Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.11.2017, Az. 5 AZR 692/16

5. Senat | REWIS RS 2017, 2790

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Gegenstand

Mindestlohn - Anrechenbarkeit von Prämien


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 23. August 2016 - 2 [X.]/16 - wird zurückgewiesen.

2. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. August 2016 - 2 [X.]/16 - aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. Februar 2016 - 3 Ca 1815/15 [X.] - zurückgewiesen hat.

3. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 24. Februar 2016 - 3 Ca 1815/15 [X.] - in seiner Ziffer 2 weiter abgeändert und die Klage insoweit insgesamt abgewiesen.

4. Von den erstinstanzlichen Kosten haben der Kläger 90 % und die Beklagte 10 % zu tragen. Die Kosten der Berufung und der Revision hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - soweit für die Revision von Belang - über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs.

2

Der Kläger ist seit dem 15. Februar 2010 bei der [X.] bzw. deren Rechtsvorgängerin als Kraftfahrer beschäftigt. Er arbeitete in den Monaten Januar sowie März bis September 2015 an fünf Tagen pro Woche jeweils 9,6 Stunden. Dabei fielen im Mai und August 21 Arbeitstage, im Juli 23 Arbeitstage und in den übrigen Monaten 22 Arbeitstage an. Die Beklagte zahlte dem Kläger - jeweils brutto - ein monatliches Grundgehalt von 1.605,00 Euro, eine „[X.]“ von 95,00 Euro, eine Prämie für Ordnung und Sauberkeit von 50,00 Euro und eine „Leergutprämie“ von 155,00 Euro.

3

Die „[X.]“ erhalten Beschäftigte, die im [X.] durchgehend arbeitsfähig waren und nicht unentschuldigt gefehlt haben. Die Prämie für Ordnung und Sauberkeit zahlt die Beklagte, wenn das zum Transport von Frischfleisch benutzte Fahrzeug sauber gehalten wird, die „Leergutprämie“ für den korrekten Umgang mit vom Kunden zurückzugebendem Leergut.

4

Mit der am 18. August 2015 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger sich zunächst gegen eine zum 1. September 2011 erfolgte Kürzung der „[X.]“ von 180,00 Euro brutto auf 95,00 Euro brutto gewandt. Mit [X.] vom 26. Oktober 2015 hat er unter Berufung auf das Mindestlohngesetz [X.] für den Zeitraum Januar und März bis September 2015 verlangt und gemeint, die Beklagte habe den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht erfüllt. Die von ihr im Streitzeitraum gezahlten Prämien seien nicht mindestlohnwirksam.

5

Der Kläger hat - soweit die Klage in die Revisionsinstanz gelangt ist - beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.440,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

6

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, die von ihr gezahlten Prämien seien im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachtes Arbeitsentgelt, die den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn miterfüllten.

7

Das Arbeitsgericht hat in dem in der Revision noch anhängigen Umfang der Klage stattgegeben (Ziffer 2 Ersturteil) und die Beklagte außerdem zur Zahlung von 510,00 Euro brutto nebst Zinsen (Ziffer 1 Ersturteil) als weitere „[X.]“ für die Monate Februar bis Juli 2015 verurteilt. Das [X.] hat auf die Berufung der [X.] - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - dem Kläger nur für den Monat Juli 2015 eine auf § 1 [X.] gestützte [X.] iHv. 66,80 Euro brutto nebst Zinsen zugesprochen. Mit der vom [X.] für beide Parteien zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen darüber hinausgehenden Klageantrag weiter, während die Beklagte die vollständige Klageabweisung begehrt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der [X.] ist begründet, die Revision des [X.] unbegründet. Das [X.] hat zu Unrecht der Berufung der [X.] nicht in vollem Umfang entsprochen. Die Klage ist, soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist, unbegründet.

9

I. Streitgegenständlich ist in der Revisionsinstanz nach den von den Parteien gestellten Anträgen (§ 557 Abs. 1 ZPO) nur der Anspruch des [X.] auf den gesetzlichen Mindestlohn für die Monate Januar und März bis September 2015.

Dagegen ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts zum Streitgegenstand „[X.]“ rechtskräftig geworden (§ 705 ZPO). Denn diesbezüglich hat die Beklagte nach Berufungsantrag und -begründung das Ersturteil nicht angegriffen. Soweit das [X.] unter Missachtung des § 528 ZPO eine mangels Begründung unzulässige „Berufung“ der [X.] angenommen hat, geht das Berufungsurteil ins Leere.

II. Die Klage ist unbegründet.

1. Der Kläger hat nach § 1 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde Anspruch auf den Mindestlohn von - im Streitzeitraum - 8,50 Euro brutto. Dieser gesetzliche Anspruch tritt eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch; wird der gesetzliche Mindestlohn unterschritten, führt § 3 [X.] zu einem Differenzanspruch ([X.] 25. Mai 2016 - 5 [X.] - Rn. 22 mwN, [X.]E 155, 202, seither [X.]Rspr.; zuletzt 6. September 2017 - 5 [X.] - Rn. 10).

