Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 08.02.2011, Az. 1 BvR 3425/08

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2011, 9689

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Bemessung von Vergnügungssteuer aufgrund eines Stückzahlmaßstabs verletzt Gebot gleichheitsgerechter Besteuerung - hier: Vergnügungssteuersatzung einer baden-württembergischen Gemeinde


Tenor

1. Das Urteil des [X.] vom 2. Juli 2008 - 5 K 1092/08 - verstößt gegen Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

2. Damit werden die Beschlüsse des [X.] vom 30. Oktober 2008 - 2 S 2445/08 - und vom 27. November 2008 - 2 S 3079/08 - gegenstandslos.

3. ...

Gründe

1

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Besteuerung von Geldspielautomaten durch eine nach der Zahl der aufgestellten Automaten (Stückzahlmaßstab) bemessene [X.].

I.

2

1. Der Beschwerdeführer ist Inhaber einer Firma, die Spielautomaten in Spielhallen aufstellt und dort betreibt. In der Stadt [X.] betrieb der Beschwerdeführer in den streitigen [X.] 2005 und 2006 in zwei Spielhallen Geldgewinnspielgeräte. Seit 1982 galt für das Gebiet der Stadt [X.] eine Satzung über die Erhebung einer [X.]. Steuerpflichtige Vergnügungen waren unter anderem das Bereitstellen von Spielautomaten (§ 2 Nr. 4 [X.]satzung in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung). Die Steuer für den Betrieb von [X.] wurde als Pauschsteuer nach einem festen Satz je Spielgerät und Monat vom Unternehmer der Veranstaltung erhoben (§§ 3, 5 [X.]satzung).

3

Die Stadt setzte mit den angegriffenen Bescheiden gegen den Beschwerdeführer zuletzt [X.] für das [X.] in Höhe von 33.990 € und für das [X.] in Höhe von 25.935 € fest. Sein Widerspruch blieb erfolglos.

4

Am 26. November 2007 beschloss der Rat der Stadt [X.] ab dem Veranlagungszeitraum 2008 eine neue [X.]satzung, die die Erhebung der Steuer nach einem Prozentsatz der Einspielergebnisse vorsah.

5

2. Mit seiner zum Verwaltungsgericht erhobenen Klage versuchte der Beschwerdeführer durch Vorlage entsprechender Zählwerksausdrucke nachzuweisen, dass für die Veranlagungszeiträume 2005 und 2006 die Einspielergebnisse der in der Stadt [X.] aufgestellten Spielgeräte die nach der damaligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung für einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab noch zulässige Schwankungsbreite überschritten hätten.

6

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab, weil die behauptete Rechtswidrigkeit des [X.] mangels hinreichend verlässlicher Datengrundlage über die Einspielergebnisse der Jahre 2005 und 2006 nicht festgestellt werden könne. Das gehe zu Lasten des Beschwerdeführers.

7

Der [X.]hof [X.] lehnte die Zulassung der Berufung ab. Die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers blieb ebenfalls erfolglos.

II.

8

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4, Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG.

9

Der [X.]hof habe unzumutbar hohe Anforderungen an die Darlegungspflicht in dem auf Zulassung der Berufung gerichteten Verfahren gestellt. Die vorhandenen Daten seien ausreichend gewesen, um die Steuersatzung zu überprüfen und festzustellen, dass die zulässige Schwankungsbreite überschritten worden und das Urteil des [X.] damit falsch sei. [X.]sei es auch gewesen, die Entscheidung des [X.] auf [X.] zu stützen. Die Steuererhebung nach dem Stückzahlmaßstab verletzte die Berufsfreiheit und den Gleichheitssatz. Durch technische Neuerungen bei den Geldspielgeräten sei seit 1997 der Ansatz eines [X.] möglich. Die Stadt [X.] habe diesen Maßstab jedoch erst verspätet zum [X.] eingeführt.

