Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.11.2011, Az. 5 AZR 681/09

5. Senat | REWIS RS 2011, 1344

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Gegenstand

Arbeitszeitkonto - Klage auf Zeitgutschrift


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. August 2009 - 4 [X.]/09 - aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 15. Januar 2009 - 21 [X.] - zurückgewiesen hat.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. Januar 2009 - 21 [X.] - abgeändert, soweit es die Beklagte verurteilt hat, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin für den Zeitraum 1. März bis 30. September 2007 152 Stunden gutzuschreiben. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

3. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 10. August 2009 - 4 [X.]/09 - wird zurückgewiesen und der Hilfsantrag der Klägerin abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz haben die Klägerin 43 % und die Beklagte 57 % zu tragen. Die Kosten der Revision hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch darüber, ob und in welchem Umfang dem Arbeitszeitkonto der Klägerin Stunden gutzuschreiben sind.

2

Die Klägerin ist seit Juni 1994 bei der [X.] beschäftigt. Seit 1. Mai 2005 ist sie Mitglied der [X.]. Die Beklagte trat mit Wirkung zum 31. Dezember 2005 aus dem [X.] aus. Bis zu diesem [X.]punkt wandte sie auf alle Arbeitsverhältnisse unabhängig von einer Gewerkschaftszugehörigkeit der Arbeitnehmer die Tarifverträge für die Beschäftigten in der Metallindustrie [X.]/[X.] an.

3

Am 24. Juni 2005 schlossen die Parteien mit Wirkung zum 1. Januar 2006 einen neuen Arbeitsvertrag, in dem sie eine individuelle regelmäßige Wochenarbeitszeit von 40 Stunden vereinbarten und festhielten, dass keine Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fänden.

4

In einer am 7. Dezember 2005 geschlossenen „Betriebsvereinbarung Nr. 02/2005“ heißt es:

        

„…    

        
        

2.    

Dauer der Arbeitszeit

                 

Für die vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer beträgt die persönliche, regelmäßige, wöchentliche Arbeitszeit ab dem 01. Januar 2006 40 Stunden.

        

…       

        
        

4.    

Arbeitszeitkonto

                 

Die Differenz zwischen der geleisteten Arbeitszeit und der Regelarbeitszeit wird 1:1 in ein Arbeitszeitkonto übertragen, welches für jeden einzelnen Arbeitnehmer geführt wird. (…)“

5

Ab 1. Januar 2006 arbeitete die Klägerin 40 Wochenstunden, während der Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metallindustrie in [X.]/[X.] vom 14. Juni 2005 (im Folgenden: [X.]) eine tarifliche wöchentliche Arbeitszeit (ohne Pausen) von 35 Stunden vorsah.

6

Mit Anwaltsschreiben vom 29. August 2007 forderte die Klägerin die Beklagte auf, ihr bis zum 7. September 2007 zu bestätigen, dass sie für jede ab dem 1. Januar 2006 über 35 Stunden pro Woche hinaus geleistete Arbeitsstunde eine entsprechende Bezahlung erhalte oder jede über 35 Stunden pro Woche geleistete Arbeitsstunde ihrem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werde. Mit ihrer der [X.] am 5. Oktober 2007 zugestellten Klage hat die Klägerin ua. geltend gemacht, ihrem Arbeitszeitkonto seien für die [X.] vom 1. Januar 2006 bis zum 30. September 2007 insgesamt 455 Arbeitsstunden gutzuschreiben.

7

Die Klägerin hat - soweit für die Revision noch von Interesse - beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin für den [X.]raum 1. Januar 2006 bis 30. September 2007 455 Stunden gutzuschreiben.

8

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, im streitgegenständlichen [X.]raum nicht mehr an die Tarifverträge für die Beschäftigten in der Metallindustrie [X.]/[X.] gebunden gewesen zu sein. Zudem habe die Klägerin die sechsmonatige Ausschlussfrist des [X.] nicht eingehalten.

