Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.12.2017, Az. 1 StR 416/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 1266

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:051217U1STR416.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
1 StR 416/17

vom
5.
Dezember 2017
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

-
2
-

Der 1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 5.
Dezember
2017, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. Dr. Graf
als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]
Prof. Dr.
Jäger,
Prof. Dr.
[X.],
Dr.
Bär
und die [X.]in am [X.]
Dr.
[X.],

[X.]in am [X.]

als Vertreterin
der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

-
in der Verhandlung -,
Justizangestellte

-
bei der Verkündung
-

als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.]s Regensburg vom 24.
März 2017 mit den Feststel-lungen aufgehoben
a)
soweit der Angeklagte
wegen gefährlicher Körperverletzung zu Lasten des Zeugen

M.

verurteilt worden ist,
b)
im Gesamtstrafenausspruch.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels der Staatsanwaltschaft, an eine andere als Schwurge-richtskammer zuständige Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.
3.
Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
4.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

-
4
-
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfrei-heitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
Mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel wen-det sich die Staatsanwaltschaft
mit sachlich-rechtlichen Beanstandungen dage-gen, dass der Angeklagte hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Zeugen

M.

nicht auch wegen versuchten Totschlags verurteilt worden ist. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision allein den
Rechtsfolgenausspruch.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat im Umfang der Anfechtung Erfolg. Die Revision des Angeklagten dringt dagegen nicht durch.

I.
Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen
getroffen:
1.
Am Tattag kam es zwischen dem
alkoholisierten
Angeklagten und dem später geschädigten Zeugen

M.

zunächst zu einer kurzen verbalen und geringfügig tätlichen Auseinandersetzung in der von beiden bewohnten
Asylbewerberunterkunft. Der Streit konnte durch das Eingreifen Dritter
beendet und der Angeklagte in [X.] verbracht werden. Kurze [X.]
später
kehrte
er zurück, trat die Tür zu [X.] ein, in dem sich der Zeuge

M.

aufhielt und griff
mit einem Messer bewaffnet den auf einem Bett sitzenden Zeugen an. Dabei stach der Angeklagte, der äußerte, er 1
2
3
4
5
-
5
-
werde den Zeugen umbringen, dreimal von oben nach unten in Richtung von dessen Oberkörper.

M.

konnte die Stiche jeweils auf unter-schiedliche Weise abwehren. Nach
dem dritten Stich wurde
der Angeklagte, der weiter entweder mit dem zuvor benutzten oder einem anderen, erstmals zur Hand genommenen,
Messer gegen den Zeugen

M.

vorgehen wollte, von anderen Bewohnern festgehalten und einem Mitarbeiter des für die Unterkunft zuständigen Sicherheitsdienstes
übergeben. Der Zeuge

M.

erlitt u.a.
eine Schnittverletzung an der Hand.
Der Angeklagte wurde durch den [X.] in einen Küchenraum verbracht. Dort traf er auf den Zeugen A.

. Als dieser den noch aufgebrachten Angeklagten beruhigen wollte, versetzte dieser dem Zeugen einen Kopfstoß mit der Stirn gegen die linke Gesichtshälfte des [X.]. Dieser fiel daraufhin zu Boden und wurde für kurze [X.] ohnmächtig.
2.
Das [X.] hat hinsichtlich des Vorgehens gegen den Zeugen

M.

einen (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatz des
alkoholbe-dingt
nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränk-ten Angeklagten verneint und ihn insoweit wegen gefährlicher Körperverletzung bei Verwirklichung der Qualifikation
aus §
224 Abs.
1 Nr.
2 StGB verurteilt. Die Tat zum Nachteil des Zeugen A.

ist als vorsätzliche Körperverletzung gewertet worden.

II.
Revision der Staatsanwaltschaft
Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel der Staatsan-waltschaft hat in dem Umfang der Anfechtung Erfolg. Die der Ablehnung bedingten
Tötungsvorsatzes bei der Tat zu Lasten des Zeugen

6
7
8
-
6
-
M.

zugrunde liegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1.
Die ausdrücklich erklärte Beschränkung der Revision auf die vorge-nannte Tat und das Ausnehmen der [X.] der Maßregel des §
64 StGB vom Rechtsmittelangriff sind wirksam.
a)
Ein Rechtsmittel kann wirksam auf solche Beschwerdepunkte be-schränkt werden, die losgelöst von dem nicht angegriffenen Teil der Entschei-dung nach dem inneren Zusammenhang rechtlich und tatsächlich selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des übrigen [X.] zu machen (st. Rspr.; etwa [X.], Beschluss vom 9.
Juni 1999

