Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12.07.2012, Az. 5 C 16/11

5. Senat | REWIS RS 2012, 4750

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Gegenstand

Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten; Zustimmung des Integrationsamtes; Zusammenhang des Kündigungsgrundes mit der Behinderung


Leitsatz

1. Bei der Prüfung nach § 91 Abs. 4 SGB IX (juris: SGB 9), ob der Kündigungsgrund nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht, ist grundsätzlich die Beeinträchtigung maßgeblich, die der Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zugrunde liegt.

2. Ein Zusammenhang im Sinne des § 91 Abs. 4 SGB IX ist nur dann gegeben, wenn sich das zur Begründung der Kündigung herangezogene Verhalten zwanglos aus der Behinderung zugrunde liegenden Beeinträchtigung ergibt und der Zusammenhang nicht nur ein entfernter ist.

Tatbestand

1

Gegenstand des Verfahrens ist die Rechtmäßigkeit der Zustimmung des Beklagten zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen der Beigeladenen und dem Kläger.

2

Der im November 1954 geborene Kläger ist seit April 1985 bei der Beigeladenen beschäftigt. Zuletzt war er als Erdbaugeräteführer im Tagebau eingesetzt. Auf seinen Antrag hin erkannte die Versorgungsverwaltung mit Bescheid vom 25. Mai 1994 wegen der "[X.] Erkrankung" und Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und Hüftgelenke auf einen Grad der Behinderung von 60.

3

Am 4. Mai 2008 nahm der Kläger gelegentlich einer Fahrradtour einen neben einem Feldweg abgestellten Bagger der Beklagten wahr, dessen Kraftstofftank nicht mit einem Schloss gesichert war. In den späten Abendstunden des gleichen Tages fuhr er mit seinem PKW zu dem Bagger, deckte den Heckbereich seines PKW mit einer Decke ab und leitete aus dem unverschlossenen Tank des Baggers ca. 80 l Dieselkraftstoff in von ihm mitgeführte Kanister ab.

4

Wegen dieses Vergehens beantragte die Beigeladene am 8. Mai 2008 bei dem Beklagten die Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger. Mit Bescheid vom 23. Mai 2008 stellte der Beklagte fest, dass die Zustimmung zu der außerordentlichen Kündigung als erteilt gelte. Daraufhin kündigte die Beigeladene mit dem Kläger am 26. Mai 2008 zugegangenem Schreiben vom Vortag das Arbeitsverhältnis fristlos. Mit Bescheid vom 3. März 2009 erkannte die Versorgungsverwaltung in Bezug auf dessen Person rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung, dem 2. Oktober 2008, auf einen Grad der Behinderung von 100. Als Beeinträchtigungen stellte sie eine Depression, eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (Morbus [X.]) und Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und Hüftgelenke fest.

5

Das Verwaltungsgericht hat der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 23. Mai 2008 erhobenen Anfechtungsklage stattgegeben. Der angefochtene Bescheid sei aufzuheben, da ein mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Kündigungsgrund und der Behinderung nicht ausgeschlossen werden könne; der Beklagte trage insoweit die Feststellungslast.

6

Auf die Kündigungsschutzklage des [X.] hat das Arbeitsgericht festgestellt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die Kündigung der Beigeladenen nicht aufgelöst worden. Deren Berufung hat das [X.] zurückgewiesen. Beide Gerichte haben ihre Entscheidung allein auf die verwaltungsgerichtliche Aufhebung der Zustimmung des Beklagten gestützt.

