Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.12.2021, Az. 7 C 7/20

7. Senat | REWIS RS 2021, 194

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Gegenstand

Erweiterung einer Abfallentsorgungsanlage und Vogelschutzrichtlinie


Leitsatz

1. Der Erfolg einer Versagungsgegenklage gegen die Ablehnung eines Planfeststellungsbeschlusses beurteilt sich nach dem materiellen Recht, das im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz für das Verpflichtungsbegehren gilt. Bei Rechtsänderungen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz eintreten und die das Tatsachengericht zu berücksichtigen hätte, ist der Zeitpunkt der Entscheidung in der Revisionsinstanz maßgeblich.

2. Nach Abschluss des mitgliedstaatlichen Auswahl- und Meldeverfahrens für europäische Vogelschutzgebiete besteht eine widerlegliche Vermutung, dass im Standarddatenbogen, die für die Gebietsauswahl und -meldung wertbestimmenden Vogelarten vollständig und abschließend aufgezählt sind.

3. Die nachträgliche Einstufung einer Vogelart als wertbestimmend für ein bestimmtes Vogelschutzgebiet erfordert nicht ein erneutes Meldeverfahren nach der Vogelschutzrichtlinie mit einer Ergänzung des Standarddatenbogens.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 23. Mai 2019 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Erweiterung einer Deponie.

2

Sie betreibt im [X.] in [X.] eine Deponie mit derzeit ca. 10 ha Fläche. Im Oktober 2014 beantragte sie die Erweiterung der Deponiefläche um ca. 7,1 ha. Ungefähr 4,5 ha der Erweiterungsfläche liegen in dem knapp 17 000 ha umfassenden [X.] [X.] "[X.]", das der [X.] 2007 gemeldet worden ist. In dem der Meldung zugrundeliegenden Standarddatenbogen wird in der Artenliste der Neuntöter - neben acht anderen Vogelarten - mit vier Exemplaren erwähnt und das Vorkommen dieser Vogelart mit der Stufe "[X.]" angegeben. Unter dem Gliederungspunkt 4.2 "Quality and Importance" des [X.] heißt es: "Hohe Bedeutung für Brutvogelarten der strukturreichen Kulturlandschaft des Berglandes (Rotmilan/Uhu)".

3

Der im [X.] liegende Teil des Schutzgebietes, nicht aber die 655 ha große Teilfläche im [X.], sind in der Folge unter nationalen Gebietsschutz nach § 32 Abs. 2 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) gestellt worden.

4

Während des Planfeststellungsverfahrens äußerten die zuständigen Behörden Bedenken gegen die Zulässigkeit des Vorhabens im Hinblick auf die Betroffenheit des [X.]. Zwischenzeitlich seien 223 [X.] dokumentiert. Das Gebiet sei faktisches Vogelschutzgebiet, weshalb eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes unzulässig sei.

5

Das beklagte [X.] stellte mit Beschluss vom 8. August 2017 den Plan der Klägerin für die Deponieerweiterung unter Ablehnung der Erweiterung im Bereich des [X.] fest. In dem faktischen Vogelschutzgebiet seien in 2012 und 2014 jeweils vier teilweise wechselnde [X.] in den Randbereichen der Deponie festgestellt worden; jeweils ein Brutrevier habe im geplanten [X.] gelegen. Die zwischen 2010 und 2014 kartierte Populationsgröße von mindestens 223 Exemplaren habe bereits bei der Meldung als Vogelschutzgebiet bestanden, so dass damals die Einstufung als wertbestimmende Art gerechtfertigt gewesen sei. Da die untere Naturschutzbehörde in ihrer Stellungnahme vom 24. Mai 2017 ausgeführt habe, eine erhebliche Beeinträchtigung oder Störung des Vogelschutzgebietes könne nicht ausgeschlossen werden, widerspreche die beantragte Planfeststellung Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der [X.].

6

Die Klage gegen die Ablehnung der Feststellung des Plans für die Erweiterung der Deponie im Bereich des Vogelschutzgebietes hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 23. Mai 2019 abgewiesen. Der Planfeststellungsbeschluss sei im maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig. Es sei nicht im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes sichergestellt, dass durch die beantragte Erweiterung der Deponie keine Gefahren für die geschützten Güter hervorgerufen würden. Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der [X.] setze der abfallrechtlichen Fachplanung Schranken, die im Wege der Abwägung nicht überwunden werden könnten. Das in der [X.] vorgesehene strenge Schutzregime für faktische Vogelschutzgebiete sei für die streitigen ca. 4,5 ha anzuwenden.

7

Es spreche [X.] dafür, dass bereits 2007 ein Bestand von 223 Exemplaren vorhanden gewesen sei und es sich dabei um einen stetigen Bestand handele. Zwischenzeitlich sei der Neuntöter in der Aufstellung wertbestimmender Vogelarten der [X.]e in [X.] genannt. Zur (nachträglichen) Berücksichtigung des [X.] sei keine Ergänzung des [X.] in einem neuen Meldeverfahren nach der [X.] erforderlich. Die Richtlinie sei ihrem Zweck nach auf einen dynamischen Schutz aller wildlebenden Vogelarten gerichtet.

