Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.06.2014, Az. V ZB 31/14

V. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 4533

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]
vom

26. Juni 2014

in der Überstellungshaftsache
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
Verordnung ([X.]) Nr.
604/2013 des [X.] und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-Verordnung) Art.
28 Abs.
2;
[X.] §
62 Abs.
3 Satz
1 Nr.
5

§ 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.] entspricht nicht den Anforderungen von Art.
2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung, wonach die objektiven Kriterien, die Fluchtgefahr begründen, gesetzlich festgelegt sein müssen. Nach der derzeiti-gen Gesetzeslage in der [X.] kann die Haft zur Siche-rung von Überstellungsverfahren nach Art. 28 Dublin-III-Verordnung daher nicht auf Fluchtgefahr bzw. eine Entziehungsabsicht des Betroffenen gestützt wer-den.

Dublin-III-Verordnung Art. 2 Buchstabe
n;
[X.] § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und
4

Die in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 4 [X.] genannten Haftgründe genügen den Anforderungen von Art. 2 Buchstabe
n Dublin-III-Verordnung; auf ihrer Grundlage kann Haft zur Sicherung von Überstellungsverfahren nach Art.
28 Dublin-III-Verordnung angeordnet werden.

[X.], Beschluss vom 26. Juni 2014 -
V [X.] -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 26. Juni 2014 durch die
Vorsitzende Richterin [X.], den Richter [X.], die Richterinnen Dr.
Brückner und Weinland und den Richter [X.]
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 4.
Februar
2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Betroffenen erkannt worden ist.
Es wird festgestellt, dass der Betroffene durch die Haftanordnung des [X.] vom 6. Januar 2014 in seinen Rechten verletzt worden ist.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:
I.
Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, wurde am 26.
Dezember
2013 nach seiner Einreise mit dem Zug aus [X.] von [X.]
-
3
-
amten der beteiligten Behörde ([X.]) festgenommen, da er nicht im Besitz eines Passes
oder anderer Grenzübertrittspapiere war.
Eine [X.]RODAC-Anfrage ergab, dass der Betroffene im November 2013 unter Angabe eines falschen Namens und einer falschen Nationalität in [X.] Asyl beantragt hatte. Er war danach u.a. über [X.] und [X.] nach [X.] weitergereist. Bei seiner Vernehmung durch Beamte der [X.] gab er an, in [X.] bleiben und einen Asylantrag stellen zu wollen. Die beteiligte Behörde verfügte mit Bescheid vom 27.
Dezember
2013 die Zurückschiebung des Betroffenen nach [X.] und beantragte die vorläufi-ge Freiheitsentziehung für die [X.] vom 27. Dezember 2013 bis zum 6.
Januar
2014; dem Antrag wurde entsprochen. Das Asylgesuch des [X.] wurde von der beteiligten Behörde am 30. Dezember 2013 an das Bundes-amt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: [X.]) weitergeleitet, das am 2.
Januar
2014 ein [X.] an [X.] richtete.
Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 6. Januar 2014 gegen den Betroffenen Überstellungshaft bis zum 10.
Februar
2014 angeordnet. Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene Be-schwerde eingelegt. Am 16. Januar 2014 hat [X.] unter Hinweis darauf, be-reits am 12. Dezember 2013 ein Aufnahmeersuchen an [X.] gerichtet zu haben, das [X.] abgelehnt.
Das [X.] hat die Haftanordnung aufgehoben und festgestellt, dass der Betroffene durch den Beschluss des Amtsgerichts seit dem 17.
Januar
2014 in seinen Rechten verletzt sei. Die weitergehende Beschwerde hat es zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbe-schwerde, mit der er die Feststellung der Rechtsverletzung bereits durch die 2
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4
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Haftanordnung vom 6. Januar 2014 beantragt. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.
Das Beschwerdegericht meint, das Asylgesuch des Betroffenen habe der Anordnung der Zurückschiebungshaft nicht entgegen gestanden, weil der [X.] aus der Haft gestellt worden sei und die vorläufige Freiheitsentziehung nicht nur wegen der unerlaubten Einreise, sondern auch wegen des Verdachts angeordnet worden sei, dass der Betroffene sich der Zurückschiebung durch Untertauchen entziehen werde. Dass im [X.]punkt der amtsrichterlichen Ent-scheidung bereits die Dublin-III-Verordnung -
Verordnung ([X.]) Nr. 604/2013 des [X.] und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prü-fung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mit-gliedstaat gestellten Antrags
auf internationalen Schutz zuständig ist ([X.]. Nr. L 180, [X.]) -
in [X.] gewesen sei, ändere an der Rechtmäßigkeit der Haftan-ordnung nichts. [X.] könne, ob angesichts des gegenüber dem inner-staatlichen Recht vorrangigen Art.
28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung, der für die Inhaftnahme zum Zwecke der Sicherung einer Überstellung eine erhebliche Fluchtgefahr verlange, die in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis
4 [X.] genannten Haftgründe obsolet geworden seien; denn jedenfalls genüge
der Haftgrund in §
62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.] den Anforderungen der Verordnung. Diese Regelung entspreche -
wenn sie unter Berücksichtigung der zu ihr ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgelegt werde -
auch den Erfordernissen von Art. 2 Buchstabe n der Verordnung. Fluchtgefahr