3 [X.], [X.], 359; [X.], 7.
Aufl., §
318 Rn.
1 jeweils mwN). Das ist im Verhältnis zwischen
Straftaten, die tatmehrheitlich (§
53 StGB) ver-wirklicht worden sind, nach der Rechtsprechung des [X.] regelmäßig
der Fall (näher [X.], Beschlüsse vom 22.
Juli 1971

4 [X.], [X.]St 24, 185, 188 f. und vom 9.
November 1972

4 [X.], [X.]St 25, 72, 74; ausführlich [X.]/Frisch, 5.
Aufl., [X.], §
318 Rn.
32-35).
Diese Voraussetzung ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellun-gen mit der Körperverletzungstat zum Nachteil des Zeugen

M.

einerseits und der zeitlich nachfolgenden, in einem anderen
Raum sowie aufgrund
eines neuen Tatentschlusses begangenen
Körperverletzung zu Lasten
des Zeugen A.

andererseits
gegeben.
b)
[X.] steht für die vorliegende Konstel-lation nicht entgegen, dass die der Annahme einer alkoholbedingt nicht [X.] erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zugrunde liegenden Feststellungen angesichts des recht kurzen zeitlichen [X.] der Straftaten für beide Bedeutung entfalten
und deshalb die 9
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-
7
-
Gefahr sich widersprechender Urteilsgründe begründen
könnten
(zur [X.] für die [X.]sfrage [X.], Beschluss vom 20.
Juni 2017

1 [X.], NJW 2017, 2847, 2848). Denn ungeachtet der hier fraglichen tatsächlichen Konstellation
kommt es für die Schuldfähigkeitsbe-urteilung stets darauf an, ob der Täter aufgrund einer bestimmten psychischen Verfassung in der Lage war, einer konkreten Tat Unrechtseinsicht und [X.]
entgegenzusetzen ([X.], Beschluss vom 2.
August 2011

3
StR 199/11, [X.], 44 mwN). Dafür ist auf den jeweiligen konkreten Rechtsverstoß abzustellen, so dass
jedenfalls bei verschiedenartigen Straftaten sich
ein einheitliches Eingangsmerkmal auf die Unrechtseinsichts-
und die Steuerungsfähigkeit unterschiedlich auswirken kann
(vgl. [X.] aaO mwN). Die Widerspruchsfreiheit der Urteilsgründe steht daher der [X.] zwischen den beiden hier verfahrensgegenständlichen Straftaten und damit der [X.] nicht entgegen.
Vorliegend
kommt trotz der für beide Taten maßgeblichen Tatzeitalkoholisierung schon wegen der ver-schiedenen Motivlage für die jeweiligen Tatgeschehen unterschiedliche Auswir-kungen auf das [X.] und damit die Steuerungsfähigkeit in Betracht.
c)
Die Staatsanwaltschaft konnte
die Ablehnung der Anordnung
der Unterbringung
des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§
64 StGB) wirk-sam von ihrem
Rechtsmittelangriff ausnehmen.
Die
Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten nach §
64 StGB ist ein für eine selbständige Nachprüfung geeigneter Urteilsteil und damit ein Beschwerdepunkt, auf den ein Rechtsmittel grundsätzlich beschränkt werden
kann (st. Rspr.; siehe nur [X.], Urteil vom 7.
Oktober 1992

2 StR 374/92, [X.]St 38, 362). Dementsprechend ist für Rechtsmittel des Angeklag-ten anerkannt, dass dieser die Nichtanwendung des §
64 StGB von seinem 13
14
-
8
-
Rechtsmittelangriff ausnehmen kann ([X.] aaO [X.]St 38, 362, 363 mwN; [X.] in [X.] Kommentar zum StGB, 3.
Aufl., Band 2, §
64 Rn.
128
mwN). Nichts anderes gilt für ein
zu Ungunsten des Angeklagten
eingelegtes Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft (vgl. aber [X.] aaO §
64 Rn.
125 mit Fn.
511). Liegen

wie regelmäßig bei der Entscheidung über die Maßregel des §
64 StGB

die Voraussetzungen der [X.] von den übrigen
Urteilsteilen vor, stehen keine sonstigen rechtlichen Gründe einem wirksamen Ausnehmen der Überprüfung der Ablehnung einer Unterbringung vom Rechtsmittelangriff entgegen. Solche folgen vor allem nicht aus [X.] zugunsten des Angeklagten, denn dieser ist allein durch die [X.], nicht aber durch deren Unterbleiben [X.] ([X.], Beschlüsse vom 25.
Februar 2016

