Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.03.2008, Az. 4 StR 610/07

4. Strafsenat | REWIS RS 2008, 4970

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 [X.] vom 13. März 2008 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a.- 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 13. März 2008, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] Prof. Dr. [X.], [X.], [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] [X.]

als beisitzende [X.], Staatsanwalt

als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin, Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 10. Juli 2007 aufgeho-ben, jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen und zum [X.] aufrechterhal-ten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zustän-dige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten sei-nes Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision, die vom [X.] vertreten wird, die Verlet-zung sachlichen Rechts. Nach ihrer Auffassung hat das [X.] zu Unrecht einen strafbefreienden Rücktritt vom Totschlagsversuch sowie eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten angenommen. Der Ange-klagte rügt mit seiner Revision die Verletzung sachlichen Rechts. 1 - 4 - [X.] 1. Zwischen dem Angeklagten und seiner [X.] Ehefrau, der [X.], die im August 2004 in der [X.] geheiratet hatten, kam es nach dem Umzug nach [X.] zu erheblichen Spannungen. Während ihrer Schwangerschaft zog die Nebenklägerin vorübergehend in das Frauenhaus. Im September 2006 trennte sie sich von dem Angeklagten, zog mit ihrer im No-vember 2005 geborenen Tochter erneut ins Frauenhaus und wechselte im [X.] in das [X.] in [X.]. Dort besuchte der Ange-klagte die Nebenklägerin, der vom Familiengericht die [X.] für die ge-meinsame Tochter übertragen worden war, fast täglich. Weil es bei diesen [X.] häufig zu Streitigkeiten und auch zu Handgreiflichkeiten kam, wurde dem Angeklagten Ende Januar 2007 von der Leitung des [X.]es Hausverbot erteilt. Auf Grund einer eidesstattlichen Versicherung des Ange-klagten, die Nebenklägerin habe die gemeinsame Tochter aus dem Fenster gehalten, die der Rechtsanwalt des Angeklagten dem Jugendamt zugeleitet hatte, veranlasste dieses eine sog. Pflege-über-Nacht-Maßnahme. 2 In der Nacht vom 24. auf den 25. Februar 2007 kam der Angeklagte an der Wohnung der Nebenklägerin vorbei. Da er am Vortage von der "[X.] erfahren hatte, entschloss er sich, "auch deshalb, um sich nach dem Verbleib des Kindes zu erkundigen", die [X.] aufzusuchen. Diese war kurz zuvor mit dem [X.]in ihre Wohnung zurückgekehrt. Dem Angeklagten wurde auf sein Klopfen von der Nebenklägerin geöffnet, die ihren neuen Freund [X.]erwartete. Der Angeklagte drängte die Nebenklägerin in Richtung Wohnküche. Die [X.] rief dem [X.]zu: "[X.] ihn raus. Er hat hier nichts zu suchen". Als der Angeklagte den auf dem Sofa sitzenden Zeugen bemerkte, 3 - 5 - forderte er ihn auf, die Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte griff nach einem Messer, zwang den [X.] unter Vorhalt des Messers, die Wohnung zu verlassen, und beschimpfte die Nebenklägerin unter anderem als "billige Schlampe". Auf seine Frage, wo seine Tochter sei, entgegnete die Nebenkläge-rin, das Kind sei weg und daran treffe ihn die Schuld. Als die Nebenklägerin ihr Mobiltelefon ergriff, um die Polizei zu benach-richtigen, schlug es ihr der Angeklagte aus der Hand. Er stach unvermittelt mehrfach auf den Oberkörper der Nebenklägerin ein, wobei er deren Tod —zu-mindestfi billigend in Kauf nahm. Als diese in die Knie ging, ließ der Angeklagte von ihr ab. Er ging davon aus, dass die Nebenklägerin an den ihr zugefügten Verletzungen versterben könnte. Der Angeklagte verließ die Wohnung und warf die Tür hinter sich zu. Im Hausflur traf er auf die [X.] der [X.]. Die Zeugen [X.]und [X.]hatten die [X.] der Nebenklägerin vernommen und um 2.32 Uhr die Polizei benachrich-tigt. Ohne ein Wort an die Zeugen zu richten, eilte der Angeklagte aus dem Haus und ging zu der nächstgelegenen Polizeidienststelle. Um 2.41 Uhr er-schien er in der [X.] und erklärte dem [X.], der ihn über die Sprechanlage angesprochen hatte, in gebrochenem [X.], er habe gerade mit einem Messer auf seine Frau eingestochen. Nach seinem Namen befragt, antwortete er: —[X.] Der Angeklagte [X.] in die Wache gelassen und festgenommen. Da der Wachhabende annahm, dass es sich bei dem Angeklagten um die wegen des kurz zuvor telefonisch gemeldeten Vorfalls in dem [X.] gesuchte Person handelte, "fand keine weitere Kommunikation mit dem Angeklagten statt". 