Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.06.2020, Az. XIII ZR 22/19

13. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 753

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Gegenstand

Genereller Ausschluss eines Unternehmens von der Teilnahme an Vergabeverfahren ohne sachlichen Grund: Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb für einen eingetragenen Verein; Unterlassungsanspruch; Interessenkonflikt bei einem Organmitglied des öffentlichen Auftraggebers - Vergabesperre


Leitsatz

Vergabesperre

1. Ein eingetragener Verein, der sich am Wirtschaftsverkehr beteiligt, genießt bei dieser Tätigkeit den Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

2. Schließt ein öffentlicher Auftraggeber ein Unternehmen ohne hinreichenden sachlichen Grund generell von der Vergabe von Aufträgen oder der Teilnahme an Vergabeverfahren aus, steht dem ausgeschlossenen Unternehmen gegen die Umsetzung einer solchen rechtswidrigen Vergabesperre ein Unterlassungsanspruch zu.

3. Ein Interessenkonflikt bei einem Organmitglied des öffentlichen Auftraggebers kann eine Vergabesperre nur insoweit rechtfertigen, als der Gefahr eines Einflusses auf ein Vergabeverfahren nicht durch eine sachgerechte Organisation der Vorbereitung und Durchführung betroffener Vergabeverfahren sowie der hierauf bezogenen Entscheidungsprozesse begegnet werden kann.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 28. Juni 2019 aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 16 des [X.] vom 19. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um den Ausschluss des [X.] von Vergabeverfahren des beklagten [X.].

2

Der Kläger ist ein eingetragener Verein mit etwa 180 Mitarbeitern, der ökologische Studien durchführt und wissenschaftliche Gutachten erstellt. Er ist in fünf Fachbereiche untergliedert, nämlich in die Bereiche Energie und Klimaschutz, Produkte und Stoffströme, Ressourcen und Mobilität, Umweltrecht und Governance sowie Nukleartechnik und Anlagensicherheit.

3

Die [X.] und Klimaschutz des beklagten [X.] vergibt regelmäßig Aufträge für Forschungsvorhaben und Gutachten. Sie hat in der Vergangenheit auch an den Kläger Aufträge im Wert von bis zu 100.000 € je Auftrag vergeben.

4

Die der [X.] seit Dezember 2016 vorstehende Senatorin ist mit einem Mitarbeiter des [X.] verheiratet, der im Fachbereich Energie und Klimaschutz als Forschungskoordinator tätig ist. Er hat beim Kläger kein Direktionsrecht und keine Personalverantwortung und hat seit 2008 für die [X.] keine Beratung mehr durchgeführt.

5

Mit E-Mail vom 20. Januar 2017 teilte der Staatssekretär der [X.] und Klimaschutz den dortigen Abteilungsleitern mit, zur Vermeidung eines Interessenkonflikts sei eine Beauftragung des [X.] nicht mehr möglich. Er wies sie an, Angebote des [X.] als ungeeignet auszuschließen.

6

Mit seiner Klage verlangt der Kläger, die mit E-Mail vom 20. Januar 2017 verhängte [X.] aufzuheben und alle Abteilungsleiter der [X.] und Klimaschutz anzuweisen, ihn bei künftigen Auftragsvergaben nach denselben Grundsätzen wie jeden anderen Bieter zu berücksichtigen.

7

Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des [X.] hat Erfolg.

9

A. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung (KG, Urteil vom 28. Juni 2019 - 9 U 55/18, juris) im Wesentlichen wie folgt begründet:

Dem Kläger stehe der gegen den Beklagten geltend gemachte Anspruch, die mit E-Mail vom 20. Januar 2017 verhängte [X.] aufzuheben und den Kläger bei künftigen Auftragsvergaben wie jeden anderen Bieter zu berücksichtigen, nicht zu. Zwar sei die Weisung vom 20. Januar 2017 vergaberechtswidrig; dies alleine begründe aber keinen Abwehranspruch.