im Sinne der [X.]
-
5
-
nung sei danach anzunehmen, wenn der begründete Verdacht bestehe, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen wolle. Das sei hier der Fall.

III.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist nach §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
3, Satz
2 FamFG statthaft. Der Betroffene darf seine Beschwerde gegen die Haftanordnung nach §§ 58 ff. FamFG mit einem Feststellungsantrag analog §
62 FamFG verbinden ([X.], Beschluss vom 31. Januar 2013 -
V [X.], [X.] 2013, 130 Rn. 7). In solch einem Fall kann der Betroffene -
auch wenn das Beschwerdegericht mit der Entscheidung über die Beschwerde die Frei-heitsentziehung beendet hat -
eine Rechtsbeschwerde mit dem Ziel erheben, die Rechtsverletzung durch die Inhaftierung festzustellen (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Oktober 2012 -
V [X.], [X.] 2013, 39 Rn.
7).
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Haftanordnung hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt. Sie hätte nicht ergehen dürfen, weil die Voraussetzungen für seine Inhaftnahme zum Zweck einer Überstellung nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung nicht vorlagen.
1. Das Beschwerdegericht geht zutreffend von der Anwendbarkeit dieser Verordnung aus. Sie gilt nach der Übergangsvorschrift des Art. 49 Abs. 2 Satz 1 vom 1. Januar 2014 an (dem ersten Tage des sechsten Monats nach ihrer [X.] im [X.] am 29. Juni 2013) -
unge-achtet des [X.]punkts der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz -
für alle Gesuche
um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Sie ist damit auch auf das von dem [X.] am 2. Januar 2014 an [X.] gestell-te [X.] anzuwenden.
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-
2. Nicht richtig ist es jedoch, wenn das Beschwerdegericht ausführt, dass auch unter
Geltung des Art. 28 Dublin-III-Verordnung die Haft zur Sicherstellung einer Überstellung des Ausländers in den für dessen Schutzantrag zuständigen Mitgliedstaat nach den Vorschriften des nationalen Ausländerrechts über die Zurück-
oder Abschiebung angeordnet werden darf.
a) Das entsprach allerdings der Rechtslage bei den Aufnahme-
und Wie-deraufnahmeverfahren nach Art. 16 und 20 der Verordnung ([X.]) Nr. 343/2003, ([X.]. Nr. L 050, S. 1 -
[X.]). Die durch Art. 48 Dublin-III-Verordnung aufgehobene Verordnung enthielt keine gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über die Zulässigkeit der Inhaftierung eines Ausländers zur Siche-rung seiner Überstellung in den für das Asylverfahren zuständigen [X.]. Die diesem Zweck dienenden Haftanordnungen erfolgten nach den Ge-setzen der Mitgliedstaaten. In der [X.] wurde die Haft in der Regel nach den Vorschriften zur Durchsetzung einer auf Grund unerlaub-ter Einreise des Ausländers vollziehbaren Ausreisepflicht nach §
