Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 25.06.2015, Az. 1 BvR 439/14

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2015, 9128

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Erfordernis der Rechtswegerschöpfung durch Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a ArbGG) bei Fehlen einer einheitlichen, gefestigten höchstrichterlichen Rspr - keine Vorlagepflicht eines LAG gem Art 267 AEUV bei Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob das [X.] nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet sein kann, den Gerichtshof der [X.] anzurufen, wenn es die Revision nicht zulässt.

2

Der Beschwerdeführer war als Leiharbeitnehmer von 2008 bis 2013 ununterbrochen an dieselbe Entleiherin überlassen. Im Ausgangsverfahren machte er unter Berufung auf § 1 Abs. 1 Satz 2 [X.] geltend, wegen der nicht nur vorübergehenden Überlassung sei ein Arbeitsverhältnis mit der Entleiherin begründet worden. Seine Klage hatte beim [X.] und beim [X.] keinen Erfolg. Das [X.] führte zur Begründung aus, die vom Beschwerdeführer angestrebte Rechtsfolge ergebe sich nicht aus den Bestimmungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Dies widerspreche auch nicht der [X.] 2008/104/[X.], denn diese sehe keine bestimmte Sanktion bei einem nicht nur vorübergehenden Einsatz vor. Die Revision ließ das [X.] nicht zu.

3

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anspruchs auf [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen Nichtvorlage an den Gerichtshof der [X.]. Es handele sich um eine ungeklärte Frage der Auslegung der [X.]. Der Rechtsweg sei mit dem Urteil des [X.]s erschöpft, weil die Revision im Urteil nicht zugelassen worden sei.

II.

4

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 [X.]), weil sie unzulässig und offensichtlich unbegründet ist.

5

1. Die Verfassungsbeschwerde ist mangels Rechtswegerschöpfung nach § 90 Abs. 2 Satz 1 [X.] unzulässig. Der Beschwerdeführer hat keine Nichtzulassungsbeschwerde zur Eröffnung der Revision eingelegt und die Voraussetzungen dafür, dies hier für unzumutbar zu halten, liegen nicht vor.

6

Die Nichtzulassungsbeschwerde gehört zum Rechtsweg, der vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde erschöpft werden muss (vgl. [X.] 91, 93 <106>). Ihre Einlegung ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen nicht zumutbar, etwa wenn im Hinblick auf eine gefestigte jüngere und einheitliche Rechtsprechung ein von dieser Rechtsprechung abweichendes Ergebnis offensichtlich ausgeschlossen erscheint (vgl. [X.] 68, 376 <380 f.>).

7

Die Nichtzulassungsbeschwerde kann auch auf die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage des Unionsrechts gestützt werden (vgl. [X.] 82, 159 <196>). Sie war nicht deswegen offensichtlich aussichtslos, weil das [X.] zeitlich ganz unmittelbar vor der angegriffenen Entscheidung des [X.]s die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit der Entleiherseite im Wege richtlinienkonformer Auslegung abgelehnt hatte (vgl. [X.], Urteil vom 10. Dezember 2013 - 9 [X.] -, juris, Rn. 32 ff.). Es handelte sich mit dieser kurzfristig vorliegenden, ersten höchstrichterlichen Entscheidung einer in Literatur und [X.] Rechtsfrage somit nicht um gefestigte und einheitliche Rechtsprechung, die weitere Revisionsverfahren offensichtlich aussichtlos werden ließe. Zudem hat sich das [X.] in dieser Entscheidung nicht zur Frage einer Vorlage an den Gerichtshof der [X.] nach Art. 267 AEUV verhalten. Folglich konnte der Beschwerdeführer nicht davon ausgehen, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde in seinem Fall offensichtlich aussichtslos sein würde.

8

2. Die Verfassungsbeschwerde ist im Übrigen offensichtlich unbegründet. Das [X.] hat den Anspruch des Beschwerdeführers auf [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verletzt.

9

Ein nationales Gericht ist zwar unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof der [X.] anzurufen (vgl. [X.] 135, 155 <230 f., Rn. 177>). Jedoch ist das [X.] kein zur Vorlage verpflichtetes letztinstanzliches Gericht im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV, denn sein Urteil hätte mit dem Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden können. Der Gerichtshof der [X.] hat klargestellt, dass Entscheidungen dann nicht von einem letztinstanzlichen Gericht im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV stammen, wenn sie bei einem obersten Gericht angefochten werden können, selbst wenn eine solche Anfechtung der vorherigen Zulassung durch das oberste Gericht bedarf (vgl. [X.], Urteil vom 4. Juni 2002, [X.], C-99/00, Slg. 2002, [X.], Rn. 16). Dies ist auch für die Nichtzulassungsbeschwerde gegen Urteile des [X.]s anerkannt (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Dezember 2011 - 6 [X.] 1371/11 -, juris, Rn. 14).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 439/14

25.06.2015

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht, 17. Dezember 2013, Az: 1 Sa 471/13, Urteil

Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, Art 267 Abs 3 AEUV, § 1 Abs 1 S 2 AÜG, EGRL 104/2008

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 25.06.2015, Az. 1 BvR 439/14 (REWIS RS 2015, 9128)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 9128

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