Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.10.2013, Az. 1 B 15/13

1. Senat | REWIS RS 2013, 2137

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Gegenstand

Vorabentscheidung von Beweisanträgen bei Verzicht auf mündliche Verhandlung


Gründe

1

Die [X.]eschwerde, mit der die grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und Verfahrensmängel des [X.]erufungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend gemacht werden, hat keinen Erfolg.

2

1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt nicht im [X.]etracht. Sie setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus und verlangt außerdem die Angabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung bestehen soll (stRspr; vgl. [X.]eschluss vom 19. August 1997 - [X.]VerwG 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328 m.w.N.). Daran fehlt es.

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Die [X.]eschwerde hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, "... ob eine den Schutzbereich des Art. 8 [X.] eröffnende Verwurzelung nur bei legalem Aufenthalt entstehen kann, oder ob dies auch der Fall sein kann, wenn eine Person sich dauernd oder überwiegend nur geduldet im [X.] aufhält." Das Vorbringen rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache, da diese vom Verwaltungsgerichtshof offengelassene Frage in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig wäre. Denn das [X.]erufungsgericht hat Art. 8 [X.] in der angefochtenen Entscheidung geprüft und ist dabei unter [X.]erücksichtigung der konkreten Lebensumstände der Klägerin zu dem Ergebnis gekommen, dass diese nicht in die Lebensverhältnisse in [X.] integriert ist und keine Gesichtspunkte erkennbar sind, die ihre Wiedereingliederung in die Verhältnisse des Herkunftslandes als unzumutbar erscheinen ließen. Das macht deutlich, dass der Verwaltungsgerichtshof die (nicht nur kurzfristige) Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht als zwingend notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit, d.h. die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 8 [X.] angesehen hat. Demzufolge war die von der [X.]eschwerde formulierte Frage für die Vorinstanz nicht entscheidungserheblich und bedarf deshalb in dem erstrebten Revisionsverfahren keiner Klärung (stRspr; [X.]eschlüsse vom 7. Januar 1986 - [X.]VerwG 2 [X.] - [X.] 310 § 75 VwGO Nr. 11 S. 5 und vom 22. Mai 2008 - [X.]VerwG 9 [X.] 34.07 - [X.] 442.09 § 18 [X.] Nr. 65 Rn. 5).

4

2. Soweit das [X.]eschwerdevorbringen den Anforderungen an die [X.]ezeichnung eines Verfahrensmangels (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) genügt, lässt es keinen [X.] erkennen, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

5

2.1 Die [X.]eschwerde macht als Gehörsverletzung geltend, das [X.]erufungsgericht habe überraschenderweise ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden (Überraschungsurteil). Zwar habe der Verwaltungsgerichtshof der Klägerin eine Schriftsatzfrist eingeräumt, damit sie sich mit der erst kurz vor der [X.]erufungsverhandlung von der [X.]eklagten vorgelegten Stellungnahme des [X.] ([X.]) vom 26. April 2013 habe auseinandersetzen können. Das [X.]erufungsgericht habe es jedoch versäumt, in der mündlichen Verhandlung nach Zustimmung der [X.]eteiligten zum Übergang in das schriftliche Verfahren eine für beide [X.]eteiligten geltende Frist zur Einreichung von Schriftsätzen zu bestimmen. Mit diesem Vorbringen wird kein Verfahrensmangel aufgezeigt. Denn die Vorinstanz war nicht verpflichtet, nach dem Verzicht der [X.]eteiligten auf eine (weitere) mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO eine Frist zu bestimmen, bis zu deren Ablauf Schriftsätze eingereicht werden können. Eine solche Vorgehensweise mag in der Praxis opportun sein; prozessrechtlich geboten ist sie nicht.

6

2.2 Ohne Erfolg rügt die [X.]eschwerde als Gehörsverstoß und Verletzung des § 86 Abs. 2 VwGO, der Verwaltungsgerichtshof habe vor Erlass des im schriftlichen Verfahren ergangenen [X.]erufungsurteils die in dem nachgelassenen Schriftsatz enthaltenen [X.]eweisanträge nicht förmlich vorab beschieden.

