Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.09.2011, Az. II R 24/11

2. Senat | REWIS RS 2011, 3543

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Gegenstand

(Inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 07.09.2011 II R 25/11 - Übergangsweise Anwendung des Stückzahlmaßstabs bei der Besteuerung von Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeit in Berlin - Kein Normenkontrollverfahren mangels Entscheidungserheblichkeit)


Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb im Juli 2000 in [X.] in Spielhallen Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeit. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) setzte dafür gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über eine Vergnügungsteuer für Spielautomaten ([X.]) vom 28. Oktober 1988 (Gesetz- und Verordnungsblatt für [X.] --GVBl Bln-- 1988, 1961) i.d.F. des am 1. Juli 2000 in [X.] getretenen Gesetzes vom 31. Mai 2000 ([X.], 343) Steuer in Höhe von … DM (600 DM je Spielautomat) fest. Der Einspruch blieb erfolglos.

2

Während des finanzgerichtlichen Verfahrens entschied das [X.] ([X.]) durch Beschluss vom 4. Februar 2009  1 [X.] ([X.]E 123, 1), dass die Verwendung des [X.] für die Besteuerung von Gewinnspielautomaten aufgrund der nunmehr gegebenen technischen Möglichkeiten zur Erfassung der Einspielergebnisse oder Spieleinsätze jedenfalls seit 1997 den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) verletze. Der Stückzahlmaßstab sei als generell ungeeignet für die Bemessung der [X.] anzusehen, ohne dass dafür Besonderheiten der Rechts- oder Tatsachenlage in [X.] maßgebend seien. Das [X.] stellte deshalb die Unvereinbarkeit des § 4 Abs. 1 des [X.]ischen [X.]gesetzes ([X.]), der die Anwendung des [X.] vorgesehen hatte, mit Art. 3 Abs. 1 GG fest. Es ordnete aber an, dass diese Vorschrift für den Zeitraum bis zum Außerkrafttreten des [X.] am 1. Oktober 2005 weiter anwendbar bleibe. Zur Begründung der weiteren Anwendbarkeit führte das [X.] aus, die Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 1 [X.] führe nicht zu dessen Nichtigkeit. Es verbleibe vielmehr bei der Feststellung der Unvereinbarkeit der Vorschrift mit Art. 3 Abs. 1 GG. Die [X.] könne mit dem Stückzahlmaßstab des § 4 Abs. 1 [X.] noch für eine Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des [X.] in [X.] am 1. Oktober 2005 erhoben werden. Grund für die Erklärung der Anwendbarkeit von § 4 Abs. 1 [X.] sei zum einen das [X.] Interesse der Freien und Hansestadt [X.] an den veranschlagten Einnahmen aus der [X.], deren Erhebung dem Grunde nach keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt sei. Die Freie und Hansestadt [X.] habe sich außerdem bis zu der im Jahr 2005 erfolgten Änderung der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) mit der Verwendung des [X.] bei der [X.] im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung von [X.] und [X.] ([X.]) wissen dürfen. Wollte sie im Fall der Unanwendbarkeit des § 4 Abs. 1 [X.] für den Zeitraum von 1999 bis 2005 die [X.] rückwirkend mit einem wirklichkeitsnahen, am Spieleinsatz orientierten Maßstab versehen, dürfte dies nicht zuletzt erheblichen tatsächlichen Schwierigkeiten bei der nachträglichen Ermittlung dieser Spieleinsätze begegnen. Zum anderen erscheine die Belastung der [X.] durch die Anwendung des [X.] für die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des neuen [X.] relativ gering. Durch die verfassungswidrige Gleichbehandlung im Steuersatz müssten sie nicht notwendig benachteiligt werden, sondern könnten je nach den von ihnen im Einzelfall erzielten Spielgeräteumsätzen auch einer vergleichsweise günstigen Besteuerung unterliegen. In jedem Fall hätten die betroffenen [X.] nach der gesetzgeberischen Entscheidung der Freien und Hansestadt [X.] für die Einführung der [X.] sowohl in dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Streitjahr 1999 als auch für die Folgejahre mit der Belastung durch eine solche Aufwandsteuer rechnen müssen, sofern sie denn verfassungsgemäß ausgestaltet wäre. Entsprechend ihrer Erhebungsform als indirekte Steuer sei daher davon auszugehen, dass sie im Streitjahr 1999 ebenso wie in den Folgejahren bis 2005 von den [X.]n im Rahmen ihrer unternehmerischen Möglichkeiten bereits auf die Nutzer der Geräte abgewälzt worden sei. Die Unanwendbarkeit des § 4 Abs. 1 [X.] in den noch offenen Streitfällen der Jahre vor 2006 könnte insofern den mit ihr schon belasteten Spielern nicht mehr zugute kommen.

