Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2016, Az. 1 StR 128/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 8292

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:130716U1STR128.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
1
StR
128/16

vom
13.
Juli
2016
in der Strafsache
gegen

wegen versuchten Totschlags

-
2
-
Der
1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 13.
Juli
2016, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Raum

und [X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Graf,
Prof.
Dr.
Jäger,
Prof. Dr. [X.],
Prof. Dr. [X.],

Staatsanwalt

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

in der Verhandlung

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 27.
Juli 2015 werden verworfen.

2.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Ausla-gen werden der Staatskasse auferlegt.

3.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels
und die dem Nebenkläger
hierdurch
im Revisionsverfahren entstande-nen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat
den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden.
Die Revision des Angeklagten und das vom [X.] ver-tretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleiben ohne Erfolg.

1
2
-
4
-
I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1.
Der Angeklagte hielt sich mit seiner damaligen Lebensgefährtin in ei-nem Lokal auf.
Dort trafen sie auf den Nebenkläger, der ihnen bereits bekannt war und mit dem sie sich eigentlich gut verstanden. Im Verlaufe des nächtlichen Aufenthalts in der Gaststätte
kam
es jedoch zu einem Stimmungsumschwung. Nach einer zunächst verbalen Auseinandersetzung zwischen dem erheblich alkoholisierten Nebenkläger (etwa 3,0 Promille [X.]) und dem mit 2,21 Promille [X.] etwas geringer unter Alkoholeinfluss stehenden Angeklagten erhielt dieser durch den Nebenkläger unvermittelt einen [X.]schlag in das Gesicht.
Der Wirt sowie ein Gast konnten die Kontrahenten trennen; beide wurden des Lokals verwiesen, wobei zunächst der Angeklagte die Gaststätte verließ
und der Wirt den Nebenkläger bewusst erst einige Minuten später aus dem Lokal ließ, um ein erneutes Aufeinandertreffen zu verhindern.
Dennoch begegneten sich beide auf der Straße vor
der
Lokalität. Der Nebenkläger lief von hinten an den Angeklagten heran und versetzte
ihm einen [X.]schlag gegen den Hinterkopf. Dadurch ging der Angeklagte zu Boden und zog
sich
eine Schürfwunde zu. Nachdem er wieder auf die Beine gekommen war, entwickelte sich erneut eine verbale Auseinandersetzung. In deren Verlauf
beleidigte
der Nebenkläger den Angeklagten und dessen Familie.
Der aufgrund des Vorgeschehens wütende Angeklagte schlug den [X.] zunächst mehrfach mit der [X.] in das Gesicht. Ausweich-
und Ab-wehrbewegungen des [X.] blieben, auch wegen seiner Alkoholisie-rung, erfolglos. Durch die Schläge ging der Nebenkläger nun seinerseits zu [X.]. Als der Angeklagte sich daraufhin zum Gehen wandte, rief der noch am 3
4
5
6
-
5
-
Boden liegende Nebenkläger ihm in [X.] Sprache, beide
Kontrahenten sind [X.] Herkunft, hinterhe

Dadurch fühlte sich der Angeklagte in seiner Ehre angegriffen, kehrte [X.], kniete sich neben
den
Nebenkläger hin und schlug diesem erneut mehr-fach mit der [X.] in das Gesicht. Als eine auf das Geschehen aufmerksam gewordene Zeugin mit ihrem Pkw an den beiden
vorbeifuhr und die Hupe betä-tigte, blickte der Angeklagte kurz auf, setzte aber die Schläge
anschließend [X.] weiter fort. Einige [X.] später ließ er jedoch vom Nebenkläger ab und entfernte sich einige Meter.
Daraufhin rief der Nebenkläger