57 Abs.
2 Satz
2, Abs. 3, § 62 Abs. 3 [X.] angeordnet (vgl. [X.], Beschluss vom 4.
Juli
2013 -
V [X.], juris Rn. 3; [X.], [X.] 2013, 436, 438 f.; Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. [X.] auf eine schriftliche Frage -
BT-Drucks. 16/886, S.
9).
b) Die Rechtslage hat sich mit dem Inkrafttreten der Dublin-III-Verordnung dadurch grundlegend geändert, dass nunmehr das Gemeinschafts-recht selbst Vorschriften für die Inhaftnahme von Ausländern zum Zweck der Überstellung enthält. Es schließt in Art. 28 Abs. 1 eine Inhaftnahme allein auf Grund der Einleitung eines Verfahrens zur Aufnahme-
oder Wiederaufnahme des Ausländers durch einen anderen Mitgliedstaat (Art. 20 ff.) aus und legt in Art.
28 Abs. 2 die Voraussetzungen fest, die von den Mitgliedstaaten bei der Inhaftnahme von Ausländern zwecks Sicherstellung der Überstellung eingehal-9
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ten werden müssen. Nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung dürfen die Mit-gliedstaaten zu diesem Zweck einen Ausländer im Sinne der Verordnung (einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen) nach einer Einzelfallprüfung nur in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, und auch nur dann, wenn die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnah-men nicht wirksam anwenden lassen.
Die Haft zur Sicherung der Überstellung eines Ausländers, der einen [X.] auf internationalen Schutz gestellt hat, in den nach der Verordnung zustän-digen Mitgliedstaat darf nur noch unter den Voraussetzungen des Art.
28
Dublin-III-Verordnung und nicht mehr nach anderen Bestimmungen des Rechts des Mitgliedstaats (wie Vorschriften zur Durchsetzung einer sich aus dem nati-onalen Recht ergebenden vollziehbaren Ausreisepflicht) angeordnet werden. Andernfalls würde der Schutzzweck der gemeinschaftsrechtlichen Regelung vereitelt (vgl. BVwG der [X.], Beschluss vom 3. April 2014
-
W112 2003274-1/19E, Seite 22; Filzwieser/Sprung, Die Dublin-III-Verordnung, Art. 28 [X.]. K 1; [X.], [X.], 1).
3. Das Beschwerdegericht hat daher zu Recht geprüft,
ob die Voraus-setzungen für eine Inhaftnahme nach Art. 28 Abs.
2 Dublin-III-Verordnung vor-gelegen haben. Seine Auffassung, dass der in §
62 Abs.
3 Satz
1 Nr.
5
[X.] genannte Haftgrund den von Art. 2 Buchstabe n der Dublin-III-Verordnung gestellten Anforderungen entspricht, teilt der [X.] jedoch nicht.
a) Danach ist unter einer Fluchtgefahr