7

Das Berufungsgericht hat das verwaltungsgerichtliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Die fingierte Zustimmung des Beklagten zur außerordentlichen Kündigung sei rechtmäßig. Das behördliche Ermessen sei gebunden gewesen. In den Fällen einer verhaltensbedingten Kündigung sei ein Zusammenhang zwischen der Behinderung und dem Kündigungsgrund erst gegeben, wenn die jeweilige Behinderung unmittelbar oder mittelbar zu Defiziten in der Einsichtsfähigkeit und/oder Verhaltenssteuerung des schwerbehinderten Arbeitnehmers geführt habe, denen behinderungsbedingt nicht habe entgegengewirkt werden können, und wenn das einer Kündigung aus wichtigem Grund zugrunde liegende Verhalten des schwerbehinderten Arbeitnehmers gerade auf diese behinderungsbedingte, mangelhafte Verhaltenssteuerung zurückzuführen sei. Das Verhalten des schwerbehinderten Menschen müsse sich dafür zumindest zwanglos aus der Behinderung ergeben und der Zusammenhang dürfe nicht nur ein entfernter sein. Solcher Art zwanglos ergebe sich die von dem Kläger begangene [X.] weder aus dem Morbus [X.] noch aus den Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und Hüftgelenke, die der Feststellung eines Grades der Behinderung von 60 zugrunde gelegen hätten. Maßgeblich seien grundsätzlich nur die Beeinträchtigungen, die der im Bescheid der Versorgungsverwaltung getroffenen Feststellung der Behinderung bzw. deren Grades zugrunde liegen. Das ergebe sich aus Existenz und Funktion des versorgungsbehördlichen Feststellungsverfahrens. Es sei nicht Aufgabe des Integrationsamtes, in diese Feststellungen einer Behinderung durch die Versorgungsverwaltung nicht eingeflossene Erkrankungen auf einen Zusammenhang mit dem Kündigungsgrund zu untersuchen. [X.] könne, ob sich aus der der Festsetzung eines Grades der Behinderung von 100 zugrunde liegenden Depression das Verhalten des [X.] zwanglos ergebe, da diese Feststellung zwar rückwirkend, jedoch erst mit Wirkung ab dem 2. Oktober 2008 und damit für einen auf das Verhalten des [X.] folgenden Zeitraum ausgesprochen worden sei.

8

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, das Berufungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, die fingierte Zustimmung zur Kündigung sei rechtmäßig. Die behördliche Ermessensentscheidung gründe auf einer unzureichend ermittelten Tatsachengrundlage. Ein mittelbarer Zusammenhang zwischen der ihm vorgeworfenen Pflichtverletzung und der Behinderung könne zumindest nicht ausgeschlossen werden. Ein solcher sei wenn nicht in Bezug auf den Morbus [X.], dessen Folge oftmals psychische Erkrankungen seien, so doch in Bezug auf eine zusätzliche, im maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht förmlich anerkannte seelische Behinderung anzunehmen. Es könne hierbei nicht darauf ankommen, ob sämtliche Folgen der Schwerbehinderung bereits durch Bescheid festgestellt worden seien. Der Beklagte sei verpflichtet gewesen aufzuklären, ob zwischen der psychischen Beeinträchtigung und dem Kündigungsgrund ein Zusammenhang bestanden habe.

9

Der Beklagte und die Beigeladene verteidigen das Urteil des Berufungsgerichts.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss verletzt nicht Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen (1.). Mit Bundesrecht im Einklang steht zudem die Annahme, die Zustimmung der Beklagten zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des [X.] mit der Beigeladenen sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten (2.).

1. Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) (a). Der Kläger verfügt über das erforderliche Rechtsschutzinteresse (b).

a) Sein Rechtsschutz richtet sich nach den für die Anfechtung von Verwaltungsakten geltenden Vorschriften. Gemäß § 91 Abs. 3 Satz 1 des [X.] (Art. 1 des Gesetzes vom 19. Juni 2001, [X.] 1046), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 2007 ([X.] 2984), - [X.] - trifft das [X.] die Entscheidung über die Zustimmung zu der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses innerhalb von zwei Wochen vom Tage des Eingangs des Antrages an. Wird innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung gemäß § 91 Abs. 3 Satz 2 [X.] als erteilt. Der [X.] führt zur Anwendung sämtlicher Vorschriften und Grundsätze, die maßgebend wären, wenn das [X.] die Zustimmung ausdrücklich erteilt hätte (Urteile vom 15. Dezember 1988 - BVerwG 5 [X.] 67.85 - BVerwGE 81, 84 <90 f.> = [X.] 436.61 § 18 [X.] Nr. 2 S. 4 f. und vom 10. September 1992 - BVerwG 5 [X.] 39.88 - BVerwGE 91, 7 <10> = [X.] 436.61 § 18 [X.] Nr. 5 S. 14 m.w.N.).