3 StR 6/16, [X.], 169 f.
und vom 29.
Juni 2016

1 [X.], [X.], 592, 594).
Eine Konstellation, in der ausnahmsweise eine untrennbare Wechselwir-kung zwischen der Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungs-anstalt und den
sonstigen Urteilsgründe, insbesondere dem Strafausspruch, besteht (vgl. nur [X.], Urteil vom 7.
Oktober 1992

2 StR 374/92, [X.]St 38, 362, 363 mwN; Beschluss vom 24.
September 2013

2 [X.], [X.], 58) liegt nicht vor. Angesichts der völlig unterschiedlichen Zwecke von stationären Maßregeln einerseits und der Strafe andererseits (dazu [X.], Urteil vom 15.
März 2016

1 StR 526/15
Rn.
28, [X.], 29, 31; siehe auch Beschluss
vom 24. Mai 2017

1 StR 598/16 Rn.
29 mwN)
ist es regelmäßig auch nicht geboten,
eine Verknüpfung zwischen dem Strafausspruch und der Entscheidung über die Maßregel herzustellen. Hat das Tatgericht

wie hier

die Anordnung der Unterbringung gemäß §
64 StGB abgelehnt, können ohne-hin kaum jemals Wechselwirkungen zum Strafausspruch bestehen.
15
-
9
-

2.
Das [X.] hat die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes des Angeklagten bei den Messerstichen gegen den Zeugen

M.

gegen
ein billigendes Inkaufnehmen des Todes des Zeugen beimisst. So habe es sich um eine
Spontantat gehandelt, bei der der Angeklagte erheblich alkoholbedingt
enthemmt war. Auch sei bei den Stichen nicht näher eingrenzbar gewesen, wohin der Angeklagte genau habe treffen wollen. Zudem hat das
([X.] S.
15).
3.
Die der Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes zugrunde liegenden
Erwägungen erweisen sich

auch unter Berücksichtigung des einge-schränkten revisionsgerichtlichen [X.] (etwa [X.], Urteile vom 22.
März 2012

4 [X.], [X.]St 57, 183, 186 Rn.
25 und vom 22.
November 2016

1 [X.]/16 Rn.
10 jeweils mwN)

als rechtfehlerhaft. Das [X.] hat seiner Beweiswürdigung bereits einen nicht rechtsfehler-freien rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt. Zudem liegen revisible Fehler u.a. das Fehlen einer
Gesamtwürdigung und überzogene
Anforderungen an die eigene
Überzeugungsbildung zugrunde.
a)
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] voraus, dass der Täter den
Eintritt des tatbestandli-chen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestands-verwirklichung abfindet (st. Rspr.; [X.], Urteile vom 22.
März 2012

4 [X.], [X.]St 57, 183, 186 Rn.
26 und vom 22.
November 2016

1 [X.]/16 Rn.
11 mwN). Bezogen auf bedingten Tötungsvorsatz liegt bei äußerst 16
17
18
-
10
-
gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rech-net, das Opfer könne zu Tode kommen und

weil er mit seinem Handeln
gleichwohl fortfährt

einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt ([X.] jeweils aaO). Zwar können das Wissens-
oder das Willenselement des Eventualvorsat-zes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden [X.] machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung

z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung
([X.], Urteile vom 22.
März 2012

4 [X.], [X.]St 57, 183, 186
f. Rn.
26 und vom
22.
November 2016

1 [X.]/16 Rn.
11)

zur Tatzeit nicht [X.] ist (Fehlen des [X.]) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödli-chen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Auf [X.] der Be-weiswürdigung ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatum-stände
erforderlich
(vgl. [X.], Urteile vom 4. November 1988

1
StR 262/88, [X.]St 36, 1, 9 f.; vom 22.
März 2012

4 [X.], [X.]St 57, 183, 186 f. Rn.
26 mwN
und vom 22.
November 2016

1 [X.]/16 Rn.
11).