Der generelle Ausschluss des [X.] von Vergabeverfahren ohne Einzelfallprüfung sei weder im Anwendungsbereich der §§ 97 ff. [X.] noch bei Vergabeverfahren mit niedrigeren [X.] rechtmäßig. Weder § 6 VgV noch § 124 Abs. 1 Nr. 5 [X.] i.V.m. § 42 Abs. 1 VgV böten eine Rechtfertigung für die ausgesprochene [X.]. Es liege zwar ein Interessenkonflikt im Sinne des § 6 Abs. 2 VgV vor, allerdings seien mildere Mittel als ein genereller Ausschluss des [X.] von allen Vergabeverfahren denkbar, um diesem Interessenkonflikt zu begegnen. Die [X.] könne die Behandlung von Vergabeverfahren auf ihre Staatssekretäre übertragen.

Im Bereich der Oberschwellenvergabe bestehe Rechtsschutz im Rahmen eines [X.] nach §§ 155 ff. [X.]; im [X.] bestünden in konkreten Vergabeverfahren vertrags- und deliktsrechtliche Abwehransprüche. Außerhalb von Ausschreibungen und bei freihändigen Vergaben im [X.] fehle es an einem subjektiven Recht des Bieters, mit öffentlichen Aufträgen bedacht zu werden und damit an einem Eingriff in eine Rechtsposition des [X.]. Bei der E-Mail vom 20. Januar 2017 handele es sich lediglich um eine interne Weisung ohne Außenwirkung, die nicht Gegenstand eines Unterlassungsanspruchs sein könne.

Durch die [X.] werde weder gegen Pflichten aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis verstoßen, noch liege ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des [X.] vor. Auch sei kein Schutzgesetz verletzt und der Kläger nicht vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Eine willkürliche Ungleichbehandlung des [X.] liege ebenfalls nicht vor. Für eine Ausweitung der Rechtsschutzmöglichkeiten bestehe kein Bedürfnis.

B. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

I. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht dem Kläger aufgrund seines Ausschlusses von Vergabeverfahren des beklagten [X.] ein Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB zu, da ein rechtswidriger Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des [X.] vorliegt und weitere Beeinträchtigungen zu befürchten sind.

1. Der Senat legt den Antrag des [X.] als Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs aus.

Eine Unterlassungsverpflichtung erschöpft sich nicht im bloßen Nichtstun, sondern umfasst auch die Vornahme von [X.]andlungen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustands, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot Folge geleistet werden kann ([X.], Urteil vom 22. Oktober 1992 - [X.], [X.]Z 120, 73, 76 - Straßenverengung).

Der Kläger verlangt vom Beklagten zum einen, die [X.] aufzuheben. Er macht damit aber keinen gesonderten Beseitigungsanspruch entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB geltend, denn der Kläger beantragt zum anderen, dass ihn der Beklagte bei künftigen Auftragsvergaben nach denselben Grundsätzen wie jeden anderen Bieter zu berücksichtigen habe. Damit verlangt er vom Beklagten, es zu unterlassen, ihn bei künftigen Vergabeverfahren aufgrund der [X.] auszuschließen. Diesem Unterlassungsgebot kann der Beklagte nur Folge leisten, wenn er die in der E-Mail vom 20. Januar 2017 enthaltene Weisung, den Kläger von allen Vergabeverfahren der Senatsverwaltung auszuschließen, aufhebt.

2. Dem Kläger als eingetragenem Verein, der sich am Wirtschaftsverkehr beteiligt, steht bei dieser Tätigkeit der Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu.

a) Der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb ist in der Rechtsprechung als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB anerkannt. Geschützt wird das Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit und seinem Funktionieren vor einem widerrechtlichen Eingriff ([X.], Urteil vom 15. Januar 2019 - [X.], juris Rn. 16 - presserechtliches Informationsschreiben mwN). Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist dabei nicht auf den Gewerbebetrieb im handelsrechtlichen Sinn beschränkt, sondern steht z.B. auch Angehörigen freier Berufe zu ([X.], Urteil vom 15. Mai 2012 - [X.], [X.]Z 193, 227 Rn. 19).

b) Der Kläger als eingetragener Verein, der sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts durch die Erstellung bezahlter Forschungsvorhaben und Gutachten am Wirtschaftsverkehr beteiligt, genießt bei dieser Tätigkeit den Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Ein Grund, dem Kläger, der durch solche Aufträge seine wirtschaftliche Grundlage sichert, aufgrund seiner Rechtsform als eingetragener Verein den Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu versagen, ist nicht ersichtlich.

3. Beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der den gesetzlichen Schutz lediglich ergänzt und eine ansonsten bestehende [X.] schließt. Er bietet keine [X.]andhabe, den Schutz dort auszudehnen, wo ihn das Gesetz gerade verwehrt ([X.], Beschluss vom 10. Dezember 2002 - [X.], juris Rn. 10; [X.], Urteil vom 24. Januar 2006 - [X.], [X.]Z 166, 84 Rn. 93). Für seine Anwendung ist auch kein Raum, wenn der Sachverhalt bereits durch spezielle Normen geregelt ist ([X.], Urteil vom 16. Juni 1977 - [X.], [X.]Z 69, 128, 138 f. mwN). Das hier insbesondere in Betracht kommende Kartell- und Vergaberecht gewährt gegenüber einer [X.] keinen abschließenden Schutz, weshalb - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - eine [X.] besteht.

a) Ein Unterlassungsanspruch nach § 33, § 20 Abs. 1, § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 [X.] kommt hier bereits deshalb nicht in Betracht, weil das Berufungsgericht die Normadressateneigenschaft des Beklagten nicht festgestellt hat und hierfür auch nichts ersichtlich ist.

b) Ein Vorgehen gegen einen generellen Ausschluss von Vergabeverfahren außerhalb eines konkreten Vergabeverfahrens ist weder für Vergabeverfahren im Anwendungsbereich der §§ 97 ff. [X.], also ab Erreichen oder Überschreiten der Schwellenwerte des § 106 [X.], noch unterhalb dieser Schwellenwerte spezialgesetzlich normiert. Der Gesetzgeber hat weder allgemein geregelt, unter welchen Voraussetzungen eine [X.] verhängt werden kann (vgl. die Begründung zu § 126 [X.]-E im Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Vergaberechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 18/6281, [X.]; siehe aber die speziellen Regelungen z.B. in § 21 [X.], § 19 [X.] und § 21 [X.]), noch, unter welchen Voraussetzungen gegen eine solche [X.] vorgegangen werden kann. Aus dem Fehlen solcher Regelungen kann aber nicht geschlossen werden, dass das Vergaberecht Rechtsschutz gegen eine [X.] außerhalb eines Vergabeverfahrens ausschließen will.

aa) Wird ein Unternehmen aufgrund einer [X.] von einem konkreten Vergabeverfahren nach §§ 97 ff. [X.] ausgeschlossen, hat es die Möglichkeit, den Ausschluss in einem Nachprüfungsverfahren nach §§ 155 ff. [X.] überprüfen zu lassen. Die im Nachprüfungsverfahren getroffene Entscheidung wirkt aber nur für das der Nachprüfung unterzogene Vergabeverfahren und nicht für alle folgenden Vergabeverfahren, die derselbe öffentliche Auftraggeber führt.

Da die Bewerbung um einen öffentlichen Auftrag mit erheblichen Kosten verbunden sein kann und die generelle Nichtberücksichtigung in Vergabeverfahren nicht nur wirtschaftlich nachteilig, sondern auch geeignet sein kann, als Makel des Unternehmens im Wettbewerb wahrgenommen zu werden, etwa wenn das betroffene Unternehmen aufgrund seiner Stellung auf dem Markt und seines Angebots in der Vergangenheit in Vergabeverfahren regelmäßig zum Zuge kam, erfordert es der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes, dass das Unternehmen auch außerhalb eines Vergabeverfahrens nach §§ 97 ff. [X.] gegen eine [X.] vorgehen kann.

bb) In Fällen, in denen ein Vergabeverfahren ohne öffentliche Ausschreibung oder Teilnahmewettbewerb durchgeführt wird, wird das von einer [X.] betroffene Unternehmen von der beabsichtigten Auftragsvergabe in der Regel nichts erfahren. In diesen Fällen hat es tatsächlich keine Möglichkeit, gegen seine Nichtberücksichtigung im konkreten Vergabeverfahren aufgrund der [X.] vorzugehen. Selbst wenn es - wie im Streitfall - von seinem Ausschluss ausnahmsweise erfährt, hat es nicht notwendigerweise einen Anspruch darauf, zur Abgabe eines Angebots aufgefordert zu werden. Würde in einem solchen Fall die Möglichkeit verneint, die Rechtmäßigkeit einer [X.] unabhängig von einem konkreten Vergabeverfahren gerichtlich klären zu lassen, bliebe dem Unternehmen gegen eine rechtswidrige [X.] jeglicher Rechtsschutz versagt.

