Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.02.2010, Az. VIII B 17/08

8. Senat | REWIS RS 2010, 8890

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Gegenstand

(Schätzung von Besteuerungsgrundlagen grundsätzlich nicht wegen Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen verwehrt - Zumutbarkeit eines Mitwirkungsverlangens - Fehlende Urteilsgründe - Ausschöpfung von Aktenmaterial zur Sachverhaltsaufklärung - Anwendungsbereich des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO - Einschränkung der Hinweispflicht und Fürsorgepflicht des FG)


Leitsatz

1. NV: Die Grenzen der Zumutbarkeit eines an den Steuerpflichtigen gerichteten Mitwirkungsverlangens sind einzelfallbezogen zu prüfen .

2. NV: Die Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen berührt grundsätzlich nicht die Pflicht des Steuerpflichtigen, Steuererklärungen abzugeben; bei Nichterfüllung der Erklärungspflicht darf das FA auch in diesem Fall die Besteuerungsgrundlagen schätzen .

3. NV: Einem Urteil fehlen nicht deshalb die Gründe, weil die Begründung nicht den Erwartungen eines Beteiligten entspricht oder lückenhaft, rechtsfehlerhaft oder nicht überzeugend ist .

4. NV: Die Ausschöpfung von Aktenmaterial zur Sachverhaltsaufklärung schafft keine neuen, vom angefochtenen Verwaltungsakt nicht erfassten Lebenssachverhalte, die bei der Entscheidung des Gerichts unberücksichtigt bleiben müssten .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war bis … 2005 selbstständig als Rechtsanwalt, Notar und Steuerberater tätig.

2

Die Beteiligten streiten über die Höhe der von ihm in den Streitjahren (2002 und 2003) erzielten Einkünfte und Umsätze, die der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) schätzte, da der Kläger für die Streitjahre nur Umsatzsteuer-Voranmeldungen für einen Teil der Voranmeldungszeiträume (Monate) beider Jahre abgegeben hatte, aber weder Umsatz- noch Gewinnermittlungen noch die Jahressteuererklärungen.

3

Einsprüche und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage als unbegründet ab, da das [X.] wegen fehlender Mitwirkung des [X.] zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 der Abgabenordnung ([X.]) berechtigt gewesen sei und gegen die Höhe der Schätzungen keine Bedenken bestünden; auf das Urteil des [X.] wird insoweit Bezug genommen.

4

Mit seiner dagegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und Verfahrensmängel.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde ist nicht begründet; Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) liegen nicht vor.

6

1. Soweit der Kläger Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend macht, folgt daraus kein Zulassungsgrund (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des [X.] vom 28. April 2003 VIII B 260/02, [X.] 2003, 1336; vom 23. Juni 2003 [X.], [X.] 2003, 1289). Dies gilt im Streitfall insbesondere hinsichtlich der Rüge eines vermeintlich fehlerhaften Verständnisses des [X.] von den Voraussetzungen für eine Schätzung nach § [X.].

7

2. Eine Revisionszulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative [X.]O wegen Divergenz zu der vom Kläger angeführten Entscheidung des [X.] Saarland vom 16. Januar 1981 I 501-504/78 (juris) ist nicht geboten, weil das vom Kläger angeführte Zitat für jene Entscheidung nicht erheblich war (obiter dictum). Im Übrigen hat auch das [X.] bei der Prüfung des Umfangs der (grundsätzlich unberührten) Mitwirkungspflichten zur Sachverhaltsaufklärung bei Beschlagnahme steuerlich relevanter Unterlagen im angefochtenen Urteil [X.] wie das [X.] Saarland-- darauf abgestellt, ob dem Steuerpflichtigen die [X.] zumutbar ist. Eine Abweichung in einem das angefochtene Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz ist somit gerade nicht zu erkennen. Ob die Grenzen der Zumutbarkeit einer verlangten Mitwirkung erreicht oder überschritten sind, ist jeweils einzelfallbezogen zu prüfen.

8

3. Die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) liegen nicht vor.

9

a) Indem der Kläger rügt, dass seinem Vertagungsantrag im Termin vom 30. Oktober 2007 nicht entsprochen worden sei, macht er inzidenter als Verfahrensmangel die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend. Diese Rüge hat schon deshalb keinen Erfolg, weil der Kläger ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung keine erheblichen Gründe i.S. von § 155 [X.]O i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung vorgetragen hat; neuer Tatsachenvortrag im Beschwerdeverfahren, wie die nunmehr vorgetragenen gesundheitlichen Gründe, muss dabei unberücksichtigt bleiben.

b) Keinen Erfolg hat die Rüge, die Finanzgerichte des [X.] seien wegen Mitwirkung ehemaliger Finanzbeamter als [X.] fehlerhaft besetzt und nicht als unabhängige und unparteiische Gerichte [X.]. 6 der [X.] anzusehen. Hierzu wird auf den in Sachen des [X.] ergangenen Beschluss des Senats vom 18. November 2009 [X.]/08 Bezug genommen.

c) Die Rüge fehlender rechtlicher und tatsächlicher Erörterung der Streitsache i.S. von § 93 [X.]O geht ausweislich des Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung (dort insbesondere Seiten 2 und 3) fehl. Sollte die Rüge auf eine nach Ansicht des [X.] nur ungenügende Erörterung zielen, ist der Kläger mit der Geltendmachung eines derartigen Mangels im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ausgeschlossen, weil er ihn in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt hat ([X.] in Tipke/ [X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 [X.]O Rz 94, m.w.N.).

