Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.11.2018, Az. 3 StR 405/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 1086

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Gegenstand

Betäubungsmitteldelikt: Bestimmen eines Minderjährigen zum Handel mit Betäubungsmitteln und Überlassung der Betäubungsmittel; Konkurrenzverhältnis und Strafzumessung


Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 19. April 2018

a) im Schuldspruch zum Fall 13 der Anklage dahin geändert, dass der Angeklagte des Bestimmens einer Person unter 18 Jahren zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren jeweils als Person über 21 Jahre und mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln schuldig ist,

b) aufgehoben in den Aussprüchen über die Einzelstrafe zum Fall 13 der Anklage sowie über die Gesamtstrafe; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrecht erhalten.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Bestimmens einer Person unter 18 Jahren zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahre in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren als Person über 21 Jahre in 83 Fällen, davon in 74 Fällen in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in neun Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln, des Erwerbs von Betäubungsmitteln in fünf Fällen sowie wegen Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat; zudem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen.

2

Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Erfolg.

I.

3

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Schuldspruch zum Fall 13 der Anklage (mit weiteren Anklagevorwürfen dargestellt unter [X.] der Urteilsgründe) und den gesamten Strafausspruch beschränkt.

4

1. Zwar enthält das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft keinen Antrag und in der Begründung den Hinweis, dass es unbeschränkt sein soll; dieser steht jedoch im Widerspruch zu den weiteren Ausführungen. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 [X.] war daher der Umfang des Anfechtungswillens durch Auslegung zu ermitteln (vgl. [X.], Urteile vom 11. Juni 2014 - 2 [X.], [X.], 285; vom 18. Dezember 2014 - 4 StR 468/14, [X.], 88, 89 mwN). Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung hat die Beschwerdeführerin zu erkennen gegeben, dass sie sich allein gegen den Schuldspruch zum Fall 13 der Anklage und die Strafzumessung wendet; mangels Beanstandung eines weiteren Rechtsfehlers ist kein weiteres Angriffsziel zu erkennen.

5

2. Diese Beschwerdepunkte können nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbständig geprüft und beurteilt werden, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (vgl. KK-Gericke, [X.], 7. Aufl., § 344 Rn. 5, 6 mwN). Dies gilt auch mit Blick auf die Einwendungen der Revision gegen die von der [X.] angenommenen Wirkstoffgehalte der Betäubungsmittel. Selbst wenn insoweit der Rechtsmittelangriff begründet und ein höherer Wirkstoffgehalt zugrunde zu legen wäre, würde dies am Schuldspruch nichts ändern, da angesichts der festgestellten Bruttogewichte auch bei Feststellung eines höheren [X.] ausgeschlossen werden kann, dass die Grenze zur nicht geringen Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG über-schritten ist.

II.

6

1. Nach den zum Fall 13 der Anklage getroffenen Feststellungen des [X.]s fragte der Angeklagte im [X.] 2015 die seinerzeit 14 Jahre alte Zeugin [X.], ob sie für ihn [X.] verkaufen wolle; die tatgeneigte Zeugin entschloss sich dazu und willigte ein. Daraufhin übergab er ihr drei Tabletten [X.] zum gewinnbringenden Weiterverkauf. Die Zeugin zahlte je Tablette 5 € an den Angeklagten und verkaufte sie für 7,50 € weiter.

7

a) Das [X.] hat diese Tat als Bestimmen einer Person unter 18 Jahren zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahre in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 1, § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG, § 52 StGB) gewürdigt, einen minder schweren Fall im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG angenommen und auf eine [X.] von einem Jahr und einen Monat Freiheitsstrafe erkannt.

8

b) Dieser Schuldspruch ist unvollständig und zugunsten des Angeklagten durchgreifend rechtsfehlerhaft. Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte zugleich den Tatbestand der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren (§ 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG) erfüllt. Wegen des verschiedenartigen Unrechtsgehalts zwischen dem Bestimmen und der Abgabe bei ein und demselben Güterumsatz ist Tateinheit anzunehmen ([X.], Urteil vom 11. Januar 2018 - 3 [X.], [X.], 482).

9

Der [X.] hat den Schuldspruch entsprechend umgestellt; § 265 [X.] steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders hätten verteidigen können.

c) Die in diesem Fall verhängte [X.] beruht auf dem aufgezeigten Rechtsfehler. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass die [X.] einen minder schweren Fall verneint und auf eine höhere Strafe erkannt hätte, wenn sie die tateinheitliche Verwirklichung des weiteren Verbrechenstatbestandes in den Blick genommen hätte, zumal die Strafuntergrenze des § 29a Abs. 1 BtMG über derjenigen des von der [X.] angewendeten § 30a Abs. 3 BtMG liegt und die Voraussetzungen des § 29a Abs. 2 BtMG nicht ohne Weiteres ersichtlich sind.

