Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.02.2023, Az. 4 StR 452/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2023, 1545

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Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. August 2022 aufgehoben, soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts begründet worden ist. Das Rechtsmittel hat mit Blick auf die nicht angeordnete Maßregel Erfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die unterbliebene Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 Satz 1 StGB hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, weil die [X.] die mögliche Anordnung der Maßregel nicht erörtert hat, obwohl sich das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen aufdrängte (vgl. [X.], Beschluss vom 23. November 2022 – 2 [X.] Rn. 13; Beschluss vom 2. März 2022 – 2 [X.] Rn. 8; Beschluss vom 15. Dezember 2021 – 2 [X.] Rn. 7; Beschluss vom 7. Januar 2009 – 3 [X.], [X.], 261; jew. mwN).

3

a) Der [X.] hat dazu in seiner Zuschrift vom 24. November 2022 Folgendes ausgeführt:

„Nach den Feststellungen des [X.]s konsumiert der Angeklagte seit zwanzig Jahren Marihuana, zuletzt nach eigenen, unwiderlegten Angaben im Umfang von fünf bis zehn Gramm täglich ([X.]). Er beging in der Vergangenheit mehrere Straftaten, darunter auch die verfahrensgegenständliche, um sich Betäubungsmittel für den Eigenkonsum zu verschaffen und seinen [X.] zu finanzieren ([X.]-6). Auch die verfahrensgegenständliche Tat diente ausschließlich diesen Zwecken ([X.]). In der Vergangenheit hat der Angeklagte im Jahr 2012 bereits einmal eine stationäre Suchttherapie durchlaufen, die über acht Jahre hinweg zu einer deutlichen Reduzierung seines Cannabiskonsums führte ([X.]).

Angesichts dieser Feststellungen hätte die [X.] unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) prüfen müssen, ob beim Angeklagten ein Hang i.S.d. § 64 StGB besteht und in der Folge die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen ist. Voraussetzung für eine Unterbringung gemäß § 64 StGB ist (unter anderem) ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ein übermäßiger Genuss ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr., vgl. u.a. [X.], Beschluss vom 7. Oktober 2014 – 1 StR 317/14). Dies erscheint beim Angeklagten aufgrund des festgestellten langjährigen und erheblichen Betäubungsmittelkonsums, seiner wiederholten Verurteilungen wegen Delikten aus dem Bereich der Beschaffungskriminalität sowie aufgrund der Deliktsnatur der [X.] naheliegend. Da das [X.] jedoch die nach seinen Feststellungen naheliegende Maßregel nach § 64 StGB mit keinem Wort erwähnt, bedarf die Sache insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung; dass lediglich der Angeklagte Revision eingelegt hat, ist insoweit unerheblich, § 358 Absatz 2 Satz 3 StPO ([X.], Beschluss vom 22. November 2021 – 5 StR 368/21).

Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese vom Rechtsfehler nicht betroffen sind, § 353 Absatz 2 StPO. Es kann zudem ausgeschlossen werden, dass das [X.] bei Verhängung einer Maßregel nach § 64 StGB eine mildere Strafe verhängt hätte; diese kann deshalb ebenfalls bestehen bleiben.“

4

b) Dem schließt sich der Senat an und bemerkt ergänzend, dass sich aus den Feststellungen nicht ergibt, dass von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten mangels Erfolgsaussicht der Behandlung nach § 64 Satz 2 StGB hätte abgesehen werden müssen und das Urteil daher auf dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Die [X.] enthalten dazu mit der Wiedergabe des noch verhältnismäßig jungen Alters des Angeklagten und der im Jahr 2012 über einen erheblichen Zeitraum erfolgreichen Entzugsbehandlung im Rahmen einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG positive Prognosefaktoren, die in der Gesamtschau mit gegen die Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkten abgewogen werden müssen und eine auf Tatsachen gegründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs ergeben können (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Dezember 2022 – 4 StR 438/22 Rn. 3; Beschluss vom 31. August 2022 – 5 StR 130/22, NStZ-RR 2022, 372; [X.] in [X.], 4. Aufl., § 64 Rn. 64 mwN).

5

2. Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss der neue Tatrichter daher – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) – (erstmals) verhandeln und entscheiden. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Die neu zur Entscheidung berufene [X.] ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu den Anordnungsvoraussetzungen der Maßregel nach § 61 Nr. 2, § 64 StGB und zur Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB zu treffen.

6

3. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

[X.]     

      

Bartel     

      

Rommel

      

Maatsch     

      

Messing     

      

Meta

4 StR 452/22

28.02.2023

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bielefeld, 9. August 2022, Az: 10 KLs 11/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.02.2023, Az. 4 StR 452/22 (REWIS RS 2023, 1545)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1545

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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