2. Das Land [X.] und die Beteiligten des Ausgangsverfahrens haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Hinsichtlich der Rüge der Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG durch den Stückzahlmaßstab räumt die Stadt [X.] in ihrer Stellungnahme ein, dass das [X.] durch Beschluss vom 4. Februar 2009 ([X.] 123, 1) eine Besteuerung nach diesem Maßstab generell als untauglich und damit unzulässig erachte. Wenn dies auf den Streitfall übertragen werde, bedeute es jedoch nicht zwingend die Annahme der Nichtigkeit der Steuersatzung. Für eine Übergangszeit könnte auch hier - bis zum Inkrafttreten der auf den Wirklichkeitsmaßstab beruhenden Steuersatzung zum 1. Januar 2008 - die Weitergeltung des [X.] als zulässig erachtet werden. Wenn unter den gegebenen Verhältnissen nach der genannten Entscheidung des [X.]s schon ein Gesetz im formellen Sinn trotz Verfassungswidrigkeit für einen begrenzten Zeitraum seine Wirksamkeit nicht einbüße, so könne dies auch für untergesetzliche Rechtsnormen, denen kein so großes Wirkungsspektrum wie einem Gesetz im formellen Sinne zukomme, gelten.

III.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.] zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgebliche Frage zur Verfassungsmäßigkeit des [X.] bei Erhebung einer [X.] auf den Betrieb von Gewinnspielautomaten ist entschieden (vgl. [X.] 123, 1); die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

1. Das Urteil des [X.] verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf gleichheitsgerechte Besteuerung, denn es bestätigt die angegriffenen Steuerbescheide, die auf einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden [X.]satzung der Stadt [X.] beruhen.

Der in dieser Satzung für die Bemessung der [X.] herangezogene Stückzahlmaßstab führt zu einer ungleichen Belastung der Automatenaufsteller, weil er, unabhängig davon, wie stark im konkreten Fall die Einspielergebnisse der einzelnen Geräte voneinander abweichen, strukturell ungeeignet ist, den notwendigen Bezug zum Vergnügungsaufwand der Spieler zu gewährleisten (vgl. [X.] 123, 1 <23, 29>). Dies hat das [X.] in seinem Beschluss vom 4. Februar 2009 vor dem Hintergrund der derzeitigen Gegebenheiten des Spielgerätemarktes allgemein zur [X.] entschieden, unabhängig von den Besonderheiten der Rechts- oder Tatsachenlage in [X.], dessen Spielgerätesteuergesetz in jenem Verfahren zur Überprüfung stand (vgl. [X.] 123, 1 <29>).

Auf die im [X.] der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen stehenden Fragen, unter welchen Voraussetzungen eine nach Maßgabe der damaligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung übergroße Schwankungsbreite der Einspielergebnisse der Gewinnspielautomaten festgestellt ist und wer die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt, kommt es auf der Grundlage des Beschlusses des [X.]s vom 4. Februar 2009 nicht mehr an.

2. Der festgestellte Verfassungsverstoß führt zur Aufhebung des auf der verfassungswidrigen [X.]satzung beruhenden verwaltungsgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht (§ 95 Abs. 2 [X.]). Das [X.]wird nach dem insoweit zunächst maßgeblichen einfachen Recht darüber zu befinden haben, ob der Verstoß der [X.]satzung gegen höherrangiges Recht zur Regelfolge ihrer Unwirksamkeit und damit zur Aufhebung der angegriffenen Bescheide führt, oder ob - wie die Stadt [X.] geltend macht - die Satzung wegen besonderer Umstände ausnahmsweise für eine gewisse Übergangszeit anwendbar bleibt (vgl. dazu für den Fall der Normenkontrolle BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2010 - BVerwG 9 CN 1.09 - juris Rn. 29 unter Hinweis auf die "Heilungsmöglichkeiten" des [X.], bestätigt durch Beschluss der [X.] des [X.] des [X.]s vom 3. September 2009 - 1 BvR 2384/08 -, NVwZ 2010, 313).

Damit werden die Beschlüsse des [X.]hofs [X.] gegenstandslos.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 [X.].

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 3425/08

08.02.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 27. November 2008, Az: 2 S 3079/08, Beschluss

Art 105 Abs 2a GG, Art 3 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 9 KAG BW 2005

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 08.02.2011, Az. 1 BvR 3425/08 (REWIS RS 2011, 9689)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9689

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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