Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.06.2023, Az. 4 StR 448/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2023, 3878

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Gegenstand

Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt: Hinreichend konkrete Aussicht auf Erfolg einer Alkoholtherapie


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 1. Juli 2022 im Ausspruch über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter [X.] und Teileinstellung des Verfahrens im Übrigen wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort, Nötigung, versuchter Nötigung in Tateinheit mit Beleidigung, Sachbeschädigung in zwei Fällen, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und wegen Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, von der zwei Monate zur Entschädigung für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat keinen Bestand. Das [X.] hat zwar die Voraussetzungen des § 64 Satz 1 StGB rechtsfehlerfrei bejaht. Eine hinreichend konkrete Behandlungsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB ist aber nicht belegt.

3

a) Nach dieser Vorschrift darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur angeordnet werden, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Notwendig, aber auch ausreichend für die vom Tatgericht zu treffende Prognose ist eine auf Tatsachen gegründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs. Einer sicheren und unbedingten Gewähr bedarf es hierfür zwar nicht. Erforderlich ist aber, dass in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie vorliegen, die nicht nur die Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung, sondern die positive Feststellung der hinreichend konkreten Erfolgsaussicht tragen. Damit das Revisionsgericht prüfen kann, ob eine Erfolgsaussicht in dem vom Gesetzgeber geforderten Ausmaß besteht, bedarf es der hinreichenden Darlegung konkreter, durch den Tatrichter als prognostisch bedeutsam für einen die Behandlung im Maßregelvollzug überdauernden Therapieerfolg bewerteter Umstände in den Urteilsgründen (vgl. zum Ganzen nur [X.], Beschluss vom 16. März 2023 – 2 StR 481/22 Rn. 4; Beschluss vom 1. März 2023 – 4 StR 349/22 Rn. 11; jew. mwN).

4

b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die Begründung, mit der das [X.] eine hinreichende Erfolgsaussicht der Maßregel im Sinne des § 64 Satz 2 StGB bejaht hat, ist nicht rechtsfehlerfrei. Zwar steht sie entgegen der Auffassung des [X.] nicht in einem durchgreifenden Widerspruch zu den Erwägungen, aus denen das [X.] eine Therapieweisung gemäß § 56c Abs. 3 StGB für nicht aussichtsreich gehalten hat. Denn die [X.] hat insoweit maßgeblich darauf abgestellt, dass der Angeklagte, dem es derzeit an einer Einsicht in die bei ihm bestehende Alkoholkrankheit fehle, sich nicht bereit zeigte, seine Einwilligung zu einer hinreichend lang dauernden Maßnahme nach § 56c Abs. 3 StGB zu erteilen. Hierauf wie auch auf weitere vom [X.] diesbezüglich für prognoseungünstig gehaltene Umstände käme es aber für eine zwangsweise zu vollziehende Maßregel nach § 64 StGB nicht an.

5

Allerdings sind die (beweiswürdigenden) Ausführungen, auf die die [X.] ihre positive Behandlungsprognose im Sinne des § 64 Satz 2 StGB gestützt hat, lückenhaft und daher nicht in dem gebotenen Maße nachvollziehbar. Denn sie erschöpfen sich in der Erörterung solcher Umstände, die gegen einen Behandlungserfolg sprechen. Mit der – für sich genommen sorgfältigen und gut nachvollziehbaren – Begründung dafür, dass und warum die genannten prognoseungünstigen Gesichtspunkte der [X.] nicht durchgreifend entgegenstehen, sind die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB aber nicht vollständig dargetan. Die gebotene positive Feststellung der Erfolgsaussicht kann sich hieraus erst dann ergeben, wenn gleichzeitig hinreichend gewichtige Gründe für die Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs sprechen. Solche positiven Gesichtspunkte hat die [X.] indes nicht benannt und zu den von ihr erörterten Gegengründen ins Verhältnis gesetzt. Dem Urteil kann daher ein Beleg letztlich nur für die Möglichkeit einer erfolgreichen Behandlung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, nicht aber für die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB entnommen werden.

6

Die Anordnung der Maßregel hat daher keinen Bestand, sondern bedarf – wiederum unter sachverständiger Beratung (§ 246a StPO) – neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen sind von dem aufgezeigten Darlegungs- und Erörterungsmangel allerdings nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können um weitere Feststellungen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen, ergänzt werden.

7

2. Im Übrigen hat die rechtliche Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben. Entgegen der Antragsschrift des [X.] ist auch der Schuldspruch wegen versuchter Nötigung im Fall [X.] der Urteilsgründe nicht zu beanstanden. Zur Erörterung eines strafbefreienden Rücktritts von dem Versuch musste das [X.] sich nicht gedrängt sehen.

8

a) Nach den Feststellungen zu dieser Tat schrieb der Angeklagte an den Leiter der Lebensmittelüberwachungsbehörde, die wegen im Brauereibetrieb des Angeklagten festgestellter Mängel ein Bußgeldverfahren führte, einen Brief. Hierin äußerte er neben [X.] auch, dass er dem Adressaten empfehle, sich „ein bisschen zu mäßigen“, falls diesem sein Leben und seine Gesundheit lieb sei, was das [X.] unter Berücksichtigung des [X.] rechtsfehlerfrei dahin gewürdigt hat, dass der Angeklagte eine Körperverletzung oder Tötung angedroht habe, um den Behördenleiter zur Unterlassung weiterer hoheitlicher Maßnahmen in dem laufenden Bußgeldverfahren zu veranlassen. Zwei Tage später erreichte die Behörde ein weiteres Schreiben, in dem sich der Angeklagte entschuldigte und als Grund seines Verhaltens Wut und Alkoholkonsum nannte.

9

b) Hinreichende Anhaltspunkte für ein Verhalten, das die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts von dem hier gegebenen beendeten Nötigungsversuch erfüllt haben könnte, ergeben sich aus diesen Feststellungen nicht. Dass das Entschuldigungsschreiben ursächlich für das Ausbleiben des Nötigungserfolgs geworden sein, der Angeklagte also dessen Eintritt verhindert haben könnte (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB), liegt entgegen der nicht näher begründeten Beurteilung des [X.] fern. Dasselbe gilt für einen strafbefreienden Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB. Denn das ernsthafte Bemühen im Sinne dieser Norm erfordert ein Ausschöpfen der aus Sicht des [X.] ausreichenden Verhinderungsmöglichkeiten; er muss alles tun, was in seinen Kräften steht, mithin die am besten geeignete („optimale“) Rettungsmaßnahme ergreifen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 23. August 2022 – 1 [X.]/22 mwN). Anlass, ein derartiges Rücktrittsverhalten zu erörtern, bot der festgestellte Inhalt des zweiten Schreibens nicht. Dem Antrag des [X.], die Strafverfolgung im Fall [X.] der Urteilsgründe gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO auf die tateinheitlich verwirklichte Beleidigung zu beschränken, folgt der Senat daher nicht.

Quentin     

  

Bartel     

  

Rommel

  

Maatsch     

  

Messing     

  

Meta

4 StR 448/22

07.06.2023

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Erfurt, 1. Juli 2022, Az: 10 KLs 860 Js 22782/16 (3)

§ 64 S 2 StGB, § 67d Abs 1 S 1 StGB, § 67d Abs 1 S 3 StGB, § 246a Abs 1 StPO, § 267 Abs 6 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.06.2023, Az. 4 StR 448/22 (REWIS RS 2023, 3878)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3878

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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