Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.02.2018, Az. 2 StR 447/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2018, 14336

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:070218U2STR447.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
2 StR 447/17
vom
7. Februar
2018
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 7.
Februar
2018, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr. [X.],

der
Richter am [X.]
Prof. Dr. [X.],
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],
[X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Rechtsanwältin

als Vertreterin der Nebenklägerin Je.

P.

,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19.
Juni 2017 mit den zugehöri-gen Feststellungen aufgehoben,
a)
soweit der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuel-lem Missbrauch von Schutzbefohlenen verurteilt worden ist
(Fall 5
der Urteilsgründe),

b)
sowie im Gesamtstrafenausspruch.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere als Jugendschutzkammer tätige [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

-
4
-
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften in vier Fällen (Fälle 1 bis 4) und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (Fall 5) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das [X.] auf die Verurteilung wegen
schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen (Fall 5) be-schränkte Rechtsmittel des Angeklagten, mit dem er die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht,
hat mit der Sachrüge Erfolg.
Auf die [X.] kommt es deshalb nicht mehr an.

I.
1. Nach den Feststellungen des [X.] lebte der Angeklagte etwa bis Ende 2011 mit der Zeugin

S.

sowie
ihren Töchtern J.

und Je.

P.

zusammen. Dabei bildete sich zwischen dem Angeklagten und der
am 23.
Januar 2003 geborenen Nebenklägerin Je.

P.

ein Ersatzvater-
verhältnis. Dieses
bestand auch nach der Ende 2011 erfolgten Trennung des Angeklagten von

S.

und seinem Auszug aus der zuvor gemeinsam
genutzten Wohnung fort.
Die Nebenklägerin besuchte den Angeklagten bis März 2016 regelmäßig an Wochenenden, Feiertagen und in den Schulferien, wobei der Angeklagte auch Erziehungsaufgaben
übernahm.
2. Nach den vom Revisionsangriff ausgenommenen Feststellungen zu den Fällen 1 bis 4
fertigte der Angeklagte am 18.
Mai, 24.
Mai, 25.
Juli 2014 und am 14.
Februar 2016 mit seinem Mobiltelefon Fotos von der Nebenkläge-1
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-
rin, bei denen diese auf Veranlassung des Angeklagten obszöne Stellungen einnahm, so dass entweder ihre Vagina (Fälle 1 bis 3) oder ihr
entblößter
Ober-körper (Fall 4) zu sehen waren.
An
einem Tag im Zeitraum vom 24.
Januar 2014 bis zum 22.
Januar 2016 saßen der Angeklagte und die Nebenklägerin im Wohnzimmer der [X.]. Die Nebenklägerin war nackt,
der Angeklagte streichelte sie am ganzen Körper. Die Nebenklägerin nahm den Penis des Angeklagten in den Mund und befriedigte ihn zunächst oral. Danach befriedigte sich der Angeklagte bis zum Samenerguss selbst
(Fall 5).

Während der Angeklagte in der Hauptverhandlung eingeräumt
hat, die Bilder in den Fällen 1 bis 4 gefertigt zu haben, hat er bestritten, sich jemals an der Nebenklägerin vergriffen zu haben. Das [X.] hat den Angeklagten gleichwohl allein aufgrund der Angaben der Nebenklägerin auch im Fall 5 als überführt angesehen.

II.
Die durch das [X.] vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich Fall 5
hält

auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtli-chen Prüfungsumfangs (vgl. [X.], Urteil vom 18. September 2008

5
StR 224/08, [X.], 401, 402)

sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der
Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Ur-teil vom 6. April 2016

2 [X.] mwN). Seine Schlussfolgerungen brau-chen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, Urteil vom 6. April 2016

2 [X.]). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf 4
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-
6
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beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in [X.] Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfah-rungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998

2
StR 636/97, [X.]R [X.] § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei [X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
Darüber hinaus hat der [X.] in

Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche
die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu be-einflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. April 1987

3 [X.], [X.]R [X.] §
261 Be-weiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997

4 [X.], [X.]R [X.] §
261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993

2 StR 531/92, [X.]R StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15;
Urteil vom 6.
April 2016

2
[X.]) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 30. August 2012

5 [X.], [X.], 19; Senat, Urteil vom 6. April 2016

2 [X.] mwN).
Erforderlich sind insbe-sondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage ([X.], Beschluss vom 21.
April 2005

4 [X.], [X.], 232, 233), eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs (vgl. [X.], Urteil vom 10. April 2003

4
StR 73/03), sowie eine Prüfung von [X.], Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (Senat, Urteil vom 7.
März 2012