schwer beleidigt, kehrte wieder zu dem immer noch am Boden liegenden [X.] zurück und trat diesem mit schweren Stiefeln an den Füßen [X.] [X.] heftig in das Gesicht. Erst als er wahrnahm, dass Blut floss,
[X.] er sich von dem Nebenkläger ab und floh. Um den schwer verletzten [X.] kümmerte er sich nicht, nahm aber wahr, dass dies ein herbeigeeilter Zeuge tat. Der Nebenkläger erlitt mehrere Brüche im Gesichtsbereich, u.a. eine Orbitabodenfraktur sowie solche
des Nasen-
und des Jochbeins. Zur [X.] wurden ihm mehrere Metallplatten eingesetzt. Seine linke Gesichtshälfte ist noch taub. Er kann ein Auge nicht mehr richtig schließen. Konkrete Lebens-gefahr
für den Nebenkläger
bestand
durch die Gewalttätigkeiten des Angeklag-ten
nicht.
2.
Das [X.] hat das festgestellte Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gemäß §
224 Abs.
1 Nr.
2 und 5 StGB gewertet. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es nicht angenommen. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung hat es sich nicht mit hinreichender Sicherheit von dem volun-7
8
9
-
6
-
tativen Element dieser Vorsatzform überzeugen können. Dabei hat die [X.] u.a. den Zustand affektiver Erregung des Angeklagten, seine nicht un-erhebliche Enthemmung aufgrund des Alkoholkonsums sowie die Spontanität
der Tatausführung
aufgrund der vorangegangenen Provokationen des [X.]s berücksichtigt.

II.
Die Revision des Angeklagten, die angesichts des umfassenden [X.] trotz der allein auf die Ablehnung verminderter Schuldfähigkeit gerichteten Ausführungen nicht als auf den Strafausspruch beschränkt angese-hen werden kann, bleibt ohne Erfolg.
1.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuld-spruch wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §
224 Abs.
1 Nr.
2 und 5 StGB.
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das [X.] das mehrfa-che Vorgehen des Angeklagten gegen den Nebenkläger als einheitliche Kör-perverletzungstat gewertet hat. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellun-gen sind
die Voraussetzungen einer natürlichen Handlungseinheit gegeben. Eine solche setzt voraus, dass zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen, die von einem einheitlichen Willen getragen werden, ein un-mittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und das gesamte t-ten als [X.] erscheint (st. Rspr.; siehe nur [X.], Urteile vom 28.
Februar 2012

1 [X.], [X.], 241, 242 f.; vom 30.
Januar 1991

2 StR 321/90, [X.]R StGB §
1 Entschluss, einheitlicher
4 und vom 10
11
12
-
7
-
25.
September 1997

1
StR 481/97, [X.], 68, 69). Bei

wie hier

wiederholter (iterativer) Verwirklichung des gleichen Tatbestandes und damit einhergehender Steigerung der Intensität der Rechtsgutsverletzung liegt eine natürliche Handlungseinheit auch dann vor, wenn die verschiedenen Handlun-gen im natürlichen Sinne auf die Verwirklichung desselben Tatbestandstypus, also unter Einschluss von Qualifikationen, gerichtet sind (v.
[X.] in [X.] Kommentar zum StGB, 2.
Aufl., §
52 Rn.
56 [X.]). Die [X.] des [X.] aus §
224 Abs.
1 Nr.
2 StGB erst durch die Tritte gegen den Kopf des am Boden liegenden [X.] steht der [X.] wegen einer einheitlichen Tat der gefährlichen Körperverletzung gemäß §
224 Abs.
1 Nr.
2 und Nr.
5 StGB damit nicht entgegen.
2.
Die Feststellung des sachverständig beratenen [X.]s, die Schuldfähigkeit des Angeklagten sei trotz einer zur Tatzeit maximalen [X.] von 2,21 Promille nicht erheblich eingeschränkt gewesen, be-ruht auf [X.] Beweiswürdigung und lässt auch im Übrigen Rechts-fehler nicht erkennen.
a)
Nach der Rechtsprechung des [X.] gibt es keinen ge-sicherten medizinischen Erfahrungssatz darüber, dass ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien allein wegen einer bestimmten Blut-alkoholkonzentration zur Tatzeit in aller Regel vom Vorliegen einer alkoholbe-dingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden muss (näher [X.], Beschluss vom 29.
Mai 2012

1
[X.], [X.]St 57, 247, 250 Rn.
19; [X.], Urteil vom 14.
Oktober 2015

2 [X.], [X.], 103
f. [X.]; siehe auch [X.], Beschluss vom 2.
Juli 2015

2 [X.], NJW 2015, 3525 f.). Für die Beurteilung der Schuldfähigkeit maßgeblich ist eine [X.] aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild des [X.] vor, während und nach der Tat beziehen 13
14
-
8
-
([X.], Urteil
vom 29. April 1997

