Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.02.2017, Az. V ZB 10/16

V. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 15478

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[X.]:[X.]:BGH:2017:160217B[X.]10.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 10/16
vom

16. Februar 2017

in der Abschiebungshaftsache

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2
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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 16. Februar 2017
durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, die Richterin Weinland und die Richter Dr.
Kazele, Dr.
Göbel und Dr.
Hamdorf

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 18.
Zivilkammer des [X.] vom 14.
Januar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.],
an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000

Gründe:

I.

Der Betroffene ist [X.] Staatsangehöriger. Am 28. Mai 2014 reiste
er unerlaubt in die [X.] ein. Seinen Asylantrag vom 5.
Juni 2014 wies das [X.] mit Bescheid vom 15.
Januar 2015 als unzulässig zurück, weil dem Betroffenen bereits in 1
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Bulgarien internationaler Schutz zuerkannt worden war, und forderte den Be-troffenen auf, die [X.] binnen 30 Tagen zu verlassen. Der Betroffene kam der Aufforderung nicht nach, spätestens seit April 2015 hielt er sich nicht mehr an dem ihm durch Bescheid der [X.] vom 5. Juni 2014 zugewiesenen Wohnsitz auf, ohne die beteiligte Behörde über sei-ne Abreise und seinen künftigen Aufenthalt unterrichtet zu haben. Am 25.
November 2015 wurde er durch die Polizei festgenommen.

Mit Beschluss vom selben Tage hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen [X.] bis zum 24. Januar 2016 angeordnet. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde hat das [X.] ohne erneute Anhörung mit Beschluss vom 14. Januar 2016 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er beantragt [X.], dass er durch die Beschlüsse des Amtsgerichts und des [X.]s in seinen Rechten verletzt worden ist.

II.

Das Beschwerdegericht meint, entgegen den Ausführungen des Amtsge-richts könne die Anordnung der [X.] nicht auf § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr.
1 [X.] gestützt werden, weil der Anwendungsbereich der Verordnung ([X.]) Nr.
604/2013 (fortan: Dublin-III-Verordnung) eröffnet und der Haftgrund der unerlaubten Einreise
zur Konkretisierung der Fluchtgefahr nach der Dublin-III-Verordnung ungeeignet sei. Die [X.] könne aber auf Art. 28 und Art. 2 Buchstabe n der Dublin-III-Verordnung i.V.m. §§ 2 Abs. 15 Satz 1, Abs.
14 Nr. 1 [X.] gestützt werden, da der Betroffene seinen Wohnsitz 2
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ohne Mitteilung an die Ausländerbehörde aufgegeben habe und bis zu seiner Festnahme unbekannten Aufenthalts gewesen sei.

III.

Die gemäß §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach §
62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§
71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] kann das Vorliegen eines Haftgrundes nicht angenommen werden.

1. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob die Anordnung der [X.] auf die Haftgründe des § 62 Abs. 3 Satz
1 [X.] gestützt wer-den konnte, oder ob der Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung
eröffnet war, so dass sich die Voraussetzungen der Haftanordnung unmittelbar aus Art.
28 und Art. 2 Buchstabe
n Dublin-III-Verordnung i.V.m. § 2 Abs. 15
[X.] ergaben (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Juli 2016 -
V [X.], juris Rn. 4 mwN). Denn es lagen weder die Voraussetzungen des von dem Amtsge-richt herangezogenen § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr.
1 [X.] noch
die des von dem [X.] angeführten § 2 Abs. 15 Satz 1 i.V.m. Abs. 14 Nr. 1 [X.] vor.