Den zeitlichen Umfang der vom Kläger in den streitgegenständlichen Monaten tatsächlich geleisteten Arbeit hat das [X.] im Tatbestand des Berufungsurteils für den Senat bindend festgestellt (§ 559 ZPO). Danach ergibt sich ein gesetzlicher Mindestlohn von 1.713,60 Euro brutto für die Monate Mai und August 2015 (jeweils 201,60 Arbeitsstunden), von 1.795,20 Euro brutto für die Monate Januar, März, April, Juni und September 2015 (jeweils 211,20 Arbeitsstunden) und von 1.876,80 Euro brutto für den Monat Juli 2015 (220,80 Arbeitsstunden).

2. Der Anspruch des [X.] auf den gesetzlichen Mindestlohn ist mit der Zahlung von 1.905,00 Euro brutto in jedem der streitgegenständlichen Monate durch Erfüllung erloschen, § 362 Abs. 1 BGB.

a) Der Arbeitgeber hat den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit - im Streitzeitraum - 8,50 Euro ergibt ([X.] 21. Dezember 2016 - 5 [X.] - Rn. 17, [X.]E 157, 356). Das ist vorliegend der Fall. Denn nicht nur das dem Kläger gezahlte Grundgehalt von 1.605,00 Euro brutto ist zur Erfüllung des Mindestlohnanspruchs geeignet, auch die ihm von der [X.] gewährten Prämien sind [X.].

b) Weil der Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 Satz 1 [X.] „je Zeitstunde“ festgesetzt ist und das Gesetz den Anspruch nicht von der zeitlichen Lage der Arbeit oder den mit der Arbeitsleistung verbundenen Umständen oder Erfolgen abhängig macht, sind [X.] alle im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen mit Ausnahme der Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen (st. Rspr., zuletzt [X.] 20. September 2017 - 10 [X.] - Rn. 13; 11. Oktober 2017 - 5 [X.] - Rn. 19 mwN; zum Streitstand zwischen „Entgelttheorie“ und „Normalleistungstheorie“ im Schrifttum vgl. nur [X.]/Nimmerjahn [X.] 2. Aufl. § 1 Rn. 106 ff.; [X.]/Müller-Glöge 7. Aufl. § 1 [X.] Rn. 22 f., jeweils mwN). Entgegen der Auffassung des [X.]s gebietet die Entstehungsgeschichte des Mindestlohngesetzes kein anderes Verständnis. Der Begriff der „Normalleistung“ hat keinen Eingang in den Wortlaut des Mindestlohngesetzes gefunden (im Einzelnen [X.] 21. Dezember 2016 - 5 [X.] - Rn. 21, [X.]E 157, 356; zust. [X.] [X.]. [X.] [X.] § 1 Nr. 3).

c) Danach sind die streitgegenständlichen Prämien [X.].

aa) Mit der Zahlung der „[X.]“ honoriert die Beklagte nicht nur die bloße Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb, sondern die Erbringung der Arbeitsleistung. Die Prämie soll einen finanziellen Anreiz geben, auch bei (geringfügigen) gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu arbeiten und sich nicht krankschreiben zu lassen (zu einer „Anwesenheitsprämie“ vgl. [X.] 11. Oktober 2017 - 5 [X.] - Rn. 20; im Ergebnis ebenso [X.]/Nimmerjahn [X.] 2. Aufl. § 1 Rn. 156).

bb) Auch die Prämie für Ordnung und Sauberkeit ist Gegenleistung für eine Arbeitsleistung des [X.]. Sie honoriert - wie der Kläger selbst vorgebracht hat - Sauberhalten und Desinfektion des von ihm zum Transport von Frischfleisch benutzten Fahrzeugs. Diese Aufgaben sind Teil der vom Kläger zu verrichtenden Tätigkeiten.

cc) Dasselbe gilt für die „Leergutprämie“. Sie ist Gegenleistung für die ordnungsgemäße Abwicklung des von den belieferten Kunden an den Kläger zurückzugebenden Leerguts und unterliegt daher dem umfassenden Entgeltbegriff des Mindestlohngesetzes (zu einer „Nähprämie“ vgl. [X.] 6. September 2017 - 5 [X.] - Rn. 16).

Dabei ist es entgegen der Auffassung des [X.] unerheblich, ob die Beklagte berechtigt ist, Differenzen aus dem Umgang mit Leergut von der Prämie „abzuziehen“. Zwar muss, um [X.] zu sein, die Zahlung des Arbeitgebers dem Arbeitnehmer endgültig verbleiben ([X.] 25. Mai 2016 - 5 [X.] - Rn. 31, [X.]E 155, 202). Indes ergibt sich aus dem in der Berufungsverhandlung zu Protokoll erklärten Sachvortrag des [X.] nur, dass er beim Auftreten von Differenzen die Leergutprämie nicht bzw. nicht in voller Höhe erhält. Dass er für den Streitzeitraum bezogene Prämien wegen späterer [X.] zurückzahlen musste oder sich die Beklagte zumindest die Rückzahlung vorbehalten hätte, hat der Kläger nicht vorgebracht.

dd) Einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung unterliegt keine der streitgegenständlichen Prämien.

III. [X.] folgt aus § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    [X.]    

        

    Weber    

        

    Biebl    

        

        

        

    Eberhard    

        

    Bürger     

                 

Meta

5 AZR 692/16

08.11.2017

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Halle (Saale), 24. Februar 2016, Az: 3 Ca 1815/15 NMB, Urteil

§ 1 Abs 1 MiLoG, § 1 Abs 2 S 1 MiLoG, § 3 MiLoG, § 362 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.11.2017, Az. 5 AZR 692/16 (REWIS RS 2017, 2790)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 2790

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