Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.04.2010, Az. IX ZR 8/07

9. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 7311

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Gegenstand

Insolvenzfestigkeit abgetretener Forderungen


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 13. Zivilsenats des [X.] vom 18. Dezember 2006 teilweise geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 51.358,22 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. Juli 2003 zu zahlen.

Die [X.] der Beklagten wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz haben der Kläger 25% und die Beklagte 75% zu tragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens fallen der Beklagten zur Last.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 22. April 2003 am 1. Juli 2003 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.], die eine Geflügelmast betrieb (fortan Schuldnerin). Die Schuldnerin hatte mit der [X.] eine Vereinbarung geschlossen, nach der diese dem Mastbetrieb die Küken zur Aufzucht lieferte, bei [X.] wieder abnahm und den jeweiligen Schlachterlös nach Abzug bestimmter Kosten an die Schuldnerin abführte. Von dem Erlös abgezogen werden sollten unter anderem die Zins- und Tilgungsleistungen für zwei Darlehen, welche die Schuldnerin für den Aufbau ihres Betriebs bei zwei Hausbanken der [X.] (der [X.] und der [X.]) aufgenommen hatte. Für diese Darlehen hatten sich neben anderen ein Schwesterunternehmen der [X.] und diese selbst - jeweils für eines der [X.] verbürgt. In Höhe der jeweiligen Zins- und Tilgungsraten war der Anspruch auf den Schlachterlös an die finanzierenden Banken abgetreten.

2

Der Kläger führte als vorläufiger Insolvenzverwalter den Mastbetrieb zunächst weiter. Die Schuldnerin belieferte die Beklagte über die Verfahrenseröffnung hinaus mit [X.]. Soweit jetzt noch von Interesse, erteilte die Beklagte dem Kläger am 18. Juli 2003 eine Abrechnung über Putenlieferungen der Schuldnerin aus dem Zeitraum vom 3. bis 10. Juli 2003, in der sie für Zins- und Tilgungsleistungen an die [X.] 51.358,22 € absetzte. Aus einer weiteren Abrechnung vom 8. August 2003 für die Lieferung von Puten im Zeitraum vom 14. bis 21. Juli 2003 behielt die Beklagte insgesamt 75.285,27 € ein, die sie in Höhe von 8.368,97 € (7.895,22 € Hauptforderung zuzüglich 473,75 € Zinsen) auf ein Ende 2003 fällig gewordenes Darlehen verrechnete, das sie der Schuldnerin vor Verfahrenseröffnung gegeben hatte, und in Höhe von 66.916,30 € auf Zahlungen, die sie nach Verfahrenseröffnung an die [X.] aufgrund der von ihr übernommenen Bürgschaft für die Verbindlichkeiten der Schuldnerin leisten musste.

3

Ursprünglich hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung von insgesamt 170.358,96 € wegen der vorstehend wiedergegebenen Verrechnungen und weiterer Einbehalte in zwei vor Verfahrenseröffnung erteilten Abrechnungen in Anspruch genommen. Das [X.] hat die Beklagte verurteilt, 110.206,92 € zu zahlen, wobei es die Klage hinsichtlich des aus der Abrechnung vom 18. Juli 2003 der Masse nicht ausgezahlten Betrages abgewiesen hat. Auf das Rechtsmittel der [X.] hat das Berufungsgericht die Klage wegen der vor Verfahrenseröffnung nicht gezahlten Beträge, die der Kläger in der Revisionsinstanz nicht mehr weiter verfolgt, abgewiesen. Die Berufung des [X.] ist im Wesentlichen erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Anspruch auf Zahlung des einbehaltenen Betrages aus der Abrechnung vom 18. Juli 2003 weiter. Die Beklagte möchte mit ihrer Anschlussrevision die vollständige Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision ist begründet; die [X.] nicht.

I.

5

Das Berufungsgericht meint, die [X.] sei zur Abführung der Zins- und Tilgungsleistungen aus der Abrechnung vom 18. Juli 2003 an die [X.] berechtigt gewesen, weil ein Telefax des Betriebsleiters [X.] der [X.]n vom 16. Mai 2003 an den Kläger so auszulegen sei, dass dieser weiter mit dem Abzug der Zins- und Tilgungsleistungen einverstanden gewesen sei. Die Schuldnerin habe die Geschäftsbeziehung mit der [X.]n fortgesetzt, nachdem [X.] in dem Schreiben erklärt gehabt habe, dass die [X.]n von den künftigen [X.]en die zum jeweiligen Durchgang gehörenden Kosten einbehalten werde. Entsprechend könne auch ein Schreiben des [X.] vom 16. Mai 2003 verstanden werden, in dem er verlangt habe, dass die [X.] bei den anstehenden Ablieferungen keine Verrechnung mit Altforderungen vornehmen dürfe.

