Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 31.08.2011, Az. 8 C 16/10

8. Senat | REWIS RS 2011, 3630

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Gegenstand

Weisungsrecht des Stadtrats gegenüber seinen Vertretern im Aufsichtsrat eines kommunalen Versorgungsbetriebs


Leitsatz

Schließt der Gesellschaftsvertrag einer GmbH, bei der eine Gemeinde Mehrheitsgesellschafterin ist, die Anwendung der Bestimmungen des Aktiengesetzes für den vorgesehenen fakultativen Aufsichtsrat aus, so muss er regeln, was stattdessen gelten soll. Dazu gehört auch die Regelung eines eventuellen Weisungsrechts der zuständigen kommunalen Organe. Ist dies nicht ausdrücklich erfolgt, kann das Bestehen eines Weisungsrechts durch Auslegung des Gesellschaftsvertrages ermittelt werden.

Tatbestand

1

Die Kläger sind Mitglieder des beklagten [X.] und auf dessen Vorschlag von der Gesellschafterversammlung der [X.] (im Folgenden: [X.]) gewählte Aufsichtsratsmitglieder dieses Unternehmens. Sie wenden sich gegen Weisungen, Aufträge und andere Maßnahmen des [X.]n, durch die sie die freie Ausübung ihrer Aufsichtsratsmandate gefährdet sehen.

2

An der 1972 zunächst von der [X.] [X.] allein gegründeten [X.] sind seit 1984 neben der [X.], die noch über einen Geschäftsanteil von 74,88 % des Stammkapitals verfügt, die [X.] mit 24,92 % und das Bankhaus ... mit 0,2 % beteiligt. Die §§ 7 bis 9 des zuletzt - aber nicht insoweit - am 17. Juli 2002 geänderten Gesellschaftsvertrages regeln die Zusammensetzung, Amtsdauer und Arbeitsweise sowie die Aufgaben des bei der [X.] zu bildenden Aufsichtsrates. Er besteht aus 17 Mitgliedern, von denen 14 die [X.] [X.] stellt. Acht von ihnen werden nach den für die Bestellung von Ausschüssen nach der [X.]ordnung geltenden Verfahren vom Rat der [X.] zur Wahl vorgeschlagen. Gemäß § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages finden die Bestimmungen des Aktiengesetzes auf den Aufsichtsrat keine Anwendung. Zu seinen Aufgaben gehört neben der Überwachung der Geschäftsführung unter anderem die Erteilung der Zustimmung zu grundlegenden Geschäftsvorgängen, darunter auch die Festsetzung und Änderung der allgemeinen [X.] und allgemeinen Versorgungsbedingungen.

3

Im Zuge der Preisfestsetzung bei der [X.] war es in den Jahren 2005 und 2006 in den Gremien der [X.] [X.] mehrfach zu Divergenzen über die Zulässigkeit von Weisungen des Rates gegenüber Mitgliedern des Aufsichtsrates der [X.], die zugleich Mitglieder des Rates der [X.] und auf dessen Vorschlag von der Gesellschafterversammlung in den Aufsichtsrat gewählt worden sind, gekommen. Am 13. September 2006 beschloss der Haupt- und Finanzausschuss des [X.]n, die städtischen Vertreter im Aufsichtsrat der [X.] zu beauftragen, einer Erhöhung der Erdgas- und Wärmeabgabepreise zum 1. Oktober 2006 in der Sitzung des Aufsichtsrates der [X.] am 14. September 2006 nicht zuzustimmen. Zugleich erteilte der Ausschuss den städtischen Vertretern im Aufsichtsrat der [X.] die Weisung, einen Antrag auf geheime Abstimmung im Aufsichtsrat abzulehnen. Diese Dringlichkeitsentscheidung des Ausschusses wurde vom [X.]n in der Sitzung vom 26. September 2006 genehmigt. In der Aufsichtsratssitzung vom 14. September 2006 wurde die Preiserhöhung ab 1. Oktober 2006 dennoch in geheimer Abstimmung gebilligt.

