Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.08.2021, Az. 1 AZB 24/21

1. Senat | REWIS RS 2021, 3383

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Gegenstand

Besetzung der Einigungsstelle - sofortige Beschwerde


Leitsatz

Gegen einen landesarbeitsgerichtlichen Beschluss, durch den über die Besetzung der Einigungsstelle iSv. § 100 ArbGG entschieden wurde, ist keine sofortige Beschwerde nach § 92b ArbGG gegeben.

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des [X.] vom 9. Februar 2021 - 4 [X.] - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

Die gegen den Beschluss des [X.] vom 9. [X.]ebruar 2021 gerichtete sofortige Beschwerde ist unzulässig. Sie ist nach § 100 Abs. 2 Satz 4 [X.] unstatthaft (im Ergebnis ebenfalls: [X.]/[X.] Stand Juni 2021 § [X.] Rn. 4; GMP/Schlewing 9. Aufl. § [X.] Rn. 2; [X.]/[X.] 21. Aufl. [X.] § [X.] Rn. 1). Ob es sich bei der sofortigen Beschwerde iSv. § [X.] [X.] lediglich um einen Rechtsbehelf (für § 72b [X.] GMP/Müller-Glöge 9. Aufl. § 72b Rn. 5) oder um ein Rechtsmittel handelt (so [X.]/[X.] Stand Juni 2021 § [X.] Rn. 3; [X.]/[X.] 8. Aufl. § [X.] Rn. 1; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] 5. Aufl. [X.] § [X.] Rn. 5; für § 72b [X.] [X.]/[X.]/[X.] 5. Aufl. § 72b Rn. 4), kann dahinstehen. Auch im ersteren [X.]all ist eine sofortige Beschwerde iSv. § [X.] [X.] gegen einen im Verfahren nach § 100 [X.] ergangenen Beschluss des [X.] nicht zulässig. Der in § 100 Abs. 2 Satz 4 [X.] angeordnete Ausschluss eines weiteren „Rechtsmittels“ erfasst auch diese.

2

1. Der lediglich an den Begriff des Rechtsmittels anknüpfende Wortlaut von § 100 Abs. 2 Satz 4 [X.] verschließt sich einem solchen Verständnis nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass damit ausdrücklich nur mit Suspensiv- und Devolutiveffekt verbundene Rechtsmittel, nicht aber Rechtsbehelfe erfasst sein können, die - wie die Nichtzulassungsbeschwerde iSv. § 92a [X.] (vgl. zu ihrer Qualifizierung als Rechtsbehelf [X.] 13. Oktober 2015 - 3 [X.] 915/15 ([X.]) - Rn. 11 mwN) - erst die Durchführung eines Rechtsmittels ermöglichen sollen oder denen - wie der sofortigen Beschwerde iSd. § [X.] [X.] - zumindest ein mit einem Rechtsmittel verbundener kassatorischer Effekt zukommt. Deren jeweilige Einlegung wäre auf ein Ziel gerichtet, dass durch § 100 Abs. 2 Satz 4 [X.] gerade ausgeschlossen werden soll.