a) Der Haftgrund des §
62 Abs.
3 Satz
1 Nr.
1 [X.] setzt voraus, dass der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar [X.] ist. Dabei muss die vollziehbare Ausreisepflicht auf der unerlaubten Einreise beruhen ([X.], Beschluss vom 28. Oktober 2010 -
V [X.], [X.] 2011, 41 Rn. 19; Beschluss vom 25. Februar 2010 -
V [X.], [X.] 2010, 150 Rn.
20). An der Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für 4
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die vollziehbare Ausreisepflicht fehlt es hier. Da der Betroffene nach seiner [X.] einen Asylantrag gestellt hat, war ihm nach § 55 Abs. 1 Satz 1 und 3 [X.] der Aufenthalt im [X.] zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet. Eine solche zwischenzeitliche Aufenthaltsgestattung lässt die [X.] Ausreisepflicht entfallen (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Oktober 2010
-
V [X.],
aaO).

b) Im Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung dürfen die Mitglied-staaten nach dessen Art. 28 Abs. 2 eine Person in Haft nehmen, wenn eine er-hebliche Fluchtgefahr besteht. Fluchtgefahr ist nach Art.
2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven,
ge-setzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht
entziehen könnte. Der [X.] Gesetzgeber hat in §
2 Abs.
15
[X.] die Kriterien für die Annahme einer Fluchtgefahr nach der Dublin-III-Verordnung festgelegt. Die Regelung in § 2 Abs. 15 Satz 1 i.V.m. Abs. 14 Nr. 1 [X.] genügt den Anforderungen der Verordnung.
Dies hat
der [X.] zu der Vorschrift des §
62 Abs. 3 Nr. 2 [X.] entschieden (Beschluss vom 26.
Juni 2014

V
ZB 31/14, NVwZ 2014, 1397 Rn. 31), der
§ 2 Abs. 14 Nr. 1 [X.] nachgebildet ist.

Die
Voraussetzungen von §
2 Abs.
14 Nr.
1 [X.] liegen jedoch nicht vor. Zwar hat der Betroffene seinen Aufenthaltsort nach Ablauf der Ausreisefrist nicht nur vorübergehend gewechselt, ohne der zuständigen Behörde eine An-schrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Die genannte Vorschrift
setzt aber weiter voraus, dass der Betroffene durch die Ausländerbehörde auf die Anzei-gepflicht nach § 50 Abs.
4 [X.] und die einschneidenden Folgen ihrer Ver-7
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letzung in einer ihm verständlichen Sprache hingewiesen worden ist
(vgl. [X.], Beschluss vom
20. Oktober 2016

V
ZB
167/14, juris Rn. 20; Beschluss vom 20.
Oktober 2016 -
V [X.], juris Rn. 6; Beschluss vom 14. Januar 2016

[X.], [X.] 2016, 87 Rn. 6 ff. zu § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
[X.]). Hierzu hat das Beschwerdegericht keine Feststellungen getroffen.

2. Hinzu kommt, dass
das Beschwerdegericht seine Entscheidung nicht auf einen neuen Haftgrund stützen durfte, ohne den Betroffenen hierzu persön-lich anzuhören (vgl. [X.], Beschluss vom 7.
Juli 2016 -
V [X.], [X.]
2016, 278 Rn. 6).

IV.

Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben (§ 74 Abs.
5
FamFG). Der [X.] kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da weitere [X.] erforderlich sind.
Die Sache ist daher an das Beschwerdege-richt zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Sollte sich erweisen, dass der Betroffene auf die Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 4 [X.] und die einschneidenden Folgen ihrer Verletzung in einer ihm verständlichen Sprache hingewiesen worden ist, wird er zu diesen Feststellungen erneut anzuhören sein. Ob eine solche Anhörung noch möglich oder etwa aufgrund zwischenzeit-lich erfolgter Abschiebung des Betroffenen ausgeschlossen ist, kann der [X.] nicht feststellen, da die Rechtsbeschwerde hierzu keine Angaben enthält.

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V.

Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 3 GNotKG.

Stresemann Weinland Kazele

Göbel

Hamdorf

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 25.11.2015 -
XIV 6/15 -

LG [X.], Entscheidung vom 14.01.2016 -
18 [X.]/15 -

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Meta

V ZB 10/16

16.02.2017

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.02.2017, Az. V ZB 10/16 (REWIS RS 2017, 15478)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15478

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18 T 9417/15

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