Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.11.2011, Az. 1 WB 38/11

1. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2011, 1236

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Gegenstand

Auswahlentscheidung für Dienstpostenbesetzung; Fehlen einer aktuellen Beurteilung


Leitsatz

Im Rahmen der Auswahlentscheidung für die Besetzung eines höherwertigen militärischen Dienstpostens sind dem Eignungs- und Leistungsvergleich aktuelle (planmäßige) dienstliche Beurteilungen der Bewerber zugrunde zu legen. Aus dem Umstand, dass für den - zur Auswahlentscheidung relativ - aktuellsten Beurteilungsstichtag bei einem der Bewerber keine planmäßige dienstliche Beurteilung vorliegt, kann nicht fiktiv auf einen schlechteren Leistungsstand dieses Bewerbers im Vergleich zu anderen Bewerbern geschlossen werden.

Tatbestand

Der Antragsteller ist Berufssoldat. Er wendet sich gegen die Auswahlentscheidung des [X.] der [X.], einen höherwertigen Dienstposten nicht mit ihm, sondern mit dem Beigeladenen zu besetzen. Der [X.] hatte die Entscheidung damit begründet, dass für den Antragsteller im Gegensatz zum Beigeladenen keine aktuelle planmäßige Beurteilung vorliege; dieser Umstand begründe Zweifel an der aktuellen Leistungsstärke des Antragstellers.

Das [X.] hat die Auswahlentscheidung aufgehoben und den [X.] verpflichtet, über die Besetzung des strittigen Dienstpostens neu zu entscheiden.

Entscheidungsgründe

...

Die angefo[X.]htene Auswahlents[X.]heidung ist re[X.]htswidrig, weil die im Bes[X.]hwerdebes[X.]heid getroffene Feststellung, dass - bei glei[X.]her Eignung und Befähigung des Antragstellers und des Beigeladenen - der Beigeladene über ein besseres Leistungsbild aufgrund der aktuellen Beurteilung verfüge, ni[X.]ht auf einer hinrei[X.]hend tragfähigen Grundlage getroffen wurde.

Na[X.]h der Re[X.]htspre[X.]hung des Senats zu Auswahlents[X.]heidungen zwis[X.]hen mehreren soldatis[X.]hen Bewerbern haben dann, wenn - wie hier - mehrere Bewerber allen Anforderungskriterien gere[X.]ht werden, in der Regel dur[X.]h dienstli[X.]he Beurteilungen ausgewiesene Abstufungen der Qualifikation Bedeutung (Bes[X.]hluss vom 25. April 2007 - BVerwG 1 [X.] 31.06 - BVerwGE 128, 329 = [X.] 449 § 3 SG Nr. 41 Rn. 55; für das Beamtenre[X.]ht Urteil vom 16. August 2001 - BVerwG 2 A 3.00 - BVerwGE 115, 58 <60 f.> = [X.] 232 § 8 [X.] Nr. 54 S. 3). Zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber ist dabei in erster Linie auf die zum Zeitpunkt der Auswahlents[X.]heidung aktuellsten Beurteilungen abzustellen, weshalb der letzten dienstli[X.]hen Beurteilung regelmäßig eine auss[X.]hlaggebende Bedeutung zukommt; zur abgerundeten Bewertung des Leistungs-, Eignungs- und Befähigungsbildes und seiner Kontinuität ist es darüber hinaus zulässig, in die Auswahlents[X.]heidung au[X.]h frühere Beurteilungen bis zu den beiden letzten planmäßigen Beurteilungen vor der aktuellen Beurteilung mit einzubeziehen (vgl. hierzu insbesondere Bes[X.]hluss vom 25. März 2010, a.a.[X.] Rn. 25).

Hierna[X.]h ist das ents[X.]heidende Instrument für die "Klärung einer Wettbewerbssituation" in einer Auswahlents[X.]heidung die (planmäßige) Beurteilung. Allein auf der Basis von Beurteilungen, die aussagekräftig, das heißt aktuell und hinrei[X.]hend differenziert sind und auf den glei[X.]hen Bewertungsmaßstäben beruhen, ist der von Art. 33 Abs. 2 GG geforderte Leistungsverglei[X.]h der Bewerber vorzunehmen. Die [X.] müssen dabei glei[X.]h sein und glei[X.]h angewendet werden. Insbesondere der gemeinsame [X.] und der jeweils glei[X.]he Beurteilungszeitraum garantieren eine hö[X.]hstmögli[X.]he Verglei[X.]hbarkeit (Bes[X.]hluss vom 24. Mai 2011 - BVerwG 1 [X.] 59.10 - Rn. 33; ebenso: Urteil vom 30. Juni 2011 - BVerwG 2 C 19.10 - [X.] 2011, 220 = juris Rn. 15 m.w.N.).