9

Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Arbeitszeitkonto der Klägerin für den [X.]raum 1. März bis 30. September 2007 152 Stunden gutzuschreiben. Das [X.] hat die Berufungen der Klägerin und der [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] für beide Parteien zugelassenen Revision verfolgen die Beklagte ihr Begehren auf vollständige Klageabweisung, die Klägerin ihren ursprünglichen Klageantrag mit der Maßgabe, dass die Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin in der Spalte „[X.]“ erfolgen solle, weiter. Außerdem hat die Klägerin in der Revisionsinstanz ihre Klage um einen Hilfsantrag erweitert, mit dem sie die Zahlung von 6.561,10 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2007 begehrt.

Entscheidungsgründe

I. Die Revision der [X.] ist begründet. Das [X.] hat die Berufung der [X.] gegen das der Klage teilweise stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen.

1. Die Klage ist mit dem in den Vorinstanzen gestellten (Haupt-)Antrag mit der in der Revisionsinstanz nachgeholten Konkretisierung dieses Leistungsantrags zulässig.

Der Antrag, einem Arbeitszeitkonto Stunden „gutzuschreiben“, ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer ein Zeitkonto führt, auf dem zu erfassende Arbeitszeiten nicht aufgenommen wurden und noch gutgeschrieben werden können (vgl. [X.] 23. Januar 2008 - 5 [X.] - Rn. 9, [X.] § 1 Tarifverträge: [X.] Nr. 42 = EzA [X.] § 4 Luftfahrt Nr. 16; 6. Juli 2011 - 4 [X.] - Rn. 72). Gleichermaßen kann der Arbeitnehmer die Korrektur eines oder mehrerer auf seinem Arbeitszeitkonto ausgewiesener Salden beantragen ([X.] 10. November 2010 - 5 [X.] - Rn. 11, [X.] 2002 § 611 Arbeitszeitkonto Nr. 3). Seit der im Revisionsverfahren erfolgten Konkretisierung des Leistungsbegehrens (Gutschrift in der Spalte „[X.]“) ist der Klageantrag hinreichend bestimmt.

2. Die Klage ist im Hauptantrag unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch, dass die vom 1. Januar 2006 bis zum 30. September 2007 über die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden hinaus geleistete Arbeitszeit als Mehrarbeit auf ihrem Arbeitszeitkonto in der Spalte „[X.]“ verbucht wird. Dafür fehlt es an einer Anspruchsgrundlage.

a) Aus der Betriebsvereinbarung Nr. 2/2005 vom 7. Dezember 2005 ergibt sich kein Anspruch darauf, dass die über 35 Wochenstunden hinausgehende Arbeitszeit auf den Arbeitszeitkonten der Arbeitnehmer als Mehrarbeit verbucht wird. Die Betriebsvereinbarung wurde für eine Regelarbeitszeit von 40 Wochenstunden getroffen, nur die Differenz zwischen der geleisteten Arbeitszeit und dieser Regelarbeitszeit wird in ein Arbeitszeitkonto übertragen (Ziff. 2 und Ziff. 4 der Betriebsvereinbarung; vgl. dazu auch [X.] 10. November 2010 - 5 [X.] - Rn. 13, [X.] 2002 § 611 Arbeitszeitkonto Nr. 3; 6. Juli 2011 - 4 [X.] - Rn. 50).

b) Ebenso wenig ergibt sich der [X.] aus § 611 Abs. 1 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag vom 24. Juni 2005.

aa) Der Sachvortrag der Klägerin enthält keine Anhaltspunkte dafür, aus dem Arbeitsvertrag ließe sich herleiten, dass die Differenz zwischen vertraglicher und tariflicher Wochenarbeitszeit als Mehrarbeit auf dem Arbeitszeitkonto verbucht werden solle.

