Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.03.2023, Az. 6 AZR 124/22

6. Senat | REWIS RS 2023, 3940

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Gegenstand

Dienstzeit iSv. § 15 Tarifvertrag für die Musiker in Konzert- und Theaterorchestern - Anrechnung von Tätigkeitszeiten als Musiker bei nicht im Deutschen Bühnenverein organisierten Konzert- und Theaterorchestern


Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 17. Februar 2022 - 3 Sa 613/21 - wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten zuletzt noch über die Anrechnungsfähigkeit von Tätigkeitszeiten bei einem nicht im [X.] organisierten Arbeitgeber als Dienstzeiten.

2

Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 2013 bei dem Beklagten als Tuttistin der 1. Violine im Orchester des Staatstheaters beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Inbezugnahme der Tarifvertrag für die Musiker in Konzert- und Theaterorchestern ([X.]) Anwendung.

3

Die für den Rechtsstreit obligatorischen Bestimmungen des Tarifvertrags in der Fassung vom 1. Oktober 2019 (im Folgenden [X.]) lauten:

        

„§ 1   

        

Geltungsbereich

        

Dieser Tarifvertrag gilt für die Musiker in Konzert- und Theaterorchestern innerhalb der [X.], deren Arbeitgeber ein Unternehmermitglied des Deutschen Bühnenvereins ist.

        

…       

        

§ 15   

        

Dienstzeit

        

(1)     

Die Dienstzeit umfasst die bei Konzert- und Theaterorchestern als Musiker zurückgelegten und die nach den Absätzen 2 und 3 anzurechnenden [X.]en.

        

(2)     

[X.]en einer Tätigkeit als Musiker in anderen als Konzert- und Theaterorchestern sowie [X.]en einer sonstigen musikalisch-künstlerischen oder einer musik-pädagogischen Tätigkeit können auf die Dienstzeit angerechnet werden.

        

(3)     

Die in den Absätzen 1 und 2 aufgeführten [X.]en werden nicht angerechnet, wenn der Musiker das Arbeitsverhältnis gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat oder wenn es aus einem von ihm verschuldeten Grund beendet worden ist. Dies gilt nicht, wenn sich an das Arbeitsverhältnis unmittelbar ein anderes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber oder ein Arbeitsverhältnis mit dem rechtlichen Träger eines anderen Konzert- oder Theaterorchesters anschließt oder wenn der Musiker das Arbeitsverhältnis wegen eines mit Sicherheit erwarteten Personalabbaus oder wegen Unfähigkeit zur Fortsetzung der Arbeit infolge einer Körperbeschädigung oder einer in Ausübung oder infolge seiner Arbeit erlittenen Gesundheitsschädigung aufgelöst hat oder wenn die Nichtanrechnung eine unbillige Härte wäre. Dies gilt ferner nicht, wenn der Musiker innerhalb einer Frist von einem Jahr, gerechnet vom Beginn seiner Elternzeit, das Arbeitsverhältnis nach § 19 Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit zum Ende der Elternzeit kündigt.

        

(4)     

Der Musiker hat die anrechnungsfähigen [X.]en innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Aufforderung durch den Arbeitgeber nachzuweisen. [X.]en, für die der Nachweis nicht fristgemäß erbracht wird, werden nicht angerechnet. …“

4

Die maßgeblichen Regelungen in der bis zum 30. September 2019 geltenden Fassung des [X.] für die Musiker in [X.] vom 31. Oktober 2009 (im Folgenden [X.] aF) lauteten:

        

„§ 1   

        

Geltungsbereich

        

(1)     

Dieser Tarifvertrag gilt für die Musiker in [X.] innerhalb der [X.], deren Arbeitgeber ein Unternehmermitglied des Deutschen Bühnenvereins ist.

        

(2)     

Kulturorchester sind Orchester, die regelmäßig Operndienst versehen oder Konzerte ernst zu wertender Musik spielen. Orchester, die lediglich oder überwiegend Operettendienst versehen, sind keine Kulturorchester im Sinne dieses Tarifvertrags.