Den vorgenannten Maßstäben trägt der im Bes[X.]hwerdebes[X.]heid vorgenommene Eignungs- und Leistungsverglei[X.]h zwis[X.]hen dem Antragsteller und dem Beigeladenen ni[X.]ht Re[X.]hnung. Der [X.] hat in diesen Verglei[X.]h die seinerzeit aktuellste planmäßige Beurteilung des Beigeladenen zum Sti[X.]htag 31. März 2009 einbezogen, in der der Beigeladene im Abs[X.]hnitt "Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten" einen Dur[X.]hs[X.]hnittswert von 6,30 errei[X.]ht hat. Im Verhältnis dazu hat der [X.] - wie er in seinem S[X.]hriftsatz vom 2. September 2011 bekräftigt - Zweifel an der aktuellen Leistungsstärke des Antragstellers allein aus dessen fehlender planmäßiger Beurteilung zum selben [X.] abgeleitet. Dieses Verfahren widerspri[X.]ht den Grundsätzen eines ordnungsgemäßen Eignungs- und Leistungsverglei[X.]hs am Maßstab des Art. 33 Abs. 2 GG und des § 3 Abs. 1 SG.

Fehlt für den - zur Auswahlents[X.]heidung relativ - aktuellsten [X.] bei einem der Bewerber eine planmäßige dienstli[X.]he Beurteilung, kann aus diesem Umstand kein Rü[X.]ks[X.]hluss auf seinen aktuellen Leistungsstand gezogen werden. Es fehlt generell die Basis dafür, bei diesem Bewerber glei[X.]hsam "fiktiv" einen bestimmten absoluten Leistungsstand oder ein im Verhältnis zu dem Mitbewerber/den Mitbewerbern relatives Leistungsbild zu unterstellen. Dabei ist es ohne Bedeutung für den Eignungs- und Leistungsverglei[X.]h, ob das Fehlen einer planmäßigen Beurteilung auf s[X.]hli[X.]htem Unterbleiben oder darauf beruht, dass die zunä[X.]hst erstellte Beurteilung na[X.]hträgli[X.]h aufgehoben worden ist. Ist sie aufgehoben worden, können in ihr ursprüngli[X.]h dokumentierte Aussagen und Wertungen, insbesondere au[X.]h Aussagen über die Aufgabenerfüllung auf dem Dienstposten, für einen anstehenden Eignungs- und Leistungsverglei[X.]h ni[X.]ht verwertet werden.

Eine "fiktive" Bewertung des Leistungsstandes kommt ausnahmsweise nur dann in Betra[X.]ht, wenn ein Soldat zu bestimmten Vorlageterminen ni[X.]ht planmäßig zu beurteilen ist (z.B. wegen Beurlaubung zur Wahrnehmung einer hauptberufli[X.]hen Tätigkeit oder wegen einer personalvertretungsre[X.]htli[X.]hen Freistellung vom Dienst, vgl. Nr. 205 Bu[X.]hst. a Nr. 6 und 7 [X.]), und wenn das [X.]ium der Verteidigung für diese Fälle eine "fiktive Na[X.]hzei[X.]hnung" von [X.] angeordnet hat (vgl. dazu Bes[X.]hlüsse vom 15. Oktober 1996 - BVerwG 1 [X.] 30.96 - und vom 27. Januar 1998 - BVerwG 1 [X.] 51.97 - [X.] 252 § 23 [X.] Nr. 1). Bei dieser Sa[X.]hlage haben die beurteilenden Vorgesetzten bzw. die [X.] Stellen die fiktiv fortges[X.]hriebenen Beurteilungsinhalte zu dokumentieren. Die Voraussetzungen für eine sol[X.]he fiktive Bewertung des Leistungsstandes waren im Fall des Antragstellers indessen ni[X.]ht gegeben.