b) Der Kläger hat ein schutzwürdiges Interesse an einer Sachentscheidung des Gerichts, weil im Fall der Erfolglosigkeit der Revision die Beigeladene Restitutionsklage nach § 79 ArbGG i.V.m. § 580 Nr. 6 ZPO mit dem Ziel der Abweisung der Kündigungsschutzklage des [X.] erheben könnte (vgl. [X.], Urteile vom 25. November 1980 - 6 [X.] - [X.]E 34, 275 <277> und vom 17. Juni 1998 - 2 [X.] - juris Rn. 15).

2. Gemäß § 85 [X.] bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des [X.]es. Nach § 91 Abs. 4 [X.] soll das [X.] die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zustimmungsentscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Zugangs der arbeitgeberseitigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei dem schwerbehinderten Menschen, der hier am 26. Mai 2008 erfolgte (vgl. Beschlüsse vom 7. März 1991 - BVerwG 5 [X.] - [X.] 436.61 § 12 [X.] Nr. 3 S. 2 und vom 22. Januar 1993 - BVerwG 5 [X.] - [X.] 436.61 § 15 [X.] 1986 Nr. 7 S. 18).

Das Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung von einem mit Bundesrecht in Einklang stehenden Prüfungsmaßstab ausgegangen (a). Seine auf der Grundlage dieses Maßstabs getroffene Sachverhaltswürdigung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden (b).

a) Ohne Verstoß gegen Bundesrecht nimmt das Berufungsgericht an, für die Entscheidung, ob der Kündigungsgrund im Zusammenhang mit der Behinderung stehe, sei von dem Kündigungsgrund, den der Arbeitgeber angegeben hat, (aa) und von den der Behinderung zugrunde liegenden Beeinträchtigungen ([X.]) auszugehen. Keinen Bedenken begegnet die weitere Annahme, ein solcher Zusammenhang sei in den Fällen einer verhaltensbedingten Kündigung gegeben, wenn sich das Verhalten des schwerbehinderten Arbeitnehmers zwanglos aus der Behinderung ergebe und der Zusammenhang nicht nur ein entfernter sei ([X.]).

aa) Maßgeblich für die Entscheidung, ob der Kündigungsgrund im Zusammenhang mit der Behinderung steht, ist der von dem Arbeitgeber geltend gemachte Kündigungsgrund.

Die Kündigung muss auf bestimmte, nachprüfbare und sozial zu würdigende Gründe gestützt werden (§ 1 Abs. 2 des Kündigungsschutzgesetzes - [X.] - in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1969 <[X.] 1317>, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 26. März 2008 <[X.] 444>). [X.] ist der der Kündigung zugrunde liegende Sachverhalt auf die von dem Arbeitgeber vorgegebenen Kündigungsgründe und den dahinterstehenden Lebenssachverhalt eingegrenzt. Die Zustimmung des [X.]es zu dieser Kündigung ist öffentlich-rechtliche Voraussetzung für deren Wirksamkeit. Dies setzt zwingend voraus, dass der Gegenstand der öffentlich-rechtlichen Prüfung demjenigen der arbeitsrechtlichen Prüfung entspricht (Urteil vom 2. Juli 1992 - BVerwG 5 [X.] 39.90 - BVerwGE 90, 275 <281> = [X.] 436.61 § 21 [X.] 1986 Nr. 3 S. 8; Beschlüsse vom 7. März 1991 a.a.[X.] f. und vom 18. September 1996 - BVerwG 5 B 109.96 - [X.] 436.61 § 21 [X.] Nr. 8 S. 3).