        

…       

        
        

§ 15   

        

Dienstzeit

        

(1)     

Die Dienstzeit umfasst die bei [X.] (§ 1 Abs. 2) als Musiker zurückgelegten und die nach den Absätzen 2 und 3 anzurechnenden [X.]en.

        

(2)     

[X.]en einer Tätigkeit als Musiker in anderen als [X.] sowie [X.]en einer sonstigen musikalischkünstlerischen oder einer musikpädagogischen Tätigkeit können auf die Dienstzeit angerechnet werden.

        

(3)     

Die in den Absätzen 1 und 2 aufgeführten [X.]en werden nicht angerechnet, wenn der Musiker das Arbeitsverhältnis gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat oder wenn es aus einem von ihm verschuldeten Grund beendet worden ist. Dies gilt nicht, wenn sich an das Arbeitsverhältnis unmittelbar ein anderes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber oder ein Arbeitsverhältnis mit dem rechtlichen Träger eines anderen Kulturorchesters anschließt …

        

(4)     

Der Musiker hat die anrechnungsfähigen [X.]en innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Aufforderung durch den Arbeitgeber nachzuweisen. …“

5

Im Dezember 2013 legte die Klägerin dem Beklagten ein Zertifikat über ihre Anstellung als Violinistin im Bergen [X.] ([X.]) in der [X.] vom 3. September 2007 bis zum 21. Dezember 2007 und vom 1. September 2008 bis zum 3. Juni 2009 vor.

6

Sie hat die Auffassung vertreten, Dienstzeiten iSd. § 15 [X.] seien auch Tätigkeitszeiten bei Orchestern von Nichtmitgliedern des [X.]s. Anders als die Vorgängerregelung enthalte § 1 [X.] keine Definition des Kulturorchesters bzw. des Konzert- und Theaterorchesters, sondern regele lediglich noch den Geltungsbereich des [X.]. Mit der Anrechnung von [X.]en aus früheren Tätigkeiten auf die Dienstzeit werde die größere Erfahrung eines Musikers honoriert. Eine Nichtberücksichtigung entsprechender Tätigkeitszeiten verstoße im Übrigen gegen Art. 45 Abs. 1 AEUV.

7

Die Klägerin hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - beantragt

        

festzustellen, dass die von ihr im Bergen [X.] im [X.]raum vom 3. September 2007 bis zum 21. Dezember 2007 sowie im [X.]raum vom 1. September 2008 bis zum 3. Juni 2009 zurückgelegten Dienstzeiten zu ihrer Dienstzeit gemäß § 15 Abs. 1 [X.] gehören.

8

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, nach § 15 Abs. 1 [X.] seien nur Vorbeschäftigungszeiten bei in der [X.] ansässigen und im [X.] organisierten Konzert- und Theaterorchestern als Dienstzeiten anrechenbar. Der Begriff „Konzert- und Theaterorchester“ in § 15 Abs. 1 [X.] baue sprachlich und systematisch auf § 1 [X.] auf. Dieses Normverständnis entspreche Sinn und Zweck der Regelung sowie dem Willen der Tarifvertragsparteien. In diesem Sinne sei das Bergen [X.] kein Konzertorchester. Die Tarifregelung verstoße auch nicht gegen Art. 45 Abs. 1 AEUV.

9

Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit noch Gegenstand der Revision - stattgegeben. Das [X.] hat die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Der Beklagte verfolgt mit der für ihn vom [X.] zugelassenen Revision seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat zutreffend erkannt, dass die beim Bergen [X.] verbrachten Tätigkeitszeiten der Klägerin vom Beklagten als Dienstzeiten nach § 15 [X.] anzurechnen sind.

I. Die Klage ist zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO liegt vor. Der Beklagte bestreitet einen Anspruch der Klägerin auf Anerkennung der streitgegenständlichen Zeiten. Durch die Entscheidung über den darauf gerichteten Feststellungsantrag kann der Streit zwischen den Parteien beseitigt werden.