bb) Aus § 611 Abs. 1 BGB kann der Arbeitnehmer einen Anspruch auf korrekte Führung des [X.] haben (vgl. [X.] 19. März 2008 - 5 [X.] - Rn. 10 mwN, [X.] § 611 Feiertagsvergütung Nr. 1). Die Gutschrift von Arbeitsstunden setzt aber voraus, dass die [X.] nicht vergütet wurden oder die dafür geleistete Vergütung vom Arbeitgeber wegen eines [X.] auch ohne tatsächliche Arbeitsleistung hätte erbracht werden müssen ([X.] 10. November 2010 - 5 [X.] - Rn. 16, [X.] 2002 § 611 Arbeitszeitkonto Nr. 3).

cc) Die Klägerin hat im streitgegenständlichen Zeitraum Vergütung für 40 Arbeitsstunden wöchentlich erhalten. Ausgehend von den erteilten Lohnabrechnungen steht dies zwischen den Parteien außer Streit. Damit sind aber die Stunden, die laut Klageantrag auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin in der Spalte „[X.]“ als Mehrarbeit verbucht werden sollen, von der [X.] laufend vergütet worden. Daran ändert die - zugunsten der Klägerin unterstellte - Unwirksamkeit der arbeitsvertraglichen Vereinbarung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden nach § 4 Abs. 3 [X.] nichts. Die Klägerin hat allenfalls für die wöchentlich „zu viel“ geleisteten Arbeitsstunden eine zu geringe Vergütung erhalten, sofern auch die arbeitsvertragliche Vergütungsvereinbarung - wozu es allerdings an Sachvortrag der Klägerin fehlt - nach § 4 Abs. 3 [X.] unwirksam sein sollte. Eine zu geringe Vergütung von geleisteten Arbeitsstunden begründet aber keinen Anspruch, diese Stunden auf einem Arbeitszeitkonto als Mehrarbeit zu verbuchen, sondern nur auf Zahlung der Vergütungsdifferenz.

II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Für den Anspruch auf Gutschrift von Arbeitsstunden auf dem Arbeitszeitkonto fehlt es an einer Grundlage (siehe unter [X.]). Der erstmals in der Revisionsinstanz klageerweiternd gestellte Hilfsantrag ist unzulässig.

Die Einführung eines zusätzlichen [X.] in der Revisionsinstanz stellt eine nachträgliche Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) und damit eine Klageänderung gem. § 263 ZPO dar, ohne dass lediglich einer der Fälle des § 264 ZPO vorliegen würde. Diese Klageänderung ist in der Revisionsinstanz unzulässig. Das Revisionsgericht kann nicht erstmals ein bisher nicht beschiedenes Begehren beurteilen, welches die Feststellung neuer Tatsachen erfordert ([X.] 12. Juli 2006 - 5 [X.] - Rn. 17, [X.]E 119, 62; 6. Juli 2011 - 4 [X.] - Rn. 29, jeweils mwN). Nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterliegt der Beurteilung des [X.] nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Tatbestand des Berufungsurteils oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Die Entscheidung über den Hilfsantrag würde neue Feststellungen zur Unwirksamkeit der arbeitsvertraglichen Vergütungsvereinbarung, der Höhe der tariflichen Vergütung sowie zur Wahrung der tariflichen Ausschlussfrist erfordern.

III. Unter Berücksichtigung der rechtskräftigen Kostenentscheidung des [X.]s nach § 91a ZPO hinsichtlich des in der Berufungsinstanz übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits haben von den Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz die Klägerin 43 % und die Beklagte 57 % zu tragen, § 92 Abs. 1 ZPO. Die Kosten der Revision hat die Klägerin gem. § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    Feldmeier    

        

    Christen    

                 

Meta

5 AZR 681/09

17.11.2011

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Stuttgart, 15. Januar 2009, Az: 21 Ca 7630/07, Urteil

§ 611 Abs 1 BGB, § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.11.2011, Az. 5 AZR 681/09 (REWIS RS 2011, 1344)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1344

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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15 Sa 630/13

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