Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.12.2022, Az. XII ZB 340/22

12. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 8004

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Gegenstand

Geschlossene Unterbringung: Zulässigkeit der Beschwerde der Geschwister des Betroffenen gegen die Unterbringungsgenehmigung; erneute Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren; Bestellung eines Verfahrenspflegers


Tenor

Die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 13. Juli 2022 wird verworfen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 13. Juli 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Das [X.] ist gerichtskostenfrei.

Eine Festsetzung des [X.] (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.

Gründe

I.

1

Der Betroffene und seine [X.] (Beteiligte zu 2; im Folgenden: [X.]) wenden sich gegen die geschlossene Unterbringung des Betroffenen.

2

Der 1968 geborene Betroffene leidet an einer leicht- bis mittelgradigen kognitiven Beeinträchtigung, einer organischen Persönlichkeitsstörung bei Zustand nach Verschluss der hirnversorgenden Schlagader und einer symptomatischen Epilepsie. Für ihn ist eine Betreuung eingerichtet, die unter anderem die Bereiche Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitssorge umfasst.

3

Auf Antrag des Betreuers hatte das Amtsgericht zunächst eine vorläufige Unterbringung des Betroffenen für die Dauer von insgesamt elf Wochen genehmigt. Mit Beschluss vom 9. Juni 2022 hat das Amtsgericht die geschlossene Unterbringung des Betroffenen durch den Betreuer bis längstens 16. Mai 2024 genehmigt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] zurückgewiesen. Mit ihren dagegen gerichteten Rechtsbeschwerden begehren der Betroffene und seine [X.] die Aufhebung der geschlossenen Unterbringung.

II.

4

1. Die Rechtsbeschwerde der [X.] ist unzulässig, weil es ihr an der hierfür erforderlichen, von Amts wegen zu prüfenden Beschwerdeberechtigung (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2020 - [X.]/20 - FamRZ 2021, 228 Rn. 4) fehlt.

5

a) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, folgt eine Beschwerdebefugnis der [X.] für das Verfahren der Rechtsbeschwerde vorliegend nicht daraus, dass ihre (Erst-)Beschwerde zurückgewiesen worden wäre. Denn eine (Erst-)Beschwerde hat die [X.] nicht eingelegt.

6

aa) Die [X.] ist bis zur Entscheidung des Amtsgerichts vom 9. Juni 2022 am Verfahren nicht beteiligt gewesen. Anschließend hat innerhalb der Beschwerdefrist Frau S. als am Verfahren nicht beteiligte Dritte beim Amtsgericht einen Eilantrag zur Entlassung des Betroffenen aus der Unterbringung gestellt. Zur Begründung hat sie ein Schreiben des Betroffenen vorgelegt, mit dem er sich gegen die Unterbringung wehrt, und ausgeführt, dass die [X.] bereit sei, den Betroffenen in seiner Wohnung zu versorgen. Danach kann nicht von einer Beschwerde der [X.] in eigenem Namen ausgegangen werden, wenn auch die [X.] die Beschwerdeschrift ebenfalls unterzeichnet hat.

7

Die Beschwerdeschrift bezeichnet als Absender allein Frau S. und führt weiter aus: „… hiermit stelle ich den Eilantrag zur Entlassung… Die [X.] von [X.] ist bereits seit dem 19. Juni in seiner Wohnung … um [X.] zu versorgen. Frau J. ist auch bereit, die aktuelle Wohnung an ihrem Wohnsitz zu kündigen, um die Versorgung zu übernehmen“. Nach dem klaren Wortlaut des Schreibens liegt daher keine Beschwerde der [X.] in eigenem Namen vor. Ihre Unterschrift deckt allein die Erklärung von Frau S. über die Bereitschaft der [X.], den Betroffenen zu versorgen.