II. Die Klage ist auch begründet.

1. Die beim Bergen [X.] verbrachten Tätigkeitszeiten der Klägerin sind Dienstzeiten iSd. § 15 Abs. 1 [X.]. Das ergibt die Auslegung der Tarifnorm (zu den Auslegungsgrundsätzen für Tarifverträge vgl. [X.] 13. Oktober 2021 - 4 [X.] - Rn. 21; 1. Dezember 2020 - 9 [X.] - Rn. 24 mwN; 7. Febr[X.]r 2019 - 6 [X.] - Rn. 27 mwN).

a) Die in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachprüfbare Auslegung der Tarifnorm durch das [X.] (vgl. hierzu [X.] 8. Dezember 2022 - 6 [X.] - Rn. 23; 20. Juli 2022 - 10 [X.] - Rn. 14 mwN) hält einer solchen Kontrolle jedenfalls im Ergebnis stand. § 15 Abs. 1 [X.] sieht neben den Voraussetzungen einer Beschäftigung als Musiker bei einem Konzert- und Theaterorchester keine weiteren Tatbestandsmerkmale wie die Mitgliedschaft im [X.] und den Sitz innerhalb der [X.] vor. Sämtliche Tätigkeitszeiten als Musiker bei einem Konzert- und Theaterorchester, unabhängig davon, ob sie im Inland bei einem nicht dem [X.] angehörigen Arbeitgeber, in einem Mitgliedstaat der [X.], in Vertragsstaaten des [X.]-Abkommens oder außerhalb dieser Einzugsbereiche im Ausland verbracht werden, sind darum Dienstzeiten iSv. § 15 Abs. 1 [X.].

aa) Bereits der Wortlaut des § 15 Abs. 1 [X.] spricht entscheidend dafür, dass die streitgegenständlichen Tätigkeitszeiten Dienstzeiten im Tarifsinn sind. Darin heißt es, „die Dienstzeit umfasst“ nachfolgend genannte Zeiten. „Umfasst“ bedeutet „zum Inhalt haben“, „bestehen aus“, „sich zusammensetzen aus“ (vgl. [X.] Synonymwörterbuch 7. Aufl. Stichwort: umfassen). Mit diesem Begriff wird demnach im Zusammenhang mit den unmittelbar anschließenden, konkret und abschließend bezeichneten Tatbestandsvoraussetzungen der Bedeutungsgehalt des Begriffs „Dienstzeit“ bestimmt. Danach sind alle Zeiten, die bei Konzert- und Theaterorchestern als Musiker zurückgelegt wurden oder die nach den Absätzen 2 und 3 anzurechnen sind, Dienstzeiten iSd. § 15 [X.]. Weitere Anforderungen wie etwa die Beschäftigung bei einem Arbeitgeber, der Mitglied im [X.] ist, sieht § 15 Abs. 1 [X.] seinem Wortlaut nach nicht vor. Diesem Verständnis steht die zur [X.] in § 51 [X.] aF ergangene Entscheidung des Senats vom 18. Mai 2006 (- 6 [X.]) nicht entgegen. Die Annahme des Senats, die für einen Abfindungsanspruch erforderlichen Beschäftigungsjahre müssten in [X.] innerhalb der [X.] zurückgelegt sein, deren Träger Mitglied des [X.]s sein müsse, stellte maßgeblich darauf ab, dass § 51 Abs. 1 [X.] aF auf § 1 Abs. 2 [X.] aF verwies und damit zugleich auch die Definition des Begriffs „Kulturorchester“ in § 1 Abs. 1 [X.] aF in Bezug genommen sei ([X.] 18. Mai 2006 - 6 [X.] Rn. 18 f.). Entsprechende Bestimmungen enthalten die §§ 1 und 15 [X.] nicht mehr. Die Rechtsprechung ist daher insoweit überholt.

bb) Systematische Erwägungen bestätigen dieses Tarifverständnis.

