Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.02.2012, Az. X B 91/11

10. Senat | REWIS RS 2012, 8832

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Gegenstand

Darlegungserfordernisse bei behaupteter Verletzung der Sachaufklärungspflicht und kumulativer finanzgerichtlicher Begründung


Leitsatz

1. NV: Hat das FG sein Urteil kumulativ begründet, d.h. auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden und vorliegen.

2. NV: Das FG muss einem Beweisantrag nur dann nachkommen, wenn dieser substantiiert ist. Das setzt voraus, dass das Beweisthema und das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme in Bezug auf einzelne konkrete Tatsachen genau angegeben werden.

Gründe

1

Die [X.]eschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) liegen entweder nicht vor oder sind nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O gebotenen Form dargelegt worden.

2

1. Soweit die Kläger und [X.]eschwerdeführer (Kläger) rügen, das Finanzgericht ([X.]) habe durch das Unterlassen der Vernehmung des angebotenen [X.] gegen seine Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O verstoßen, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision.

3

a) Das [X.] hat seine Entscheidung --neben dem Fehlen einer ordnungsgemäßen [X.]uchführung aufgrund des Führens eines Kassensystems, in dem ein Manipulationsmodul integriert ist-- kumulativ auf die fehlende Ordnungsmäßigkeit der [X.]uchführung gestützt, die sich allein aus den Differenzen zwischen den festgestellten Tagesendsummen aus dem vom Kläger eingesetzten Computer-Kassen-System [X.] und den Kassenaufzeichnungen ergebe. [X.]ezüglich dieses [X.]egründungsstrangs haben die Kläger etwaige Zulassungsgründe nicht erfolgreich dargelegt, so dass insoweit ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht ausscheidet.

4

aa) Hat das [X.] sein Urteil kumulativ begründet, d.h. auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 [X.]O dargelegt werden und vorliegen (ständige Rechtsprechung des [X.] --[X.]--, z.[X.]. Senatsbeschluss vom 22. April 2008 [X.]/07, [X.], 1345; vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 28, m.w.N. aus der [X.]-Rechtsprechung).

5

bb) Das [X.] hat in seiner Entscheidung ausgeführt, dass die festgestellten Tagesendsummen aus dem vom Kläger eingesetzten Computer-Kassen-System [X.] und die Kassenaufzeichnungen, die der Kläger seinen eingereichten Gewinnermittlungen zu Grunde gelegt hat, erhebliche Differenzen aufwiesen. Insoweit sei die Zuschätzung der gewerblichen Gewinne gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung ([X.]) dem Grunde nach und --mit Ausnahme des Rechenfehlers im Jahr 2003-- auch der Höhe nach berechtigt gewesen. Die Kassenführung des [X.] sei --unbeschadet der Frage, ob das vom Kläger eingesetzte [X.] das Manipulationsmodul enthalten bzw. ob er dieses verwendet [X.] nicht ordnungsgemäß i.S. von § 158 [X.]. Die weitere Zuschätzung von jeweils 4.000 € netto für die Jahre 2002 und 2003 sei dadurch gerechtfertigt, dass in beiden Streitjahren an mehreren Arbeitstagen überhaupt keine Kassenregistrierung im [X.] erfolgt sei.

6

Hinsichtlich dieses [X.]egründungsstrangs haben die Kläger jedoch nicht die Voraussetzungen eines Zulassungsgrundes i.S. von § 115 Abs. 2 [X.]O erfolgreich dargelegt. Sie hatten in ihrer Klagebegründung vom 6. Oktober 2010 die Zeugenvernehmung von A, dem Geschäftsführer der das Computer-Kassen-System [X.] vertreibenden D-GmbH, als [X.]eweis für die Tatsachen angeboten, dass der Kläger das streitgegenständliche Manipulationsmodul nicht erworben habe und dass eine Umsatzverkürzung durch den Kläger auf der Grundlage der vom Zeugen überprüften Software nicht möglich gewesen sei. Das [X.]ezeugen dieser Tatsachen war hinsichtlich des genannten [X.]egründungsstrangs --bei Zugrundelegung des materiell-rechtlichen Standpunkts des [X.]-- für seine Entscheidung nicht erheblich.

7

b) Im Übrigen kann der von den Klägern gerügte Verfahrensfehler der mangelnden Sachaufklärung auch deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen, da der Mangel im vorliegenden [X.]eschwerdeverfahren nicht mehr geltend gemacht werden kann.

8

aa) Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren [X.]eachtung die Prozessbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 [X.]O i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört auch das Übergehen eines [X.]eweisantrages, wie die im Streitfall beantragte Zeugenvernehmung. [X.]ei solchen Verfahrensmängeln geht das [X.] nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem [X.] verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich. Der Verfahrensmangel muss in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt werden, in der der [X.] erschienen ist; verhandelt er zur Sache, ohne den Verfahrensmangel zu rügen, obwohl er den Mangel kannte oder kennen musste, verliert er das [X.] ([X.] vom 31. Januar 1989 [X.]/88, [X.], 498, [X.] 1989, 372, und vom 15. Mai 1996 [X.], 253/93, [X.] 1996, 906; Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 100 ff.). Eine Rüge des vermeintlichen [X.] vor dem [X.] ist jedenfalls dann erforderlich, wenn die Kläger --wie im [X.] im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen Prozessbevollmächtigten sachkundig vertreten waren (z.[X.]. [X.] vom 16. Februar 1998 [X.]/97, [X.] 1998, 875; Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 115 Rz 103).

9

bb) Nach dem Sitzungsprotokoll hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger das Übergehen des [X.]eweisantrags hinsichtlich der Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2011 nicht gerügt, obwohl der Zeuge A nicht zu der mündlichen Verhandlung geladen war und damit zu einer Vernehmung erkennbar nicht zur Verfügung stand. Der Prozessbevollmächtigte konnte und musste daher davon ausgehen, dass das [X.] dem [X.]eweisantrag nicht nachkommen werde.