[X.]) Für die Beurteilung des Bestehens eines Zusammenhangs im Sinne des § 91 Abs. 4 [X.] sind dem Kündigungsgrund die der Behinderung zugrunde liegenden Beeinträchtigungen gegenüberzustellen. Dabei ist grundsätzlich von der in dem Verfahren nach § 69 [X.] nachgewiesenen Behinderung auszugehen (1). [X.] ist darüber hinaus eine Behinderung, hinsichtlich derer eine versorgungsbehördliche Feststellung trotz Antragstellung ohne Vertretenmüssen des Antragstellers noch nicht getroffen ist. Gleiches gilt für eine offenkundige Behinderung (2).

(1) Die §§ 85 ff. [X.] knüpfen den öffentlich-rechtlichen Sonderkündigungsschutz schwerbehinderter Menschen allein an das Bestehen der Schwerbehinderteneigenschaft. Diese gründet auf der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 und 2 [X.]. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der [X.] beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 2 [X.] sind sie schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 [X.] rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Für die Frage, ob ein Mensch diese Voraussetzungen erfüllt, bedarf es keiner behördlichen Anerkennung (Urteile vom 17. September 1981 - BVerwG 2 [X.] 4.79 - [X.] 232 § 32 [X.] Nr. 29 S. 5 und vom 11. Juli 1985 - BVerwG 7 [X.] 44.83 - BVerwGE 72, 8 <9 f.> = [X.] 422.2 Rundfunkrecht Nr. 11 S. 14; [X.], Urteil vom 25. Mai 1972 - 2 [X.] - [X.]E 24, 264 <266>). Der Status als schwerbehinderter Mensch beginnt grundsätzlich im Zeitpunkt der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen (stRspr, vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2001 - [X.] SB 3/01 R - [X.], 79 <81> m.w.N.).

Der Schutz des Schwerbehindertenrechts greift nicht von Amts wegen, sondern erst dann ein, wenn der schwerbehinderte Mensch ihn in Anspruch nimmt. Grundsätzlich obliegt es ihm, den Nachweis seiner Schwerbehinderteneigenschaft durch eine behördliche Feststellung zu führen. Die Befugnis, die Statusfeststellung zu beantragen, ist allein dem schwerbehinderten Menschen vorbehalten. Mit der Beschreitung des in § 69 [X.] vorgesehen Feststellungsverfahrens gibt der schwerbehinderte Mensch zu erkennen, dass er sich auf die gesetzlichen Schutzrechte berufen will (Urteile vom 17. September 1981 a.a.[X.] und vom 15. Dezember 1988 - BVerwG 5 [X.] 67.85 - BVerwGE 81, 84 <86 f.> = [X.] 436.61 § 18 [X.] Nr. 2 S. 3; BSG, Urteile vom 6. Dezember 1989 - 9 RVs 4/89 - [X.], 120 <123 f.> und vom 7. April 2011 - [X.] SB 3/10 R - [X.] 4-3250 § 69 Nr. 13 = juris Rn. 20). Die in diesem Verfahren von den zuständigen Behörden getroffenen Statusentscheidungen nach § 69 Abs. 1 Satz 1 [X.] über das Vorliegen und den Grad einer Behinderung sowie über weitere gesundheitliche Merkmale im Sinne des § 69 Abs. 4 [X.] sind für andere Behörden bei der Prüfung inhaltsgleicher Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung von Vergünstigungen und Nachteilsausgleichen bindend (vgl. Urteile vom 17. Dezember 1982 - BVerwG 7 [X.] 11.81 - BVerwGE 66, 315 <319 ff.> = [X.] 422.2 Rundfunkrecht Nr. 8 S. 7 ff., vom 11. Juli 1985 a.a.[X.] S. 13 f. und vom 27. Februar 1992 - BVerwG 5 [X.] 48.88 - BVerwGE 90, 65 <69 f.> m.w.N. aus der Rechtsprechung des [X.] und des [X.]). Von dieser Bindungswirkung nicht erfasst sind hingegen die den Feststellungen zugrunde liegenden Beeinträchtigungen, die in der Begründung des entsprechenden Bescheids darzulegen sind (BSG, Urteile vom 6. Dezember 1989 - 9 RVs 3/89 - juris Rn. 13, vom 5. Mai 1993 - 9/9a RVs 2/92 - [X.] 3-3870 § 4 Nr. 5 S. 26 f. und vom 28. April 1999 - [X.] SB 5/98 R - [X.] 3-1300 § 24 Nr. 15 S. 44). Diese Beeinträchtigungen sind aber maßgeblich für die Beantwortung der Frage, ob im Sinne des § 91 Abs. 4 [X.] ein Zusammenhang zwischen dem Kündigungsgrund und der Behinderung auszuschließen ist. Dies folgt insbesondere aus dem systematischen Verhältnis zwischen dem Verfahren der Statusfeststellung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 [X.] und dem besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte.