4. Der Ausschluss des [X.] von Vergabeverfahren der Senatsverwaltung aufgrund der Weisung des Staatssekretärs des beklagten [X.] greift unmittelbar in das Recht des [X.] am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein.

a) Ein unmittelbarer Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegt nur vor, wenn der Eingriff gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen ist und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betrifft ([X.]Z 193, 227 Rn. 21). Unter dem Begriff des Gewerbebetriebs im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist all das zu verstehen, was den Betrieb in seiner Gesamtheit zur wirtschaftlichen Betätigung befähigt, also nicht nur Betriebsräume und Betriebsgrundstücke, Maschinen und Gerätschaften, Einrichtungsgegenstände und Warenvorräte, sondern auch Geschäftsverbindungen, der Kundenkreis und Außenstände ([X.]Z 193, 227 Rn. 19). Die Verletzungshandlung muss sich gegen den Betrieb und seine Organisation oder gegen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richten ([X.], Urteil vom 6. Februar 2014 - [X.], juris Rn. 12 - Aufruf zur [X.]). Diese Voraussetzungen können auch dann erfüllt sein, wenn nur einzelne Geschäftsaktivitäten des Unternehmens beeinträchtigt werden ([X.]Z 193, 227 Rn. 21).

b) Die Weisung in der E-Mail vom 20. Januar 2017 stellt zwar nur einen innerbehördlichen Vorgang dar, ihre Umsetzung verhindert aber jede Geschäftstätigkeit des [X.] mit der Senatsverwaltung und greift dadurch in die Geschäftstätigkeit des [X.] unmittelbar ein (vgl. zur Umsetzung einer innerbehördlichen Maßnahme [X.], Urteil vom 26. Mai 1987 - [X.], [X.]Z 101, 72, 78 [juris Rn. 27] - Krankentransporte).

5. Da die Anwendung der [X.] bereits zum Ausschluss des [X.] von Vergabeverfahren der Senatsverwaltung geführt hat, droht nicht nur ein erstmaliger Eingriff (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 17. September 2004 - [X.], juris Rn. 11 mwN) in sein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, sondern es besteht Wiederholungsgefahr.

Der Beklagte hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine Aufforderung an den Kläger vom 28. April 2017, ein Angebot für eine Untersuchung zur Wiederverwendung von Gebrauchtwagen abzugeben, aufgrund der Weisung des Staatssekretärs vom 20. Januar 2017 wieder zurückgezogen. Die Senatsverwaltung hat im Jahr 2018 in insgesamt sieben Fällen Projekte vergeben, ohne den Kläger aufzufordern, ein Angebot abzugeben. Es ist daher zu befürchten, dass der Kläger aufgrund der Weisung auch künftig an keinen Vergabeverfahren der Senatsverwaltung beteiligt wird.

6. Der Eingriff des Beklagten in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des [X.] ist rechtswidrig. Die vom Beklagten angeführten Gründe rechtfertigen einen generellen Ausschluss des [X.] von der Vergabe öffentlicher Aufträge für die Dauer der Amtszeit der [X.] weder im Bereich der Vergabe nach §§ 97 ff. [X.] noch im [X.].

a) Beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb handelt es sich um einen offenen Tatbestand, dessen Inhalt und Grenzen sich aus einer Interessen- und Güterabwägung ergeben. Die Behinderung der Erwerbstätigkeit ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. [X.]Z 193, 227 Rn. 27 mwN).