das Vorliegen von Gründen im Einzelfall zu verstehen, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien be-ruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass ein Antragsteller, ein Dritt-staatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, sich diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. 12
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-
Art.
2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung verlangt somit gesetzlich festgelegte Kriterien zur Konkretisierung der im Gemeinschaftsrecht bestimmten [X.]. Diese Vorschrift stellt eine Ausnahme von dem uni-onsrechtlichen Verbot dar, den Inhalt einer [X.]-Verordnung durch innerstaat-liches Recht zu präzisieren; sie erlegt es den Mitgliedstaaten auf, durch Gesetz die Kriterien für das Vorliegen einer Fluchtgefahr zu regeln (vgl. BVwG der [X.], Beschluss vom 3. April 2014 -
W112
2003274-1/19E,
Seite
23; Filzwieser/Sprung, Die Dublin-III-Verordnung, Art. 2 [X.]. K 48).
b) Ob die generalklauselartig formulierte Bestimmung in § 62 Abs. 3 Satz
1 Nr. 5 [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Mai 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 254 Rn. 12; [X.] in [X.]/[X.]/Dienelt, [X.]., §
62 [X.] Rn. 74), nach der ein Ausländer zur Siche-rung einer Abschiebung in Haft zu nehmen ist, wenn der begründete Verdacht besteht, dass er sich der Abschiebung entziehen will, diesen Anforderungen des Gemeinschaftsrechts genügt, wird allerdings unterschiedlich beurteilt.
aa) Nach einer Mitteilung der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zu dem in Art. 28 Dublin-III-Verordnung geregelten Haftgrund ist es ihre [X.] gewesen, darauf hinzuwirken, dass die bisherigen Haftgründe des nationa-len Rechts in [X.] inhaltlich in Einklang mit dem künftigen Unionsrecht stehen (BT-Drucks. 17/12039, [X.]). Das dürfte dahin zu verstehen sein, dass nach ihrer Auffassung die Vorschrift über die Gründe, aus denen Haft zur Si-cherung der Abschiebung anzuordnen ist (§ 62 Abs.
3 Satz
1 [X.]), insge-samt den Erfordernissen an eine Inhaftierung zum Zwecke der Sicherung einer Überstellung nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung entspricht.
Nach anderer Auffassung ([X.], [X.] 2013, 436, 438 f.) ist eine In-haftierung des Ausländers nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung nur dann 15
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zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 Satz
1 Nr. 5 [X.] vorliegen. Fluchtgefahr im Sinne der Verordnung bestehe dann, wenn der [X.] begründet sei, dass der Ausländer sich der Überstellung nach Art. 29 Dublin-III-Verordnung in den zuständigen Mitgliedstaat entziehen wolle.
In diesen Stellungnahmen wird allerdings auf die Frage, ob die General-klausel in §
62 Abs. 3 Satz 1 Nr.
5 [X.] dem gemeinschaftsrechtlichen Er-fordernis objektiver, durch Gesetz festgelegter Kriterien für die begründete [X.] genügt, nicht näher eingegangen.
bb) Dem steht die Ansicht gegenüber ([X.], [X.], 1), dass § 62 Abs.
3 [X.], der für die Abschiebungshaft und über § 57 Abs. 2 [X.] auch für die Zurückschiebungshaft gilt, schon wegen des aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden haftrechtlichen Analogieverbots auf die Haft zur Überstellung nach Art.
28 Dublin-III-Verordnung nicht anwendbar sei. Vor allem fehle es aber an den durch Art. 2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung für die [X.] geforderten objektiven gesetzlich festgelegten Krite-rien.
cc) Der [X.] teilt die zuletzt genannte Auffassung. § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.] entspricht nicht den durch Art. 2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung an das Recht der Mitgliedstaaten gestellten Anforderungen.
(1) Nach dieser Bestimmung der Verordnung setzt die Annahme einer Fluchtgefahr das Vorliegen von Gründen voraus, die auf
objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen. Die den Verdacht stützenden Gründe müssen in einem Gesetz definiert sein ([X.] Fassung:

reasons in an individual case, which are based on objective criteria defined
by law .
...

.
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20
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-
10
-
(a) Diese Kriterien müssen in einem förmlichen Gesetz bestimmt sein. Der von dem Verordnungsgeber in der [X.] Fassung verwendete Terminus la loi