Ob der in Rede stehende Zusammenhang nicht besteht, erschließt sich nicht aus dem Verhältnis des (konkreten) Kündigungsgrundes zu der Statusfeststellung über das Vorliegen einer unbenannten Behinderung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Abzustellen ist vielmehr auf eine konkrete Beeinträchtigung. Da der besondere Kündigungsschutz in der Regel die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung voraussetzt, ist aus systematischen Gründen die Beeinträchtigung maßgeblich, die dieser auch für das [X.] mit Blick auf den Sonderkündigungsschutz bindenden Feststellung zugrunde liegt. Die hiermit einhergehende Eingrenzung des [X.] der für die Zusammenhangsbeurteilung zu berücksichtigenden Beeinträchtigungen gewährleistet für den Regelfall die Symmetrie der Prüfungsgegenstände des Feststellungsverfahrens einerseits und des Zustimmungsverfahren andererseits und vermeidet, dass im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Sonderkündigungsschutzes Beeinträchtigungen zu berücksichtigen sind, deren Nachweis nicht zuvor in dem hierfür vorgesehenen Verfahren nach § 69 Abs. 1 Satz 1 [X.] geführt wurde.

Die grundsätzliche Beschränkung der Zusammenhangsprüfung auf die der festgestellten Behinderung zugrunde liegenden Beeinträchtigungen korreliert mit der gesetzgeberischen Konzeption, dem Interesse insbesondere des Arbeitgebers an einer schnellen Klärung der Rechtslage Rechnung zu tragen (BTDrucks 7/656 S. 30). Ausdruck des Beschleunigungsgebotes ist sowohl die zweiwöchige Entscheidungsfrist des § 91 Abs. 3 Satz 1 [X.] als auch die Zustimmungsfiktion des § 91 Abs. 3 Satz 2 [X.]. Diesem gesetzgeberischen Ziel liefe es zuwider, wenn das [X.] gemäß § 91 Abs. 4 [X.] im Regelfall verpflichtet wäre, die zeitlich eng begrenzte Prüfung des Zusammenhangs grundsätzlich auch auf solche Beeinträchtigungen zu erstrecken, die bislang nicht Grundlage einer Feststellung im Verfahren des § 69 [X.] waren. Dagegen spricht auch, dass der Gesetzgeber die Statusfeststellungen nach § 69 Abs. 1 Satz 1 [X.] aus Gründen der besonderen Sachkunde bei der dafür zuständigen Behörde konzentriert hat (vgl. Urteile vom 17. Dezember 1982 a.a.[X.] <319> und vom 15. Dezember 1988 a.a.[X.] <89>).