Soweit in der Rechtsprechung des [X.] im Rahmen der utlich höhere Hemm-

März 2012

4 [X.], [X.]St 57, 183, 189 Rn.
32), erschöpft sich dies in einem Hinweis
auf die Bedeutung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweis-würdigung (§
261 StPO) bezüglich der Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatzes ([X.] aaO [X.]St 57, 183, 191 Rn.
34
und Urteil vom 22.
November 2016

1 [X.]/16 Rn. 12 mwN). Der [X.] hat immer wieder hervorgehoben, dass durch den Aspekt e-19
-
11
-
fährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes
Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle ([X.] aaO [X.]St 57, 183, 191 Rn.
34 mwN).

b)
Die
Ausführungen des [X.]s lassen bereits besorgen, dass dieses

([X.] S.
14) eine den indiziellen Wert des objektiven Gefährlichkeitsgrades der
vom Angeklagten ausgeführten Messerstiche
relativierende Wirkung
beigemes-sen
hat[X.] nicht zukommt. So führt das Tatgericht
gerade
die Hemm-schwelle

als Grund dafür an, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Angeklagte
die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder zumindest darauf vertraut habe, ein als möglich erkannter Erfolg werde nicht eintreten ([X.] S.
14). [X.] hinaus rekurriert
das [X.] beweiswürdigend auf dil-geklagten
und
n-den ([X.] S.
15).
c)
Die den (möglichen) Tötungsvorsatz des Angeklagten betreffende tat-richterliche Beweiswürdigung hält zudem unabhängig von dem aufgezeigten nicht rechtsfehlerfreien Maßstab rechtlicher Prüfung nicht stand.
aa)
Die Erwägungen zum objektiven Gefährlichkeitsgrad
der Messersti-che
als Grundlage
für die Würdigung der Voraussetzungen bedingten Tötungs-vorsatzes enthalten Rechtsfehler. Sie sind teils lückenhaft, teils stellen
sie über-spannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung (zum Maßstab näher 20
21
22
-
12
-
[X.], Urteile
vom 13.
Juli 2015

1 [X.] Rn. 21, [X.], 670
und vom 22.
November 2016

1 [X.]/16 Rn.
14 jeweils mwN).

(1)
Das [X.] geht unter der Sache nach erfolgender Anwendung des [X.] von der Verwendung eines Messers mit einer abgerundeten Spitze aus, obwohl der geschädigte Zeuge

M.

in seiner ersten polizeilichen Zeugenvernehmung

anders als in der tatrichterlichen Hauptver-handlung

angegeben hatte, das Messer sei vorne nicht rund gewesen ([X.] S.
12). Soweit die Strafkammer meint, sich nicht mit der erforderlichen Gewiss-heit von der Richtigkeit der ersten Schilderung des Zeugen überzeugen zu [X.], wird dies nicht rechtsfehlerfrei begründet. Die diesbezügliche Beweiswür-digung
ist lückenhaft und nicht widerspruchsfrei. Das [X.] nimmt nicht erkennbar in den Blick, dass es seinen Feststellungen zur Anzahl der vom [X.] ausgeführten Stiche
gerade
die Angaben des Zeugen in seiner [X.] polizeilichen Vernehmung mit der Erwägung zugrunde gelegt hat, zu
die-sem [X.]punkt sei die Erinnerung des Zeugen noch frisch gewesen. Angesichts
dessen hätte es ungeachtet der nur begrenzten Überprüfbarkeit der vom Tatrichter gezogenen Schlüsse näherer
Ausführungen bedurft, warum der [X.] Abstand zwischen der Wahrnehmung und der Bekundung über das Wahr-genommene bezüglich der Beschaffenheit der Klinge eine andere Beweisbe-deutung
haben soll als hinsichtlich der Anzahl der Stiche. Dem Hinweis
des [X.]s, es sei zweifelhaft, ob der Zeuge die Beschaffenheit der Klinge überhaupt habe wahrnehmen können, liegt selbst wiederum eine lückenhafte Würdigung zugrunde. Der Angeklagte ist nach den drei Stichen überwältigt und in den Küchenraum gesperrt worden. Es wird nicht erörtert, ob für den Zeugen die
Möglichkeit bestand,
das Messer nach dem Ende des Angriffs
und dem Überwältigen des Angeklagten wahrzunehmen.
23
-
13
-

Das [X.] hat sich in der die objektive Gefährlichkeit der Messer-stiche betreffenden Beweiswürdigung
auch nicht erkennbar mit dem im Übrigen berücksichtigten Umstand auseinandergesetzt, dass der Zeuge dem Angeklag-

sei
und ihn so wenig wie möglich belasten wollte. Dies wäre im Rahmen der Würdigung der unterschiedlichen Aussagen des Zeugen zu berücksichtigen gewesen. Dem Urteil lässt sich zudem nicht nachvollziehbar entnehmen, welche Inhalte
die (teils verlesenen) Aussagen der Zeugen Mu.

und N.