6

Dagegen seien die von der Abrechnung vom 8. August 2003 vorgenommenen Einbehalte, die die [X.] endgültig erst zum Jahresende 2003 erstellt habe, nicht gerechtfertigt gewesen. Einen erst Ende 2003 fällig gewordenen Darlehensrückzahlungsanspruch einschließlich Zinsen habe die [X.] nicht absetzen dürfen. Auch ihr Vortrag, den Betrag von 66.916,30 € absetzen zu können, weil sie in dieser Höhe von der finanzierenden Bank in Anspruch genommen worden sei, rechtfertige den Einbehalt nicht. Sofern sie auf einen von der Schuldnerin an die Bank abgetretenen Betrag gezahlt haben sollte, sei der Kläger nach § 166 Abs. 2 [X.] zur Einziehung berechtigt gewesen. Falls sie aus der von ihr übernommenen Bürgschaft in Anspruch genommen worden sei, könne sie nach Sinn und Zweck der Vereinbarung vom 16. Mai 2003 diese Zahlung nicht von der Rechnung absetzen.

II.

7

Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Diese macht geltend, das Berufungsgericht habe außer [X.] gelassen, dass der Abrechnung vom 18. Juli 2003 ausschließlich Putenlieferungen zugrunde gelegen hätten, die erst nach Insolvenzeröffnung erfolgt seien. Aus der "Abstimmung" mit dem Kläger als vorläufigem Insolvenzverwalter habe die [X.] keine Berechtigung zur Weiterleitung von Teilen des Erlöses für nach Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen an einen Dritten mehr ableiten können. [X.] seien mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erloschen. Außerdem habe der Kläger die Vereinbarung vom 16. Mai 2003 wirksam angefochten. Er habe sowohl vor als auch nach Verfahrenseröffnung darauf hingewiesen, dass er mit einer Abführung von Zins- und Tilgungsleistungen nicht einverstanden sei.

8

Diese Einwendungen erweisen sich im Ergebnis als zutreffend.Hinsichtlich derjenigen Forderungen der Schuldnerin, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, war die Abtretung an die [X.] gemäß § 91 Abs. 1 [X.] unwirksam. Die Schuldnerin hat ihren Erfüllungsanspruch aus § 433 Abs. 2 BGB behalten.

9

1. Nach § 91 Abs. 1 [X.] können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegt. Im Falle der Abtretung einer künftigen Forderung ist die Verfügung selbst bereits mit Abschluss des [X.] beendet. Der [X.] erfolgt jedoch erst mit dem Entstehen der Forderung ([X.], 367, 369; 88, 205, 206 f; 167, 363, 365 f Rn. 6; [X.], Urt. v. 30. Januar 1997 - [X.], [X.], 513, 514). Entsteht die im Voraus abgetretene Forderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, kann der Gläubiger gemäß § 91 Abs. 1 [X.] kein Forderungsrecht zu Lasten der Masse mehr erwerben ([X.]Z 135, 140, 145 zu § 15 KO; 162, 187, 190; 167, 363, 365 f Rn. 6; 181, 361 Rn. 10, 11 [X.], Urt. v. 5. Januar 1955 - [X.], NJW 1955, 544; v. 20. März 2003 - [X.], [X.], 808, 809; v. 14. Januar 2010 - [X.], [X.], 335, 337 Rn. 18; MünchKomm-[X.]/Ganter, vor §§ 49 bis 52 Rn. 23; [X.]/[X.], [X.]. § 15 Rn. 44; [X.], [X.] 13. Aufl. § 91 Rn. 17). Nur wenn der Zessionar bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der abgetretenen Forderung erlangt hat, ist die Abtretung insolvenzfest.

