Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.01.2017, Az. V ZB 99/16

V. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 17101

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:190117BVZB99.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V
[X.]
vom

19. Januar 2017

in der Abschiebungshaftsache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 62 Abs. 4 Satz 2
Der Umstand, dass der Betroffene vor seiner Einreise seinen Pass vernichtet hat, ist nicht geeignet, eine über sechs Monate hinausgehende Haftdauer zu begründen.

[X.], Beschluss vom 19. Januar 2017 -
V [X.] -
LG [X.]

AG [X.] am Inn

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 19.
Januar 2017
durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, die Richterinnen Dr.
[X.] und [X.] und
die Richter Dr.
Kazele und Dr.
Hamdorf
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des [X.]s [X.]
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4.
Zivilkammer -
vom 15.
Juni 2016 aufgehoben und festgestellt, dass die Anordnung der Haft in dem Beschluss des Amtsgerichts [X.] am Inn vom 2.
Juni 2016 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens
beträgt

Gründe:
I.
Der Betroffene ist [X.] Staatsangehöriger. Er reiste, nach-dem er Ende November 2015 wegen unerlaubter Einreise nach [X.] zu-rückgewiesen worden war, erneut unerlaubt nach [X.] ein. Mit [X.] vom 4. Dezember 2015 ordnete das Amtsgericht Haft bis längstens 1
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3.
Juni
2016 zur Sicherung der Abschiebung
des Betroffenen nach [X.] an. Die Beschwerde und die Rechtsbeschwerde des Betroffenen waren erfolglos.
Mit Beschluss vom 2. Juni 2016 hat das Amtsgericht die Verlängerung der Abschiebungshaft bis zum 15. Juni 2016 angeordnet. Das [X.] hat die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der zwi-schenzeitlich nach [X.] abgeschobene Betroffene die Feststellung, dass der [X.] ihn in seinen Rechten verletzt hat.
Die [X.] hält die Rechtsbeschwerde für unbegründet.
II.
Nach Ansicht des [X.] durfte die [X.] gemäß § 62 Abs. 4 Satz 2 [X.] über sechs Monate hinaus verlängert werden. Der Betroffene habe seine Abschiebung verhindert, indem er seinen Pass ins Meer geworfen habe, um einer eventuellen Rückführung in sein Heimatland zu ent-gehen. Dadurch sei ein langwieriges Verfahren zur Beschaffung eines [X.] erforderlich geworden. Zudem habe er gegen die ihm gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 6 [X.], § 48 [X.] obliegende
Verpflichtung verstoßen, an der Beschaffung eines [X.] mitzuwirken, da er keine näheren Angaben zu seiner Herkunft im Heimatland und seinen Verwandtschaftsverhältnissen gemacht und sich nicht bemüht habe, Kopien seiner Geburtsurkunde oder sei-nes Passes beizubringen.
III.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Feststellungen des Amtsgerichts und des [X.] sind nicht geeignet, die
Verlänge-rung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus zu tragen.

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1. Die Verlängerung der Abschiebungshaft über sechs Monate hinaus setzt nach § 62 Abs. 4 Satz 2 [X.] voraus, dass der Ausländer seine Ab-schiebung verhindert.
a) Die Vorschrift des § 62 [X.] enthält im Hinblick auf die zulässige Haftdauer eine abgestufte Regelung.
§ 62 Abs. 3 Satz 3 [X.] lässt erken-nen, dass Abschiebungshaft in der Regel nicht länger als drei Monate dauern soll (Senat, Beschluss vom 9. Februar 2012 -
V [X.], juris Rn. 27). Eine über diesen Zeitraum hinausgehende Haftanordnung bis zu sechs Monaten ist zulässig, wenn aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen die [X.] erst nach mehr als drei Monaten durchgeführt
werden kann (§ 62 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 [X.]). Zu vertreten hat der Ausländer nicht nur sol-che Umstände, die für die Behebung des Abschiebungshindernisses von Be-deutung sein können, sondern auch Gründe, die -
von ihm zurechenbar [X.] -
dazu geführt haben, dass ein Hindernis für seine Abschiebung
überhaupt erst entstanden ist, etwa indem er seinen Pass weggegeben hat (vgl. Senat, Beschluss vom 25.
März
2010 -
V [X.] 9/10, NVwZ 2010, 1175 Rn. 20;
Beschluss vom 11.
Juli
1996 -
V [X.], [X.]Z 133, 235, 238).
Über sechs Monate hinaus -
bis maximal 18 Monate -
kann die Haft
nur ausnahmsweise
verlängert werden
(vgl. [X.]. 11/6321, [X.]), nämlich nur in den Fällen,
in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert (§ 62 Abs. 4 Satz 2 [X.]).
b) Ein Verhindern im Sinne des § 62 Abs. 4 Satz 2 [X.] liegt vor, wenn ein von dem Willen des Ausländers abhängiges pflichtwidriges Verhalten ursächlich dafür ist, dass die Abschiebung nicht erfolgen konnte. Erforderlich ist, dass das für die Abschiebung bestehende Hindernis auf [X.] des [X.] zurückgeht, zu dessen Unterlassen er verpflichtet ist, oder auf ein [X.] trotz bestehender Verpflichtung zu [X.] (Senat, Beschluss vom 5
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25. Februar 2010 -
V [X.] 2/10, juris Rn. 13).
Ein vor seiner Einreise in die [X.] [X.] liegendes
Verhalten
des Ausländers genügt aber nicht
(vgl. KG, [X.] 2000, 83, 84; BayObLG, Beschluss vom 16. September 2004, [X.], juris Rn. 11; [X.], [X.]
1998, 112, 113 f.).
Es be-darf
vielmehr eines
Verhaltens, mit dem der Ausländer eine
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etwa aufgrund der Anordnung, [X.] zu verlassen (vgl. Senat, Beschluss vom 11.
Juli
1996 -
V [X.], [X.]Z 133, 235, 239) -
sich bereits konkretisierende Abschiebung
zu vereiteln oder zu erschweren versucht. Nur wenn das Verhalten des Auslän-ders einen Bezug zu einer konkret zu erwartenden und sich bereits abzeich-nenden
Abschiebung aufweist, ist es geeignet, die ausnahmsweise Verlänge-rung der Haft über sechs Monate hinaus zu begründen.
Schließlich muss das Verhinderungsverhalten ursächlich dafür sein, dass der Ausländer bisher nicht abgeschoben werden konnte (vgl. Senat,
Beschluss vom 13. Oktober 2011 -
V [X.], juris Rn. 9). Ergibt sich, dass die Ab-schiebung (z.B. wegen zögerlicher Bearbeitung der Heimatbehörden) auch oh-ne das Verhinderungsverhalten des Ausländers nicht innerhalb der ersten sechs Monate möglich gewesen wäre, ist dieses
nicht ursächlich für die [X.] (BayObLG, Beschluss vom 16. September 2004, [X.], juris Rn.
13).
2. Gemessen daran haben die Vorinstanzen zu Unrecht ein Verhinde-rungsverhalten des Betroffenen bejaht.
a) Mangels einer zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden oder sich ab-zeichnenden konkreten Abschiebungssituation kann eine Verhinderung der Ab-schiebung nicht darin gesehen werden, dass der Betroffene vor seiner Einreise in die [X.] seinen Pass vernichtet hat.