8

bb) Nichts anderes folgt daraus, dass ein Beteiligter - insbesondere wenn er, wie hier, nicht anwaltlich vertreten ist - nicht am buchstäblichen Sinn seiner Wortwahl festgehalten werden darf. [X.] sind zwar im Zweifel so auszulegen, dass dasjenige gewollt ist, was aus der Sicht des Beteiligten nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2020 - [X.]/20 - FamRZ 2021, 228 Rn. 7 [X.]). Eine Auslegung der Beschwerdeschrift dahingehend, dass das Rechtsmittel auch von der [X.] in eigenem Namen eingelegt und diese somit ebenfalls Rechtsmittelführerin sein sollte, entspricht dieser Interessenlage hier aber schon deswegen nicht, weil eine(Erst-)Beschwerde der [X.] mangels Beschwerdebefugnis unzulässig gewesen wäre.

9

Durch die Genehmigung der geschlossenen Unterbringung des Betroffenen ist seine [X.] nicht in eigenen Rechten im Sinne des § 59 FamFG betroffen. Die zivilrechtliche Unterbringung ist - wie das Betreuungsrecht insgesamt - ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Februar 2022 - [X.] 530/21 - FamRZ 2022, 726 Rn. 11 [X.]). Das subjektive Recht auf den staatlichen Erwachsenenschutz steht daher (allein) dem Betroffenen zu.

Geschwister gehören zudem nicht zu den Personen, die nach § 335 FamFG beschwerdebefugt sein können, wenn sie - wie hier - nicht vom Betroffenen als Person seines Vertrauens nach § 335 Abs. 1 Nr. 2 FamFG benannt worden sind.

cc) Im Übrigen hat das Beschwerdegericht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde lediglich die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen, nicht aber eine (Erst-)Beschwerde der [X.]. Denn die angefochtene Entscheidung geht im Tatbestand und in den Gründen ausdrücklich und ausschließlich von einer Beschwerde des Betroffenen aus. Dass die [X.] im Rubrum der angefochtenen Entscheidung als Beschwerdeführerin bezeichnet wird, ist daher eine schlichte Unrichtigkeit, die zu keiner anderweitigen Beurteilung führen kann.

b) Aus dem zur (Erst-)Beschwerde der [X.] Ausgeführtem ergibt sich zugleich, dass auch für das Rechtsbeschwerdeverfahren eine Beschwerdebefugnis der [X.] nicht aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 59, 335 FamFG hergeleitet werden kann.

2. Dagegen ist die Rechtsbeschwerde des Betroffenen zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

a) Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Betroffene sei - über die diagnostizierten psychischen Erkrankungen hinaus - nach den Ausführungen des Sachverständigen unzureichend orientiert, nicht absprachefähig und mit Sicherheit nicht verkehrssicher, jedoch in körperlicher Hinsicht recht mobil. Gefahren könne er nicht erkennen. Mit seinen kognitiven Einschränkungen komme er nicht ganz zurecht und wirke zeitweise recht verzweifelt. Aufgrund seiner psychischen Erkrankungen könne er seinen Willen in Bezug auf die freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht mehr frei bestimmen. [X.] werde eine Unterbringung des Betroffenen in einer beschützenden Abteilung eines Krankenhauses für die Dauer von 8-10 Wochen mit anschließender nahtloser Verlegung auf eine beschützende Abteilung für chronisch psychisch Kranke als dringend notwendig erachtet. Eine Überprüfung der langfristigen Unterbringungsnotwendigkeit solle in zwei Jahren stattfinden.

b) Das hält einer rechtlichen Nachprüfung schon in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht stand. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass das [X.] den Betroffenen erneut hätte anhören und der Verfahrenspflegerin die Gelegenheit geben müssen, an der Anhörung teilzunehmen.

aa) Nach der Rechtsprechung des Senats räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht zwar die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, etwa wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt. Insoweit kann im Beschwerdeverfahren aber nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Mai 2020 - [X.] 504/19 - [X.], 1219 Rn. 9 und vom 15. August 2018 - [X.] 10/18 - FamRZ 2018, 1770 Rn. 11 [X.]).

bb) Vorliegend hätte das [X.] den Betroffenen erneut anhören müssen, weil die Anhörung durch das Amtsgericht in mehrfacher Hinsicht verfahrensfehlerhaft erfolgt ist. Denn das Amtsgericht hat dem Betroffenen eine Verfahrenspflegerin erst durch den Beschluss vom 9. Juni 2022 bestellt und ihm zudem das Sachverständigengutachten erst zusammen mit dem Beschluss vom 9. Juni 2022 übermittelt.