(1) Ein Rückgriff auf die Bestimmung in § 1 [X.] kommt - entgegen der Auffassung des Beklagten - für das Normverständnis des § 15 Abs. 1 [X.] nicht in Betracht. § 1 [X.] regelt allein den räumlichen, persönlichen und betrieblichen Geltungsbereich, wobei der betriebliche Geltungsbereich grundsätzlich auch durch eine Mitgliedschaft im [X.] bestimmt werden kann ([X.] ArbR-HdB/[X.] 19. Aufl. § 202 Rn. 13 unter Verweis auf [X.] 21. Jan[X.]r 2015 - 4 [X.] - [X.]E 150, 304). Der Geltungsbereich entscheidet jedoch nur, ob ein Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis überhaupt Anwendung findet ([X.]/[X.]/[X.] TVG 5. Aufl. § 4 Rn. 195). Welche tatbestandlichen Voraussetzungen für die einzelnen Individ[X.]lnormen erfüllt sein müssen, bestimmen diese, gegebenenfalls auch unter Bezugnahmen auf andere Tarifnormen, selbst. § 15 Abs. 1 [X.] verweist, wie ausgeführt, anders als die Vorgängerregelung, nicht auf § 1 [X.], sondern allein auf § 15 Abs. 2 und Abs. 3 [X.], die ihrerseits ebenfalls nicht auf § 1 [X.] Bezug nehmen.

(2) Gegen den Willen der Tarifvertragsparteien, die [X.] des Arbeitgebers zur Tatbestandsvoraussetzung für die Anrechenbarkeit der Dienstzeit zu machen, spricht auch, dass sie in § 30 Abs. 4 Satz 2 [X.] (Umzugskostenerstattung, Trennungsentschädigung [Trennungsgeld]), § 31a Buchst. b [X.] (Übergangsregelungen für die Zahlung von Krankenbezügen), § 38 Abs. 2 Satz 1 [X.] (Erholungsurlaub bei Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses im Laufe des [X.]) und § 51 Abs. 2 [X.] (Bemessung des Übergangsgelds) als Voraussetzung für die Ansprüche ausdrücklich die Mitgliedschaft des jeweiligen Arbeitgebers im [X.] bestimmt haben. Demgegenüber ist in § 15 Abs. 1 und Abs. 3 [X.] (Dienstzeit), § 18 [X.] (Grundvergütung), § 23 Abs. 1 [X.] (Zuwendung - Anspruchsvoraussetzung), § 35 [X.] ([X.]), Protokollnotiz zu § 39 (Urlaubsabgeltung) sowie in § 53 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 Satz 1 Buchst. a und Abs. 8 Satz 1 Buchst. a [X.] (Auflösung oder Verkleinerung des Orchesters) ein solcher Zusatz nicht aufgenommen worden. Damit haben die Tarifvertragsparteien die Tatbestandsvoraussetzungen eindeutig unterschiedlich geregelt und damit klar zum Ausdruck gebracht, dass Ansprüche nach dem [X.] nicht zwingend, sondern nur in den ausdrücklich festgelegten Fällen eine Beschäftigung bei einem Arbeitgeber, der Mitglied im [X.] ist, voraussetzen sollen.

(3) Gegen die Annahme, Dienstzeiten iSd. § 15 Abs. 1 [X.] könnten nur bei einem im [X.] organisierten Arbeitgeber verbrachte Zeiten sein, spricht ferner, dass § 15 Abs. 2 [X.] eine solche Mitgliedschaft ebenfalls nicht ausdrücklich voraussetzt. Da sich die in dieser Bestimmung enthaltene Anrechnungsregelung gerade auf Betätigungen außerhalb von Konzert- und Theaterorchestern bezieht und zB auch Arbeitsbereiche wie musikpädagogischen Unterricht umfasst, für deren Institutionen eine solche Mitgliedschaft nicht charakteristisch ist, hätten die Tarifvertragsparteien einen entsprechenden Willen unmissverständlich deutlich machen müssen. Dies ist nicht erfolgt. Ebenso wenig ist erkennbar, dass die Tarifvertragsparteien bei der Anrechnung von Dienstzeiten Musiker, die außerhalb von Konzert- und Theaterorchestern tätig waren, gegenüber Musikern bevorzugen wollten, die in solchen Orchestern beschäftigt waren.