4

Hierauf beantragten vier Ratsfraktionen, in der am 13. Dezember 2006 stattfindenden Sitzung des [X.]n zu beschließen, seine Mitglieder im Aufsichtsrat der [X.] zu beauftragen, in der Aufsichtsratssitzung am 14. Dezember 2006 für die Rücknahme der Preiserhöhung vom 1. Oktober 2006 zum 1. Januar 2007 einzutreten und einem entsprechenden Antrag zuzustimmen sowie einen Antrag im Aufsichtsrat auf geheime Abstimmung abzulehnen. Der Antrag wurde unter Tagesordnungspunkt ([X.]) 4.1 in die Tagesordnung der Ratssitzung vom 13. Dezember 2006 aufgenommen und mehrheitlich beschlossen. In der Sitzung des Aufsichtsrates der [X.] vom 14. Dezember 2006 kam gleichwohl keine entsprechende Beschlussfassung zustande.

5

Bereits am 5. Dezember 2006 hatten die Kläger beim Verwaltungsgericht Klage erhoben. Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Ratssitzung hatten sie zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, dem [X.]n bzw. Antragsgegner zu untersagen, ihnen als vom Rat der [X.] vorgeschlagenen und von der Gesellschafterversammlung der [X.] gewählten Mitgliedern des Aufsichtsrates in Bezug auf die Ausübung ihres Stimmrechts im Aufsichtsrat Weisungen oder das Stimmrecht berührende Aufträge zu erteilen oder sie in irgendeiner anderen Weise zu veranlassen, ihr Stimmrecht in einer bestimmten Art und Weise auszuüben, und insbesondere dem [X.]n zu untersagen, am 13. Dezember 2006 den unter [X.] 4.1 bezeichneten Beschluss zu fassen. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes blieb - auch im Beschwerdeverfahren - ohne Erfolg.

6

Nach Durchführung der Aufsichtsratssitzung vom 14. Dezember 2006 haben die Kläger ihre Klage umgestellt und die Feststellung begehrt, dass die Beschlüsse des [X.]n in der Ratssitzung vom 13. Dezember 2006 zum [X.] 4.1 sie in ihren organschaftlichen Rechten verletzt haben. Zudem haben sie die Klage um den Feststellungsantrag erweitert, dass der [X.] generell nicht berechtigt sei, ihnen Weisungen oder das Stimmrecht im Aufsichtsrat berührende Aufträge zu erteilen.

7

Zur Begründung haben sie vorgetragen, die Klage sei als Kommunalverfassungsstreit zulässig. Ein Weisungsrecht nach § 113 Abs. 1 GO NRW bestehe nicht, wobei dahinstehen könne, ob sie als von der Gesellschafterversammlung gewählte und vom Rat der [X.] [X.] vorgeschlagene Mitglieder des Aufsichtsrates als Vertreter der [X.] im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden könnten. Nach herrschender Auffassung hätten Aufsichtsratsmitglieder ihr Stimmrecht eigenverantwortlich auszuüben und seien keinem Weisungsrecht unterworfen. Das Gesellschaftsrecht lasse eine Bindung von Aufsichtsratsmitgliedern an Weisungen oder Aufträge nur zu, wenn ein Weisungsrecht ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag verankert sei. Diese Ansicht werde durch § 108 Abs. 4 Nr. 2 - nun Abs. 5 Nr. 2 - [X.] belegt. Der Gesellschaftsvertrag der [X.] sehe keine Möglichkeit für Weisungen gegenüber den Aufsichtsratsmitgliedern vor. Eine dahingehende Änderung des Gesellschaftsvertrags sei nicht möglich, weil die [X.] dies ablehnten. Die bereits beschlossene Preiserhöhung rückgängig zu machen, widerspräche dem Interesse der Gesellschaft, da die Erhebung nur der niedrigeren früheren Preise im [X.] zu einer gravierenden Unterdeckung und damit zu einer existenziellen Gefahr für das Unternehmen geführt hätte. Ebenso unverständlich sei der Versuch, eine geheime Abstimmung im Aufsichtsrat zu unterbinden.

