Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.07.2011, Az. IX B 39/11

9. Senat | REWIS RS 2011, 4712

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Gegenstand

Verbindliche Zusage (Eigenheimzulage) - rechtliches Gehör, Überraschungsentscheidung - gerichtliche Hinweispflicht


Leitsatz

1. NV: Eine verbindliche Zusage der Gewährung von Eigenheimzulage liegt nicht vor, wenn der fachkundig vertretene Kläger auf das --zudem von einer Änderung seines Klageantrags abhängig gemachte-- Angebot des FA nicht mit einer entsprechenden Prozesserklärung reagiert.

2. NV: Eine Überraschungsentscheidung und damit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht gegeben, wenn das umstrittene Thema (Wohnung) i.S.d. EigZulG) nach Maßgabe der Beteiligten-Schriftsätze ersichtlich Gegenstand des Verfahrens war und der fachkundig vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung gleichwohl weder auf eine weitere Sachaufklärung hingewirkt noch einen nach Maßgabe seiner Ansicht entsprechenden Beweisantrag gestellt hat.

3. NV: Eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht liegt nicht vor, wenn es ein Beteiligter bei umstrittener Sachlage oder Rechtslage unterlässt, alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht zu ziehen und seinen Vortrag darauf einzurichten.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ihre Begründung entspricht zum Teil nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O); im Übrigen sind die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Verfahrensfehler nicht gegeben.

2

1. Hinsichtlich der (vermeintlichen) Zusage der Gewährung von Eigenheimzulage ist der geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) nicht gegeben. Der fachkundig vertretene Kläger hat auf das --zudem von einer Änderung seines Klageantrags abhängig gemachte-- Angebot des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --[X.]--) nicht mit einer entsprechenden Prozesserklärung reagiert.

3

2. Das Finanzgericht ([X.]) hat den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O) nicht verletzt und nicht gegen die richterliche Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 [X.]O) verstoßen.

4

a) Eine Überraschungsentscheidung und damit eine Verletzung des Anspruchs des [X.] auf rechtliches Gehör liegt nur vor, wenn das [X.] sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht andererseits aber nicht, den Beteiligten die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte anzudeuten und sie mit ihnen umfassend zu erörtern (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 17. März 2008 [X.], [X.], 1180, m.w.[X.]).

5

Ein solcher Verstoß und damit eine Überraschungsentscheidung ist nicht gegeben. Der Begriff der Wohnung (im Sinne des Eigenheimzulagengesetzes) war nach Maßgabe der [X.] Gegenstand des Verfahrens. Denn das [X.] hatte mit Schriftsatz vom 14. Juli 2010 auf die durch die "örtlichen Verhältnisse und den bestehenden Wohnungsmarkt" bestimmte "Verkehrsauffassung", das "Bild einer Wohnung" sowie das "[X.] der Bevölkerung" und die "[X.] des Wohnens" hingewiesen, worauf der Kläger mit Schriftsatz vom 6. September 2010 unter Bezugnahme auf die BFH-Rechtsprechung die Unerheblichkeit dieser Punkte reklamiert hat. Ausweislich des [X.] (zu dessen Beweiskraft: § 94 [X.]O i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung) wurde zudem die "Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten eingehend erörtert". Der fachkundig vertretene Kläger hat gleichwohl weder auf eine weitere Sachaufklärung hingewirkt noch einen nach Maßgabe seiner Ansicht entsprechenden Beweisantrag gestellt.

6

b) Auch eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 [X.]O) liegt nicht vor. Das [X.] ist zu einem vorherigen Hinweis auf seine Rechtsauffassung --d.h. auf die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte, Schlussfolgerungen oder das Ergebnis einer Gesamtwürdigung-- nicht verpflichtet (z.B. [X.] vom 8. November 2005 [X.], [X.], 568). Daher muss insbesondere dann, wenn die Rechtslage umstritten ist, ein Beteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten (vgl. [X.] vom 29. Dezember 2006 IX B 139/05, [X.], 1084, unter 3.a; vom 9. Juni 2005 VIII B 105/04, [X.] 2005, 2211, unter [X.], jeweils m.w.[X.]). Dies war im Streitfall umso mehr angezeigt, als das Thema "Wohnung" im Laufe des Verfahrens erörtert worden war (s. unter a). Die Frage einer bau-rechtlich möglichen, alleinigen Nutzung der umgebauten Doppelgarage (mit angeschlossener Schwimmhalle) als Wohnung war danach für das [X.] nicht entscheidungserheblich, weil es im Rahmen seiner tatsächlichen Würdigung den [X.] aus anderen Gründen (Verkehrsauffassung, zeitgemäßes Wohnen) nicht als erfüllt angesehen hat.

7

c) Den Verfahrensmangel der überlangen Verfahrensdauer hat der Kläger nicht hinreichend gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O dargelegt. Es fehlt nämlich an Ausführungen, inwieweit das angefochtene Urteil anders ausgefallen wäre, wenn das [X.] zu einem früheren Zeitpunkt entschieden hätte (vgl. [X.] vom 26. September 2007 [X.]/07, [X.], 126; vom 31. August 2010 III [X.]/09, [X.] 2010, 2294).

Meta

IX B 39/11

18.07.2011

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend Thüringer Finanzgericht, 16. Dezember 2010, Az: 1 K 1080/07, Urteil

§ 2 Abs 1 EigZulG, § 76 Abs 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 165 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 18.07.2011, Az. IX B 39/11 (REWIS RS 2011, 4712)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4712

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