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b)
Soweit das Beschwerdegericht zusätzlich darauf abstellt, dass der Be-troffene durch die Beibringung von Kopien seiner Geburtsurkunde oder seines Passes und durch nähere Angaben
zu seiner Herkunft, seinen Verwandt-schaftsverhältnissen
oder zu Behörden, die Unterlagen über ihn führen,
zur Be-schleunigung des Verfahrens hätte beitragen können, trägt dies
die Annahme
einer Abschiebungsverhinderung durch ein Unterlassen nicht.
aa) Von einem Unterlassen
trotz bestehender Verpflichtung zu [X.] kann im Regelfall nur ausgegangen werden, wenn die Ausländerbehörde den Betroffenen über den Umfang seiner nicht ohne weiteres auf der Hand lie-genden Mitwirkungspflichten (vgl. §§ 48, 49 [X.], § 15 [X.]) belehrt
hat, sie ihn zur Vornahme der
im jeweiligen Einzelfall erforderlichen konkreten Mit-wirkungshandlung
aufgefordert
und der Betroffene deren Vornahme verweigert hat (vgl. BayObLG, [X.] 2001, 176, 177; [X.], [X.] 1999, 243, 244; HK-AuslR/[X.], [X.], 2. Aufl., § 62 Rn. 36).
bb) Hierzu lassen sich der Beschwerdeentscheidung keine ausreichen-den Feststellungen entnehmen. Das Beschwerdegericht verweist lediglich [X.], dass der Betroffene bei der Anhörung zu dem von ihm gestellten Asylan-trag auf seine Mitwirkungspflichten gemäß § 15 [X.] hingewiesen worden sei. Es verhält sich nicht dazu, ob der Betroffene von der beteiligten Behörde aufge-fordert worden war, durch -
ihm näher präzisierte -
Handlungen an der [X.] einer Kopie seiner Geburtsurkunde oder seines Passes mitzuwirken sowie bestimmte Auskünfte zu seinen Verwandtschaftsverhältnissen zu geben, und dass der Betroffene sich geweigert hat, dem nachzukommen.
cc) Eine Zurückverweisung an das Beschwerdegericht zur Nachholung der Feststellungen kommt nicht in Betracht. Der Betroffene müsste zu neuen Feststellungen des [X.] nach § 34 FamFG persönlich angehört 12
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werden; angesichts der erfolgten Abschiebung ist dies aber nicht mehr möglich
(vgl. Senat, Beschluss vom 17. März 2016 -
V [X.], juris
Rn. 10 mwN).
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430
FamFG, Art.
5 [X.]. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 36 Abs.
3 GNotKG.
Stresemann
[X.]
[X.]

Kazele
Hamdorf
Vorinstanzen:
AG [X.] a. Inn, Entscheidung vom 02.06.2016 -
3 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 15.06.2016 -
4 T 1933/16 -

16

Meta

V ZB 99/16

19.01.2017

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.01.2017, Az. V ZB 99/16 (REWIS RS 2017, 17101)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 17101

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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V ZB 99/16

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