Sinn und Zweck des § 91 Abs. 4 [X.] und des Sonderkündigungsschutzes insgesamt laufen der Beschränkung auf die der festgestellten Behinderung zugrunde liegenden Beeinträchtigung nicht zuwider. Die gesetzliche Regel, dass die Zustimmung zu erteilen ist, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht, ist Ausdruck des Umstands, dass der öffentlich-rechtliche Sonderkündigungsschutz nicht darauf zielt, den schwerbehinderten Menschen gegenüber nichtbehinderten Menschen besserzustellen, sondern allein bezweckt, diesen vor spezifisch behinderungsbedingten Gefahren zu bewahren und sicherzustellen, dass er gegenüber gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen gerät. Diese fürsorgerische Prägung hat grundsätzlich Leitlinie bei der Ermessensentscheidung des [X.]es zu sein, ob der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen zuzustimmen ist (vgl. Urteile vom 28. Februar 1968 - BVerwG 5 [X.] 33.66 - BVerwGE 29, 140 <141> = [X.] 436.6 § 14 [X.] Nr. 5 S. 19, vom 15. Dezember 1988 - BVerwG 5 [X.] 67.85 - BVerwGE 81, 84 <89> = [X.] 436.61 § 18 [X.] Nr. 2 S. 6, vom 2. Juli 1992 - BVerwG 5 [X.] 39.90 - BVerwGE 90, 275 <282> = [X.] 436.61 § 21 [X.] 1986 Nr. 3 S. 9 f. und vom 10. September 1992 - BVerwG 5 [X.] 39.88 - BVerwGE 91, 7 <9 f.> = [X.] 436.61 § 18 [X.] Nr. 5 S. 14 und - BVerwG 5 [X.] 80.88 - [X.] 436.61 § 18 [X.] Nr. 6 S. 23, Beschlüsse vom 12. Juni 1978 - BVerwG 5 [X.] - [X.] 436.6 § 33 [X.] Nr. 9 S. 8, vom 11. Mai 2006 - BVerwG 5 [X.] - [X.] 2007, 107 und vom 31. Juli 2007 - BVerwG 5 B 81.06 - juris Rn. 5). Des besonderen Kündigungsschutzes bedarf es typischerweise nicht, wenn ein Zusammenhang zwischen dem Kündigungsgrund und der Behinderung ausgeschlossen ist. Daran gemessen wahrt die hier in Rede stehende Beschränkung auf die der festgestellten Behinderung zugrunde liegende Beeinträchtigung die von Sinn und Zweck des § 91 Abs. 4 [X.] und des Sonderkündigungsschutzes gezogene Grenze.

(2) Der festgestellten Behinderung steht diejenige Behinderung gleich, hinsichtlich derer eine Feststellung trotz Antragstellung ohne Vertretenmüssen des Antragstellers noch nicht getroffen wurde. Der Erbringung des Nachweises der Behinderung im Wege behördlicher Feststellung bedarf es zudem ausnahmsweise nicht, wenn diese entbehrlich ist, weil sie sich gleichsam aufdrängt. Dies ist der Fall, wenn die Schwerbehinderung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung offensichtlich ist (BTDrucks 15/2357 S. 24; vgl. Urteil vom 15. Dezember 1988 - BVerwG 5 [X.] 67.85 a.a.[X.]; [X.], Urteile vom 27. Februar 1987- 7 [X.] - [X.] 1988, 429 <430>, vom 28. Juni 1995 - 7 [X.] - [X.] 1996, 374 <376>, vom 7. März 2002 - 2 [X.] - [X.]E 100, 355 <361>, vom 24. November 2005 - 2 [X.] - [X.] 2006, 665 <667> und vom 13. Februar 2008 - 2 [X.] - [X.]E 125, 345 Rn. 17; ferner [X.], Beschluss vom 8. Juni 2011 - 12 ZB 10.1727 - juris Rn. 6).

[X.]) Das Berufungsgericht geht im Einklang mit Bundesrecht davon aus, dass im Rahmen des § 91 Abs. 4 [X.] nicht jedweder Einfluss der Behinderung auf das Verhalten des schwerbehinderten Menschen genügt, insbesondere ein Zusammenhang im Sinne einer conditio sine qua non nicht ausreicht.