8

Mit Urteil vom 13. Juli 2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Für die begehrte Feststellung einer Rechtsverletzung durch die Weisungen vom 13. Dezember 2006 fehle das Feststellungsinteresse. Der erweiternde Klageantrag sei demgegenüber zulässig. Der [X.] sei aber grundsätzlich zur Erteilung von Weisungen bezüglich der Ausübung des Stimmrechts im Aufsichtsrat der [X.] berechtigt.

9

Mit Urteil vom 24. April 2009 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Rechtsgrundlage des kommunalen Weisungsrechts sei § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW. Die Vorschrift sei verfassungsgemäß, insbesondere kompetenzgemäß erlassen. Ihre Voraussetzungen seien erfüllt. Die Kläger könnten als Vertreter der [X.] im Sinn dieser Vorschrift angesehen werden, denn hierzu zählten auch die auf Vorschlag der [X.] von der Gesellschafterversammlung in den Aufsichtsrat gewählten Mitglieder. Die Weisungsbindung der Kläger sei nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 GO NRW durch andere gesetzliche Bestimmungen, insbesondere § 52 Abs. 1 GmbHG, ausgeschlossen. Der Aufsichtsrat der [X.] entspreche entgegen der Ansicht der Kläger nicht einem obligatorischen Aufsichtsrat. Bei der [X.] liege vielmehr ein fakultativer Aufsichtsrat vor, wobei § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages vorsehe, dass die Bestimmungen des Aktiengesetzes auf den Aufsichtsrat keine Anwendung finden. Eine Kollision mit den Vorgaben des Gesellschaftsrechts liege nicht vor. Es sei nicht davon auszugehen, dass es die Zulässigkeit von Weisungen abschließend regele und keinen Raum für ein Weisungsrecht auf kommunalrechtlicher Grundlage lasse. Namentlich stehe der kommunalrechtlichen Weisungsbefugnis des [X.]n kein allgemeiner ungeschriebener gesellschaftsrechtlicher Grundsatz der [X.] von Aufsichtsratsmitgliedern entgegen. Bei einem fakultativen Aufsichtsrat bedeute das Weisungsrecht keinen Eingriff in originäre Rechte des [X.]. Dem lasse sich nicht entgegenhalten, dass mit der Bestellung des Aufsichtsrates ein Vertrauen des Rechtsverkehrs in dessen Unabhängigkeit begründet werde. Ein solches sei nur insoweit denkbar, wie es durch den Gesellschaftsvertrag gerechtfertigt werde. Dass ein Weisungsrecht nur zulässig sei, wenn es im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich festgeschrieben werde, könne nicht aus § 108 Abs. 4 Nr. 2 - nunmehr Abs. 5 Nr. 2 - [X.] abgeleitet werden. Es genüge, die in § 52 Abs. 1 GmbHG vorgesehene Geltung der Vorschriften des Aktiengesetzes durch den Gesellschaftsvertrag abzubedingen. Die Weisungsgebundenheit der Kläger sei nicht einmal durch eine Verpflichtung auf das Wohl der Gesellschaft beschränkt, weil gesellschaftsrechtliche Vorschriften das kommunale Weisungsrecht nicht einschränkten. Demzufolge habe auch der Berufungsantrag zu 2. - früherer Klageantrag zu 1. - keinen Erfolg.

Zur Begründung ihrer Revision haben die Kläger ihren bisherigen Vortrag wiederholt. Sie heben hervor, dass Aufsichtsratsmitglieder nach der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur generell keinen Weisungen unterworfen seien. Etwas anderes gelte nur, wenn das Weisungsrecht ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sei. Anderenfalls würden auch die auf Vorschlag des [X.]n gewählten Aufsichtsratsmitglieder gegenüber den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat ungleich behandelt.

Nachdem die Kläger zu 2 und 4 aus dem Aufsichtsrat der [X.] ausgeschieden sind, haben sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der [X.] hat der Erledigung zugestimmt.