8

Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt und führt aus: Die erfolgte Unterschutzstellung sei ausreichend. Zum Zeitpunkt der Planfeststellung hätten 96 Prozent der an die [X.] gemeldeten [X.] unter nationalem Schutz gestanden. Eine erhebliche Beeinträchtigung des [X.] liege nicht vor. Für den Neuntöter liege es fern, ihn in der äußerst kleinen Teilfläche von 4,5 ha als wertbestimmend anzunehmen. Es fehlten hinreichende Feststellungen dazu, ob und inwieweit die Flächen mit Blick auf den Neuntöter zu den zahlen- und flächenmäßig geeignetsten gehörten. Die Nichtaufnahme des [X.] sei nicht bewusst sachwidrig erfolgt. Das Vogelschutzgebiet [X.] habe für den Neuntöter den 21. Platz von den 35 Schutzgebieten in [X.] eingenommen, für die in den [X.] des [X.] mit Stand 2011 jeweils ein nicht wertbestimmendes Vorkommen der Art angegeben sei. Die Beklagte habe nicht hinreichend belegt, dass die später festgestellten 223 Exemplare auch schon im [X.] dort gelebt hätten. Die damalige rechtmäßige Gebietsmeldung könne nicht durch spätere Erkenntnisse wieder in Frage gestellt werden. Für ein Nachmeldeverfahren wäre die [X.]regierung im Benehmen mit dem [X.] zuständig und müsste den Standarddatenbogen nutzen. Selbst wenn der Neuntöter als wertbestimmend zu betrachten wäre, sei zu prüfen, ob und inwieweit sich dies auf das gesamte Schutzgebiet oder lediglich Teile davon auswirke. Es wären die weitreichenden Folgen einer solchen Nachberücksichtigung mit dem verfassungs- und unionsgrundrechtlich geschützten Eigentum in Ausgleich zu bringen. Auch die Bagatellgrenzen für Flächenverluste seien nicht überschritten. Das Schutz- und Kompensationskonzept gewährleiste, dass ein günstiger Erhaltungszustand der Art gesichert bleibe.

9

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des [X.] vom 23. Mai 2019 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Planfeststellungsantrag zu entscheiden, soweit darin die Planfeststellung hinsichtlich des im [X.] "[X.]" liegenden Teils des Flurstücks 52/3, Flur 2 der Gemarkung [X.] abgelehnt worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das Urteil und führt ergänzend aus: Auch bei Anwendung allein ornithologischer Kriterien seien die streitgegenständlichen Flächen einzubeziehen. Denn es stehe fest, dass Uhu und Rotmilan als wertbestimmende Arten dort vorkämen. Der Standarddatenbogen aus dem [X.] bestätige die Einordnung als wertbestimmende Art. Dort sei die Population mit "p>4" angegeben und als signifikant mit Stufe "[X.]" bewertet worden.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angefochtene Urteil beruht auf keinem Verstoß gegen [X.] Recht.

1. Allerdings ist im Hinblick auf die maßgebliche Sach- und Rechtslage entgegen der Auffassung des [X.] auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung und nicht auf den des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses abzustellen.

Welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebend ist, beantwortet nicht das Prozessrecht, sondern das einschlägige materielle Recht (vgl. [X.], Urteile vom 27. April 1990 - 8 [X.] 87.88 - [X.] 310 § 113 VwGO Nr. 218 und vom 20. Oktober 2016 - 7 [X.] 6.15 - [X.] 404 IFG Nr. 20 Rn. 12). Danach ist bei Planfeststellungsverfahren für die Begründetheit der Anfechtungsklage wie der auf § 74 Abs. 2 VwVfG gestützten Verpflichtungsklage auf Planergänzung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses maßgeblich (vgl. [X.], Urteile vom 23. April 1997 - 11 A 7.97 - [X.]E 104, 337 <347>, vom 1. April 2004 - 4 [X.] 2.03 - [X.]E 120, 276 <283> und vom 12. August 2009 - 9 A 64.07 - [X.]E 134, 308 Rn. 52). Dies hat - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausführt - seinen Grund darin, dass [X.] der planerischen Entscheidung die fachplanerische Abwägung durch die Planfeststellungsbehörde ist. Die jeweiligen Vorschriften des Fachplanungsrechts räumen ihr eine planerische Gestaltungsfreiheit ein, die sich auf alle Gesichtspunkte erstreckt, die zur Verwirklichung des gesetzlichen Planungsauftrags und zugleich zur Bewältigung der von dem Vorhaben in seiner räumlichen Umgebung aufgeworfenen Probleme von Bedeutung sind. Diese im Zusammenhang mit Anfechtungsklagen Dritter entwickelte Struktur der fachplanerischen Zulassungsentscheidung ist grundsätzlich auch dann maßgebend, wenn der Vorhabenträger gegen eine ablehnende Entscheidung der Planfeststellungsbehörde klagt (vgl. [X.], Urteil vom 24. November 1994 - 7 [X.] 25.93 - [X.]E 97, 143 <148>). Für den Erfolg der [X.] ist aber entscheidend, ob im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ein Rechtsanspruch des [X.] auf eine abwägungsfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Erlass des Planfeststellungsbeschlusses besteht. Dies beurteilt sich nach dem materiellen Recht, dass sich in diesem Zeitpunkt für das Verpflichtungsbegehren Geltung beimisst (vgl. [X.], Urteile vom 10. Februar 1978 - 4 [X.] 25.75 - [X.] 445.4 § 31 WHG Nr. 4 S. 3 und vom 24. November 1994 - 7 [X.] 25.93 - [X.]E 97, 143 <145 f.>). Bei Rechtsänderungen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz eintreten und die das [X.] zu berücksichtigen hätte, ist der Zeitpunkt der Entscheidung in der Revisionsinstanz maßgeblich.

