Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.09.2022, Az. XII ZB 554/21

12. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 5281

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Gegenstand

Notwendigkeit der Benachrichtigung des Verfahrenspflegers von einer gerichtlichen Anhörung des Betroffenen in Unterbringungssachen


Leitsatz

Zur Notwendigkeit der Benachrichtigung des Verfahrenspflegers von einer gerichtlichen Anhörung des Betroffenen in Unterbringungssachen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 26. Oktober 2021 und der Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 30. November 2021 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

1

Der im Jahre 1965 geborene Betroffene leidet seit Jahren unter einer chronifizierten schizophrenen Psychose. Im vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren erstrebt er die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Unterbringungsgenehmigung nach § 1906 Abs. 1 BGB.

2

Diese ist vom Amtsgericht bis zum 25. April 2022 ausgesprochen worden. Das [X.] hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Die Unterbringungsgenehmigung hat sich während des [X.] durch Zeitablauf erledigt.

II.

3

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Amtsgerichts und des [X.]s, weil diese den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben, was nach der in der [X.] entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2022 - [X.] 267/21 - FamRZ 2022, 1132 Rn. 3 mwN) festzustellen ist.

4

1. Die erstinstanzliche Anhörung war - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt - verfahrensfehlerhaft, weil die Verfahrenspflegerin keine Gelegenheit hatte, an ihr teilzunehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Mai 2020 - [X.] 541/19 - FamRZ 2020, 1305 Rn. 14 f. mwN, ebenfalls zum Betroffenen des vorliegenden Verfahrens). Das [X.] hätte den Betroffenen daher nach § 68 Abs. 3 FamFG erneut anhören und der Verfahrenspflegerin die Gelegenheit geben müssen, an der Anhörung teilzunehmen.

5

a) Die Bestellung eines [X.] in einer Unterbringungssache gemäß § 317 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll bei den besonders schwerwiegenden Eingriffen in das Grundrecht der Freiheit der Person nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und begleitet werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Dies gebietet es zumindest dann, wenn das Betreuungsgericht bereits vor der Anhörung des Betroffenen die Erforderlichkeit einer Verfahrenspflegerbestellung erkennen kann, in [X.] regelmäßig, den Verfahrenspfleger schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen. Das Betreuungsgericht muss durch die rechtzeitige Bestellung eines [X.] und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des bestellten [X.], ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 13. Mai 2020 - [X.] 541/19 - FamRZ 2020, 1305 Rn. 15 mwN). Der rechtzeitig vom Termin unterrichtete Verfahrenspfleger kann sodann allerdings selbst entscheiden, ob er an dem Termin teilnimmt (Senatsbeschluss vom 11. Mai 2022 - [X.] 129/21 - FamRZ 2022, 1225 Rn. 15 ff.).

6

b) Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht die Verfahrenspflegerin vom Anhörungstermin vom 20. Oktober 2021 nicht informiert, sodass für diese keine Möglichkeit bestand, an der Anhörung teilzunehmen. Aus dem erst vom 2. November 2021 und damit nach Erlass des Beschlusses vom 26. Oktober 2021 datierenden handschriftlichen [X.] ergibt sich dementsprechend, [X.] und der Betroffene an der Anhörung teilnahmen.

7

Zwar hatte [X.] ausweislich eines Aktenvermerks vom 24. September 2021 mit dem Sekretariat der Verfahrenspflegerin telefoniert und hatte die Verfahrenspflegerin danach mitteilen lassen, dass sie den Betroffenen separat vom Gericht aufsuchen werde. Dies hat aber ihre Benachrichtigung vom Anhörungstermin nicht entbehrlich gemacht. Aus dem Vermerk vom 24. September 2021 ergibt sich nicht, dass die Verfahrenspflegerin damit auf die Teilnahme an künftigen gerichtlichen Anhörungen des Betroffenen etwa generell verzichten wollte. Im Übrigen hat die Verfahrenspflegerin ausweislich ihres im Abhilfeverfahren erstatteten Berichts erst am 12. November 2021 und somit nach Erlass des amtsgerichtlichen Beschlusses Kontakt zum Betroffenen aufgenommen.

8

Da die erstinstanzliche Anhörung somit verfahrensfehlerhaft war, durfte das [X.] nicht von einer eigenen persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2020 - [X.] 344/20 - FamRZ 2021, 224 Rn. 8 mwN). Dass die Verfahrenspflegerin die Unterbringung befürwortet hat, schließt dies nicht aus.

9

2. Der Betroffene ist durch diese Verfahrensmängel in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden.

Die Feststellung, dass ein Betroffener durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 - [X.] 291/20 - FamRZ 2021, 462 Rn. 18 mwN).

Das Unterbleiben einer verfahrensordnungsgemäßen persönlichen Anhörung des Betroffenen stellt einen Verfahrensmangel dar, der derart schwer wiegt, dass der genehmigten [X.] insgesamt ein solcher Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung anhaftet. Die durch § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG angeordnete persönliche Anhörung in Anwesenheit des [X.] gehört zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien, deren Verletzung die Feststellung nach § 62 FamFG rechtfertigt (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2022 - [X.] 267/21 - FamRZ 2022, 1132 Rn. 17 mwN).

3. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf erledigten - [X.] feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (st. Rspr. des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 - [X.] 291/20 - FamRZ 2021, 462 Rn. 21 mwN).

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

[X.]     

      

[X.]     

      

Schilling

      

Günter     

      

Botur     

      

Meta

XII ZB 554/21

14.09.2022

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Ansbach, 30. November 2021, Az: 4 T 1368/21

§ 1906 Abs 1 BGB, § 62 Abs 1 FamFG, § 68 Abs 3 FamFG, § 317 Abs 1 S 1 FamFG, § 319 Abs 1 S 1 FamFG, Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.09.2022, Az. XII ZB 554/21 (REWIS RS 2022, 5281)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 5281 NJW 2022, 3795 REWIS RS 2022, 5281

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