4 [X.] war es gelungen, sich bis zur Wohnungstür zu schleppen und diese auf das Klopfen ihrer Nachbarn zu öffnen. Dann brach sie 5 - 6 - im Flur ihrer Wohnung zusammen. Die Zeugen [X.] , [X.]und [X.]informierten sofort den Rettungsdienst und leisteten erste Hilfe. "Nur auf Grund dessen und der unverzüglich herbeigerufenen ärztlichen Hilfe konnte das Leben der Geschädigten gerettet werden." 2. Das [X.] hat den Angeklagten der gefährlichen Körperverlet-zung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB schuldig gesprochen. Von dem (tateinheitlich verwirklichten) beendeten Versuch des Totschlags sei der Ange-klagte "strafbefreiend" nach § 24 StGB zurückgetreten. Das [X.] hat hierzu u.a. ausgeführt: 6 "Der Angeklagte hat sich unmittelbar nach dem Tatgeschehen zur nächstgelegenen Polizeidienststelle begeben. Insoweit geht die Kammer zu Gunsten des Angeklagten davon aus, dass er hierdurch auch die schnelle Hilfe für seine Ehefrau veranlassen wollte, denn er durfte auch davon ausgehen, dass die Polizei alle notwendigen Maßnahmen zur Rettung der Zeugin E. unternehmen werde. Die Polizeidienststelle war zudem nur wenige Minuten (neun Minuten) von der Woh-nung des Opfers entfernt, so dass der Angeklagte auch in zeit-licher Hinsicht darauf vertrauen konnte, dass seine Ehefrau noch rechtzeitig Hilfe erfahren werde. Zu weiteren Angaben des Angeklagten konnte es schon deshalb nicht kommen, weil der wachhabende Beamte keine weitere Kommunikation führ-te". I[X.] Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. 7 - 7 - 1. Die Annahme des [X.], der Angeklagte sei von dem [X.] strafbefreiend zurückgetreten, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 8 Zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass der [X.] beendet war, denn der Angeklagte ging davon aus, dass die Nebenklägerin an den ihr zugefügten Stichverletzungen versterben könnte. Ist ein Versuch beendet, setzt ein Rücktritt voraus, dass der Täter entweder die Vollendung der Tat freiwillig verhindert (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 StGB) oder dass er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). Beide Varianten des § 24 Abs. 1 StGB stellen unter-schiedliche Anforderungen an die vom Täter zu erbringende Rücktrittsleistung (vgl. BGHSt 48, 147, 149/150, 151 f. in Abgrenzung zu BGHSt 31, 46 und [X.], 193). 9 a) Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 StGB setzt zwar nicht voraus, dass der Täter unter mehreren [X.] der Erfolgsverhinderung die sicherste oder "optimale" gewählt hat (vgl. BGHSt 48, 147). Erforderlich ist aber, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang setzt, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitur-sächlich wird (vgl. BGHSt 33, 295, 301; [X.], 503). Das ist nach den bisherigen Feststellungen jedoch nicht der Fall. Dass die Nebenklägerin die ihr vom Angeklagten zugefügten schweren Stichverletzungen überlebt hat, be-ruht vielmehr allein darauf, dass deren [X.] bereits bevor der Angeklagte das Haus verließ, die Polizei benachrichtigt hatten, die Nebenkläge-rin ihren [X.] die Wohnungstür öffnen konnte und diese umge-hend auch den Rettungsdienst informierten und sofort erste Hilfe leisteten. [X.] für die Verhinderung des Erfolgseintritts ursächlichen Hilfeleistungen [X.] aber nach den bisherigen Feststellungen ohne Zutun des Angeklagten. [X.]r hat weder auf die [X.], denen er im Hausflur begegnete, in irgendeiner Weise eingewirkt, noch hat er durch seine Äußerungen auf der [X.] dazu beigetragen, dass der Einsatz der von den Nachbarn alarmier-ten Rettungskräfte beschleunigt oder erleichtert wurde. b) Wird die Tat - wie hier - ohne Zutun des [X.] nicht vollendet, kommt nur ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB in Frage. Dass der Angeklagte sich freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Vollendung zu ver-hindern, ist durch die bisherigen Feststellungen jedoch ebenfalls nicht belegt. 