Die Kläger zu 1 und 3 beantragen nunmehr,

das Urteil des [X.] vom 13. Juli 2007 und das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2009 ergangene Urteil des [X.] für das [X.] zu ändern und festzustellen, dass der [X.] nicht berechtigt ist, ihnen - als vom [X.]n vorgeschlagenen und von der Gesellschafterversammlung der [X.] gewählten Mitgliedern des Aufsichtsrats der [X.] - in Bezug auf die Ausübung ihres Stimmrechts im Aufsichtsrat der [X.] Weisungen oder das Stimmrecht berührende Aufträge zu erteilen.

Der [X.] beantragt, die Revision der Kläger zu 1 und 3 zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Vertreter des [X.] beteiligt sich am Verfahren. Er hält eine Weisungsgebundenheit der auf Vorschlag der [X.] gewählten Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrates einer GmbH mit kommunaler Beteiligung nur dann mit Gesellschaftsrecht, insbesondere mit § 52 GmbHG, für vereinbar, wenn der Gesellschaftsvertrag das Weisungsrecht ausdrücklich vorsieht. Hier könne § 7 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages allenfalls durch Auslegung entnommen werden, dass die [X.] für alle Aufsichtsratmitglieder nicht gelte und die Kläger an die Weisungen des [X.]n gebunden seien. § 52 Abs. 1 GmbHG verlange aber die positive Regelung eines Weisungsrechts im Sinn eines Vertragsvorbehalts.

Entscheidungsgründe

Nachdem die Kläger zu 2 und 4 und der [X.] übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren insoweit entsprechend § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Die Vorentscheidungen sind mit Ausnahme der Kostenentscheidung wirkungslos (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).

Die Revision der Kläger zu 1 und 3 ist unbegründet. Zwar verletzt das angefochtene Urteil Bundesrecht, es stellt sich aber im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).

Die Annahme des [X.], die Kläger seien bei ihrer Tätigkeit als Mitglieder des Aufsichtsrates der [X.] an Beschlüsse und Weisungen des [X.]n gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 der [X.]ordnung für das [X.] ([X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Juli 1994 ([X.] 1994, 666), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Mai 2011 ([X.] 2011, 271), bereits deshalb gebunden, weil eine andere gesetzliche Bestimmung im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 GO NRW nicht bestehe, verletzt § 52 GmbHG (1.). Allein die Regelung des § 7 Abs. 1 des [X.], demzufolge die [X.] einen Aufsichtsrat hat, auf den die Bestimmungen des Aktiengesetzes keine Anwendung finden, reicht nicht aus, die Anwendbarkeit des § 52 Abs. 1 GmbHG zu verneinen (2.). Die Auslegung des [X.] ergibt aber ein Weisungsrecht des [X.]n (3.).

1. Die Frage, ob die Kläger kommunalrechtlich verpflichtet sind, Weisungen des [X.]n in Ansehung ihrer Mandatswahrnehmung im Aufsichtsrat der [X.] entgegen zu nehmen und zu befolgen, regelt das Landesrecht. Das Berufungsgericht hat die Rechtsgrundlage in § 113 Abs. 1 GO NRW gesehen und, für das Revisionsgericht bindend, festgestellt, dass die Kläger Vertreter der [X.] im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 GO NRW sind. Dagegen lassen sich bundesrechtliche Einwände nicht erheben; namentlich steht dem [X.] die Gesetzgebungskompetenz für das Kommunalrecht auch in Ansehung dieser Regelung zu. Das wird von den Klägern im Revisionsverfahren nicht mehr in Zweifel gezogen.

Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW sind die Vertreter der [X.] in Aufsichtsräten von juristischen Personen, an denen die [X.] beteiligt ist, an die Beschlüsse des Rates gebunden. Das gilt gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 GO NRW jedoch nur, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Eine derartige anderweitige gesetzliche Bestimmung stellt § 52 Abs. 1 GmbHG dar. Danach sind auf einen nicht obligatorischen, sondern nur nach dem Gesellschaftsvertrag zu bestellenden Aufsichtsrat (fakultativer Aufsichtsrat) verschiedene Regelungen des Aktiengesetzes entsprechend anzuwenden, soweit nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist. Zu diesen Regelungen gehören auch § 111 Abs. 5 [X.] und §§ 116, 93 [X.], aus denen der aktienrechtliche Grundsatz hergeleitet wird, dass Aufsichtsratsmitglieder allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet sind und im Rahmen der ihnen persönlich obliegenden Amtsführung keinen Weisungen unterliegen (vgl. z.B. [X.], Urteil vom 18. September 2006 - [X.]/05 - [X.]Z 169, 98 m.w.N.).

Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht einen darüber hinausgehenden ungeschriebenen allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsatz der Weisungsunabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern abgelehnt. Dass Aufsichtsratsmitglieder allein dem Unternehmensinteresse verpflicht sind und keinen Weisungen unterliegen, ist ein Grundsatz des Aktienrechts, der auf § 111 Abs. 5 [X.] gestützt wird und damit zugleich normativ verankert ist (vgl. [X.], Urteil vom 18. September 2006 a.a.[X.] Rn. 18). Ein solcher Grundsatz ist für den fakultativen Aufsichtsrat einer GmbH nicht begründbar. § 52 Abs. 1 GmbHG gestattet explizit abweichende Regelungen von den aktienrechtlichen Bestimmungen, aus denen die [X.] der Aufsichtsratsmitglieder hergeleitet wird. Man mag die [X.] als "Normalzustand" (so Weckerling-Wilhelm/[X.], [X.] 2011, 327<329>) auch der Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrats ansehen; der Gesellschaftsvertrag kann aber anderes bestimmen (so auch Held u.a. , Kommunalverfassungsrecht [X.], Stand: Dezember 2010, § 108 [X.]. 7.1; [X.]/[X.], BayVBl 2007, 581<585>). Ein freiwillig gebildeter Aufsichtsrat einer GmbH muss nicht zwingend die Mindestanforderungen eines unabhängigen Überwachungsorgans erfüllen. Die Ausgestaltung der Aufgaben und Rechte eines fakultativen Aufsichtsrates liegt in der Hand der Gesellschafter, die dies im Gesellschaftsvertrag regeln. § 52 GmbHG sieht dafür gerade keine bindenden Vorgaben vor. Vielmehr verfügen die Gesellschafter über eine große organisatorische Gestaltungsfreiheit. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Bezeichnung "Aufsichtsrat" (siehe auch [X.]/[X.], in: [X.]/[X.], GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 52 Rn. 22; [X.], in: [X.], GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 52 Rn. 4). Dieser Begriff ist weder im Gesetz noch durch die Rechtsprechung abschließend definiert.

Entgegen der Auffassung der Kläger kann sich deshalb auch kein Vertrauen des Rechtsverkehrs in die [X.] der Aufsichtsratsmitglieder bilden. Die Befugnisse eines fakultativen Aufsichtsrates sind von der Ausgestaltung des jeweiligen [X.] abhängig. Ohne Kenntnis dieses Vertrages kann der Rechtsverkehr kein Vertrauen in bestimmte Rechte und Pflichten der Mitglieder des Aufsichtsrates haben.