([X.] S.

Da nach den getroffenen Feststellungen beide Zeugen an der Überwältigung des Angeklagten beteiligt waren, können sie naheliegender Weise Wahrneh-mungen zur Beschaffenheit der Messerklinge getroffen haben. Ob dies der Fall war, kann der Senat mangels Wiedergabe des
jeweiligen
Aussageinhalts nicht prüfen.

(2)
Auch die weitere Beweiswürdigung zur objektiven Gefährlichkeit der Messerstiche enthält Rechtsfehler. Die Annahme des [X.]s, es sei nicht näher eingrenzbar, wo der Angeklagte genau habe treffen wollen, so dass zu seinen Gunsten nicht ausschließbar lediglich auf die Schultern oder die Arme habe eingewirkt haben können, beruht auf einer lückenhaften Beweiswürdi-gung. Es wird in diesem Zusammenhang weder die geäußerte Tötungsabsicht noch das mehrfache und lediglich durch das Eingreifen weiterer Personen letzt-lich beendete Einstechen berücksichtigt. Die die Bedeutung der geäußerten e-

den Stichen aus. Der Angeklagte war bereits zuvor in eine auch tätliche Auseinandersetzung
mit dem Zeugen verwickelt und hat von sich aus nach 24
25
-
14
-
Entfernung
aus [X.] des Zeugen erneut die Konfrontation, [X.] unter Einsatz eines Messers, gesucht.
Im Übrigen hat das [X.] bei der Annahme, es müsse zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden, dieser habe lediglich irgendwo auf den Bereich des Oberkörpers einwirken wollen, also nicht ausschließbar lediglich auf die Schultern oder Arme, die Bedeutung des [X.] verkannt. Dieser ist auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung nicht [X.] ([X.], Urteile
vom 5.
November 2014

1 [X.], [X.], 83, 85 und vom 1.
Februar 2017

2 [X.], [X.], 183, 184 je-weils mwN); für entlastende Indiztatsachen gilt er dementsprechend nicht ([X.], Urteil vom 1.
Februar 2017

2 [X.],
[X.], 183, 184 mwN).
bb)
Ein weiterer Rechtsfehler der Beweiswürdigung zum bedingten Tötungsvorsatz
liegt darin, dass das [X.] die erforderliche Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände ([X.], Urteil vom 22. März 2012

4
[X.], [X.]St 57, 183, 187 Rn.
27) lediglich formelhaft ([X.] S.
16) vorgenommen hat. Eine solche Gesamtschau darf

nicht anders als hinsicht-lich der auf die Täterschaft bezogenen Beweiswürdigung

sich nicht darauf beschränken, die jeweiligen Indizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen
Beweiswert zu prüfen (vgl. nur [X.], Urteil vom 11.
Oktober 2016

5
StR 181/16, [X.], 600, 601).
So verhält es sich jedoch vorliegend.
Das [X.] handelt mehrere Indiztatsachen nacheinander ab, denen
es
Gewicht mit einer
Beweisrichtung gegen die Willenskomponente des bedingten Tötungsvorsatzes
zumisst. Es versäumt jedoch,
diese Umstände von [X.] Bedeutung in ihrer Zusammenschau zu würdigen und zu erwägen, ob sich in der Gesamtbetrachtung eine andere [X.] ergeben kann. 26
27
28
-
15
-
Zudem sind Umstände nicht in den Blick genommen worden, deren Berücksich-tigung

wie bereits ausgeführt

sich nach den getroffenen Feststellungen und der sonstigen Beweiswürdigung aufdrängten.

