Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.01.2011, Az. III B 139/09

3. Senat | REWIS RS 2011, 10439

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Gegenstand

Änderung eines Zulagenbescheides wegen neuer Tatsachen


Leitsatz

NV: Ein Investitionszulagenbescheid kann wegen neuer Tatsachen auch dann geändert werden, wenn die maßgebliche Tatsache --hier: Zeitpunkt des Abschlusses von Baumaßnahmen-- der für die Festsetzung zuständigen Sachbearbeiterin unbekannt geblieben war, sie diese aber durch Einsicht in die von einer anderen Dienststelle geführte Einkommensteuerakte hätte erkennen können.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hatte im Jahr 1995 ein Grundstück erworben, auf dem sich ein ehemaliger Speicher befand, den er in der Folgezeit zu sechs Wohneinheiten umbaute. Die ersten fünf Wohnungen wurden den Mietern im November und Dezember 1998, die sechste am 26. Januar 1999 übergeben.

2

Für die im Jahr 1999 entstandenen Aufwendungen gewährte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) eine Investitionszulage, ohne sich die Nachprüfung vorzubehalten. Nach einer Betriebsprüfung hob das [X.] den Zulagenbescheid auf, weil die Baumaßnahmen bereits am 1. Dezember 1998 abgeschlossen worden seien. Den dagegen eingelegten Einspruch wies es als unbegründet zurück.

3

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) entschied, das [X.] sei formell nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ([X.]) und materiell nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 des Investitionszulagengesetzes zur Änderung befugt gewesen, da die Investition vor dem 31. Dezember 1998 abgeschlossen worden sei.

4

Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision gerichteten Beschwerde trägt der Kläger vor, das [X.] weiche von den Urteilen des [X.] ([X.]) vom 23. März 1983 [X.] ([X.]E 138, 313, [X.] 1983, 548) und vom 24. Januar 2008 [X.] ([X.]E 221, 383, [X.] 2008, 688) ab.

5

Dem [X.]-Urteil in [X.]E 138, 313, [X.] 1983, 548 sei zu entnehmen, dass das [X.] bei der Entscheidung über den Einspruch alle der Veranlagungsdienststelle bekannten Tatsachen verwenden müsse. Das [X.] habe im Widerspruch dazu nicht beachtet, dass Dienststellen zusammenwirken müssten und anderenfalls der organisatorisch zuständigen Dienststelle die Kenntnisse anderer Dienststellen zugerechnet werden könnten. Es habe auch die Ausführungen des [X.] im Urteil in [X.]E 221, 383, [X.] 2008, 688 zur besonderen Auslegung von Begriffen im Investitionszulagenrecht unbeachtet gelassen.

6

Der ursprüngliche Zulagenbescheid sei objektiv richtig gewesen. Die zuständige Sachbearbeiterin habe alle für die Entscheidung über die Investitionszulage für 1999 maßgeblichen Sachverhalte gekannt.

7

Die Revision sei auch zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, weil geklärt werden müsse, wann nachträgliche Herstellungsarbeiten an einem bereits bestehenden Gebäude zulagenrechtlich abgeschlossen seien. Der Frage des Investitionsabschlusses im Investitionszulagenrecht komme auch grundsätzliche Bedeutung zu. Soweit der [X.] im Urteil vom 11. März 1975 [X.] ([X.]E 115, 449, [X.] 1975, 659) angenommen habe, es komme bei Wohngebäuden auf die allgemeine, zumutbare Bezugsfertigkeit an und nicht auf die Bewohnbarkeit der einzelnen Wohnungen, sei dies heute nicht mehr tragbar.

8

Das [X.] beruhe auch auf Verfahrensfehlern. Das [X.] habe den Inhalt der Akten unberücksichtigt gelassen, da es nicht auf seinen Schriftsatz vom 4. Juni 2009 eingegangen sei, in dem darauf hingewiesen worden sei, dass der Zulagenbescheid nicht unter Nachprüfungsvorbehalt gestanden habe und daher "unanfechtbar rechtskräftig" sei.