7

Die Pflicht zur förmlichen Vorabentscheidung gemäß § 86 Abs. 2 VwGO gilt im Grundsatz nur für in der mündlichen Verhandlung gestellte unbedingte [X.]eweisanträge, nicht dagegen für (nur) in vorbereitenden Schriftsätzen angekündigte [X.]eweisanträge. Allerdings gebietet es der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, auch im Falle einer vorangegangenen Verzichtserklärung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO einen neuen [X.]eweisantrag entsprechend einem in der mündlichen Verhandlung gestellten [X.]eweisantrag zu behandeln und über ihn vor der Sachentscheidung zu entscheiden ([X.]eschluss vom 6. September 2011 - [X.]VerwG 9 [X.] u.a. - [X.] 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 69 = NVwZ 2012, 376 jeweils Rn. 10; Urteil vom 28. November 1962 - [X.]VerwG 4 [X.] 113.62 - [X.]VerwGE 15, 175 <176>). Anders verhält es sich, wenn der [X.]eweisantrag vor oder gleichzeitig mit dem Verzicht auf mündliche Verhandlung gestellt worden ist ([X.]eschluss vom 29. März 1979 - [X.]VerwG 7 [X.] - [X.] 421.0 Prüfungswesen Nr. 106 S. 160 und Urteil vom 30. Mai 1989 - [X.]VerwG 1 [X.] 57.87 - [X.] 402.24 § 8 AuslG Nr. 13 S. 22 f.), sowie bei einem [X.]eweisantrag in einem nachgelassenen Schriftsatz, der nur Anlass geben kann, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, wenn sich aus ihm die Notwendigkeit weiterer Aufklärung des Sachverhalts ergibt ([X.]eschluss vom 15. April 2003 - [X.]VerwG 7 [X.] - [X.] 445.4 § 19 [X.] Nr. 9 S. 6 = NVwZ 2003, 1116 <1118>).

8

Nach diesen Maßstäben ist das Vorgehen des Verwaltungsgerichtshofs nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat in der [X.]erufungsverhandlung keinen der zuvor schriftsätzlich angekündigten [X.]eweisanträge gestellt, sondern ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt; ihr wurde eine Schriftsatzfrist eingeräumt. Mit dem Verzicht auf eine (weitere) mündliche Verhandlung hat sie sich des Anspruchs auf förmliche Vorabentscheidung über ihre im Schriftsatz vom 28. Februar 2013 angekündigten [X.]eweisanträge begeben. Über [X.]eweisanträge in nachgelassenen Schriftsätzen braucht nach dem oben Gesagten in keinem Fall förmlich vorab entschieden zu werden.

9

2.3 Unbegründet ist die Rüge, das [X.]erufungsgericht habe den Antrag der Klägerin abgelehnt, den Verfasser der Stellungnahme des [X.]es zu laden und persönlich anzuhören sowie Gelegenheit zu geben, die Stellungnahme in mündlicher Verhandlung zu hinterfragen. Diesen im Schriftsatz vom 28. Februar 2013 angekündigten Antrag hat die Klägerin in der [X.]erufungsverhandlung nicht gestellt, sondern vielmehr ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne (weitere) mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO erklärt. Durch den Verzicht auf mündliche Verhandlung hat sie zu erkennen gegeben, dass sie an der beantragten Anhörung nicht länger festhält; anders lässt sich diese Prozesshandlung nicht verstehen. Da sie in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 17. Juni 2013 nicht erneut einen solchen Antrag gestellt hat, ergab sich für das [X.]erufungsgericht kein Anlass, trotz des Verzichts der [X.]eteiligten eine mündliche Verhandlung durchzuführen und den Mitarbeiter des [X.]es zu laden. Daher stellt sich auch die von der [X.]eschwerde in diesem Zusammenhang aufgeworfene prozessrechtliche Grundsatzfrage nicht (vgl. dazu im Übrigen, [X.]eschluss vom 21. September 1994 - [X.]VerwG 1 [X.] 131.93 - [X.] 310 § 98 VwGO Nr. 46 mit Verweis auf das Urteil vom 6. Februar 1985 - [X.]VerwG 8 [X.] 15.84 - [X.]VerwGE 71, 38 <45>).