1 [X.], [X.]St 43, 66 ff.;
[X.], [X.] vom 29.
Mai 2012

1 [X.], [X.]St 57, 247, 252 Rn.
22, siehe
auch [X.], Beschluss vom 5. April 2000

3 [X.], [X.], 265; [X.], Urteil vom 22.
Januar 1997

3 StR 516/96, [X.], 162
aber auch [X.], Beschluss vom 2.
Juli 2015

2 [X.], NJW 2015, 3525 f.). Dabei kann die

regelmäßig deshalb zu bestimmende (vgl. [X.], Beschlüsse
vom 28. März 2012

5 StR 49/12
und
vom 8. Oktober 1997

2 StR 478/97, [X.], 68)

Blutalkoholkonzentration ein je nach den Umständen des Einzelfalls sogar gewichtiges, aber keinesfalls allein maßgebliches Beweisan-zeichen (Indiz) sein (vgl. [X.], Urteile
vom 22. Oktober 2004

1 [X.], NStZ
2005, 329;
vom 6. Juni 2002

1 StR 14/02, NStZ
2002, 532
und
vom 3.
Dezember 2002

1 [X.], [X.], 71;
[X.], Beschluss vom 29.
Mai 2012

1 [X.], [X.]St 57, 247, 252 Rn.
22;
vgl. auch [X.], Urteile
vom 11.
September 2003

4 [X.], NStZ
2004, 690
und
vom 22. April 1998

3 StR 15/98, [X.], 3427).
b)
Von diesen Grundsätzen ist das [X.] bei der Beurteilung der Rechtsfrage, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des [X.] Alkohols erheblich eingeschränkt war,
ausgegangen. In die gebotene Gesamtwürdigung der relevanten Beweisanzeichen hat es neben dem Grad der Alkoholisierung auch das festgestellte und mit sachverständiger Hilfe bewertete Leistungsverhalten des Angeklagten eingestellt. Entgegen der Auffassung der Revision durfte das [X.] auf der Grundlage der getroffenen Feststellun-gen auch h-keit einer alkoholbedingten Einschränkung der Steuerungsfähigkeit [X.]. Es hat bedacht, dass der Angeklagte regelmäßig, aber in längeren
Ab-ständen Alkohol zu sich nimmt, dann aber in größeren Mengen.

15
-
9
-
c)
Erhebliche Einschränkungen der Schuldfähigkeit des Angeklagten hat das [X.] auch unter dem Aspekt einer durch einen Affekt bedingten tief-greifenden Bewusstseinsstörung im Sinne von §§
20, 21 StGB ohne [X.] verneint. Die auch diesbezüglich sachverständig beratene [X.] hat sich bei der Beurteilung des Vorliegens eines eventuell zur Einschränkung der Schuldfähigkeit führenden Affekts erkennbar an den sog. [X.] (dazu [X.], 273, 274; siehe auch [X.], Urteil vom 28.
September 2004

1 [X.], [X.], 149 f.) orientiert. Deren Heranziehung und Anwen-dung auf die konkret festgestellten Umstände zur Person des Angeklagten in der [X.] und
zur
mehraktigen Tatausführung lassen keine Rechtsfehler erkennen. Die Angriffe der Revision erschöpfen sich insoweit in dem revisions-rechtlich unbeachtlichen Versuch einer eigenen Beweiswürdigung.
d)
Die [X.] hat bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit auch das Zusammenwirken von Alkoholisierung und affektiver Aufladung der Situation durch das Verhalten des [X.] in Gestalt von Schlägen gegen den [X.] und erheblichen Beleidigungen berücksichtigt (UA S.
16).
3.
Sonstige, dem Angeklagten nachteilige Rechtsfehler zum [X.] enthält das angefochtene Urteil ebenfalls nicht.

III.
Die Revision der Staatsanwaltschaft
bleibt sowohl zum Schuld-
als auch zum Strafausspruch ohne Erfolg.
1.
Die Beweiswürdigung des [X.]s, mit der es
einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten und damit eine Verurteilung wegen versuch-16
17
18
19
20
-
10
-
ten Totschlags in Tateinheit
mit der ausgeurteilten gefährlichen Körperverlet-zung verneint hat, hält revisionsrechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.
a)
Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie mög-lich sind (siehe nur [X.], Beschlüsse vom 7.
August 2014

3 [X.]/14 Rn.
5 [in NStZ-RR 2014, 349 nur redaktioneller Leitsatz] und vom 25.
Februar 2015

4 StR 39/15 Rn.
2 [[X.], 80 nur redaktioneller Leitsatz]). Der Beur-teilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht [X.] unterlaufen sind. Das ist dann der
Fall, wenn die Beweiswürdigung wider-sprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesi-cherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 10. Dezember 2014