Entscheidungsgründe

9

II. [X.] ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Das [X.] weicht nicht von dem [X.]-Urteil in [X.], 313, [X.] 1983, 548 ab. Nach dieser Entscheidung hat das [X.] bei der Entscheidung über einen Einspruch alle der Veranlagungsdienststelle bekannten Tatsachen zu verwerten; unterbleibt dies, können die in der Einspruchsentscheidung nicht berücksichtigten Tatsachen nach Ablauf des [X.] nicht mehr Gegenstand eines Änderungsbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sein.

Im Streitfall sind aber nicht der [X.] infolge mangelnder Rückfragen bei der Veranlagungsdienststelle dort bekannte Tatsachen unbekannt geblieben, sondern die für die Festsetzung der Investitionszulage zuständige Sachbearbeiterin konnte anhand ihrer Unterlagen nicht erkennen, wann die Herstellungsarbeiten abgeschlossen waren, und hat auch nicht Einblick in die [X.] genommen, die ihr diese Beurteilung möglicherweise erlaubt hätten.

Beide Entscheidungen betreffen somit nicht miteinander vergleichbare Sachverhalte. Während das [X.] und das Rechtsbehelfsverfahren in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen und die [X.] die Sache --alle für die einspruchsbefangene Festsetzung maßgeblichen Tat- und [X.] erneut in vollem Umfang zu prüfen hat, besteht ein derartiger Zusammenhang zwischen der [X.] und der Veranlagung nicht. Deshalb durfte die für die Investitionszulage zuständige Sachbearbeiterin die Zulage festsetzen, ohne zuvor die bei der Veranlagungsdienststelle befindlichen [X.] eingesehen zu haben.

2. Eine Abweichung vom [X.]-Urteil in [X.], 383, [X.] 2008, 688 hat der Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O genügenden Weise dargelegt, weil er keine divergierenden abstrakten Rechtssätze gegenübergestellt hat. Eine Divergenz liegt im Übrigen auch nicht vor.

3. Mit seinen Ausführungen zur objektiven Richtigkeit des ursprünglichen Zulagenbescheids wendet sich der Kläger im [X.] gegen die materielle Rechtmäßigkeit des [X.]s; damit kann aber die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreicht werden. Seine Behauptung, die zuständige Sachbearbeiterin habe alle für die Entscheidung über die Investitionszulage für 1999 maßgeblichen Sachverhalte gekannt, widerspricht den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O).

4. Die Darlegungen zur Revisionszulassung zwecks Fortbildung des Rechts oder wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und [X.]  1. Alt. [X.]O) im Hinblick auf den Zeitpunkt des Investitionsabschlusses bei Wohngebäuden genügen ebenfalls nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O, denn ihnen ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die vom [X.] dazu zitierte umfangreiche [X.]-Rechtsprechung weiterhin umstritten ist, welche vom [X.] bisher noch nicht geprüften Argumente dagegen vorgebracht worden sind oder aufgrund welcher veränderter Tatsachen oder Rechtsanschauungen an ihr nicht mehr festzuhalten ist.

Das [X.] geht im Übrigen entgegen dem Vorbringen des Klägers davon aus, dass die Wohnungen im Jahr 1998 trotz der noch ausstehenden Restarbeiten bezugsfertig waren.

5. Dem [X.] ist auch kein Verfahrensfehler unterlaufen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O), denn es hat nicht gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen. Ein derartiger Verstoß setzt eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O dadurch voraus, dass der Entscheidung ein Sachverhalt zugrunde gelegt wird, der schriftlich festgehaltenem Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht oder eine nach den Akten eindeutig festgestellte Tatsache unberücksichtigt lässt (z.B. [X.]-Beschlüsse vom 27. August 2008 IX [X.]/07, [X.]/NV 2008, 2022, und vom 23. Juli 2010 [X.], [X.]/NV 2010, 2063). Das [X.] hat jedoch im Tatbestand seines Urteils geschildert, dass der Zulagenbescheid nicht unter Nachprüfungsvorbehalt stand, und sich in den Entscheidungsgründen mit der Frage auseinandergesetzt, ob das [X.] diesen Bescheid wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO aufheben durfte.

Meta

III B 139/09

14.01.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 8. Juni 2009, Az: 1 K 519/05, Urteil

§ 3 Abs 1 Nr 1 InvZulG 1999, § 3 Abs 2 InvZulG 1999, § 173 Abs 1 Nr 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 14.01.2011, Az. III B 139/09 (REWIS RS 2011, 10439)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10439

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