gilt nach dem dortigen Rechtsverständnis nur für die von dem Parlament erlassenen Gesetze ([X.]/Hilf/[X.], Das Recht der [X.], [X.]. 42 [August 2012]; Art. 288 A[X.]V Rn. 89). Die [X.] Fassung ist vor dem Hintergrund des Erfordernisses einer einheitlichen Anwen-dung unionsrechtlicher Rechtsnormen nicht anders auszulegen. Die europa-rechtliche Verordnung zwingt somit den nationalen Gesetzgeber dazu, die
Voraussetzungen für die Annahme einer die Inhaftierung des Ausländers in den Überstellungsfällen rechtfertigenden Fluchtgefahr in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln (vgl. zur vergleichbaren Garantie aus dem Gesetzesvorbehalt bei Freiheitsentziehungen nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG: [X.] 29, 183, 196 = NJW 1970, 2205, 2207).
(b) Der generalklauselartig formulierte Haftgrund in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.] genügt diesen Anforderungen deshalb nicht, weil die Vorschrift nicht die Kriterien benennt, die den Verdacht begründen, der Ausländer wolle sich der Abschiebung entziehen. Diese Kriterien sind nicht im [X.], sondern -
wovon auch das Beschwerdegericht ausgeht -
erst durch die Rechtsprechung näher bestimmt worden.
Der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.] kann auch deswe-gen nicht Grundlage einer Bestimmung der Kriterien der Fluchtgefahr im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung sein, weil die Voraussetzungen für ei-ne Inhaftnahme in der europarechtlichen Verordnung (Gründe für die Annah-me, dass der Ausländer sich der Überstellung durch Flucht entziehen könnte) und dieses Haftgrunds im nationalen Recht (begründeter Verdacht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen wolle) sich nicht unterscheiden. Eine Definition der Fluchtgefahr durch die Entziehungsabsicht führte
zu einem 22
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bloßen Pleonasmus ohne jeden Gewinn für die Berechenbarkeit und [X.] der zur Sicherung von Überstellungen ergehenden Haftanordnungen.
(2) Selbst wenn man -
abweichend von der vorstehenden Auslegung des Art. 2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung -
mit dem Beschwerdegericht davon ausginge, dass die die Annahme einer Fluchtgefahr begründenden objektiven Kriterien nicht unmittelbar durch den Gesetzgeber, sondern auch durch [X.] festgelegt werden könnten, fehlte es an einer der
Verordnung genügen-den Bestimmung.
Nach der Rechtsprechung des [X.]s setzt der begründete Verdacht ei-nes Entziehungswillens konkrete Umstände, insbesondere Äußerungen oder Verhaltensweisen des Ausländers voraus, die mit einer gewissen Wahrschein-lichkeit darauf hindeuten oder es nahelegen, dass dieser beabsichtigt, unterzu-tauchen oder die Abschiebung in einer Weise zu behindern, die nicht durch ein-fachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden kann ([X.], Beschluss vom 29. April
2010 -
V [X.], juris Rn. 12; Beschluss vom 22. Juli 2010 -
V [X.], [X.] 2011, 27, 29). Insoweit begründen zwar bestimmte Umstände (wie bspw. eine Täuschung des Ausländers über seine Identität, die unerlaubte Einreise mithilfe von Schleusern, ein früheres Untertauchen) in der Regel den Verdacht der Entziehungsabsicht, während an-deren Umständen (der illegale Aufenthalt im [X.], die Ablehnung des Asylantrags, das Fehlen eines festen Wohnsitzes, die Mittellosigkeit oder die Erforderlichkeit der Abschiebung) eine solche Bedeutung nicht beigemessen wird (vgl. zusammenfassend: [X.], [X.] 2000, 211, 212;
[X.] in [X.]/[X.]/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., §
62 Rn.
77 ff.). Die Ermittlung und die Würdigung der den Verdacht einer Entzie-hungsabsicht begründenden Umstände obliegen aber dem Tatrichter; dessen Feststellung ist bereits dann rechtsfehlerfrei, wenn sie vom richtigen rechtlichen 25
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Ausgangspunkt aus auf der Grundlage bestimmter Tatsachen als möglich er-scheint ([X.], Beschluss vom 10. Februar 2000 -
V [X.], [X.] 2000, 130). Einen so weitgehenden Beurteilungsspielraum bei der Annahme der Ent-ziehungsabsicht lässt die Verordnung, die objektiv festgelegte (und damit nach-prüfbare) Kriterien verlangt, jedoch nicht
mehr zu.
(3) Da weder die gesetzliche Regelung in § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5