Gemessen an der § 91 Abs. 4 [X.] zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertung, den schwerbehinderten Menschen vor einer nichtbehinderungsbedingten außerordentlichen Kündigung nicht stärker zu schützen als nichtbehinderte Menschen (vgl. [X.]) (1)), ist der Begriff des Zusammenhangs zwischen der Behinderung und dem Kündigungsgrund im Sinne des § 91 Abs. 4 [X.] im Lichte der Zielsetzungen des Fürsorgeprinzips auszulegen. Die Auslegung hat zum einen dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der öffentlich-rechtliche Sonderkündigungsschutz gerade im Bereich der außerordentlichen Kündigung nicht dazu zu dienen bestimmt ist, den schwerbehinderten Menschen zu bevorzugen, sondern allein auf den Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile gerichtet ist. Zum anderen muss der unmittelbare Zusammenhang bei natürlicher Betrachtung gegeben sein. Im Falle von durch die Behinderung begründeten Defiziten in der Einsichtsfähigkeit oder Verhaltenssteuerung muss das einer Kündigung aus wichtigem Grund zugrunde liegende Verhalten des schwerbehinderten Arbeitnehmers nachvollziehbar gerade auf diese behinderungsbedingten Defizite zurückzuführen sein, ohne dass für seine Herleitung etwa auf Mutmaßungen zurückgegriffen werden muss. Maßgeblich ist, ob sich das Verhalten des schwerbehinderten Menschen zwanglos aus der Behinderung ergibt und der Zusammenhang nicht nur ein entfernter ist (vgl. [X.], Urteil vom 25. Februar 1963 - 2 AZR 313/62 -, [X.] Nr. 4 zu § 19 [X.] Bl. 532).

b) Nach diesen Maßstäben ist die Würdigung des Berufungsgerichts, die [X.] ergebe sich solchermaßen zwanglos weder aus dem Morbus [X.]rohn (aa) noch aus den Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und den Hüftgelenken ([X.]) und es sei nicht Aufgabe des [X.]es, nicht in die Statusentscheidung der [X.] eingeflossene Erkrankungen auf einen Zusammenhang mit dem Kündigungsgrund zu untersuchen ([X.]), revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

aa) Dies gilt insbesondere für die Würdigung, die der außerordentlichen Kündigung zugrunde liegende [X.] sei nicht gerade auf eine etwaige in dem Morbus [X.]rohn wurzelnde mangelhafte Verhaltenssteuerung zurückzuführen, da sich das entsprechende Verhalten des [X.] nicht zwanglos aus der chronisch-entzündlichen Darmerkrankung ergebe, solches nehme auch nicht das im arbeitsgerichtlichen Verfahren eingeholte fachärztliche Gutachten an.

Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatgerichts ist gemäß § 137 Abs. 2 VwGO der Überprüfung im Revisionsverfahren grundsätzlich entzogen. Sie ist vom Revisionsgericht nur auf die Verletzung allgemeinverbindlicher Beweiswürdigungsgrundsätze zu überprüfen, zu denen die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB), die gesetzlichen Beweisregeln, die Denkgesetze und die allgemeinen Erfahrungssätze zählen (vgl. Urteile vom 6. Februar 1975 - BVerwG 2 [X.] 68.73 - BVerwGE 47, 330 <361> = [X.] 232 § 7 [X.] Nr. 3 S. 29 f., vom 27. November 1980 - BVerwG 2 [X.] 38.79 = BVerwGE 61, 176 <188> = [X.] 237.1 Art. 9 BayBG Nr. 2 S. 39, vom 13. Dezember 1988 - BVerwG 1 [X.] 44.86 - BVerwGE 81, 74 <76> und vom 17. Mai 1995 - BVerwG 5 [X.] 20.93 - BVerwGE 98, 203 <209>). Derartige Verstöße sind hier nicht erkennbar. Die Revision zieht aus vorliegenden medizinischen Erkenntnissen anders als das Oberverwaltungsgericht den Schluss, der Morbus [X.]rohn habe zu psychischen Auffälligkeiten geführt, die wiederum bewirkt hätten, dass der Kläger zeitweise, so auch im Zeitpunkt der Tatbegehung, seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit eingebüßt habe, weshalb ein mittelbarer Zusammenhang zwischen der der anerkannten Behinderung zugrunde liegenden Beeinträchtigung "Morbus [X.]rohn" und dem den Kündigungsgrund ausmachenden Tatverhalten bestehe. Damit beschränkt sie sich auf Angriffe gegen die Richtigkeit der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung, ohne revisionsrechtlich beachtliche Fehler dieser Sachverhaltswürdigung aufzuzeigen.