3

Im Hinblick auf diese Entscheidung erließ das Land [X.] das Vergnügungsteuergesetz vom 20. Oktober 2009 ([X.], 479), das am 1. Januar 2010 in [X.] getreten ist und nach seinem § 11 bei Vorlage entsprechender Nachweise auf Antrag der [X.] rückwirkend für Steueranmeldungszeiträume ab dem 1. Januar 2008 anzuwenden ist. Nach diesem Gesetz wird die Steuer für Spielautomaten mit manipulationssicherem Zählwerk mit Geldgewinnmöglichkeit nicht mehr nach dem Stückzahlmaßstab, sondern nach dem Einspielergebnis bemessen.

4

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage, mit der die Klägerin die Herabsetzung der Steuer für Juli 2000 auf die Hälfte beantragte, ab und führte zur Begründung aus, es könne auf sich beruhen, ob die im [X.] vorgesehene Anwendung des [X.] im Jahr 2000 verfassungswidrig war. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, würde dies an der übergangsweisen Anwendbarkeit dieses Maßstabs nach den Ausführungen des [X.] im Beschluss in [X.]E 123, 1 nichts ändern.

5

Die Klägerin rügt mit der Revision Verletzung des § 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Das [X.] habe es zu Unrecht unterlassen, sich eine eigene Meinung über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Steuerbescheids zu machen. Wenn es zu dem Ergebnis gekommen wäre, das [X.] sei im Jahr 2000 verfassungswidrig gewesen, hätte es eine Vorlage an das [X.] nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG beschließen müssen.

6

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

7

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Der angefochtene Steuerbescheid ist nicht rechtswidrig und war daher nicht aufzuheben. Dem steht die bereits im [X.] gegebene Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs. 2 Nr. 1 VgStG-Sp nicht entgegen.

9

1. Die in § 3 Abs. 2 Nr. 1 VgStG-Sp angeordnete Anwendung des Stückzahlmaßstabs für Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeit war nach den ausdrücklich nicht auf [X.] beschränkten Ausführungen des [X.] im Beschluss in [X.]E 123, 1 wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verfassungswidrig. Das [X.] ist nunmehr ebenfalls der Ansicht, dass die mit der pauschalen Besteuerung von Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit nach dem Stückzahlmaßstab einhergehende ungleiche Belastung des [X.] der Spieler seit dem 1. Januar 1997 generell nicht mehr gerechtfertigt ist, ohne dass es auf die Schwankungsbreite der Einspielergebnisse der einzelnen Spielgeräte ankommt ([X.]-Urteil vom 9. Juni 2010  9 CN 1/09, [X.]E 137, 123).

2. Eine Vorlage an das [X.] nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist dennoch nicht erforderlich. Die Gründe, die das [X.] bewogen haben, § 4 Abs. 1 [X.] nicht für nichtig zu erklären, sondern die weitere Anwendung dieser Vorschrift für den Zeitraum bis zum Außerkrafttreten des [X.] am 1. Oktober 2005 anzuordnen, gelten für § 3 Abs. 2 Nr. 1 VgStG-Sp in gleicher Weise. Eine Vorlage an das [X.] würde danach am Ergebnis des vorliegenden Revisionsverfahrens nichts ändern, so dass einer solchen Vorlage die fehlende Entscheidungserheblichkeit entgegensteht (ebenso Urteil des [X.] für das [X.] vom 3. Dezember 2009  14 A 3281/07, Zeitschrift für Kommunalfinanzen 2010, 47; dieses Urteil ist aufgrund der Zurückweisung der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision durch den [X.]-Beschluss vom 6. August 2010  9 [X.]/10 rechtskräftig).

Steuerbescheide sind nicht deshalb rechtswidrig, weil sie auf einer Rechtsgrundlage beruhen, die zwar verfassungswidrig, aber für einen Übergangszeitraum weiter anwendbar ist ([X.] vom 28. April 2010 [X.]/09, [X.], 262, und vom 12. Mai 2011 [X.]/10, [X.], 1386).

Meta

II R 24/11

07.09.2011

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 8. Februar 2011, Az: 6 K 6130/10, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 3 Abs 2 Nr 1 VergnStG BE, VergnStG BE 2009, Art 100 Abs 1 S 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.09.2011, Az. II R 24/11 (REWIS RS 2011, 3543)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3543

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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