(1)
Soweit das [X.] im Hinblick auf das Vorgehen mit dem Messer
von einer Spontantat ausgeht, findet dies keine tragfähige Stütze in den sonstigen Feststellungen. Dem hier fraglichen Tatgeschehen war
bereits eine
auch tätliche
Auseinandersetzung vorausgegangen, die durch das Eingreifen Dritter beendet worden war. Der Angeklagte hat eine erneute Konfrontation mit dem Zeugen

M.

gesucht und sich

nach den Feststellungen nahe
liegend

dafür durch eine Bewaffnung vorbereitet. Selbst unter Berück-sichtigung der Alkoholisierung des allerdings alkoholgewöhnten Angeklagten ist die Spontaneität der Tat nicht ausreichend belegt.

(2)
Entsprechendes
gilt im Hinblick auf das vom Tatgericht als gegen die konkretent-gestellten Freundschaft zwischen dem Angeklagten und dem geschädigten Zeugen einen gegen das Willenselement sprechenden Schluss zu ziehen. Abgesehen
von der rechtsfehlerhaften Verknüpfung des vom [X.] nicht gefundenen Tatmotivs mit der höheren Hemmschwelle, eine Tötungshandlung vorzunehmen, hätte es
jedoch
bei der Frage des Motivs die vorausgegangene Auseinandersetzung sowie die im Tatzeitpunkt hochgradige Aggressivität des Angeklagten berücksichtigen müssen. Diese hat vor allem in dem Vorgehen gegen den bis dahin gänzlich unbeteiligten Zeugen A.

Ausdruck gefunden.
4.
Auf der rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung
zum bedingten Tötungs-vorsatz
beruht der Schuldspruch bezüglich der zum Nachteil des Zeugen

29
30
31
-
16
-
M.

begangenen Tat. Da der Angeklagte erst durch das Eingreifen Dritter
sowie das anschließende Verbringen in den Küchenraum von weiteren körperlichen Angriffen mit dem Messer auf den Zeugen abgehalten werden konnte, scheidet ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein aus.
Die Rechtsfehler in der Beweiswürdigung bedingen die Aufhebung der insgesamt zu dieser Straftat getroffenen Feststellungen (§
353 Abs.
2 StPO).
5.
Die Aufhebung der Verurteilung wegen der
gegen den Zeugen

M.

begangenen Straftat entzieht auch der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.
6.
Der wegen der vorgenannten Tat ergangene Schuldspruch und der zugehörige Strafausspruch enthalten keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, worauf die Prüfung des Senats gemäß §
301 StPO wegen der wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft begrenzt ist ([X.], Urteil vom 20.
September 2017

1 [X.], [X.] 2017, Nr. 12, 2
Rn.
32 mwN).

III.
Revision des Angeklagten
Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklag-ten erzielt keinen Erfolg.
Die Beschränkung des Rechtsmittels ist wirksam. Anhaltspunkte
für eine untrennbare Verknüpfung mit dem Schuldspruch bestehen
nicht. Eine nicht lediglich erheblich verminderte, sondern sogar aufgehobene
Schuldfähigkeit des Angeklagten ist ausgeschlossen.
32
33
34
35
-
17
-

1.
Weder die Verhängung der beiden Einzelstrafen noch der Gesamt-strafenausspruch enthalten Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Nach dem die tatrichterliche
Strafzumessung
betreffend
eingeschränkten Prüfungs-maßstab des Revisionsgerichts, der für die Entscheidung des Tatgerichts über das
Vorliegen eines minder schweren Falls
ebenfalls
gilt (näher dazu [X.], Urteile
vom 19.
Januar 2017

4 StR 334/16, [X.], 117 f. und vom 25.
April 2017

1 [X.], [X.], 400
Rn.
13 f. mwN), ist es insbe-sondere nicht zu beanstanden, dass das [X.] auch unter Berücksichti-gung des vertypten [X.] aus §
21 StGB für die
Tat zum Nachteil des Zeugen

M.

nicht zu einem minder schweren Fall gemäß §
224 Abs.
1 letzter Halbs. StGB gelangt ist.
2.
Auch die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt
erweist sich im Ergebnis als nicht rechtsfehlerhaft. Das sachverständig beratene [X.] hat in nicht zu beanstandender Weise einen hinreichend konkreten Therapieerfolg wegen der völlig unzureichenden

36
37
-
18
-

Sprachkenntnisse (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 29. Juni 2016

1
[X.], [X.], 592, 594 mwN) des Angeklagten verneint.

[X.] [X.]

Bär [X.]

Meta

1 StR 416/17

05.12.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.12.2017, Az. 1 StR 416/17 (REWIS RS 2017, 1266)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 1266

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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