Zustellungsurkunde (ZU) zukommt, erstreckt sich auch auf die Niederlegung des zu übergebenden Schriftstücks und die Benachrichtigung des Empfängers in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise (hier: Einwurf in Briefkasten des Empfängers). Ein Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der ZU bezeugten Tatsachen geführt werden.

2. NV: Grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen führen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheides. Anders verhält es sich allerdings, wenn das FA bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ungeachtet der Mängel in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) erforderlichen Darlegung der Gründe für die Zulassung der Revision liegt der von der Beschwerde gerügte Verfahrensmangel jedenfalls nicht vor (vgl. unter 1.). Die Beschwerde ist auch nicht wegen grober Rechtsanwendungsmängel des Finanzgerichts ([X.]) zuzulassen (vgl. unter 2.).

2

1. Entgegen der Auffassung des [X.] und Beschwerdeführers (Kläger) hätte sich dem Finanzgericht ([X.]) eine weitere Beweiserhebung für die Zustellung der streitigen Steuerbescheide nicht von Amts wegen aufdrängen müssen. Den Sachverhalt hat es hinreichend aufgeklärt. Dabei durfte es sich mit der Würdigung des Inhalts der [X.] nach § 182 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), die den vollen Beweis für die in ihr bezeugten Tatsachen erbringt (Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 14. Februar 2007 XI B 108/05, [X.] 2007, 1158) begnügen. Ein Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der [X.] bezeugten Tatsachen geführt werden ([X.]-Urteil vom 2. Juni 1987 VII R 36/84, [X.] 1988, 170, m.w.N., ebenso [X.] vom 6. Oktober 2003 VII B 12/03, [X.] 2004, 497, und vom 24. April 2007 [X.], [X.] 2007, 1465). Einen solchen Gegenbeweis hat der Kläger vor dem [X.] auch nicht ansatzweise geführt, sondern sich lediglich darauf berufen, der Einwurf der Steuerbescheide in seinen Hausbriefkasten sei --trotz der entsprechenden Vermerke des Zustellers auf den [X.]n-- nicht belegt und werde bestritten. Möglicherweise habe die Mieterin des Obergeschosses die Briefe aus dem Briefkasten entnommen und sie ihm nicht ausgehändigt. Zudem komme es immer wieder zu Verwechslungen mit der Post für seinen Bruder, der dieselbe Anschrift wie der Kläger habe (Doppelhaus) und an dessen Briefkasten ebenfalls nur der Nachname vermerkt sei. Zu Recht hat das [X.] darauf hingewiesen, es sei für die Bekanntgabe der Steuerbescheide unerheblich, wenn die Mieterin des Obergeschosses die Briefe dem Briefkasten des [X.] entnommen und ihn darüber nicht informiert habe. Bereits mit dem Einwurf der Postsendungen in den Briefkasten seien sie derart in den Machtbereich des [X.] gelangt, dass er Gelegenheit zur Kenntnisnahme hatte und die Bescheide als bekannt gegeben gelten. Zudem stehe nach Überzeugung des Gerichts aufgrund des späteren Verhaltens des [X.] fest, dass er die Steuerbescheide tatsächlich erhalten habe. Andernfalls wäre nicht nachvollziehbar, dass er bei seinen Gesprächen mit dem Sachbearbeiter der [X.] nur auf die Aufhebung der [X.] hingewirkt und eine [X.] ausgehandelt habe, ohne auf die ihm nicht vorliegenden Steuerbescheide hinzuweisen. Dies gelte umso mehr, als sich der Kläger zu dieser [X.] in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen befunden und er ausweislich der Rückstandsanzeige zu diesem [X.]punkt --abgesehen von den offenen Beträgen der streitigen Steuerbescheide-- keine weiteren Steuerschulden gehabt habe. Eine weitere Sachaufklärung musste das [X.] angesichts dieser Sachlage nicht betreiben.