Im Streitfall ist das Interesse des [X.], sich an Vergabeverfahren der Senatsverwaltung des Beklagten zu beteiligen, um durch Aufträge der Senatsverwaltung seine wirtschaftliche Grundlage zu sichern und gleichzeitig seinen wissenschaftlichen Ruf zu mehren, der weitere Aufträge nach sich ziehen kann, gegen das Interesse des Beklagten abzuwägen, durch eine [X.] jeglichen "bösen Schein" eines Interessenkonflikts zu vermeiden. Da die gegen den Kläger verhängte generelle [X.] gegen Vergaberecht verstößt, überwiegen die Interessen des [X.] diejenigen des Beklagten.

b) Für Vergabeverfahren nach §§ 97 ff. [X.] sind die Gründe, die dem öffentlichen Auftraggeber erlauben, ein Unternehmen von Vergabeverfahren auszuschließen, in § 124 [X.] i.V.m. § 42 Abs. 1 VgV abschließend geregelt (vgl. Stolz in [X.]/[X.], Vergaberecht, 3. Aufl., § 124 [X.] Rn. 1; [X.] in [X.]/[X.], Vergaberecht, 3. Aufl., § 124 Rn. 8). Sie rechtfertigen keinen generellen Ausschluss des [X.] von Vergabeverfahren der Senatsverwaltung.

aa) Nach § 124 Abs. 1 Nr. 5 [X.] kann der öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn ein Interessenkonflikt bei der Durchführung des Vergabeverfahrens besteht, der durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden kann. Zwar erfasst § 124 Abs. 1 Nr. 5 [X.] unmittelbar nur den Fall, dass ein konkretes Vergabeverfahren bereits vorliegt (so die Begründung zu § 124 Abs. 1 Nr. 5 [X.]-E, BT-Drucks. 18/6281, [X.]; [X.]/von [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]-Vergaberecht, 4. Aufl., § 124 [X.] Rn. 36). Die Anforderungen der Norm müssen aber auch gelten, wenn eine [X.] im Vorfeld eines Vergabeverfahrens gegen einen potenziellen Bewerber verhängt wird. Das zeigt die Bezugnahme auf den Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 5 [X.] in § 126 Nr. 2 [X.], der [X.] für den generellen Ausschluss von Bewerbern von Vergabeverfahren enthält.

In § 6 VgV ist näher geregelt, wann ein Interessenkonflikt vorliegt. Nach § 6 Abs. 2 VgV ist dies der Fall, wenn Personen, die an der Durchführung des Vergabeverfahrens beteiligt sind oder Einfluss auf den Ausgang eines Vergabeverfahrens nehmen können, ein direktes oder indirektes finanzielles, wirtschaftliches oder persönliches Interesse haben, das ihre Unparteilichkeit und Unabhängigkeit im Rahmen des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte. Nach § 6 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a VgV wird bei Personen, deren Ehegatte bei einem Bewerber oder Bieter gegen Entgelt beschäftigt ist, vermutet, dass ein solcher Interessenkonflikt besteht.

§ 6 Abs. 1 VgV ordnet allerdings nur ein Mitwirkungsverbot des Organmitglieds oder Mitarbeiters des öffentlichen Auftraggebers, bei dem der Interessenkonflikt besteht, an. § 124 Abs. 1 Nr. 5 [X.] i.V.m. § 42 Abs. 1 VgV sehen in Umsetzung des Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2014/24/[X.] als ultima ratio auch den Ausschluss des Bewerbers vor. Die tatsächlich ergriffene Maßnahme muss jedoch verhältnismäßig sein und darf nicht über das hinausgehen, was zur Verhinderung des potenziellen oder bestehenden Interessenkonflikts unbedingt erforderlich ist.

Bevor der Bieter von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen wird, hat der öffentliche Auftraggeber aus Gründen der Verhältnismäßigkeit daher zunächst die Pflicht, Organe oder Mitarbeiter, bei denen der Interessenkonflikt besteht, von der weiteren Befassung mit solchen Vergabeverfahren auszuschließen. Durch diese Maßnahme wird in aller Regel der Interessenkonflikt wirksam beseitigt und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung getragen, da sie den Bewerber nicht belastet (vgl. [X.]/von [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]-Vergaberecht, 4. Aufl., § 124 [X.] Rn. 38; [X.] in [X.]/[X.], Vergaberecht, 4. Aufl., § 124 [X.] Rn. 62).

bb) Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass durch die Beschäftigung des Ehemanns der [X.] beim Beklagten ein Interessenkonflikt besteht, der durch den Ausschluss der [X.] von allen Vergabeverfahren, an denen der Kläger beteiligt ist, wirksam beseitigt werden kann. Zwar ist dieses Mittel nicht im selben Maße wie eine generelle [X.] geeignet, dem Ziel des Beklagten, jeglichen "bösen Schein" zu vermeiden, Rechnung zu tragen. Dieses Mittel berücksichtigt aber die Interessen des [X.], an Vergabeverfahren der Senatsverwaltung teilnehmen zu können, und schließt den Kläger nicht für die gesamte Amtszeit der [X.] von allen Vergabeverfahren der Senatsverwaltung aus.

