Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.12.2017, Az. 1 StR 408/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 235

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:201217B1STR408.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 408/17

vom
20. Dezember
2017
in der Strafsache
gegen

wegen
sexuellen Missbrauchs von Kindern

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Der 1. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des [X.] und des [X.]

zu 3. auf dessen Antrag

am 20.
Dezember
2017
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 24. März 2017

mit Ausnahme der Ad-häsionsentscheidungen

mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.
3.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und davon einen Monat wegen überlanger Verfahrensdauer für vollstreckt erklärt. Zudem hat es den Angeklagten als Adhäsionsbeklagten ä-sionsklägerin zu zahlen.
Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revi-sion des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen überwie-genden Erfolg (§
349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
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I.
1. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen:
An einem nicht feststellbaren Tag im Zeitraum von Oktober 2009 bis [X.]/Ende Dezember 2012 schob der Angeklagte der am 8.
Juli 2001 geborenen Geschädigten, die beim gemeinsamen Lernen auf seinem Schoß saß, seine Hand unter die Kleidung und rieb damit an ihrer nackten Scheide, um sich [X.] zu stimulieren (Fall II.A.1. der Urteilsgründe).
Im Zeitraum von Mitte/Ende Dezember 2012 bis Juli 2014 nahm der An-geklagte an im Einzelnen nicht mehr feststellbaren Tagen

in neun Fällen

sexuelle Handlungen an der Geschädigten vor, um sich hierdurch sexuell zu erregen. An mindestens drei Tagen schob der Angeklagte im [X.] der [X.] erneut seine Hand unter die Kleidung des beim Lernen auf seinem Schoß sitzenden Mädchens und rieb damit an dessen nackter Scheide (Fälle II.A.2.a). Möglicherweise Anfang 2014 legte sich der Angeklagte abends nur mit Unterhose und T-Shirt bekleidet im Elternschlafzimmer zu der auf dem Bett lie-genden Geschädigten und fasste unter den Schlafanzug, berührte sie an ihren nackten Brüsten und rieb mit seiner Hand an ihrer nackten Scheide (Fall [X.]). An einem anderen Abend zog der Angeklagte

wiederum nur mit Un-terhose und T-Shirt bekleidet

die im Elternschlafzimmer auf dem Bett liegende Geschädigte auf sich, sodass sie bäuchlings auf ihm zu liegen kam und ver-langte von ihr, vor und zurück zu rutschen; hierbei umfasste er mit seinen Hän-den ihre Hüfte und dirigierte so die beischlafähnlichen Bewegungen, die bei ihm zu einer Erektion führten (Fall II.A.2.c). An einem weiteren Abend verlangte der Angeklagte von der
Geschädigten, seinen Penis anzufassen, nahm ihre Hand und führte diese an sein entblößtes Geschlechtsteil und bedeutete ihr, die Hand hin und her zu bewegen; als er ihre Hand losließ, zog die Geschädigte diese 3
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zurück ([X.]). An zwei weiteren Abenden zog der Angeklagte sich und der bäuchlings in ihrem Bett liegenden Geschädigten die Hosen hinunter und rieb seinen nackten Penis an ihrem entblößten Gesäß, bis er zum [X.] kam (Fälle [X.]). An einem weiteren Abend rieb der Angeklagte, nach-dem er sich und der Geschädigten die Hosen heruntergezogen hatte, seinen nackten Penis an der nackten Scheide der Geschädigten, die bäuchlings oder rücklings im Bett lag (Fall II.A.2.f).
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das [X.] hat seine
Überzeugung im Wesentlichen auf die Aussage der Geschädigten gestützt und sich dabei unter anderem auf die inhaltliche Qualität und [X.] ihrer Anga-ben im Hinblick auf den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt ge-stützt.
II.
Die Revision des
Angeklagten hat hinsichtlich der Verurteilung mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die erhobene Verfahrensrüge nicht ankommt.
Die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung hält rechtli-cher Überprüfung nicht stand.
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Der revisionsge-richtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdi-gung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2004