3

Folglich kann entgegen der Auffassung des [X.] auch keine Divergenz zu den von ihm angeführten [X.]n in [X.] 2004, 497 und in [X.] 2007, 1465 vorliegen.

4

Im Übrigen hat der Kläger, der auch im finanzgerichtlichen Verfahren von seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist, ausweislich des [X.] keine Beweisanträge gestellt und damit sein [X.] verloren. Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 155 [X.]O i.V.m. § 295 ZPO), hat die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen [X.] --z.[X.] auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde-- zur Folge (vgl. [X.]-Beschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, [X.] 2000, 597).

5

2. Ferner behauptet der Kläger zwar sinngemäß das Vorliegen eines groben Rechtsanwendungsfehlers des [X.], der ausnahmsweise zur Zulassung der Revision führen kann. Ein solcher Fehler liegt jedoch nicht vor.

6

Der Kläger trägt vor, das [X.] habe willkürlich entschieden, indem es die Gewinnschätzungen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --[X.]--) gebilligt habe, obwohl diese gegen alle Erfahrungsgrundsätze und Denkgesetze verstießen. Das [X.] habe für das [X.] bei einem Umsatz von [X.] einen Gewinn in Höhe von [X.] und für das [X.] bei einem Umsatz in Höhe von [X.] einen Gewinn von [X.] geschätzt. Dieser Schätzung lägen keinerlei Parameter für mögliche Gewinnaufschläge eines Händlers und [X.], der Holzhäuser liefere und aufstelle, zugrunde.

7

Mit der Rüge der materiellen Fehlerhaftigkeit des [X.]-Urteils wird grundsätzlich kein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 [X.]O dargelegt. Ausnahmsweise ist die Revision in einem solchen Fall zuzulassen, wenn das [X.]-Urteil an einem offensichtlichen materiellen oder formellen Fehler im Sinne einer willkürlichen Entscheidung (sog. qualifizierter Rechtsanwendungsfehler) leidet ([X.]-Beschluss vom 30. Mai 2012 III B 239/11, [X.] 2012, 1470).

8

Ein solcher Fehler liegt jedoch nicht vor, denn das [X.] hatte im Streitfall nicht die Rechtswidrigkeit, sondern die Nichtigkeit der Schätzungsbescheide zu beurteilen.

9

Wird eine Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige --wie im [X.] seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich das [X.] an der oberen Grenze des [X.] orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will ([X.]-Urteil vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, [X.]E 194, 1, [X.] 2001, 381). Verlässt eine überzogene Schätzung diesen Rahmen, hat dies im Allgemeinen nur die Rechtswidrigkeit der Schätzung, nicht aber bereits deren Nichtigkeit zur Folge. Nichtigkeit ist selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, regelmäßig nicht anzunehmen ([X.]-Urteil in [X.]E 194, 1, [X.] 2001, 381, m.w.N.). Etwas anderes ist nach der Rechtsprechung allenfalls dann zu erwägen, wenn sich das [X.] nicht nach dem Auftrag des § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat. [X.], die mit den Anforderungen an eine ordnungsmäßige Verwaltung schlechterdings nicht zu vereinbaren sind, können einen besonders schweren Fehler i.S. von § 125 Abs. 1 [X.] abgeben (allgemeine Meinung, vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 194, 1, [X.] 2001, 381, m.w.N.). Im Streitfall hat der Kläger keinerlei Gründe vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen würden, das [X.] habe die Besteuerungsgrundlagen bewusst zu seinem Nachteil geschätzt. Derartige Gründe sind im Übrigen auch nicht aus den Akten ersichtlich.

3. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O ab.

Meta

X B 205/12

12.12.2013

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 17. September 2012, Az: 3 K 252/12, Urteil

§ 125 Abs 1 AO, § 115 Abs 2 FGO, § 182 Abs 1 ZPO, § 162 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12.12.2013, Az. X B 205/12 (REWIS RS 2013, 312)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 312

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