2. Die Strafzumessung in den weiteren Einzelfällen weist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf (zum Prüfungsmaßstab vgl. [X.], Beschluss vom 10. April 1987 - [X.], [X.]St 34, 345, 349 mwN).

a) Zwar begegnet die Feststellung der Wirkstoffmengen, von denen die [X.] ausgegangen ist, rechtlichen Bedenken. Insoweit gilt:

Da bei [X.] das Unrecht der Tat und die Schuld des [X.] maßgeblich durch die Wirkstoffmenge mitbestimmt werden, sind hierzu grundsätzlich möglichst genaue Feststellungen zu treffen; eine Schätzung ist rechtsfehlerhaft, soweit sichergestellte Betäubungsmittel zur exakten Wirkstoffbestimmung zur Verfügung stehen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20. Juni 2017 - 1 StR 227/17, juris Rn. 4; [X.], vom 6. September 2005 - 3 [X.], [X.], 173). Ist eine solche nicht möglich, muss das Tatgericht unter Beachtung der anderen hinreichend sicher festgestellten Tatum-stände wie Herkunft, Preis, Aussehen, Beurteilung durch die Tatbeteiligten oder Qualität eines bestimmten Lieferanten unter Beachtung des Grundsatzes "in dubio pro reo" die für den Angeklagten günstigste Wirkstoffkonzentration schätzen (vgl. [X.], Urteil vom 24. Februar 1994 - 4 StR 708/93, juris Rn. 15; [X.]/[X.]/Volkmer-[X.], BtMG, 8. Aufl., Vor §§ 29 ff., Rn. 331). Der Tatrichter ist indes durch den [X.] nicht verpflichtet, von dem durch eine tragfähige Schätzung ermittelten Wirkstoffgehalt nochmals einen Sicherheitsabschlag vorzunehmen (vgl. [X.], Urteil vom 3. Mai 2017 - 2 StR 66/16, juris Rn. 8; Beschluss vom 28. Juli 2004 - 2 [X.], juris Rn. 7, für einen Sicherheitsabschlag von 30 %).

Diese Maßstäbe hat die [X.] missachtet, indem sie - mit Ausnahme des Falles 143 der Anklage, in dem 57 [X.]-Tabletten sichergestellt und begutachtet wurden - in allen Fällen von den in nicht zu beanstandender Weise geschätzten Wirkstoffmengen der Betäubungsmittel Sicherheitsab-schläge von ca. 50 % (bei [X.], Amphetamin und Kokain) bzw. von einem Drittel (bei Cannabis) vorgenommen hat. Solche Sicherheitsabschläge sind jedoch weder grundsätzlich geboten, noch lässt sich den Urteilsgründen entnehmen, dass besondere Umstände vorlagen, die Abschläge in dieser Höhe als nachvollziehbar erscheinen lassen.

b) Der [X.] kann gleichwohl angesichts der geringen Mengen, mit denen sich der Angeklagte in den Einzelfällen abgegeben hat, ausschließen, dass sich der aufgezeigte Rechtsfehler auf die Höhe der [X.]n ausgewirkt hat.

c) Auch im Übrigen hat die Überprüfung der [X.] keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben, sodass die dahingehende Revision der Staatsanwaltschaft zu verwerfen war.

3. Die Änderung des Schuldspruchs und die Aufhebung der [X.] im Fall 13 der Anklage ziehen die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

Dieser könnte abgesehen davon auch deshalb keinen Bestand haben, weil seine Begründung die hier gebotene Auseinandersetzung mit den gesamtstrafenspezifischen Umständen (vgl. [X.], Beschluss vom 13. November 2008 - 3 [X.], juris Rn. 3; Urteil vom 30. November 1971 - 1 StR 485/71, [X.]St 24, 268, 271), wie z.B. den gesamten Tatzeitraum, die Anzahl der Abnehmer und die Gesamtmenge des in Rede stehenden Rauschgifts, nicht erkennen lässt. Das [X.] hat insoweit lediglich auf die Zumessungserwägungen hinsichtlich der [X.]n Bezug genommen, das Geständnis des Angeklagten hervorgehoben und einen Härteausgleich für eine bereits vollstreckte, ansonsten einbeziehungsfähige Geldstrafe vorgenommen. Angesichts des gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 38 Abs. 2, § 39 StGB zur Verfügung stehenden Rahmens von einem Jahr und zwei Monaten bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe (die Summe der verhängten [X.]n betrug über 50 Jahre) war jedoch eine nähere Begründung für den straffen Zusammenzug erforderlich, zumal die erkannte Gesamtstrafe im unteren Bereich des Zulässigen liegt und die Besorgnis nahelegt, dass sie in dieser Höhe gewählt wurde, um die Grenze der Aussetzungsfähigkeit (§ 56 Abs. 2 Satz 1 StGB) nicht zu überschreiten (vgl. [X.], Urteil vom 19. Dezember 2000 - 5 StR 490/00, [X.], 311; [X.], StGB, 65. Aufl., § 54 Rn. 11 mwN).

4. Die jeweiligen Feststellungen sind von den [X.], die allein in der Würdigung der Umstände liegen, nicht betroffen und können bestehen bleiben; ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie den bisher getroffenen nicht entgegenstehen.

Schäfer     

        

Gericke     

        

Spaniol

        

Berg     

        

Hoch     

        

Meta

3 StR 405/18

29.11.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stade, 19. April 2018, Az: 20 Ss 13/18

§ 29 Abs 1 S 1 Nr 1 BtMG, § 29a Abs 1 Nr 1 BtMG, § 30a Abs 2 Nr 1 BtMG, § 46 StGB, § 52 StGB, § 53 StGB, § 54 StGB, § 55 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.11.2018, Az. 3 StR 405/18 (REWIS RS 2018, 1086)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 1086

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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