2. Ohne [X.] hat das Oberverwaltungsgericht die Auffassung des Beklagten bestätigt, dass für den von der Ablehnung betroffenen Teil der beantragten Erweiterung der [X.] die Voraussetzungen für den Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 36 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ([X.]) nicht erfüllt sind.

a) Nach § 35 Abs. 2 Satz 1 [X.] bedürfen die Errichtung und der Betrieb von Deponien sowie die wesentliche Änderung einer solchen Anlage oder ihres Betriebes der Planfeststellung durch die zuständige Behörde. Der Planfeststellungsbeschluss nach § 35 Abs. 2 [X.] darf nur erlassen werden, wenn sichergestellt ist, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird, insbesondere keine Gefahren für die in § 15 Abs. 2 Satz 2 [X.] genannten Schutzgüter hervorgerufen werden können (§ 36 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a [X.]). Eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit liegt nach § 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und 5 [X.] insbesondere vor, wenn Tiere oder Pflanzen gefährdet werden oder die Belange des Naturschutzes nicht berücksichtigt werden. Eine solche Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit hat das Oberverwaltungsgericht ohne [X.] angenommen. Der begehrte Planfeststellungsbeschluss wäre mit Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (kodifizierte Fassung, [X.] - Vogelschutzrichtlinie - [X.]) unvereinbar.

b) Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, dass die Vogelschutzrichtlinie den Schutz, die Pflege und Wiederherstellung einer ausreichenden Vielfalt und einer ausreichenden Flächengröße (Lebensräume) für die Erhaltung aller im [X.] Gebiet der Mitgliedstaaten wild lebenden Vogelarten bezweckt (Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 [X.]). Für die in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Arten, wozu auch der Neuntöter (Lanius collurio) gehört, sind nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Lebensräume anzuwenden, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen. Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 4 [X.] erklären die Mitgliedstaaten insbesondere die für die Erhaltung der im Anhang I aufgeführten Vogelarten "zahlen- und flächenmäßig geeignetsten" Gebiete zu Schutzgebieten, wobei die Erfordernisse des Schutzes dieser Arten in dem geografischen Meeres- und Landgebiet, in dem die Richtlinie Anwendung findet, zu berücksichtigen sind. Gemäß Art. 4 Abs. 2 [X.] haben die Mitgliedstaaten entsprechende Maßnahmen für die nicht in Anhang I der Richtlinie aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten zu treffen. Nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 [X.] treffen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen dieses Artikels erheblich auswirken, in den genannten Schutzgebieten zu vermeiden.

Die Anforderungen an die Zulässigkeit eines Vorhabens, das sich auf ein dem Schutz der Vogelschutzrichtlinie unterfallendes Gebiet auswirken kann, hängen davon ab, ob das Schutzgebiet gemäß § 32 Abs. 2 BNatSchG zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 20 Abs. 2 BNatSchG erklärt worden ist. Mit der Schutzgebietserklärung geht das Gebiet nach Art. 7 der [X.] vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen - Habitatrichtlinie - [X.] - ([X.] [X.] S. 7) in das Schutzregime dieser Richtlinie über; ein mit den Erhaltungszielen des Gebiets unverträgliches Vorhaben kann dann im Wege der Ausnahmeprüfung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG/Art. 6 Abs. 3 und 4 [X.] zugelassen werden ([X.], Urteil vom 1. April 2004 - 4 [X.] 2.03 - [X.]E 120, 276 <282 ff.>). Anderenfalls verbleibt es bei dem strengeren Schutzregime der Vogelschutzrichtlinie, der zufolge nur überragende Gemeinwohlbelange wie der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen oder der Schutz der öffentlichen Sicherheit die Verbote des Art. 4 Abs. 4 [X.] überwinden können ([X.], Urteil vom 1. April 2004 - 4 [X.] 2.03 - [X.]E 120, 276 <289>). Die zuvor erforderliche Prüfung des Beeinträchtigungsverbots des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 [X.] und die Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 2 BNatSchG/Art. 6 Abs. 3 [X.] erfolgen hingegen nach gleichgerichteten Maßstäben; es geht jeweils um den Ausschluss von - im Hinblick auf die jeweiligen Schutzziele - erheblichen Gebietsbeeinträchtigungen (vgl. [X.], Urteile vom 1. April 2004 - 4 [X.] 2.03 - [X.]E 120, 276 <288 f.> und vom 11. August 2016 - 7 A 1.15 - [X.]E 156, 20 Rn. 66).

c) Hiervon ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen. Ohne Verletzung revisiblen Rechts hat es angenommen, die streitbefangene Erweiterungsfläche unterliege als faktisches Vogelschutzgebiet dem strengen Schutzregime der Vogelschutzrichtlinie.