cc) Der Auslegung nach Wortlaut und Systematik stehen Sinn und Zweck des § 15 Abs. 1 [X.] nicht entgegen. Diese sind nicht eindeutig. So knüpft etwa § 18 [X.], der [X.]. die Dienstaltersstufen regelt und damit auch Berufserfahrung honoriert, an die Dienstzeit iSv. § 15 [X.] an, während zB § 35 [X.] dem Musiker gestaffelt nach Dienstzeit iSd. § 15 [X.] ein [X.] gewährt, das typischerweise Betriebstreue honoriert.

dd) Das dargestellte Tarifverständnis entspricht auch den Grundsätzen einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung (vgl. hierzu [X.] 21. Juni 2016 - 2 [X.] - Rn. 19 mwN, [X.]E 142, 234; 15. Dezember 2015 - 2 [X.] - Rn. 71 mwN, [X.]E 141, 1). Die Klägerin begehrt die Anrechnung von Tätigkeitszeiten in [X.]. Zwar ist [X.] nicht Mitglied der [X.], sodass Art. 45 AEUV keine Anwendung findet. Allerdings gewährleistet das [X.] ([X.]) vom 2. Mai 1992 zwischen der [X.] und den [X.], zu denen auch [X.] gehört und welches [X.] durch Vertragsgesetz vom 31. März 1993 ([X.]II S. 266) ratifiziert hat, über Art. 28 [X.] eine Anwendung der Grundsätze der Arbeitnehmerfreizügigkeit und eine einheitliche Rechtsanwendung ([X.]. [X.]. 12/3202 S. 430 f.). Das gefundene Auslegungsergebnis stellt sicher, dass von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machende Musiker nicht ohne objektiven Grund schlechter gestellt werden als jene, die ihre gesamte berufliche Laufbahn ausschließlich in [X.] zurückgelegt haben, und sie somit in ihrem Recht auf Freizügigkeit nicht behindert werden ([X.] 28. April 2022 - [X.] - [[X.]] Rn. 24 ff.; 12. Mai 2021 - [X.]/20 - [[X.]] Rn. 32 mwN; vgl. auch [X.] 29. April 2021 - 6 [X.] - Rn. 21, [X.]E 175, 14).

b) Die Tätigkeit der Klägerin beim Bergen [X.] erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen iSd. § 15 Abs. 1 [X.].

aa) Nach der nicht mit einer Rüge angegriffenen Feststellung des [X.]s war die Klägerin beim Bergen [X.] als Violinistin und damit als Musikerin iSd. § 15 Abs. 1 [X.] tätig.

bb) Bei dem Bergen [X.] handelt es sich um ein Konzertorchester iSd. § 15 Abs. 1 [X.].

(1) Da der [X.] die Begriffe Konzert- und Theaterorchester nicht definiert, ist mangels abweichender Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien die Begriffe in dem Sinne verwenden wollten, der dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem der beteiligten [X.] entspricht ([X.] 19. Oktober 2022 - 4 [X.] - Rn. 50; 16. Dezember 2020 - 4 [X.] - Rn. 25 mwN; 25. Febr[X.]r 2009 - 4 [X.] - Rn. 21, [X.]E 129, 355).

(2) Danach wird unter einem Orchester ein größeres Ensemble aus Instrumentalisten verstanden, das unter der Leitung eines Dirigenten spielt (vgl. [X.] 9. Aufl. Stichwort: Orchester). Als Konzertorchester werden insoweit Klangkörper bezeichnet, die überwiegend oder ausschließlich der Pflege des Konzertrepertoires verpflichtet sind (vgl. [X.] - [X.] - Institutionen Konzertorchester unter https://miz.org/de/musikleben/institutionen/orchester/konzertorchester).