3

2. Der rechtssystematische Gesamtzusammenhang zeigt, dass sich § 100 Abs. 2 Satz 4 [X.] auch auf sofortige Beschwerden iSv. § [X.] [X.] - ungeachtet der [X.]rage ihrer Einordnung als Rechtsmittel - erstreckt. Mit dem besonderen Beschlussverfahren in § 100 [X.] soll sichergestellt werden, dass die Betriebsparteien schnellstmöglich die Gelegenheit erhalten, in den [X.]ällen, in denen sie zu keiner Einigung gelangen, eine solche mit Hilfe der Einigungsstelle zu erzielen. Diese Zielsetzung spiegelt sich nicht nur in den besonderen [X.]ristvorgaben nach § 100 Abs. 1 Satz 4 und Satz 6 sowie Abs. 2 Satz 2 [X.] wider, sondern auch in der auf eine offensichtliche Unzuständigkeit beschränkten Zurückweisungsbefugnis, die im Interesse der zügigen Errichtung einer Einigungsstelle deren umfassende gerichtliche Zuständigkeitsprüfung untersagt. Dieser mit § 100 [X.] verfolgte Zweck wird jedoch verfehlt, wenn bei einem verspätet abgesetzten, aber bereits verkündeten Beschluss des [X.] dennoch eine Beschwerdemöglichkeit eröffnet wäre. Denn im [X.]all ihrer Begründetheit wegen Versäumung der [X.]ünfmonatsfrist nach § [X.] Satz 1 [X.] müsste die Sache an das [X.] zur neuen Anhörung und Entscheidung zurückverwiesen werden (§ [X.] Satz 2 iVm. § 72b Abs. 5 Satz 1 [X.]). Demgegenüber führt eine umfassende Unanfechtbarkeit der beschwerdegerichtlichen Entscheidung dazu, dass diese bereits mit ihrer Verkündung rechtskräftig wird.

4

3. Auch der Sinn und Zweck von § [X.] [X.] sprechen für ein solches Verständnis. Die Norm wurde infolge des Beschlusses des [X.] vom 26. März 2001 (- 1 BvR 383/00 -) in das Arbeitsgerichtsgesetz eingefügt ([X.]. 663/04 S. 11, 33 f.). Mit diesem hatte das [X.] darauf erkannt, dass eine landesarbeitsgerichtliche Entscheidung, in der die Revision nicht zugelassen wurde und deren vollständige Gründe erst mehr als fünf Monate nach Verkündung unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben wurden, gegen Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verstößt, weil sie keine geeignete Grundlage mehr für das Revisionsgericht sein kann, um das Vorliegen von [X.] in rechtsstaatlicher Weise zu überprüfen. Ein [X.], das ein Urteil in vollständiger [X.]assung erst so spät absetzt, erschwert dadurch für die unterlegene [X.] den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise ([X.] 26. März 2001 - 1 BvR 383/00 - zu [X.] 2 c der Gründe). Dem sollte § [X.] [X.] - bezogen auf das Beschlussverfahren - abhelfen ([X.]. 663/04 S. 49, 52 f.). Diese Zielsetzung greift bei landesarbeitsgerichtlichen Entscheidungen über die Besetzung der Einigungsstelle nicht. Denn ein weiterer Instanzenzug ist gegen diese nicht eröffnet.