aa) Soweit die Mitgliedstaaten ihrer Verpflichtung zur Ausweisung von Vogelschutzgebieten nicht nachkommen, erfahren solche Gebiete als sogenannte faktische Vogelschutzgebiete bis zu ihrer ordnungsgemäßen Unterschutzstellung den strengen Schutz des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 [X.]. Faktische Vogelschutzgebiete umfassen Lebensräume und Habitate, die für sich betrachtet in signifikanter Weise zur Arterhaltung in dem betreffenden Mitgliedstaat beitragen und damit zum Kreis der zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Satz 4 [X.] gehören (vgl. [X.], Urteile vom 22. Januar 2004 - 4 A 32.02 - [X.]E 120, 87 <101> und vom 27. März 2014 - 4 [X.]N 3.13 - [X.]E 149, 229 Rn. 18). Diese Qualität hat das Oberverwaltungsgericht der hier in Rede stehenden Fläche, die zu dem vom [X.] im [X.] der [X.] gemeldeten Vogelschutzgebiet V68 „Sollingvorland“ gehört, zugesprochen. Es hat dabei zu Recht zugrunde gelegt, dass nach Abschluss des mitgliedstaatlichen [X.]- und -meldeverfahrens eine - hier Platz greifende - Vermutung dafür spreche, dass eine gemeldete, aber nicht förmlich unter Schutz gestellte Fläche als faktisches Vogelschutzgebiet anzusehen sei.

Nach der Rechtsprechung des [X.] greift im Stadium eines abgeschlossenen mitgliedstaatlichen [X.]- und -meldeverfahrens eine Vermutung des Inhalts, dass ein faktisches Vogelschutzgebiet außerhalb des gemeldeten [X.] nicht existiert, die nur durch den Nachweis sachwidriger Erwägungen bei der Gebietsabgrenzung widerlegt werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 27. März 2014 - 4 [X.]N 3.13 - [X.]E 149, 229 Rn. 25). Diese Vermutung wurzelt in dem den Mitgliedstaaten durch Art. 4 Abs. 1 Satz 4 [X.] eröffneten fachlichen Beurteilungsspielraum in der Frage, welche Gebiete nach ornithologischen Kriterien für die Erhaltung der zu schützenden Vogelarten "zahlen- und flächenmäßig" am geeignetsten sind. Die Ausübung dieses Beurteilungsspielraums ist lediglich auf ihre fachwissenschaftliche Vertretbarkeit hin überprüfbar. Diese Vertretbarkeitskontrolle umfasst auch die Netzbildung in den einzelnen Ländern. In dem Maße, in dem sich die Gebietsvorschläge eines [X.] zu einem kohärenten Netz verdichten, verringert sich die richterliche Kontrolldichte. Mit dem Fortschreiten des mitgliedstaatlichen Auswahl- und Meldeverfahrens steigen die prozessualen Darlegungsanforderungen für die Behauptung, es gebe ein faktisches Vogelschutzgebiet, das eine "Lücke im Netz" schließen soll. Entsprechendes gilt auch für die zutreffende Gebietsabgrenzung. Die gerichtliche Anerkennung eines faktischen [X.] kommt im Falle eines abgeschlossenen [X.]- und -meldeverfahrens deshalb nur in Betracht, wenn der Nachweis geführt werden kann, dass die Nichteinbeziehung bestimmter Gebiete in ein gemeldetes Vogelschutzgebiet auf sachwidrigen Erwägungen beruht (vgl. [X.] a.a.[X.] Rn. 23 f.).

Diese Erwägungen rechtfertigen nach Abschluss des Auswahl- und Meldeverfahrens auch eine - umgekehrte - Vermutung des Inhalts, dass ein als Bestandteil des kohärenten Netzes gemeldetes, aber nicht förmlich unter Schutz gestelltes Gebiet ein faktisches Vogelschutzgebiet ist, die nur durch den Nachweis sachwidriger, fachwissenschaftlich nicht vertretbarer Erwägungen bei der [X.] und -abgrenzung widerlegt werden kann.

bb) Für die hier in Rede stehende Erweiterungsfläche fehlt es bislang an einer förmlichen Unterschutzstellung.

Zwar wurde zur Sicherung großer Teile des Vogelschutzgebietes "Sollingvorland" (u.a.) die Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet "[X.]" im [X.] erlassen. Diese Verordnung hat aber nicht zu einem Wechsel des [X.] hinsichtlich der streitgegenständlichen Erweiterungsfläche geführt. Abgesehen davon, dass die Verordnung vom [X.] durch Urteil vom 4. Dezember 2018 - 4 KN 77/16 - (NVwZ-RR 2019, 590) für unwirksam erklärt worden ist, hat sie sich nicht auf die Fläche der beantragten Deponieerweiterung erstreckt, die nach den Feststellungen des [X.] außerhalb des [X.] auf dem Gebiet des Landkreises Northeim liegt.

d) [X.] nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des [X.], der Neuntöter sei bei der Prüfung einer Verletzung des [X.] und Störungsverbots des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 [X.] zu berücksichtigen, weil es sich dabei um eine für das faktische Vogelschutzgebiet "Sollingvorland" wertbestimmende Art handele.