[X.] selbst noch ihre Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtspre-chung objektiv festgelegte Kriterien vorgibt, auf denen der Verdacht einer Ent-ziehungsabsicht beruhen
muss, entspricht diese Vorschrift eindeutig nicht den von dem Gemeinschaftsrecht durch Art. 2 Buchstaben n der Verordnung ge-stellten Anforderungen. Einer Vorlage an den [X.] nach Art. 267 [X.] zur Auslegung dieser Bestimmung der Verordnung bedarf es deshalb nicht. Die Folge dessen ist allerdings, dass nach der gegenwärtigen Gesetzeslage in der [X.] die Haft zur Sicherung von Überstellungsverfahren nach Art. 28 Dublin-III-Verordnung nicht auf Fluchtgefahr bzw. eine Entziehungsabsicht des Betroffenen gestützt werden kann.
4. Das Beschwerdegericht hat -
von seinem Standpunkt aus folgerichtig -
nicht geprüft, ob eine Haft zur Sicherung der Überstellung aus den anderen [X.] (§
62 Abs. 3 Satz
1 Nr. 1 bis 4 [X.]) angeordnet werden kann oder ob diese Haftgründe angesichts von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung, der eine Inhaftierung nur bei Vorliegen einer erheblichen Fluchtgefahr vorsieht, für die Überstellungshaft
obsolet geworden sind.
a) Die Haftanordnung konnte hier allerdings nicht auf den Haftgrund der unerlaubten Einreise (§
62 Abs. 3 Satz 1 Nr.
1 [X.]) gestützt werden. [X.] Fortdauer der Haft aus diesem Grund stand nach § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 27
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13
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AsylVfG schon der von dem Betroffenen innerhalb einer Frist von einem Monat nach der unerlaubten Einreise gestellte Asylantrag entgegen (vgl. [X.], [X.] vom 6. Mai 2010 -
V [X.], NVwZ 2010, 1510 Rn. 13; [X.] in [X.]/[X.]/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 14 AsylVfG Rn. 21).
Anderes ergibt sich -
abweichend von der Rechtslage unter Geltung der [X.] (zu dieser: [X.], Beschluss vom 6. Mai 2010
-
V [X.], aaO) -
auch nicht aus der Vorschrift des § 14 Abs. 3 Satz
1 Nr. 5 AsylVfG, nach der die Monatsfrist bei einer (auch) nach §
62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.] angeordneten Sicherungshaft nicht gilt. Diese Regelung diente zwar gerade dem Zweck, dass Ausländer, die im Rahmen eines [X.] in den für das Asylverfahren zuständigen Staat verbracht werden sollten, nicht vorzeitig aus der Haft entlassen werden und untertauchen (BT-Drucks. 16/5065, [X.]). Der Anwendung dieser Vorschrift steht hier aber entgegen, dass die Haft zur Sicherstellung eines Überstellungsverfahrens nunmehr nur noch unter den in Art. 28 Abs.
2 Dublin-III-Verordnung bestimmten Voraussetzungen [X.] werden darf, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 [X.] jedoch keine gesetzli-che Festlegung objektiver Kriterien für den Verdacht einer Fluchtgefahr nach Art. 2 Buchstabe
n der Verordnung enthält.
b) Überstellungshaft nach Art. 28 Dublin-III-Verordnung kann allerdings angeordnet werden, wenn die Haftgründe im nationalen Recht so ausgestaltet sind, dass sie nur bei Vorliegen von objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien verwirklicht werden, welche die Annahme einer Fluchtgefahr begründen. Das ist in [X.] derzeit allein bei den in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 4 [X.] genannten [X.] (Wechsel des Aufenthaltsorts ohne Angabe einer An-schrift unter der der Ausländer erreichbar ist; vom Ausländer zu vertretendes Nichtantreffen an dem von der Behörde angegebenen Ort an dem für die Über-30
31
-
14
-
stellung angekündigten Termin) der Fall. Da diese Haftgründe hier nicht vorge-legen haben, ist dem Feststellungsantrag des Betroffenen zu entsprechen.

IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus
§
81
Abs.
1,
§
83
Abs.
2,
§
430
FamFG, Art. 5 [X.]. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach
§ 36 Abs. 3 GNotKG.
[X.]
Czub
Brückner

Weinland
Kazele
Vorinstanzen:
[X.],
Entscheidung vom 06.01.2014 -
7 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 04.02.2014 -
5 [X.] -

32

Meta

V ZB 31/14

26.06.2014

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.06.2014, Az. V ZB 31/14 (REWIS RS 2014, 4533)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4533

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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