Bei der Frage der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ist zu berücksichtigen, dass der Interessenkonflikt von vornherein nur schwach ausgeprägt ist, da der Ehemann der [X.] nach den Feststellungen des Berufungsgerichts als Forschungskoordinator weder ein Direktionsrecht noch Personalverantwortung beim Kläger hat, seit 2008 keine Beratung für die [X.] und Klimaschutz mehr durchgeführt hat und seine wissenschaftliche Betätigung außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Senatsverwaltung liegt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die seit Januar 2017 aufrechterhaltene [X.] die nach § 126 Nr. 2 [X.] zulässige [X.]öchstfrist von drei Jahren für eine [X.] im Fall eines Ausschlussgrundes nach § 124 [X.] überschreitet. Diese [X.]öchstfrist ist Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. auch [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]-Vergaberecht, 4. Aufl., § 126 [X.] Rn. 26 und [X.] in [X.]/[X.], Vergaberecht, 4. Aufl., § 126 [X.] Rn. 10, die bei einem Interessenkonflikt überhaupt keinen Raum für einen längerfristigen Ausschluss von der Vergabe sehen).

c) Im [X.] gilt im beklagten Land seit dem 1. April 2020 die Unterschwellenvergabeordnung (vgl. Ausführungsvorschriften zu § 55 der [X.]haushaltsordnung, Rundschreiben der [X.] vom 14. Februar 2020, Geschäftszeichen [X.] - [X.] 1055-1/2019-2-5), die mit § 4 UVgO eine dem § 6 VgV entsprechende Regelung zu Interessenkonflikten enthält. Über § 31 Abs. 1 UVgO können Interessenkonflikte - wie im Anwendungsbereich des § 124 [X.] - nur dann zum Ausschluss des Bewerbers von Vergabeverfahren führen, wenn der Ausschluss verhältnismäßig ist. Dass dies hier nicht der Fall ist, ergibt sich aus den Ausführungen unter b.

Im Übrigen hat der öffentliche Auftraggeber bei Vergabeverfahren im [X.], an denen ein grenzüberschreitendes Interesse besteht, die grundlegenden Vorschriften des Unionsrechts zu beachten, insbesondere die-jenigen über die Freiheit des Warenverkehrs, die Dienstleistungsfreiheit und das Niederlassungsrecht, sowie die daraus abgeleiteten Grundprinzipien, insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz (vgl. EuG[X.], Urteil vom 15. Mai 2008 - [X.]/06 und [X.], [X.] 2008, 625 Rn. 20 ff. - [X.] und [X.]; EuG[X.], Urteil vom 23. Dezember 2009 - [X.]/08, [X.] 2010, 469 Rn. 23 - Serrantoni; [X.], Urteil vom 30. August 2011 - [X.], juris Rn. 14 - Regenentlastung). Bei von der [X.] und Klimaschutz vergebenen öffentlichen Aufträgen, bei denen potentieller Wettbewerb von [X.] aus anderen Mitgliedstaaten besteht, widerspricht der Ausschluss des [X.] von allen Vergabeverfahren dem danach zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

II. Das angefochtene Urteil ist damit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat die Berufung des Beklagten selbst zurückweisen (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

[X.]     

      

Tolkmitt

      

Picker     

      

Linder     

      

Meta

XIII ZR 22/19

03.06.2020

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend KG Berlin, 28. Juni 2019, Az: 9 U 55/18, Urteil

§ 823 Abs 1 BGB, § 1004 Abs 1 S 2 BGB, § 124 Abs 1 Nr 5 GWB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.06.2020, Az. XIII ZR 22/19 (REWIS RS 2020, 753)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 753


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. XIII ZR 22/19

Bundesgerichtshof, XIII ZR 22/19, 03.06.2020.


Az. 9 U 55/18

Oberlandesgericht Hamm, 9 U 55/18, 28.09.2018.

Oberlandesgericht Köln, 9 U 55/18, 16.08.2018.


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