aa) Für welche Arten ein Gebiet ausgewiesen wurde, ergibt sich aus dem [X.], falls nicht andere Dokumente, z. B. Regelungen über das Schutzgebiet, weitergehende Erhaltungsziele dokumentieren (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin [X.] vom 19. April 2007 - [X.]-304/05 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2007:228] - Rn. 33). Der [X.] ist der [X.] zu übermitteln. Er beruht auf dem Durchführungsbeschluss Nr. 2011/484/[X.] der [X.] vom 11. Juli 2011 über den Datenbogen für die Übermittlung von Informationen zu [X.] ([X.] L 198 S. 39) bzw. auf der zuvor geltenden Entscheidung Nr. 97/266/EG der [X.] vom 18. Dezember 1996 über das Formular für die Übermittlung von Informationen zu den im Rahmen von [X.] vorgeschlagenen Gebieten ([X.] [X.] S. 1). Der Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, alle im [X.] aufgeführten Vogelarten in die Festlegung der Erhaltungsziele für das entsprechende Gebiet einzubeziehen. Es kommt darauf an, inwieweit den Auflistungen im [X.] die Erklärung zu entnehmen ist, dass das Gebiet gerade aufgrund bestimmter Vogelarten ausgewählt wurde. Die Erhaltungsziele eines Vogelschutzgebietes müssen nicht notwendig alle im Gebiet vorkommenden Arten nach Anhang I der Vogelschutzrichtlinie umfassen, sondern nur solche, deren Schutz die Ausweisung des Gebietes letztlich gerechtfertigt hat. Dabei kann es sich mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 [X.] nur um die für das Gebiet charakteristischen Vogelarten handeln (vgl. [X.], Urteil vom 6. April 2017 - 4 A 16.16 - NVwZ-RR 2017, 768 Rn. 29 m.w.N.).

Diese Grundsätze gelten auch für ein zwar gemeldetes, aber nicht förmlich unter Schutz gestelltes - faktisches - Vogelschutzgebiet im Hinblick auf die Identifizierung der für die Auswahl und Meldung dieses Gebiets maßgeblichen - wertbestimmenden - Arten, hinsichtlich derer das strenge Schutzregime der Vogelschutzrichtlinie gilt. Insoweit spricht nach Abschluss des nationalen [X.]- und -meldeverfahrens eine Vermutung dafür, dass der aus dem [X.] sich ergebende Katalog der für das gemeldete Gebiet wertbestimmenden Arten vollständig und abschließend ist. Dies folgt, nicht anders als bei der [X.] und -abgrenzung und der insoweit in der Rechtsprechung des [X.] anerkannten widerleglichen Vermutung des Inhalts, dass ein faktisches Vogelschutzgebiet außerhalb des gemeldeten [X.] nicht existiert (vgl. [X.], Urteil vom 27. März 2014 - 4 [X.]N 3.13 - [X.]E 149, 229 Rn. 25), aus dem fachlichen Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Frage, welche Gebiete nach ornithologischen Kriterien für die Erhaltung der zu schützenden Vogelarten "zahlen- und flächenmäßig" am geeignetsten sind. Diese Frage muss stets im Hinblick auf ein mögliches Vorkommen einer oder mehrerer der in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Arten oder regelmäßig auftretender Zugvogelarten beantwortet werden. Deshalb ist eine fachlich vertretbare Nichteinbeziehung einer bestimmten Art in den Kreis der für ein gemeldetes Gebiet wertbestimmenden Arten ebenso wenig zu beanstanden, wie es die Nichtmeldung eines Gebiets ist, wenn sie fachlich vertretbar ist (vgl. zu Letzterem [X.], Urteile vom 14. November 2002 - 4 A 15.02 - [X.]E 117, 149 <155> und vom 27. März 2014 - 4 [X.]N 3.13 - [X.]E 149, 229 Rn. 23). In dem Maße, in dem sich die Gebietsvorschläge eines [X.] zu einem kohärenten Netz verdichten, die richterliche Kontrolldichte hinsichtlich der Frage der [X.] und -abgrenzung in der Folge verringert und die prozessualen Darlegungsanforderungen für die Behauptung eines nicht gemeldeten faktischen [X.] steigen (vgl. [X.], Urteile vom 14. November 2002 - 4 A 15.02 - [X.]E 117, 149 <155 f.> und vom 27. März 2014 - 4 [X.]N 3.13 - [X.]E 149, 229 Rn. 24), führt das Voranschreiten des mitgliedstaatlichen Auswahl- und Meldeverfahrens auch zu einer Steigerung der Darlegungsanforderungen für die Geltendmachung einer Unvollständigkeit einer Gebietsmeldung im Hinblick auf die für das betreffende Gebiet wertbestimmenden Arten. Nach Abschluss des Auswahl- und Meldeverfahrens greift deshalb eine Vermutung des Inhalts, dass außer den in der Gebietsmeldung angegebenen keine weiteren wertbestimmenden Arten in dem Gebiet vorhanden sind, die nur durch den Nachweis widerlegt werden kann, dass die Meldung einer Art als wertbestimmende sachwidrig unterblieben ist.

bb) Diesen Maßstäben entspricht das angefochtene Urteil der Sache nach.

Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass in dem der [X.] im [X.] übermittelten [X.] der Neuntöter mit vier Exemplaren erwähnt und die Population dieser Art mit "[X.]" - also als "häufig" vorkommend (vgl. Nr. 3.2 Buchst. i der Erläuterungen zum [X.] im Anhang zur Entscheidung Nr. 97/266/EG der [X.]) - eingestuft worden sei. Der Neuntöter sei, so das Oberverwaltungsgericht, "nicht explizit" als wertbestimmende Art des [X.] "Sollingvorland" im [X.] aufgeführt. Bei der Meldung seien nur Uhu und Rotmilan als wertbestimmende Arten genannt worden, während der Neuntöter nicht als wertbestimmende Art hervorgehoben worden sei. Der [X.] versteht diese Ausführungen - auch in der Zusammenschau mit den sich daran anschließenden Erwägungen des [X.] zur Frage der Notwendigkeit eines neuen Meldeverfahrens zur Ergänzung des [X.] - dahin, dass nach tatrichterlicher Würdigung die Auswahl und Meldung des [X.] "Sollingvorland" nicht auch im Hinblick auf den Neuntöter als wertbestimmende Art erfolgt ist. Einer abschließenden Klärung bedarf es insoweit jedoch nicht. Denn jedenfalls wäre eine nach den dargestellten Grundsätzen aufgrund der Gebietsmeldung gegebenenfalls bestehende Vermutung, dass der Neuntöter nicht zu den wertbestimmenden Arten des [X.] "Sollingvorland" zu zählen ist, auf der Grundlage der weiteren Ausführungen des [X.] widerlegt.

In tatsächlicher Hinsicht hat es festgestellt, [X.] spreche dafür, dass die aufgrund von Kartierungen zwischen 2010 und 2014 festgestellte Populationsgröße des Neuntöters von mindestens 223 Exemplaren bereits bei der Gebietsmeldung im [X.] vorhanden gewesen sei, es sich also um einen stetigen Bestand dieser Art handele. Der Beklagte habe in diesem Zusammenhang - offenkundig mit Blick auf den [X.] - angegeben, es handele sich um einen "wissenschaftlichen Irrtum über die Bestandszahlen und die Bedeutung des [X.]", der nachträglich korrigiert worden sei. Das Oberverwaltungsgericht hat ferner festgestellt, dass das Vogelschutzgebiet "Sollingvorland" eine der wichtigsten Neuntöterpopulationen in [X.] aufweise und auf dem dritten Platz der für diese Art bedeutsamen [X.] Vogelschutzgebiete liege. Auf der Grundlage dieser nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen ist das Oberverwaltungsgericht zu dem Schluss gelangt, bei dem Vogelschutzgebiet "Sollingvorland" handele es sich um eines der zum Schutz des Neuntöters am besten geeigneten Gebiete, dessen Ausweisung als Schutzgebiet für die Erhaltung dieser Art auch bereits bei der Gebietsmeldung im [X.] erforderlich gewesen sei. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die nach naturschutzfachlichen Kriterien für den Vogelschutz "geeignetsten" Gebiete sind zum Vogelschutzgebiet zu erklären (vgl. [X.], Urteile vom 14. November 2002 - 4 A 15.02 - [X.]E 117, 149 <155> und vom 27. März 2014 - 4 [X.]N 3.13 - [X.]E 149, 229 Rn. 23), und zwar gerade mit Blick auf die für die [X.] maßgeblichen, wertbestimmenden Arten.

Ohne Erfolg wendet die Klägerin ein, das Ergebnis des [X.]- und -meldeverfahrens könne nicht durch nachträgliche Erkenntnisse zum Bestand einzelner Arten in Frage gestellt werden. Ebenso wenig wie der Umstand, dass ein Land die Auswahl seiner "[X.]"-Gebiete abgeschlossen hat, der rechtlichen Existenz faktischer Vogelschutzgebiete grundsätzlich nicht entgegensteht (vgl. [X.], Urteile vom 14. November 2002 - 4 A 15.02 - [X.]E 117, 149 <154> und vom 27. März 2014 - 4 [X.]N 3.13 - [X.]E 149, 229 Rn. 22), begründet dieser Umstand ein unüberwindbares rechtliches Hindernis für die Annahme einer Unvollständigkeit der Gebietsmeldung hinsichtlich der zu schützenden Arten. Er führt vielmehr lediglich, wie dargelegt, zu einer widerleglichen Vermutung des Nichtvorhandenseins faktischer jenseits der gemeldeten Vogelschutzgebiete sowie des Nichtvorhandenseins anderer als der gemeldeten wertbestimmenden Arten. Deshalb bedurfte es hier für eine Berücksichtigung des Neuntöters als wertbestimmende Art auch nicht zunächst noch der Durchführung eines weiteren Meldeverfahrens zur Ergänzung des [X.]. Die Gebietsmeldung ist, wie bereits die Rechtsfigur des faktischen [X.] verdeutlicht, keine Voraussetzung des sich aus einer unmittelbaren Anwendung der Vogelschutzrichtlinie ergebenden Artenschutzes.