(1) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Unterbringungssache gemäß § 317 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll bei den besonders schwerwiegenden Eingriffen in das Grundrecht der Freiheit der Person nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und im Verfahren begleitet werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Dies gebietet es zumindest dann, wenn das Betreuungsgericht bereits vor der Anhörung des Betroffenen die Erforderlichkeit einer Verfahrenspflegerbestellung erkennen kann, in [X.] regelmäßig, den Verfahrenspfleger schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen. Das Betreuungsgericht muss durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Der rechtzeitig vom Termin unterrichtete Verfahrenspfleger kann sodann allerdings selbst entscheiden, ob er an dem Termin teilnimmt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. September 2022 - [X.] 554/21 - juris Rn. 5 [X.]).

Die Verfahrenspflegerin ist erst durch den nach Beendigung der Anhörung erlassenen Beschluss vom 9. Juni 2022 bestellt worden. Aus der Niederschrift über den Anhörungstermin ergibt sich dementsprechend, dass [X.], der Betroffene und sein Betreuer an der Anhörung teilnahmen. Da die erstinstanzliche Anhörung somit verfahrensfehlerhaft war, durfte das [X.] nicht von einer eigenen persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen. Dass die Verfahrenspflegerin zuvor schon für das Verfahren der vorläufigen Unterbringung bestellt worden ist, kann schon deswegen keine anderweitige Beurteilung rechtfertigen, weil diese Bestellung nur für das jeweilige Verfahren erfolgt (vgl. Senatsbeschluss vom 20. November 2019 - [X.] 501/18, [X.], 370 Rn. 15), sodass auch insoweit für sie keine Möglichkeit bestand, an den Anhörungen teilzunehmen.

(2) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage erfordert nach § 37 Abs. 2 FamFG, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Das setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats voraus, dass der Betroffene vor der Entscheidung nicht nur im Besitz des schriftlichen Sachverständigengutachtens ist, sondern auch ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Wenn dem Betroffenen das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (Senatsbeschluss vom 12. Mai 2021 - [X.] 587/20 - FamRZ 2021, 1414 Rn. 7 [X.]).

Das Amtsgericht hat vorliegend das Sachverständigengutachten dem Betroffenen erst zusammen mit dem Beschluss vom 9. Juni 2022 übermittelt, durch den die geschlossene Unterbringung genehmigt worden ist. Damit war das vom Amtsgericht durchgeführte Verfahren fehlerhaft, weil es den Betroffenen angehört hat, ohne ihm zuvor das Gutachten, auf das sich die Entscheidung stützt, in ausreichender Weise bekanntzugeben. Dass das nicht bekanntgegebene Sachverständigengutachten ausweislich der Niederschrift im Anhörungstermin mit dem Betroffenen besprochen wurde, kann nach den dargestellten Maßstäben keine anderweitige Beurteilung rechtfertigen.

3. Der angefochtene Beschluss kann danach keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben und die Sache ist an das [X.] zurückzuverweisen, § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG. Die Zurückverweisung gibt dem Beschwerdegericht zugleich Gelegenheit, eine etwaige Genehmigung einer Unterbringung über die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung von einem Jahr hinaus ausreichend zu begründen. Auf die einschlägige Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschluss vom 21. April 2021 - [X.] 520/20 - FamRZ 2021, 1242 Rn. 8 ff. [X.]) wird hingewiesen.

Guhling     

  

Klinkhammer     

  

Günter

  

Botur     

  

Krüger     

  

Meta

XII ZB 340/22

07.12.2022

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Amberg, 13. Juli 2022, Az: 33 T 524/22

§ 59 FamFG, § 68 Abs 3 S 2 FamFG, § 317 Abs 1 S 1 FamFG, § 335 Abs 1 Nr 2 FamFG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.12.2022, Az. XII ZB 340/22 (REWIS RS 2022, 8004)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8004

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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