2. Die Schuldnerin hat das schlachtreife Geflügel an die [X.] verkauft. Als Kaufpreis war ein Teil der [X.]e vereinbart. Der darauf gerichtete Anspruch entstand erst mit der jeweiligen Lieferung der gemästeten Puten an die [X.]. Erst zu diesem Zeitpunkt konnte bestimmt werden, wie hoch der jeweilige [X.] war. Damit konnte auch erst zu diesem Zeitpunkt der Anspruch der [X.] auf Abführung der Zins- und Tilgungsleistungen entstehen. Sämtliche Lieferungen erfolgten nach dem in den Tatsacheninstanzen unbestrittenen Vorbringen des [X.] erst nach Verfahrenseröffnung. Zu dieser Zeit konnte die [X.] aber im Hinblick auf § 91 Abs. 1 [X.] keine Ansprüche auf Teile der [X.]e mehr erwerben. Die [X.] durfte deshalb ihre Auszahlungen nicht um an die [X.] erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen kürzen. Ob sie diese tatsächlich erbracht hat, ist unerheblich.

III.

Die [X.] bleibt ohne Erfolg.

1. [X.] Rüge, das Berufungsgericht habe sich nicht mit der Frage befasst, wer der richtige Anfechtungsgegner sei, der Kläger könne sich allenfalls an die [X.] halten, weil dieser der Einbehalt aus der Abrechnung vom 8. August 2003 zugute gekommen sei. Das Berufungsgericht hat die Verurteilung der [X.]n nicht auf eine Insolvenzanfechtung gestützt. Es ist von deren fehlender Berechtigung ausgegangen, gegen die Forderung der Klägerin mit einer eigenen, nach Verfahrenseröffnung entstandenen Forderung aufzurechnen und dem Anspruch der Masse eigene Ansprüche entgegen zu halten, die aus der Befriedigung der [X.] als [X.] resultieren. Für den Fall der Abführung der Einbehalte an die [X.] aufgrund der vermeintlichen Abtretung ist es von einer Verletzung des § 166 Abs. 2 [X.] ausgegangen.

2. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten - jedenfalls im Ergebnis – rechtlicher Überprüfung stand. Der Kläger hat auch im Hinblick auf die Abrechnung vom 8. August 2003 seinen Anspruch auf Kaufpreiszahlung behalten.

Die Aufrechnung ist unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Masse schuldig geworden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 [X.]). Die Forderung des [X.] aus der Abrechnung vom 8. August 2003 stammt aus Lieferungen schlachtreifer Puten im Zeitraum 14. bis 21. Juli 2003. Sie ist damit erst nach Verfahrenseröffnung entstanden. Eine Aufrechnung mit einem zum Jahresende 2003 fällig gewordenen Darlehensrückzahlungsanspruch ist ausgeschlossen. Gleiches gilt für die Aufrechnung mit einem Anspruch aus § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB, den die [X.] aufgrund ihrer Inanspruchnahme durch die [X.] nach Verfahrenseröffnung erworben haben könnte. Soweit das Berufungsgericht erwogen hat, der Verrechnung der [X.]n könne § 166 Abs. 2 [X.] entgegenstehen, falls die [X.] den einbehaltenen Betrag aufgrund der Vorausabtretung an die [X.] abgeführt haben sollte, würde dies schon an § 91 Abs. 1 [X.] scheitern. Die [X.] hätte auch hier keinen Anspruch auf Abführung der Zins- und Tilgungsleistungen aus dem Erlös gehabt, weil sie nach Verfahrenseröffnung keine Rechte mehr an Gegenständen der Insolvenzmasse erwerben konnte.

IV.

Das angefochtene Urteil kann damit teilweise nicht bestehen bleiben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), soweit das Berufungsgericht die Klage auf Zahlung des einbehaltenen Verwertungserlöses aus der Abrechnung vom 18. Juli 2003 abgewiesen hat. Da die Aufhebung nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt und die Sache nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine ersetzende Sachentscheidung getroffen (§ 563 Abs. 3 ZPO) und die [X.] in voller Höhe verurteilt.

[X.]                               Kayser

                       Pape                                  Grupp

Meta

IX ZR 8/07

22.04.2010

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 18. Dezember 2006, Az: 13 U 35/06, Urteil

§ 91 Abs 1 InsO, § 96 Abs 1 Nr 1 InsO, § 106 Abs 2 InsO, § 398 BGB, §§ 398ff BGB, § 774 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.04.2010, Az. IX ZR 8/07 (REWIS RS 2010, 7311)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7311

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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