Dass hierdurch der grundgesetzliche oder über Art. 6 [X.]V i.V.m. Art. 51 Abs. 1, Art 17 Abs. 1 der [X.]-Grundrechtecharta (GR[X.]h) verbürgte Schutz des Eigentums verletzt wäre, ist entgegen dem [X.] nicht erkennbar. Mit Rücksicht auf das insoweit vollvereinheitlichte Unionsrecht sind die [X.] Grundrechte nicht anwendbar (vgl. [X.], Beschluss vom 6. November 2019 - 1 BvR 276/17 - [X.]E 152, 216 Rn. 43 ff.). Die unionsgrundrechtliche Eigentumsgarantie ist nicht verletzt. Sie erstreckt sich nicht auf bloße Erwerbsaussichten und Gewinnerwartungen (vgl. [X.], GR[X.]h, 4. Aufl. 2021, Art. 17 Rn. 14), wie sie hier hinsichtlich der von der Klägerin beabsichtigten Deponieerweiterung in Rede stehen. Berufsfreiheit und unternehmerische Freiheit (Art. 15 Abs. 1, Art. 16 GR[X.]h) unterliegen Beschränkungen nach Maßgabe von Art. 52 Abs. 1 GR[X.]h. Sie sind, wie im Übrigen auch das Eigentumsrecht, nicht absolut gewährleistet, sondern im Zusammenhang mit ihrer gesellschaftlichen Funktion zu sehen. Die Ausübung dieser Freiheiten kann daher Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich den dem Gemeinwohl dienenden Zielen der [X.] entsprechen und keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und untragbaren Eingriff darstellen, der diese Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (vgl. [X.], Urteil vom 5. Juli 2017 - [X.]-190/16 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2017:513], [X.] - Rn. 73). Gemessen daran und im Hinblick auf den hohen Stellenwert, den das Unionsrecht dem Umweltschutz beimisst (vgl. Art. 11, 191 A[X.]V), sind die mit dem strengen Schutzregime für faktische Vogelschutzgebiete verbundenen Freiheitsbeschränkungen den Betroffenen im überwiegenden Allgemeininteresse zumutbar.

cc) Weil der Neuntöter nach den Feststellungen des [X.] bereits im Zeitpunkt der Gebietsmeldung im [X.] wertbestimmend für das Vogelschutzgebiet "Sollingvorland" war und lediglich die vollständige Kenntnis der dafür maßgeblichen Tatsachen erst im Nachhinein erlangt wurde, gibt der Fall dem [X.] keinen Anlass der Frage nachzugehen, inwieweit die dargelegten Grundsätze auch dann zu gelten haben, wenn sich nach Abschluss des mitgliedstaatlichen [X.]- und -meldeverfahrens Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse ergeben, die eine ursprünglich nicht zu beanstandende [X.] und -meldung im Nachhinein als sachlich überholt erscheinen lassen könnten.

dd) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage nach der Tragfähigkeit der Gebietsabgrenzung gerade mit Blick auf den Neuntöter stellt sich entscheidungserheblich nur, soweit es um die Einbeziehung der streitgegenständlichen Erweiterungsfläche in das Vogelschutzgebiet geht. Dass diese Fläche, so das [X.], im Hinblick auf die Populationsdichte und die räumlichen Schwerpunkte des Vorkommens des Neuntöters im Gesamtgebiet nicht erheblich ins Gewicht falle, findet in den tatsächlichen Feststellungen des [X.] keine Grundlage. Dieses ist vielmehr in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass in der Vergangenheit wiederholt Neuntöterreviere sowohl im Randbereich der Deponie als auch auf der Erweiterungsfläche nachgewiesen worden seien und dass der vorhabenbedingte [X.] auf der Grundlage des [X.] als erheblich einzustufen sei (vgl. sogleich unter e). Abgesehen davon kann die Gebietsabgrenzung ohnehin nicht das Ergebnis einer isolierten Prüfung des ornithologischen Werts jeder einzelnen der in Rede stehenden Flächen sein, sondern muss unter Berücksichtigung der natürlichen Grenzen des betroffenen Ökosystems erfolgen (vgl. [X.], Urteil vom 14. Januar 2016 - [X.]-141/14 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:2016:8], [X.] gegen [X.] - Rn. 30). Dass gemessen hieran die Einbeziehung der Erweiterungsfläche in das Vogelschutzgebiet "Sollingvorland" fehlerhaft sein könnte, ist weder geltend gemacht worden noch ist dafür sonst etwas ersichtlich.

e) Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts einen Verstoß der begehrten Planfeststellung gegen das [X.] und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 [X.] bejaht.

Bei einem faktischen Vogelschutzgebiet ist die Abgrenzung zwischen erheblichen und unerheblichen Beeinträchtigungen gemäß Art. 4 Abs. 4 Satz 1 [X.] nach den Zielsetzungen dieses Artikels, das Überleben und die Vermehrung der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Vogelarten in ihrem Verbreitungsgebiet sicherzustellen, vorzunehmen. Mangels konkretisierender Festlegungen gebietsspezifischer Erhaltungsziele ist ergänzend auf die allgemeinen Zielsetzungen in Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 der Vogelschutzrichtlinie zurückzugreifen, nach denen die Richtlinie dem Zweck dient, durch die Einrichtung von Schutzgebieten eine ausreichende Artenvielfalt und eine ausreichende Flächengröße ihrer Lebensräume zu erhalten und wiederherzustellen. Eine Prüfung anhand dieser Voraussetzungen muss die Gewissheit ergeben, dass keine erheblichen Beeinträchtigungen auftreten. Nur wenn keine vernünftigen Zweifel verbleiben, darf die Verträglichkeitsprüfung mit einem positiven Ergebnis abgeschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 11. August 2016 - 7 A 1.15 - [X.]E 156, 20 Rn. 67).