11 § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB setzt voraus, dass der Täter alles tut, was in seinen Kräften steht und nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung er-forderlich ist, und dass er die aus seiner Sicht ausreichenden Verhinderungs-möglichkeiten ausschöpft, wobei sich der Täter auch eines [X.] bedienen kann (vgl. BGHSt 33, 295, 301/302; BGH StV 1997, 518 jew. m.w.[X.]). Wenn - wie hier - ein Menschenleben auf dem Spiel steht, sind insoweit hohe [X.] zu stellen (vgl. BGHSt 33, 295, 302). Gemessen an diesen Grundsätzen ist ein Rücktritt des Angeklagten entgegen der Auffassung der Beschwerdefüh-rerin nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil er nicht sofort mit dem [X.] herbeigerufen oder die [X.] der Nebenklägerin hierzu aufgefordert hat. Dass ein Täter objektiv schon eher et-was und möglicherweise noch mehr hätte tun können, steht der Annahme eines Rücktritts nicht entgegen (vgl. [X.], 211, 212; 1982, 467 m. w. [X.]). Maßgeblich ist vielmehr, dass der Täter, wenn er sich entschließt, die Vollen-dung der Tat zu verhindern, die aus seiner Sicht notwendigen Maßnahmen er-greift und sich um die bestmögliche Maßnahme bemüht (vgl. BGHSt 33, 295, 12 - 9 - 301/302; [X.], 596). Dass der Angeklagte dies getan hat, ist durch die bisherigen Feststellungen nicht nachvollziehbar belegt. aa) [X.] rechtlichen Bedenken begegnet schon die Annah-me des [X.], zugunsten des Angeklagten sei davon auszugehen, dass er die Polizeiwache auch deshalb aufgesucht habe, um Rettungsmaßnahmen zu veranlassen. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe gewusst, dass die Nachbarn, die ihn gesehen hätten, sich um seine Frau kümmern wür-den und ihr helfen könnten. Er selbst habe nur gedacht, dass er schnell zur Po-lizei müsse. Bei dieser Sachlage versteht es sich nicht von selbst, dass der An-geklagte beim Aufsuchen der Polizei in der Vorstellung handelte, er könne noch einen nennenswerten Beitrag zur Rettung der Nebenklägerin leisten (vgl. [X.], 300). Zwar ist es grundsätzlich zulässig, auch hinsichtlich der Rück-trittsvoraussetzungen auf den [X.] zurückzugreifen. Dies setzt aber voraus, dass bei einer Gesamtbeurteilung der [X.] eindeutige Feststellungen nicht möglich sind (vgl. [X.], 300, 301), denn es ist weder im Hinblick auf den [X.] noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. [X.], 92, 94; 2005, 1727; NStZ-RR 2005, 147, 148). Dass solche Anhaltspunkte vorliegen, ist nicht dargetan. 13 [X.]) Selbst wenn der Angeklagte, wovon das [X.] zu seinen Gunsten ausgegangen ist, die nahe gelegene Polizeiwache aufgesucht hat, um —hierdurch auch die schnelle Hilfe für seine Ehefraufi zu veranlassen, liegt nach den Feststellungen jedenfalls deshalb kein Rücktritt vor, weil er die Verhinde-rungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat. Die bloße Mitteilung des Angeklag-ten, er habe "auf seine Frau eingestochen" und die Nennung eines Namens waren [X.] auch aus der Sicht des Angeklagten, der nicht wusste, dass der wach-14 - 10 - habende Polizeibeamte bereits über den Notruf der [X.] der Nebenklägerin informiert war [X.] nicht geeignet, die sofortige Einleitung der not-wendigen Rettungsmaßnahmen zu ermöglichen. Dass der wachhabende Be-amte mit dem Angeklagten —keine weitere Kommunikation [X.] ist ohne Be-lang. Vielmehr hätte der Angeklagte die für die Einleitung von [X.] erforderlichen Hinweise auf den [X.] und darauf, dass er die [X.] zugezogen hatte, von sich aus geben müssen. Dass der Angeklagte dies getan oder jedenfalls versucht hat, lässt sich den Urteilsgründen nicht ent-nehmen. Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung. 15 2. Da die Revision der Staatsanwaltschaft zur Aufhebung des Urteils führt, ist die mit der [X.] erhobene sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils gegenstandslos. 16 II[X.] Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. 17 - 11 - Die Überprüfung des Urteils auf Grund der [X.] hat, auch soweit sich der Angeklagte gegen die Höhe der gegen ihn verhängten Strafe wendet, aus den Gründen der Antragsschrift des [X.]s keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. 18 Tepperwien [X.] [X.] [X.] Ernemann

Meta

4 StR 610/07

13.03.2008

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.03.2008, Az. 4 StR 610/07 (REWIS RS 2008, 4970)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 4970

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