Die zuständige Personalführung hätte deshalb für den Antragsteller eine aktuelle Sonderbeurteilung na[X.]h Nr. 206 [X.] anfordern und im Rahmen des Auswahlverfahrens in den Eignungs- und Leistungsverglei[X.]h mit den anderen Kandidaten einbeziehen müssen.

Na[X.]h der Re[X.]htspre[X.]hung des Senats (dazu ausführli[X.]h: Bes[X.]hluss vom 24. Mai 2011 - BVerwG 1 [X.] 59.10 - Rn. 37 ) bestehen na[X.]h der derzeitigen Ausgestaltung der Beurteilungsbestimmungen in der [X.] keine grundsätzli[X.]hen Bedenken gegen einen Verglei[X.]h der Aussagen und Wertungen in einer planmäßigen Beurteilung mit sol[X.]hen in einer Sonderbeurteilung, sofern im Übrigen die Anforderungen an die Verglei[X.]hbarkeit der Beurteilungen - wie etwa hinsi[X.]htli[X.]h der Beurteilungszeiträume und -sti[X.]htage - gewahrt sind.

Der Hinweis im Bes[X.]hwerdebes[X.]heid, mit Rü[X.]ksi[X.]ht auf Nr. 1103 Bu[X.]hst. [X.] [X.] dürfe einer Personalents[X.]heidung eine Beurteilung erst dann zugrunde gelegt werden, wenn das entspre[X.]hende Beurteilungsverfahren bestandskräftig abges[X.]hlossen und die Beurteilung von der [X.] Stelle abs[X.]hließend geprüft worden sei, re[X.]htfertigt keine andere Eins[X.]hätzung. Der Senat hat im zitierten Bes[X.]hluss vom 24. Mai 2011 (Rn. 38 bis Rn. 41) im Einzelnen ausgeführt, dass dienstli[X.]he Beurteilungen eines Soldaten ungea[X.]htet der Frage ihrer Bestandskraft in Auswahlverfahren verwendet werden dürfen; die Verwaltungsvors[X.]hrift in Nr. 1103 Bu[X.]hst. [X.] [X.] kann demgegenüber den verfassungsre[X.]htli[X.]hen Grundsatz der Bestenauslese ni[X.]ht modifizieren und ist, soweit sie dem entgegensteht, unbea[X.]htli[X.]h.

Die Erwägungen im Bes[X.]hwerdebes[X.]heid, mit denen ein Leistungsvorsprung des Beigeladenen unter Berü[X.]ksi[X.]htigung früherer planmäßiger Beurteilungen untermauert werden soll, vermögen die getroffene Auswahlents[X.]heidung ni[X.]ht zu stützen. Wie dargelegt, können zur abgerundeten Bewertung des Leistungs-, Eignungs- und Befähigungsbildes und seiner Kontinuität au[X.]h die jeweils vorletzten und vorvorletzten planmäßigen Beurteilungen der betra[X.]hteten Bewerber einbezogen werden. Dabei darf allerdings ni[X.]ht aus dem Bli[X.]k geraten, dass für die Auswahlents[X.]heidung der aktuelle und ni[X.]ht ein in der Vergangenheit liegender Leistungsstand maßgebli[X.]h ist. Ents[X.]heidend ist insoweit, dass die vorletzten und vorvorletzten Beurteilungen ni[X.]ht isoliert, sondern ledigli[X.]h in Bezug auf das dur[X.]h die letzte Beurteilung dokumentierte aktuelle Leistungsbild zu sehen sind (Bes[X.]hluss vom 25. März 2010 a.a.[X.], Rn. 30). Eine derartige Betra[X.]htung früherer Beurteilungen s[X.]heidet demna[X.]h aus, wenn in dem vorzunehmenden Eignungs- und Leistungsverglei[X.]h für einen der Bewerber eine aktuelle planmäßige Beurteilung fehlt. Dann existiert keine Grundlage für Rü[X.]ks[X.]hlüsse und Prognosen aus einer aktuellen planmäßigen Beurteilung, die im Rahmen des Bewerberverglei[X.]hs mit früheren Bewertungen abrundend verknüpft werden könnten.

Meta

1 WB 38/11

22.11.2011

Bundesverwaltungsgericht 1. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WB

Art 33 Abs 2 GG, § 3 Abs 1 SG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.11.2011, Az. 1 WB 38/11 (REWIS RS 2011, 1236)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1236

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