2.4 [X.], das [X.]erufungsgericht sei dem nicht "ins [X.]laue" behaupteten, sondern unter [X.]ezugnahme auf konkrete Dokumente und mit [X.]eweisangeboten untermauerten Vorbringen der Klägerin zur (mangelnden) Kostenfreiheit medizinischer Versorgung und ärztlicher Präsenz in lokalen Gesundheitszentren nicht nachgegangen, genügt nicht den Anforderungen an die [X.]ezeichnung einer Aufklärungsrüge.

Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird. Hinsichtlich des von der [X.]eschwerde behaupteten Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in [X.]etracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss dargelegt werden, aus welchen Gründen sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen von Amts wegen hätten aufdrängen müssen (vgl. [X.]eschluss vom 19. August 1997 - [X.]VerwG 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328).

Diesen Anforderungen genügt die [X.]eschwerde nicht. Denn sie gibt den von ihr als entscheidungserheblich angesehenen Inhalt des in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 17. Juni 2013 angeführten [X.] der [X.] vom Juni 2012 nicht genau wieder. Das wäre erforderlich gewesen, da die Klägerin diese Quelle weder dem nachgelassenen Schriftsatz an das [X.]erufungsgericht noch der [X.]eschwerdebegründung als Anlage angefügt und auch in dem nachgelassenen Schriftsatz inhaltlich nicht auszugsweise zitiert hat. Ferner hat die Klägerin weder in dem nachgelassenen Schriftsatz noch mit der [X.]eschwerde dargelegt, inwieweit sich der Inhalt des [X.] konkret von der seitens des [X.]es verarbeiteten Auskunft derselben Stelle vom 27. März 2012 unterscheidet. Daher fehlen Ausführungen dazu, aus welchen Gründen sich dem [X.]erufungsgericht weitere Ermittlungen zu den genannten [X.]eweisthemen auf der Grundlage seiner materiellrechtlichen Maßstäbe (§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) hätten aufdrängen müssen.

2.5 Weiter macht die [X.]eschwerde als Gehörsverletzung geltend, das [X.]erufungsgericht führe in der angefochtenen Entscheidung entgegen den mit [X.]eweisangeboten untermauerten Darlegungen der Klägerin aus, es sei nichts dafür ersichtlich, dass die von einem Arzt vorzunehmende medikamentöse Neueinstellung der Klägerin im [X.] nicht gewährleistet sein solle. Das lasse erkennen, dass sich das [X.]erufungsgericht nicht in hinreichender Weise mit dem Vortrag der Klägerin auseinandergesetzt, sondern die Stellungnahme des [X.]es nicht ernsthaft hinterfragt habe. Auch mit diesem Vorbringen zeigt die [X.]eschwerde keinen Gehörsverstoß auf. Denn das [X.]erufungsgericht hat sich in der angefochtenen Entscheidung mit den von der Klägerin vorgetragenen Punkten inhaltlich befasst ([X.]A Rn. 25 f.). Der Umstand, dass es ihr Vorbringen im Rahmen der ihm gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegenden tatrichterlichen [X.]eweiswürdigung anders als die Klägerseite gewürdigt hat, begründet keinen Gehörsverstoß. Insoweit kritisiert die [X.]eschwerde im Gewande der [X.] die [X.]eweiswürdigung des [X.]erufungsgerichts; damit vermag sie aber die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO nicht zu erreichen.

3. Der Senat sieht von einer weiteren [X.]egründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

4. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

1 B 15/13

10.10.2013

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 16. Juli 2013, Az: 7 A 1602/12, Urteil

§ 101 Abs 2 VwGO, § 86 Abs 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.10.2013, Az. 1 B 15/13 (REWIS RS 2013, 2137)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2137

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