d) Die Rüge des [X.], das [X.] habe es an einer Mitteilung "der Besteuerungsgrundlagen" gemäß § 75 [X.]O fehlen lassen, ist unsubstantiiert. Der Kläger hat im vorliegenden Beschwerdeverfahren in keiner Weise konkretisiert, welche Unterlagen der Besteuerung ihm nicht mitgeteilt worden wären. Im Übrigen ist ein Verstoß des [X.] gegen § 75 [X.]O nicht festzustellen. Dem Kläger ist im Laufe des Verfahrens mehrfach Gelegenheit gegeben worden, Einsicht in die auch im erstinstanzlichen Verfahren beigezogenen Steuerakten und Unterlagen zu nehmen, die antragsgemäß an das Amtsgericht (AG) [X.] übersandt wurden und dann noch einmal beim [X.] hätten eingesehen werden können. Nach dem Verlauf des Verfahrens musste der Kläger damit rechnen, dass das [X.] bei seiner Entscheidung auf diese beigezogenen Akten und Unterlagen zurückgreifen würde.

Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, dass im [X.] wegen Nichtabgabe von Steuererklärungen die konkret zu Grunde gelegten Besteuerungsgrundlagen insbesondere auch auf Schlussfolgerungen --und insoweit nicht auf [X.] beruhen, wobei nach dem Inhalt der Einspruchsentscheidung dem Kläger die vorgenommenen Schätzungen im [X.] an das Ergehen der angefochtenen Steuerbescheide in einem gesonderten Schreiben "nochmals erläutert" worden waren.

e) Die Beschlagnahme der Geschäftsunterlagen für die Streitjahre berührt grundsätzlich nicht die Erklärungspflicht des [X.], deren Nichterfüllung deshalb die Schätzungsbefugnis des FA eröffnet.

Soweit der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren ausweislich des Akteninhalts vorgetragen hatte, dass ihm beschlagnahmte Unterlagen nicht oder nicht vollständig herausgegeben worden und ihm Kopien trotz Antrags nicht zur Verfügung gestellt worden seien, ist die Rüge, dass es dem angefochtenen Urteil insoweit an Gründen fehle und damit ein Verfahrensfehler i.S. von § 119 Nr. 6 [X.]O vorliege, nicht nachvollziehbar. Vielmehr hat sich das [X.] mit diesem Vortrag auf den Seiten 12 bis 15 des angefochtenen Urteils eingehend auseinandergesetzt. Einem Urteil fehlt es nicht deshalb an Gründen, weil die Begründung nicht den Erwartungen eines Beteiligten entspricht oder lückenhaft, rechtsfehlerhaft oder nicht überzeugend ist (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 24, m.w.N.).

f) Vom Kläger geltend gemachte Verfahrensfehler der Finanzverwaltung (wie die behauptete mangelnde Erfüllung von Hinweispflichten i.S. von § 89 AO oder fehlende Anhörung nach § 91 AO) sind keine Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O, der nur Verstöße des [X.] gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts betrifft (Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 76, m.w.N.).

g) Mit der Ansicht, das [X.] habe über Steuerverwaltungsakte und damit nur über abgeschlossene Sachverhalte zu befinden, weshalb sich die Frage stelle, ob ein nachträglich eingetretener Sachverhalt --nämlich die nicht erfolgte Akteneinsicht des [X.] in beigezogene Akten des AG aus dem Strafverfahren gegen den [X.] überhaupt berücksichtigungsfähig sei, wird kein Zulassungsgrund geltend gemacht. Insbesondere liegt kein Verfahrensfehler vor, wenn das [X.] in Erfüllung seiner Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung (§ 76 [X.]O) und vor dem Hintergrund eigener Schätzungsbefugnis nach §§ 96 [X.]O i.V.m. [X.] Unterlagen beizieht, die Einblicke in die der Besteuerung zu unterwerfenden Sachverhalte vermitteln können. Es geht insoweit also nicht um die Schaffung neuer entscheidungserheblicher Sachverhalte, sondern um die Ausschöpfung von Beweismitteln. Nicht zu beanstanden ist, dass das [X.] in diesem Zusammenhang die fortdauernde Nichterfüllung von [X.] durch den Kläger festgestellt hat.

h) Mit der Rüge, das [X.] habe die beigezogenen Akten zu Unrecht an das AG zurückgesandt bevor noch die Möglichkeit der Akteneinsicht zwecks Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bestanden habe, wird kein Verfahrensmangel geltend gemacht, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O).

i) Keinen Erfolg hat die Rüge, das [X.] habe der gesetzlichen Hinweispflicht im Hinblick auf die vom Kläger im [X.] vom 28. November 2005 "durchaus" aufgeworfene Frage, wie denn die vom [X.] postulierte [X.] aussehen solle, nicht genügt. Zum einen hat der Kläger diese Frage dort nicht dezidiert gestellt, zum anderen ist die Hinweis- und Fürsorgepflicht des [X.] bei fachkundigen und fachkundig vertretenen Beteiligten eingeschränkt (vgl. Gräber/Stapperfend, a.a.[X.], § 76 Rz 55). Hier war das [X.] nicht gehalten, den Kläger hinsichtlich der Einzelheiten der Vorgehensweise bei der Erfüllung seiner steuerlichen Erklärungspflichten rechtlich zu beraten (vgl. Gräber/Stapperfend, a.a.[X.], § 76 Rz 56).

Meta

VIII B 17/08

26.02.2010

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 31. Oktober 2007, Az: 8 K 59/06 E,U, Urteil

§ 162 AO, § 75 FGO, § 76 FGO, § 96 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 6 FGO, § 155 FGO, § 227 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.02.2010, Az. VIII B 17/08 (REWIS RS 2010, 8890)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8890

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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