(3) Diese Voraussetzungen sind nach den nicht mit [X.] angegriffenen Feststellungen des [X.]s vorliegend gegeben. Zu den Projekten des Bergen [X.] gehören [X.]. Orchesterwerke von [X.], [X.], [X.] Ballette, die Gesamtausgaben von [X.] Symphonien und Klavierkonzerten sowie [X.] Orchesterwerke. Damit pflegt es auch ein typisches Repertoire von Konzertorchestern.

2. Die Klägerin ist mit ihrem Anspruch auf Anrechnung der beim Bergen [X.] verbrachten Zeiten als Dienstzeit iSv. § 15 Abs. 1 [X.] nicht ausgeschlossen.

a) Die streitgegenständlichen Zeiten sind nicht nach § 15 Abs. 3 Satz 1 [X.] von der Anrechnung auf die tarifliche Dienstzeit ausgenommen. Nach Feststellung des [X.]s hat sich der Beklagte auf diese Bestimmung nicht berufen.

b) Die Anrechnung der streitgegenständlichen Zeiten ist entgegen der Annahme der Revision auch nicht nach § 15 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 [X.] ausgeschlossen.

aa) Unstreitig hat die Klägerin dem Beklagten im Dezember 2013 und damit innerhalb der dreimonatigen Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 [X.] nach Beginn ihres Arbeitsverhältnisses am 1. Oktober 2013 ein Zertifikat über ihre beim Bergen [X.] verbrachten Tätigkeitszeiten als erste Violinistin vom 3. September 2007 bis zum 21. Dezember 2007 und vom 1. September 2008 bis zum 3. Juni 2009 - ausgestellt vom Orchestermanager des Bergen [X.]s - vorgelegt. Der Beklagte beruft sich nunmehr erstmals in der Revision auf inhaltliche Unzulänglichkeiten dieses Zertifikats. Ein entsprechender Vortrag in den Vorinstanzen ergibt sich weder aus den Feststellungen des [X.]s noch aus den in der angefochtenen Entscheidung in Bezug genommenen Schriftsätzen des Beklagten oder der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem [X.]. Damit handelt es sich um neues Tatsachenvorbringen in der Revisionsinstanz, das nach § 72 Abs. 5 ArbGG, § 559 ZPO nicht zu berücksichtigen ist ([X.]. etwa [X.] 19. November 2020 - 6 [X.] - Rn. 41 mwN).

bb) Unabhängig hiervon wäre die Klägerin nicht gehindert, noch einen weiteren Beleg über die streitgegenständlichen Zeiten zu erbringen. Die dreimonatige Ausschlussfrist wird nach dem eindeutigen Wortlaut des § 15 Abs. 4 Satz 1 [X.] erst in Gang gesetzt, wenn der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer einen entsprechenden Nachweis über die anrechnungsfähigen Zeiten verlangt hat ([X.]. auch [X.] 14. Oktober 2021 - 5 [X.]/21 - zu II 2 der Gründe). Eine solche Aufforderung hat der Beklagte nicht vorgetragen.

III. Der Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Spelge    

        

    Krumbiegel    

        

    Wemheuer    

        

        

        

    J. Kühner    

        

    [X.]    

                 

Meta

6 AZR 124/22

16.03.2023

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG München, 4. August 2021, Az: 35 Ca 15754/20, Urteil

§ 1 TVG, Art 45 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.03.2023, Az. 6 AZR 124/22 (REWIS RS 2023, 3940)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3940


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 35 Ca 15754/20

ArbG München, 35 Ca 15754/20, 04.08.2021.


Az. 6 AZR 124/22

Bundesarbeitsgericht, 6 AZR 124/22, 16.03.2023.


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