Diese Maßstäbe legt das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde. Es folgt der Risikoeinschätzung der unteren Naturschutzbehörde, dass jedenfalls Zweifel daran verblieben, dass sich bei einer Verwirklichung des Vorhabens erhebliche Beeinträchtigungen des Neuntöters vermeiden ließen. Es stellt darauf ab, dass bei Kartierungen in den Jahren 2012 und 2014 jeweils ein Brutrevier im streitgegenständlichen Erweiterungsbereich der Deponie gelegen hätte. Vor dem Hintergrund der festgestellten Tatsache, dass der Neuntöter sein Revier nach dem jeweiligen Nahrungsangebot wechsele, lässt sich revisionsrechtlich nicht beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht der Wertung der unteren Naturschutzbehörde auch insoweit folgt, als es auf ein zeitweiliges Nichtauftreten nicht ankomme. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Annahme, die Verkleinerung eines Schutzgebiets sei regelmäßig als erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 Satz 1 [X.] zu werten. Denn ein Ermessensspielraum zur Änderung oder Verkleinerung gemeldeter Gebiete steht den Mitgliedstaaten nicht zu. Es bliebe allenfalls zu fragen, ob die betreffende Fläche unbedeutend ist ([X.], Urteil vom 2. August 1993 - [X.]-355/90 [E[X.]LI:[X.]:[X.]:1993:331], Europäische [X.] gegen [X.] - Rn. 35, 46). Ob die Fläche - aus ornithologischer Sicht - unbedeutend ist, hat das Oberverwaltungsgericht in Anwendung eines [X.] aus dem [X.] entschieden. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Klägerin betreffen nicht die Rechtsanwendung, sondern die Sachverhalts- und Beweiswürdigung (vgl. [X.], Urteil vom 8. März 2017 - 4 [X.]N 1.16 - [X.]E 158, 182 Rn. 50, 52). Dies bleibt ohne Erfolg. Dass das Oberverwaltungsgericht gegen gesetzliche Beweisregeln, allgemeine Erfahrungssätze oder die Denkgesetze verstoßen hätte (vgl. [X.], Urteil vom 27. November 2014 - 7 [X.] 12.13 - [X.]E 150, 383 Rn. 41), hat die Revision nicht gerügt. Auf einen Gehörsverstoß lassen die Angriffe der Klägerin nicht schließen. Die Heranziehung der [X.] zur Beurteilung der Erheblichkeit eines Flächenentzugs ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. [X.], Urteil vom 3. November 2020 - 9 A 12.19 - [X.]E 170, 33 Rn. 373). Anhaltspunkte für neue Erkenntnismöglichkeiten, die weitere Aufklärungsmaßnahmen hätten gebieten können, hat die Klägerin nicht dargetan.

Vor diesem Hintergrund ist das Ergebnis des [X.], die Fläche sei nicht unbedeutend, weil zumindest die Orientierungswerte für den absoluten [X.] bei weitem überschritten würden, nicht zu beanstanden. Das gilt auch für die Überprüfung des dort gefundenen Ergebnisses anhand des Maßstabes, ob besondere Gründe des Einzelfalls eine Abweichung vom Regelfall rechtfertigten.

f) Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend erkannt, dass auch eine ausnahmsweise Zulassung des Vorhabens nicht in Betracht kommt. Soweit die Revision geltend macht, eigene wirtschaftliche Belange der Klägerin und die allgemeine Möglichkeit der Entsorgung der Kohlenaschen an diesem Ort seien gegebenenfalls als öffentliche Belange zu würdigen, führt dies nicht zum Erfolg, da nur überragende Gemeinwohlbelange geeignet sind, das [X.] und Störungsverbot des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 [X.] zu überwinden (vgl. [X.], Urteil vom 27. März 2014 - 4 [X.]N 3.13 - [X.]E 149, 229 Rn. 16).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

7 C 7/20

17.12.2021

Bundesverwaltungsgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend OVG Lüneburg, 23. Mai 2019, Az: 7 KS 78/17, Urteil

Art 51 EUGrdRCh, Art 17 Abs 1 EUGrdRCh, Art 1 Abs 1 EGRL 147/2009, Art 3 Abs 1 EGRL 147/2009, Art 4 Abs 1 EGRL 147/2009, Art 4 Abs 4 EGRL 147/2009, Art 6 Abs 3 EWGRL 43/92, § 15 Abs 2 KrWG, § 35 Abs 2 KrWG, § 36 KrWG, § 20 Abs 2 BNatSchG, § 32 BNatSchG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.12.2021, Az. 7 C 7/20 (REWIS RS 2021, 194)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 194

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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