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine [X.] der Kläger nicht allein deshalb verneint werden, weil § 7 Abs. 1 des [X.] die Anwendbarkeit des Aktiengesetzes ausschließt. Denn Voraussetzung für ein Abweichen von dem Regelfall des § 52 Abs. 1 GmbHG ist, dass "im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist". Das ist nicht schon dann der Fall, wenn der Gesellschaftsvertrag die in § 52 Abs. 1 GmbHG aufgeführten Vorschriften des Aktiengesetzes pauschal für unanwendbar erklärt. Dieser in der rechtswissenschaftlichen Literatur nahezu einhellig vertretenen Auffassung (vgl. z.B. [X.]/[X.], a.a.[X.] Rn. 23; Weckerling-Wilhelm/[X.], [X.] 2011, 327 <329 f.>; Weiblen/[X.], [X.] 1987, 169 <171>; Grünebaum, [X.], 55 <56>; Schodder, [X.], 715 <716>) ist zu folgen. Inwieweit der Gesellschaftsvertrag von der gesetzlichen Regel abweicht, muss vielmehr im Einzelnen "bestimmt" sein. Der Gesellschaftsvertrag muss die gesetzliche Regelung durch eine andere Regelung ersetzen, die ihrerseits genügend bestimmt ist, um zusammen mit den nicht abbedungenen gesetzlichen Vorschriften die Zusammensetzung des Aufsichtsrats, seiner Aufgaben, Befugnisse und seiner Verfahrensweise zweifelsfrei erkennen zu lassen.

Ob der Gesellschaftsvertrag der [X.] in diesem Sinne "ein anderes bestimmt", ist eine Frage tatrichterlicher Würdigung. Das Revisionsgericht kann die Würdigung des Berufungsgerichts nur korrigieren, wenn sie die erwähnten bundesrechtlichen Vorgaben oder die bundesrechtlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB missachtet. Hier hat das Berufungsgericht die Vorgaben des § 52 Abs. 1 GmbHG dadurch verletzt, dass es eine hinreichende Abweichung von § 111 Abs. 5, § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 [X.] schon darin gesehen hat, dass § 7 Abs. 1 des [X.] die Vorschriften des Aktiengesetzes pauschal abbedingt. Das genügt nicht.

3. Der Gesellschaftsvertrag trifft in seinen §§ 7 bis 9 verschiedene konkrete Regelungen im Hinblick auf den Aufsichtsrat, insbesondere über seine Bildung und Zusammensetzung, seine Aufgaben und seine Beschlussfassung. Er setzt damit eigene Bestimmungen an die Stelle der aktienrechtlichen Vorschriften. Zwar fehlt eine ausdrückliche Aussage zum Weisungsrecht. Die Auslegung ergibt aber, dass die auf Vorschlag des [X.] bestellten Mitglieder des Aufsichtsrats an Weisungen des Rates gebunden sein sollen.

Das kann das Revisionsgericht feststellen, weil das Berufungsgericht sich die Frage nicht gestellt hat, der Gesellschaftsvertrag schriftlich vorliegt und es zu seiner Auslegung nicht des Rückgriffs auf weitere Umstände bedarf. Ein solcher Rückgriff auf außerhalb der Vertragsurkunde gelegene Umstände verbietet sich schon aus Gründen des nötigen Schutzes des Rechtsverkehrs. Der Gesellschaftsvertrag einer GmbH bedarf der notariellen Form und ist im Handelsregister zu veröffentlichen. Dies dient namentlich dem Schutz der Gläubiger und der künftigen Gesellschafter. Deshalb müssen die wesentlichen Bestandteile der formbedürftigen Erklärung in der Urkunde selbst niedergelegt sein; Nebenabreden und Sinndeutungen, die für Außenstehende nicht erkennbar sind, sind unzulässig (stRspr; vgl. RG, Urteil vom 25. April 1933 - II 411/31 - [X.], 303 <306 f.>; [X.], Urteil vom 13. März 1989 - [X.] - NJW-RR 1989, 993 ).

Das schließt aber nicht aus, bei der Auslegung eines [X.] dessen normatives Umfeld in Rechnung zu stellen. Namentlich sind für die Auslegung des [X.] einer Gesellschaft, an der - wie aus dem Handelsregister ersichtlich - eine [X.] maßgeblich beteiligt ist und zu deren Aufgaben die Wahrnehmung der kommunalen Daseinsvorsorge für ihre Einwohner gehört, diejenigen Vorschriften des Verfassungs- und Gesetzesrechts zu berücksichtigen, welche für die [X.] verbindlich sind. Es spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die [X.] die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Beteiligung an einer derartigen Gesellschaft einhalten wollte und will. Weil diese gesetzlichen Bestimmungen im Gesetzblatt bekanntgemacht sind, steht auch der gebotene Schutz des Rechtsverkehrs ihrer Berücksichtigung nicht entgegen.