2. Auch die Rüge der Kläger, das [X.] habe durch die Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2011 von ihrem Prozessbevollmächtigten gestellten Antrags, ein Sachverständigengutachten zur Überprüfung des [X.] einzuholen, gegen seine Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O verstoßen, greift mangels Vorliegens eines solchen Verstoßes nicht durch.

a) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass das [X.] einem [X.]eweisantrag nur dann nachkommen muss, wenn dieser substantiiert ist ([X.] vom 17. März 2003 [X.], [X.] 2003, 825; vom 12. Dezember 2007 [X.]/07, [X.], 736, und vom 14. Juli 2008 [X.], [X.], 1815). Das setzt voraus, dass das [X.]eweisthema und das voraussichtliche Ergebnis der [X.]eweisaufnahme in [X.]ezug auf einzelne konkrete Tatsachen genau angegeben werden ([X.] vom 21. November 2002 [X.]/02, [X.] 2003, 485; in [X.], 736, und in [X.], 1815).

b) Das [X.] hat danach den in der mündlichen Verhandlung gestellten [X.]eweisantrag zu Recht abgelehnt. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat ausweislich der Sitzungsniederschrift weder das [X.]eweisthema noch das voraussichtliche Ergebnis der [X.]eweisaufnahme in [X.]ezug auf einzelne konkrete Tatsachen genau angegeben. Er hat vielmehr lediglich beantragt, "einen Sachverständigen zu bestellen, der das [X.] überprüft".

3. Schließlich rechtfertigt die (sinngemäße) Rüge der Kläger, das [X.] sei --selbst ohne die gestellten [X.] verpflichtet gewesen, den Sachverhalt weiter aufzuklären, nicht die Zulassung der Revision wegen einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht, da sie nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O entspricht.

a) Eine schlüssige Rüge, das [X.] habe gegen seine Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung --auch ohne entsprechenden [X.]eweisantritt seitens des [X.] verstoßen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O), erfordert die Darlegung, zu welchen konkreten Tatsachen weitere Ermittlungen geboten waren, welche [X.]eweise zu welchem [X.]eweisthema das [X.] von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer weiteren Sachverhaltsaufklärung oder einer [X.]eweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder [X.]eweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die unterlassene Ermittlungsmaßnahme oder [X.]eweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des [X.] zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung, vgl. z.[X.]. [X.] vom 19. Januar 2005 [X.]/04, [X.] 2005, 921; vom 10. April 2006 [X.], [X.] 2006, 1461, und vom 21. November 2008 [X.]/07, [X.] 2009, 358; Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 120 Rz 69, 70, m.w.N.).

b) An einem solchen Vorbringen fehlt es. Die Kläger haben insbesondere nicht schlüssig vorgetragen, warum sich dem [X.] die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen oder einer [X.]eweisaufnahme auch ohne einen entsprechenden [X.]eweisantrag hätte aufdrängen müssen. Auch fehlt es an der gebotenen, schlüssigen und substantiierten Darlegung, welches Ergebnis eine weitere Sachaufklärung oder [X.]eweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und inwiefern diese zu einer anderen Entscheidung des [X.] hätte führen können.

4. Soweit die Kläger eine fehlerhafte bzw. nicht vollständige Darstellung des der Entscheidung des [X.] zu Grunde liegenden Sachverhalts rügen, kann dies keinen Verfahrensmangel begründen. Einwendungen gegen die Richtigkeit des im [X.]-Urteil festgestellten Tatbestandes können nicht als Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O im [X.] gerügt werden, sondern müssen gegebenenfalls zum Gegenstand eines Antrags auf [X.] (§ 108 [X.]O) gemacht werden (z.[X.]. Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2008 [X.]/08, [X.] 2009, 41). Dies gilt auch für entscheidungserhebliche Tatsachen, die in den Entscheidungsgründen des Urteils mitgeteilt werden (z.[X.]. [X.] vom 24. April 2007 XI [X.] 35/06, [X.] 2007, 1268; Gräber/Stapperfend, a.a.[X.], § 108 Rz 3).

Im Übrigen hat das [X.] im Rahmen seiner Entscheidungsfindung --entgegen der Auffassung der [X.] nicht [X.]eurteilungen aus den Jahren 1998 bis 2001 übertragen. Es hat --wie bereits [X.] maßgeblich auf die Differenzen zwischen den Tagesendsummen aus [X.] und den Kassenaufzeichnungen in den Jahren 2002 und 2003 und auf die Tatsache abgestellt, dass in beiden Jahren an mehreren Arbeitstagen überhaupt keine Kassenregistrierung im [X.] erfolgte sowie --kumulativ-- darauf, dass das [X.] in beiden Jahren zumindest zeitweise das Manipulationsmodul enthielt.

5. Versteht man das Vorbringen der Kläger, das [X.] habe nicht objektiv geurteilt, dahingehend, die Tatsachen- und [X.]eweiswürdigung sei willkürlich, so lässt sich auch damit eine Revisionszulassung nicht rechtfertigen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O). Voraussetzung hierfür wäre, dass die Entscheidung des [X.] in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte, also wenn etwa das [X.] eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hätte oder wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehren oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruhen würde (Senatsbeschluss vom 22. März 2011 X [X.] 151/10, [X.] 2011, 1165, m.w.N.). Dies ist nicht erkennbar.

Meta

X B 91/11

23.02.2012

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 23. März 2011, Az: 2 K 2184/10, Urteil

§ 158 AO, § 162 Abs 2 S 2 AO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.02.2012, Az. X B 91/11 (REWIS RS 2012, 8832)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8832

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