5 StR 136/14
Rn.
20
[X.] und vom 15.
Dezember 2015

1 [X.]/15 Rn.
18; [X.], Beschluss vom 25.
Februar 2015

4 StR 39/15 Rn.
2 [[X.], 80 nur redaktioneller Leitsatz]). Dabei hat das Revisions-gericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewe-sen wäre (vgl.
[X.], Urteile
vom 5. Dezember 2013

4 StR 371/13,
NStZ-RR 2014, 87 und vom 15.
Dezember 2015

1 [X.]/15 Rn.
18; siehe auch [X.], Urteil vom 12. Mai 2016

4 StR 569/15 Rn.
26; [X.] in [X.], 26.
Aufl., §
261 Rn.
182 [X.]).
Die schriftlichen Urteilsgründe müssen dabei so sorgfältig und strukturiert abgefasst sein, dass die tatgerichtliche Entscheidung nachvollziehbar und einer revisionsrechtlichen Überprüfung anhand dieses Maßstabes zugänglich ist (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteil vom 7.
August 2014

3
StR
224/14
Rn.
5
[X.]; 21
22
-
11
-
[X.], Beschluss vom 25.
Februar 2015

4 StR 39/15 Rn.
2 [[X.], 180 nur redaktioneller
Leitsatz]).
b)
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandli-chen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestands-verwirklichung abfindet ([X.], Urteile vom 9. Mai 1990

3 [X.], [X.]R StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 [X.] und vom 22.
März 2012

4 [X.], [X.]St 57, 183, 186 Rn.
26). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und

weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt

einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt ([X.], Beschluss vom 7. Juli 1992

5 [X.], [X.], 587, 588; [X.],
Urteil vom 22.
März 2012

4 [X.], [X.]St 57, 183, 186 Rn.
26). Zwar können das Wissens-
oder das Willensele-ment des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer [X.] Beeinträchtigung

z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnor-ganische Schädigung ([X.], Beschluss vom 16. Juli 1996

4 [X.], [X.] 1997, 7; [X.], Urteil vom 22.
März 2012

4 [X.], [X.]St 57, 183, 186 f. Rn.
26)

zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des [X.]) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des [X.]). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjek-tiven Tatumstände (vgl. [X.], Urteile vom 4. November 1988

1 [X.], [X.]St 36, 1, 9 f.;
vom 21. Dezember 2011

1 [X.], [X.], 105
und vom 22.
März 2012

4 [X.], [X.]St 57, 183, 186 f. Rn.
26
[X.]) 23
-
12
-
darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit die-sen Beweisanzeichen verzichtet werden kann ([X.], Urteil vom 7. Juni 1994

4 StR 105/94, [X.] 1994, 654; vgl. näher [X.], Urteile vom 23.
Februar 2012

4 StR 608/11, NStZ
2012, 443
und vom 22.
März 2012

4 [X.], [X.]St 57, 183, 187 Rn.
26
jeweils [X.]).
c)
An diesen Maßstäben gemessen hält die Beweiswürdigung des Land-gerichts zum bedingten Tötungsvorsatz rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand. Sie erweist sich weder als widersprüchlich noch in einer Weise als lü-ckenhaft, die den Bestand des Urteils insoweit in Frage stellt.
aa)
Die [X.] ist für die Beurteilung des bedingten [X.] von der gebotenen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Um-stände der Tat und des [X.] ausgegangen (UA S.
17). Im Rahmen dieser Gesamtschau hat sie die objektiv hochgradige Gefährlichkeit der mit schweren Stiefeln ausgeführten Tritte gegen den Kopf des [X.] berücksichtigt und daraus den Schluss auf das Vorliegen des [X.] des (beding-ten) Tötungsvorsatzes gezogen.
bb)
Dass sich das [X.] nicht von dem Vorliegen
des Willensele-ments des Tötungsvorsatzes hat überzeugen können, ist angesichts des für die revisionsgerichtliche Prüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung geltenden Maßstabs
(Rn.
24)
vom Senat hinzunehmen.
Es ist der Revision zwar zuzugeben, dass das tatrichterliche Urteil inso-weit widersprüchlich ist, als einerseits im Rahmen der Gesamtschau zum be-dingten Tötungsvorsatz auf das Fehlen eines Tatmotivs des Angeklagten abge-24
25
26
27
-
13
-
stellt, andererseits aber das Vorgehen gegen den Nebenkläger mit der Wut auf diesen wegen der vorangegangenen Schläge und Beleidigungen seitens des [X.] erklärt
wird
(vgl. UA S.
6). Dies führt aber unter Berücksichtigung der übrigen Erwägungen der [X.] zum fehlenden Willenselement nicht zu einem durchgreifenden Rechtsfehler in der Beweiswürdigung. Die [X.] hat im Rahmen der Gesamtschau maßgeblich auf die Tatbegehung im Zustand affektiver Erregung, die durch Alkoholkonsum bewirkte nicht unerhebli-che Enthemmung und die durch die erheblichen Provokationen des [X.] ausgelöste spontane Ausführung der Gewalthandlungen des Angeklagten (vor allem in Gestalt der Fußtritte) abgestellt.
Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist in der Rechtspre-chung des [X.] anerkannt, dass
bei spontanen, unüberlegten und in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen aus dem Wissen um den möglichen Todeseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des [X.] ergebenden Besonderheiten auf das [X.] neben dem Wissenselement stehende Willenselement des Vorsatzes [X.] werden kann (siehe nur [X.], Urteile vom 14.
August 2014