Hiernach ist der Gesellschaftsvertrag der [X.] dahin auszulegen, dass anstelle der abbedungenen aktienrechtlichen Vorschriften ein Weisungsrecht des [X.]n gegenüber den von ihm vorgeschlagenen Mitgliedern des Aufsichtsrats vereinbart ist. Das ergibt sich aus § 108 Abs. 5 Nr. 2 GO NRW. Nach dieser Vorschrift darf sich die [X.] nur an Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung beteiligen, wenn der Rat den von der [X.] bestellten oder auf Vorschlag der [X.] gewählten Mitgliedern des Aufsichtsrats Weisungen erteilen kann.

Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass diese Regelung - seinerzeit als § 108 Abs. 4 Satz 2 - erst durch das [X.] ([X.]) in die [X.]ordnung eingefügt wurde und damit zum Zeitpunkt der Gründung der [X.] im Jahre 1972 und zum Zeitpunkt des Eintritts der privaten Gesellschafter im Jahr 1984 noch nicht galt. Das [X.] hat lediglich klargestellt, was zuvor bereits geltendes Recht war. Zum einen sah bereits § 72 Abs. 1 der [X.]ordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1969 ([X.]) - die Vorgängervorschrift zum heutigen § 113 Abs. 1 GO NW - vor, dass die Vertreter der [X.] in [X.] und in wirtschaftlichen Unternehmen, an denen die [X.] beteiligt ist, an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden sind. Das setzte schon damals voraus, dass der Gesellschaftsvertrag ein solches Weisungsrecht zuließ. Zum anderen ist die Bindung der auf Vorschlag des Rates bestellten oder gewählten Mitglieder des Aufsichtsrates an die Beschlüsse des Rates ein Ausfluss des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 2, Art. 28 Abs. 1 GG, das seit Bestehen der [X.] gebietet, dass eine [X.], wenn sie sich zum Betrieb einer Versorgungseinrichtung einer juristischen Person des Privatrechts bedient, durch Einwirkungs- und Kontrollrechte hinreichend Einfluss auf den Betreiber nehmen kann (vgl. Urteil vom 6. April 2005 - BVerwG 8 CN 1.04 - BVerwGE 123, 159 <165> = [X.] 415.1 Allg. [X.] 154).

Auch eine Auslegung des [X.], welche die Geschichte der [X.] stellt, könnte zu keinem anderen Ergebnis führen; darauf sei lediglich ergänzend hingewiesen. Die [X.] ist 1972 als Eigengesellschaft der [X.] gegründet worden. Wie erwähnt, bestimmte § 72 Abs. 1 GO NW in deren damaliger Fassung bereits, dass die Vertreter der [X.] in [X.] an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden sind. Für die [X.] bestand damals keine Veranlassung, diesbezügliche Regelungen noch eigens in den Gesellschaftsvertrag aufzunehmen. Als 1984 die privaten Gesellschafter hinzutraten, wussten sie um die kommunalrechtliche Bindung der [X.] und hätten, falls sie deren Weisungsbefugnis für die [X.] hätten ausschließen wollen, die Aufnahme einer entsprechenden ausdrücklichen Regelung in den Vertrag durchsetzen müssen (vgl. auch [X.], [X.] 1995, 68 <87>). Das haben sie nicht getan.

4. Verfahrensfehler werden von der Revision nicht substantiiert dargelegt. Allein das Unterlassen der von den Klägern begehrten Auslegung stellt weder eine Überraschungsentscheidung des Berufungsgerichts noch einen Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs dar.

Meta

8 C 16/10

31.08.2011

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 24. April 2009, Az: 15 A 2592/07, Urteil

§ 113 Abs 1 GemO NW, § 52 Abs 1 GmbHG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 31.08.2011, Az. 8 C 16/10 (REWIS RS 2011, 3630)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3630

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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