5

4. Aus der Gesetzeshistorie folgt nichts Gegenteiliges.

6

Bereits das Arbeitsgerichtsgesetz vom 3. September 1953 ([X.]I S. 1267) sah eine - dem heutigen § 100 [X.] - entsprechende Regelung für ein „Beschlußverfahren in besonderen [X.]ällen“ vor, mit dem über die Anzahl der Beisitzer und die Person des unparteiischen Vorsitzenden für eine nach dem [X.] 1952 zwischen den Betriebsparteien zu bildende Einigungsstelle entschieden werden sollte. Hierüber sollte nach § 98 Abs. 1 [X.] 1953 erstinstanzlich der Vorsitzende der Kammer allein entscheiden. Nach § 98 Abs. 2 Satz 1 [X.] 1953 fand hiergegen die Beschwerde an den „Vorsitzenden des [X.]“ statt, wobei gegen dessen Beschluss nach § 98 Abs. 2 Satz 3 [X.] 1953 kein Rechtsmittel gegeben war. Das im Rahmen eines Beschlussverfahrens gegen zweitinstanzliche Entscheidungen damals grundsätzlich mögliche „Rechtsmittel“ beschränkte sich allerdings ausschließlich auf die Rechtsbeschwerde. Diese war nach § 92 Abs. 1 [X.] 1953 nur statthaft, wenn sie in dem Beschluss des [X.] zugelassen war - wobei eine Zulassung nach dem im Verfahren nach § 98 [X.] 1953 nicht geltenden § 91 Abs. 3 [X.] 1953 nur wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache in Betracht kam (§ 98 Abs. 2 Satz 2 [X.] 1953) - oder wenn sie in entscheidungserheblicher Weise von einer Entscheidung des [X.] abwich. Nachdem § 98 [X.] 1953 im Rahmen der Neufassung des [X.]es vom 15. Januar 1972 ([X.]I S. 13) zunächst nur sprachlich modifiziert und an die Änderungen des [X.]es angepasst worden war (vgl. [X.]. VI/1786 S. 46 f.), wurde die Norm auch im Rahmen der Neugestaltung des Arbeitsgerichtsgesetzes durch das Gesetz zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vom 21. Mai 1979 ([X.]I S. 545) lediglich um den Satz ergänzt, dass eine Zurückweisung des Antrags wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle ausschließlich im [X.]all ihrer offensichtlichen Unzuständigkeit erfolgen kann. Trotz der zeitgleich vorgenommenen Einführung der Möglichkeit zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde in § 92a [X.] wurde der [X.] im - damaligen - § 98 Abs. 2 Satz 3 [X.] sprachlich nicht angepasst. Im Rahmen der durch Art. 7 Nr. 4 des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9. Dezember 2004 ([X.]I S. 3220) erfolgten Einfügung ua. von § 72b [X.] fand ebenfalls keine Änderung der Norm statt. Anhaltspunkte, dass damit zumindest in verfahrensrechtlicher Hinsicht eine weitere Überprüfung landesarbeitsgerichtlicher Entscheidungen durch das [X.] im Verfahren über die gerichtliche Bestellung der Einigungsstelle verbunden sein sollte, lassen sich den Gesetzesbegründungen nicht entnehmen. Vielmehr spricht der Umstand, dass der Gesetzgeber durch Art. 3 des [X.] vom 13. August 1980 ([X.]I S. 1308) mit Wirkung zum 21. August 1980 zunächst die Rechtsmittelfrist für die Beschwerde auf zwei Wochen verkürzt sowie durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des [X.] und des [X.] vom 29. Juni 1998 ([X.]I S. 1694) mit Wirkung zum 3. Juli 1998 die erstinstanzlichen Einlassungs- und Ladungsfristen auf 48 Stunden abgekürzt und die Vorgabe in das Gesetz aufgenommen hat, dass der erstinstanzliche Beschluss den Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags zugestellt werden soll, dafür, dass der „Rechtsmittel“ausschluss in § 100 Abs. 2 Satz 4 [X.] - im Interesse einer schnellen Durchführung dieses Verfahrens - in einem umfassenden Sinn zu verstehen sein soll und damit - neben der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 92a [X.] - auch die sofortige Beschwerde nach § [X.] [X.] erfasst.

7

5. [X.]rechtlich ist vorliegend nichts anderes geboten. Von [X.] wegen bedarf eine mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung regelmäßig keiner Begründung ([X.] 30. Juni 2014 - 2 BvR 792/11 - Rn. 14; 8. Dezember 2010 - 1 BvR 1382/10 - Rn. 12). Aus Art. 6 [X.] folgt nichts Gegenteiliges (vgl. [X.] 30. Juni 2014 - 2 BvR 792/11 - Rn. 25).

        

    Schmidt    

        

    K. Schmidt    

        

    Ahrendt    

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

1 AZB 24/21

11.08.2021

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Darmstadt, 14. Dezember 2020, Az: 5 BV 21/20, Beschluss

§ 100 Abs 2 S 4 ArbGG, § 92b S 1 ArbGG, § 100 Abs 1 S 4 ArbGG, § 100 Abs 1 S 6 ArbGG, § 100 Abs 2 S 2 ArbGG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.08.2021, Az. 1 AZB 24/21 (REWIS RS 2021, 3383)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3383

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