4 [X.], [X.], 266, 267 f. und vom 3.
Dezember 2015

4 StR 387/15, [X.], 110 f.). Die Einordnung und Würdigung eines spontanen oder in affektiver Erregung erfolgenden Handelns obliegt dabei dem Tatrichter (vgl. [X.], Urteil vom 3.
Dezember 2015

4 StR 387/15, [X.], 110 f.).
Da die genannten besonderen Umstände in der Tatbegehung ihrerseits ausreichend beweiswürdigend belegt sind, hat das Tatgericht tragfähige [X.] (vgl. dazu [X.], Urteil vom 22.
März 2012

4 [X.], [X.]St 57, 183, 186 Rn.
30) dafür benannt, warum bei dem Angeklagten trotz der [X.] Möglichkeit des [X.] die Willenskomponente des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gegeben ist. Angesichts des rechtsfehlerfrei festgestell-28
29
-
14
-
ten zeitlich gestreckten Geschehensablaufs sieht der Senat auch keinen Rechtsfehler in der Beweiswürdigung darin, dass das Tatgericht bezüglich des Ob und der Art der Beleidigungen des am Boden liegenden [X.]
ohne weiteres
der Einlassung des Angeklagten gefolgt ist. Dessen
zweimalige Rück-kehr nach jeweiligem vorherigem Abwenden und Entfernen lässt sich zwanglos mit erneuten Beleidigungen durch den Nebenkläger erklären. Das gilt erst recht angesichts des von mehreren Zeugen geschilderten sehr provokanten Verhal-tens des [X.] unter
Alkoholeinfluss.
2.
Auch der Strafausspruch erweist sich im Ergebnis als rechtsfehlerfrei.
a)
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das [X.] einen minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung
gemäß §
224 Abs.
1 letzter Halbsatz StGB angenommen hat.
Die Strafbemessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, in die das Revisionsgericht nur bei Vorliegen eines Rechtsfehlers eingreifen darf. Ein [X.] kann etwa dann gegeben sein, wenn die Begründung für die verhängte Strafe dem Revisionsgericht die ihm obliegende sachlich-rechtliche Nachprü-fung nicht ermöglicht, die Erwägungen des Tatrichters in sich fehlerhaft sind oder die Strafe sich von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, nach oben oder unten löst (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 2. August 2012

3 [X.], [X.], 336, 337 und vom 16.
April 2015

3 [X.], [X.], 240). Das gilt auch, soweit die tatrichterliche Annahme oder Verneinung eines minder schweren Falles zur revisionsgerichtlichen [X.] steht (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 26. Juli 2006

1 [X.], [X.], 339, 340; vom 31. Juli 2014

4 [X.], juris Rn.
4 und vom 16.
April 2015

3 [X.], [X.], 240).

