Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.02.2015, Az. 2 StR 278/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 15362

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Gegenstand

Beweiswürdigung im Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs: Vernehmung eines Kindes 3 Jahre nach dem Tatgeschehen


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. März 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen "sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die erhobenen Verfahrensrügen, denen aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] in der Sache kein Erfolg beschieden wäre, nicht ankommt.

2

1. a) Nach den Feststellungen leckte der Angeklagte an der Scheide der zum Tatzeitpunkt (16. September 2011) vier Jahre und neun Monate alten Nebenklägerin (Fall 1). Im [X.] daran zeigte er ihr auf seinem [X.] u.a. eine Bilddatei, die eine Frau bei der Durchführung von Oralverkehr an [X.] abbildete. Sodann entblößte sich der Angeklagte und forderte die Nebenklägerin auf, seinen Penis in den Mund zu nehmen. Da sie sich weigerte, nahm er "von seinem Vorhaben, an sich den Oralverkehr durchführen zu lassen, Abstand" (Fall 2).

3

b) Der Angeklagte hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Das [X.] hat seine Überzeugung "insbesondere" auf die durch Zeugen eingeführten "glaubhaften Angaben der Nebenklägerin" gestützt. Da es "aufgrund der vergangenen [X.] und der Entwicklung, die das inzwischen siebenjährige Kind genommen hat" aus sachverständiger Sicht "keinen Sinn mehr" gemacht habe, die aussagetüchtige Nebenklägerin zu explorieren, bestand für die [X.] "kein Anlass", die Nebenklägerin selbst als Zeugin zu hören.

4

2. Gegen die Beweiswürdigung des [X.]s bestehen durchgreifende Bedenken.

5

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 30. März 2004 - 1 [X.], [X.], 238 f.; vom 2. Dezember 2005 - 5 [X.], [X.], 925, 928; Senat, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 2 [X.], [X.], 52).

6

b) Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die Beweiswürdigung hier als lückenhaft und widersprüchlich.

7

Die von der [X.] geteilte Einschätzung der Sachverständigen, wonach die Vernehmung eines Kindes, von dem eine verständliche Aussage zu erwarten ist, etwa drei Jahre nach dem Tatgeschehen nicht sinnvoll ist, ist weder belegt noch im Übrigen nachvollziehbar; einen entsprechenden Erfahrungssatz gibt es nicht (vgl. auch [X.]/[X.], [X.], 57. Aufl., Vor § 48 Rn. 13; [X.] in [X.], [X.] im Strafprozess, 6. Aufl., Rn. 306 mwN). Damit hat die [X.] nicht nur fehlerhaft von der möglich gewesenen Vernehmung der originären Zeugin abgesehen; sie hat sich auch insoweit mit der Vernehmung von Zeugen von "[X.]" begnügt, was für sich bereits in die Beweiswürdigung einzustellen wäre (vgl. [X.], Urteile vom 1. August 1962 - 3 StR 28/62, [X.]St 17, 382, 384; vom 30. Oktober 1968 - 4 [X.], [X.]St 22, 268, 271), ohne dass die [X.] dieses hinreichend berücksichtigt hat. Das [X.] hat zudem den Fall 1 als das für die Nebenklägerin "einschneidendere Ereignis" bewertet, obwohl es angesichts des [X.]ablaufs zwischen Tat und Hauptverhandlung andererseits davon ausgegangen ist, sie werde sich an die Taten nicht erinnern können.

8

Auf dieser Grundlage erweist sich die Beweiswürdigung trotz gewichtiger, den Angeklagten belastender Indizien als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

Fischer                       Appl                        Eschelbach

                  Ott                         Zeng

Meta

2 StR 278/14

18.02.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Wiesbaden, 7. März 2014, Az: 1 KLs 2261 Js 31710/11

§ 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.02.2015, Az. 2 StR 278/14 (REWIS RS 2015, 15362)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 15362

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Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 398/14

2 StR 552/19

Zitiert

2 StR 92/14

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