2 StR 565/11, juris Rn. 9).
2.
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
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7
-
a) Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, sie leidet an Erörterungsmängeln.
aa) Ein solcher Mangel liegt zunächst in der fehlenden Inhaltsanalyse der Aussage der Nebenklägerin. Dies lässt besorgen, dass das [X.] der fehlenden Detailliertheit und Plausibilität der Aussage zum [X.] hinreichende Bedeutung beigemessen hat.
Ausweislich der Urteilsgründe hat die Zeugin das (sexuelle) Kerngesche-hen weitgehend ohne Realkennzeichen und teilweise einschränkend geschil-dert. Sie hat auf Nachfrage lediglich angeben, sie habe dem Angeklagten im Wohnzimmer einen blasen

sollen und er habe sie am ganzen Körper berührt. Sie glaube, seine Hose sei nach unten gezogen gewesen, der Angeklagte habe sie selbst herunter gezogen. Wie lange das gedauert habe, wisse sie nicht. Sie glaube, der Angeklagte sei zum Samenerguss gekommen.
Dabei sei sein Penis nicht mehr in ihrem Mund gewesen, er habe sich dann selber angefasst. Er ha-be sich mit einem Taschentuch abgewischt und dieses weggeworfen.
Dementsprechend
fehlen der Aussage der Nebenklägerin weitgehend Realkennzeichen wie
zum Beispiel die logische Konsistenz der Aussage, ein quantitativer Detailreichtum, eine räumlich-zeitliche Verknüpfung,
die
Schilde-rung ausgefallener Einzelheiten und eigener psychischer Vorgänge (vgl. [X.], 7. Aufl. § 261 Rn. 31b).
Zudem hat
die Zeugin durch die
mehrfache [X.] habe sich wie beschrieben ereignet, ihre Erinnerung relativiert. Eine zeitliche Einordung war ihr nicht möglich.
Die Aussage, die
den Tatzeitraum lediglich auf das
elfte oder zwölfte Le-bensjahr der Nebenklägerin eingrenzt, ohne dass diese Zeitangabe näher [X.] ist, lässt
einen nachvollziehbaren situativen Rahmen, in den das [X.] eingebettet war, vermissen.
Nach der kargen Darstellung saß die Ne-benklägerin
ohne erkennbaren Grund nackt im Wohnzimmer, der Angeklagte 10
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8
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streichelte si

Die Aussage lässt
offen, ob die [X.] leistete
oder
ihren Unmut zum Ausdruck brachte.
Die [X.] schweigt zu der Frage, was die Nebenklägerin zu ihrer Handlung
bewog. Insgesamt
ist nicht erkennbar, welche verbalen oder nonverbalen Zwischenakte das Geschehen begleiteten. Der Aussage ist weder zu entnehmen, ob es einer Aufforderung des Angeklagten zur Durchführung des [X.]
bedurfte, noch, ob dieser die Beendigung des [X.] ohne Weiteres hinnahm.
[X.])
Ein weiterer
Mangel der Beweiswürdigung liegt darin, dass die Straf-kammer
unzureichend erörtert hat, warum die über mehrere Jahre vorgenom-menen selbstverletztenden Handlungen der Nebenklägerin sich nicht auf deren [X.] ausgewirkt haben können.
Denn die [X.]
unterlegt ihre
dahingehende n-

cc) Die Erwägung eines möglichen Falschbelastungsmotivs ist
verkürzt
geraten. Zwar spricht, worauf das
[X.] zutreffend hingewiesen hat, das vormals sehr gute Verhältnis zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklag-ten gegen eine bewusste Falschbelastung. Das [X.] hat
indes unerör-tert
gelassen, warum es im März 2016 zum A[X.]ruch der [X.] kam.
b) Das Urteil lässt auch
die aufgrund der Beweislage gebotene Gesamt-würdigung vermissen. Die [X.]
hat sich darauf beschränkt, einzelne für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin sprechende Gesichtspunkte
darzustellen, ohne diese jedoch gegen die [X.] [X.].
Hierbei hätte sie
insbesondere in den Blick nehmen müssen, dass die Detailarmut die Bedeutung des [X.], auf den die [X.] ihre Überzeugungsbildung stützt,
vermindern kann 15
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9
-
(Senat, Beschluss vom 4. Oktober 2017

2 StR 219/15, juris Rn. 24, [X.],
Beschluss vom 28. Oktober 1999

4 [X.], [X.], 217).

3. Es ist
nicht auszuschließen, dass das Tatgericht
bei rechtsfehlerfreier Würdigung zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin
gelangt wäre. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
[X.] [X.]

[X.]

[X.] [X.]

18

Meta

2 StR 447/17

07.02.2018

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.02.2018, Az. 2 StR 447/17 (REWIS RS 2018, 14336)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 14336

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2 StR 447/17

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