30
31
32
-
15
-
Die [X.] hat in die gebotene Gesamtwürdigung die Schwere der Verletzungen des [X.] und die Verwirklichung von zwei Qualifikati-onsmerkmalen aus §
224 StGB eingestellt. Dass das Tatgericht das konkrete Tatbild mit einer gewissen Nähe zum bedingten Tötungsvorsatz nicht ausrei-chend berücksichtigt habe, wie der [X.] meint, führt nicht zu einem durchgreifenden Rechtsfehler. Denn ungeachtet der zum Tatgericht in der gebotenen Weise zugunsten des Angeklagten berücksichtigten Umstände, lag ein minder schwerer Fall der gefährlichen Körperverletzung hier bereits deshalb nicht fern,
weil nach den Feststellungen die

zu berücksichtigenden (vgl.
[X.], Beschluss vom 19. Juni 2012

3 [X.], [X.], 308;
Fischer, StGB, 63.
Aufl., §
224 Rn.
15 [X.])

Voraussetzungen des §
213 Alt.
1 StGB gegeben sind
(zu diesen näher [X.], Urteil vom 26.
Februar 2015

1 StR 574/14, [X.], 582 f.). Angesichts dessen stellt auch die rechtsfeh-lerhafte Berücksichtigung des zeitweiligen Vollzugs von Untersuchungshaft die Entscheidung der [X.] zur Strafrahmenwahl nicht in Frage.
b)
Auch die Milderung des Strafrahmens aus §
224 Abs.
1 letzter [X.] StGB über §
46a Nr.
1, §
49 Abs.
1 StGB hält rechtlicher Prüfung stand.
Die Revision weist zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass für einen Täter-Opfer-Ausgleich nach §
46a Nr.
1 StGB sich das [X.] des [X.] als Ausdruck der Übernahme von Verantwortung erweisen muss (Fischer aaO §
46a Rn. 10a mit zahlr. Nachw.). Daran fehlt es regelmä-ßig, wenn der Täter seine Tat als Notwehrhandlung darstellt und damit bereits die Opferrolle des Geschädigten in Frage stellt ([X.], Urteil vom 23.
Mai 2013

4 [X.] [X.] [in NStZ-RR 2013, 240 nur Leitsätze]). So verhält es sich vorliegend aber nicht. Der Angeklagte hat die Tatbegehung als solche einge-räumt und sich bei
dem
Geschädigten entschuldigt, der diese auch angenom-men hat. Soweit er sich eingelassen hat, der Nebenkläger habe ihn noch am 33
34
35
-
16
-
Boden liegend mit der [X.] geschlagen, wird damit eine Notwehrsituation nicht behauptet. Auch die beschönigende Darstellung der als solche eingestandenen Tritte gegen das Gesicht steht
der Übernahme von Verantwortung und insbe-sondere die Anerkennung der Opferrolle des geschädigten [X.] nicht entgegen.
Das Vorliegen eines kommunikativen Prozesses zwischen dem [X.] und dem Angeklagten ist auch im Übrigen durch die Feststellungen des [X.]s ausreichend belegt.
c)
Die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung gemäß §
56 Abs.
1 und 2 StGB ist angesichts des [X.] revisionsrechtlichen [X.] rechtsfehlerfrei.
Bei der Entscheidung über die Strafaussetzung ist dem Tatrichter ein weiterer
Beurteilungsspielraum zuerkannt, in dessen Rahmen das [X.] jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat ([X.], Urteil vom 13.
Februar 2001

1 [X.], [X.], 366; [X.], Beschluss vom 10.
Mai 2016

4 StR 25/16 Rn.
3). Hat das Tatgericht die für und gegen die Aussetzung sprechenden Umstände
gesehen und gewürdigt und ist dessen Entscheidung auch dann hinzunehmen, wenn eine andere Bewertung denkbar gewesen wäre ([X.] aaO).
Diesen Anforderungen ist die [X.] gerecht geworden. Sie hat im Rahmen der Prognose (§
56 Abs.
1 StGB) insbesondere auf die günstigen
so-zio-ökonomischen Lebensbedingungen
des Angeklagten sowie dessen
bisheri-ge Unbestraftheit abgestellt sowie hinsichtlich §
56 Abs.
2 StGB mit den erheb-lichen Provokationen des [X.] und dem Täter-Opfer-Ausgleich be-sondere Umstände benannt.
36
37
38
39
-
17
-

IV.
Die Entscheidungen zu den Kosten und Auslagen beruhen auf §
473 Abs.
1 und 2 StPO.

Ri[X.] Prof. Dr. Jäger ist im

Urlaub und deshalb an der

Unterschriftsleistung

gehindert.

Raum Graf

Raum

[X.] [X.]
40

Meta

1 StR 128/16

13.07.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.07.2016, Az. 1 StR 128/16 (REWIS RS 2016, 8292)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8292

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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