1 [X.], [X.], 238 f.; [X.], Urteil vom 2. Dezember 2005

5 [X.], [X.], 925, 928).
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2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb lückenhaft, weil es an einer geschlosse-nen Darstellung der Angaben der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung
und der früheren Aussagen fehlt, so dass die vom [X.] vorgenommene In-halts-
und [X.]analyse revisionsgerichtlich nicht überprüft werden kann.
Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaus-sagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen

wie hier

Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussa-ge in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen [X.] ansonsten die sachlich-rechtliche [X.] der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (Senat, Urteil vom
10.
August 2011

1 [X.], [X.], 110, 111
Rn.
14; [X.], Urteil vom
22.
Oktober 2014

2
StR 92/14, [X.], 52, 53
Rn.
10).
Die Darstellung der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung h-e-schildert (UA S.
10). Die Angaben, die die Nebenklägerin zuvor bei der Polizei gemacht hat, werden nicht dargestellt. Auf dieser Grundlage erschöpfen sich die Urteilsgründe im Hinblick auf die Inhaltsanalyse

formelhaft

darin, mitzu-teilen, dass die Geschädigte nicht nur über das jeweilige Kerngeschehen, son-dern auch über Randdetails und nebensächliche Einzelheiten berichtet habe ([X.]) und, dass die Aussage in ihrem Umfang sowie ihrer Detailliertheit, Konkretheit und Differenziertheit ein Niveau aufweise, wie es bei einem Erleb-nisbericht über
sexuelle Missbrauchshandlungen der festgestellten Art zu er-warten sei (UA S.
17). Die Bekundungen der Nebenklägerin zu den von ihr er-hobenen Missbrauchsvorwürfen im Einzelnen, insbesondere konkrete Details 10
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zum unmittelbaren Tatgeschehen und zum psychischen Erleben der Nebenklä-gerin, werden dabei allerdings nicht mitgeteilt. Im Hinblick auf die [X.]ana-lyse beschränken sich die Urteilsgründe auf die Darstellung der Aussageent-stehung in zeitlicher Hinsicht ([X.] ff.) und die Wiedergabe und Bewertung einzelner Angaben in der Hauptverhandlung und gegenüber der Polizei, die das [X.] als inhaltliche Abweichungen bezeichnet, die nicht geeignet seien, Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten zu begründen ([X.] f., 23 f.). Den Urteilsgründen ist hingegen nicht zu entnehmen, ob die Nebenklägerin die vom [X.] aufgezeigten Widersprüche im Aussagein-halt nachvollziehbar erklären konnte oder nicht.
Auf dieser Grundlage kann der Senat insgesamt nicht hinreichend über-prüfen, ob das [X.] eine fachgerechte Analyse der Aussage der Neben-klägerin zum Kerngeschehen vorgenommen und überdies die dabei von ihm aufgezeigten Abweichungen zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von [X.] und Widerspruchsfreiheit vgl. [X.], Urteil vom 23.
Januar 1997

4 StR 526/96, [X.], 172).
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das [X.] bei Einhal-tung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.

III.
1. Die Aufhebung des Urteils einschließlich der Feststellungen entzieht vorliegend auch der [X.] die Grundlage. Sollte der neue Tatrichter erneut zu einer Verurteilung gelangen, wird hinsichtlich der im hier fraglichen Urteil gewährten Kompensation § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO zu 13
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beachten sein (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Februar 2017

2 StR 375/16, [X.], 213 Rn.
11 mwN).
2. Die Aufhebung des strafrechtlichen Teils des angefochtenen Urteils führt nicht zur Aufhebung der zu Gunsten der Nebenklägerin ergangenen Ad-häsionsentscheidung (§
406a Abs. 3 Satz 1 StPO); dessen Aufhebung bleibt gegebenenfalls dem neuen Tatrichter vorbehalten (vgl. nur [X.], Beschluss vom 7.
Juni 2017

4 StR 197/17, [X.], 270 Rn. 13; Urteil vom 23.
Juli 2015

3 [X.], [X.], 25 Rn. 56 mwN).
Raum Radtke

Fischer

Bär Hohoff
16

Meta

1 StR 408/17

20.12.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.12.2017, Az. 1 StR 408/17 (REWIS RS 2017, 235)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 235

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 408/17

1 StR 114/11

2 StR 375/16

4 StR 197/17

3 StR 470/14

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