Der Kläger hat die Sachverhaltswürdigung auch nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen. Soweit sich die Revision auf ein Ermittlungsdefizit im Verwaltungsverfahren beruft, weil der Beklagte trotz der verschiedenen in das Verfahren eingeführten medizinischen Erkenntnisse die Einholung eines medizinischen Gutachtens zu der Frage unterlassen habe, ob die [X.] gerade auf eine durch Morbus [X.]rohn verursachte psychische Erkrankung des [X.] zurückzuführen sei, bezeichnet sie keinen revisionsrechtlich beachtlichen Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwG[X.] Hierfür müsste dargelegt werden, dass das Oberverwaltungsgericht in dem anschließenden Gerichtsverfahren nicht der ihm obliegenden Verpflichtung nachgekommen ist zu prüfen, ob die behördliche Ermessensentscheidung im Ergebnis auf einer zutreffenden, insbesondere ausreichend ermittelten Tatsachengrundlage beruht (Urteil vom 1. Dezember 1987 - BVerwG 1 [X.] 29.85 - BVerwGE 78, 285 <295 f.> = [X.] 402.24 § 10 AuslG Nr. 114 S. 13). Daran fehlt es hier.

[X.]) Nicht in erheblicher Weise entgegengetreten ist die Revision der Würdigung des Berufungsgerichts, die Diebstahlshandlung ergebe sich nicht zwanglos aus den Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und Hüftgelenke.

[X.]) Im Einklang mit Bundesrecht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass von den im Verfahren nach § 69 [X.] getroffenen Feststellungen der [X.] nicht erfasste (Folge-)Erkrankungen im Rahmen der Prüfung des Bestehens eines Zusammenhangs im Sinne des § 91 Abs. 4 [X.] grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind. Dementsprechend war die mit Wirkung vom 2. Oktober 2008 seitens der [X.] festgestellte Depression nicht in die Zusammenhangsbeurteilung einzubeziehen, da sie im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung, hier am 26. Mai 2008, weder im Verfahren nach § 69 [X.] festgestellt noch offenkundig war noch deren Feststellung beantragt war.

Meta

5 C 16/11

12.07.2012

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 27. Juni 2011, Az: 12 A 705/10, Beschluss

§ 91 Abs 4 SGB 9, § 85 SGB 9, § 1 Abs 2 KSchG, § 69 Abs 1 S 1 SGB 9

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12.07.2012, Az. 5 C 16/11 (REWIS RS 2012, 4750)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4750

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Schwerbehindertenrechtlicher Kündigungsschutz


2 B 79/10 (Bundesverwaltungsgericht)

Schwerbehinderung; Feststellungsverfahren nur auf Antrag; Kenntnis des Dienstherrn von der Schwerbehinderung; Anhörung der Schwerbehindertenvertretung


2 A 4/21 (Bundesverwaltungsgericht)

Keine Beteiligung des Integrationsamtes bei der Versetzung schwerbehinderter Lebenszeitbeamter in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit


Referenzen
Wird zitiert von

4 A 2438/16

B 3 K 16.346

L 5 KR 471/15

L 5 KR 351/14

M 15 K 13.2173

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