Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.01.2011, Az. 1 StR 537/10

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 10614

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Gegenstand

Voraussetzungen des Rücktritts vom Tötungsversuch bei schweren Gewalthandlungen mehrerer Täter im Rahmen einer mehraktigen Tatausführung


Tenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. Mai 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe (D.) bzw. zu einer Jugendstrafe (S.) jeweils von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen drangen die beiden Angeklagten in der [X.] in das Haus des Geschädigten ... M. ein, um dort Geld und Drogen zu stehlen. Weil sie kein Bargeld finden konnten, misshandelten sie den bis dahin schlafenden Geschädigten. Während der Angeklagte S. ihn auf das Bett drückte, schlug der Angeklagte D. ihm mit einem Schlagstock wenigstens zwanzigmal auf Kopf und Oberkörper. Dabei handelten beide Angeklagten mit bedingtem Tötungsvorsatz. Anschließend fesselten sie den Geschädigten an Händen und Füßen und knebelten ihn. Als sie auch bei der weiteren Durchsuchung der Wohnung kein Geld finden konnten, schlug der Angeklagte D. wieder mit dem Schlagstock auf den Geschädigten ein, bis dieser ihnen das Versteck preisgab, in dem er sein Geld aufbewahrte. Die Angeklagten fanden dort 1.000 Euro. Da sie in der Wohnung aber weiteres Geld vermuteten, versetzte der Angeklagte D. dem Geschädigten noch einen Schlag mit dem Schlagstock, woraufhin der Angeklagte S. zu ihm sagte: "[X.] ihn noch um." Weil sie den Geschädigten in [X.] sperren wollten, um zu verhindern, dass er nach ihrem Verlassen seines Hauses die Polizei ruft, brachten sie ihn zum [X.]abgang. Dort stieß ihn der Angeklagte S., ohne dies zuvor mit dem Angeklagten D. abgesprochen zu haben, die aus steinernen Stufen bestehende [X.]treppe hinunter. Im [X.] packte er den Geschädigten und zerrte ihn dann noch in einen Nebenraum. Anschließend verließen die beiden Angeklagten das Haus. Hierbei nahmen sie billigend in Kauf, dass der Geschädigte in dem [X.] sterben könnte. Tatsächlich gelang es dem Geschädigten, der sich durch die Gewalthandlungen Platzwunden am Kopf sowie Prellungen und Schürfwunden am ganzen Körper zugezogen hatte, bereits nach kurzer Zeit, sich seiner Fesseln zu entledigen und Hilfe zu holen.

3

2. Die Feststellungen tragen die Verurteilung der beiden Angeklagten wegen versuchten Mordes nicht, da sich das [X.] nur unzureichend mit den Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts auseinandergesetzt hat.

4

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] kommt es, wovon auch das [X.] insoweit zutreffend ausgegangen ist, für die Abgrenzung eines beendeten vom unbeendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts maßgeblich auf die Vorstellungen der Täter nach der letzten Ausführungshandlung ("Rücktrittshorizont") an. Dies gilt insbesondere auch bei einem mehraktigen Tatgeschehen, das - wie hier - als eine Tat im Rechtssinne gewertet wird (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Oktober 2008 - 4 [X.], [X.], 78 mwN). Halten die Täter nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung aufgrund der tatsächlichen Umstände den Tod ihres Opfers für möglich oder machen sie sich über die Folgen ihres Handelns - namentlich bei besonders schweren Gewalthandlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben - keine Gedanken, so ist der Versuch beendet (st. Rspr.; vgl. jew. mwN [X.], Urteil vom 10. November 2005 - 4 StR 337/05 Rz. 8; [X.], Beschluss vom 3. Februar 1999 - 2 StR 540/98 Rz. 4; [X.], Beschluss vom 11. Februar 1999 - 1 [X.] Rz. 4). Ein strafbefreiender Rücktritt ist in diesem Fall bei mehreren [X.] nur unter den engen Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 StGB möglich. Liegt dagegen ein unbeendeter Versuch vor, kommt ein strafbefreiender Rücktritt nach dieser Vorschrift auch dann in Betracht, wenn die Täter einvernehmlich nicht weiterhandelten, obwohl sie dies hätten tun können ([X.], Beschluss vom 9. Januar 2003 - 4 [X.] Rz. 2, StraFo 2003, 207). Die äußeren Gegebenheiten sind bei der Abgrenzung eines beendeten von einem unbeendeten Versuch insoweit von Bedeutung, als sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des [X.] ermöglichen ([X.], Beschluss vom 1. Juli 1993 - 1 StR 337/93 Rz. 6, [X.]R StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 22 mwN).

5

b) Das [X.] ist bei seiner rechtlichen Würdigung des Tatgeschehens bei beiden Angeklagten von einem beendeten Versuch ausgegangen und hat in Ermangelung von [X.] die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt jeweils verneint. Es hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die beiden Angeklagten die weitere Tatausführung nicht freiwillig aufgegeben hätten, weil sie nach der letzten Ausführungshandlung, dem Zurücklassen des Geschädigten im [X.], dessen Tod - infolge der erlittenen Verletzungen ([X.]) bzw. wegen fehlender Befreiungsmöglichkeiten ([X.]) - gebilligt hätten. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand:

6

(1) Hinsichtlich des Angeklagten D. beschränken sich die Ausführungen des [X.]s lediglich auf die Feststellung, dass dieser beim Zurücklassen des Geschädigten im [X.] dessen Tod gebilligt habe. Diese Feststellung ist, soweit sie möglicherweise auch die Vorstellung des Angeklagten von einem möglichen Erfolgseintritt - hier dem Tod des Geschädigten - mitumfasst, in den Urteilsgründen nicht belegt. Der Angeklagte D. hat sich zu seinen Vorstellungen beim Zurücklassen des Geschädigten im [X.] nicht eingelassen. Es ist im Urteil auch nicht dargetan, ob das [X.] allein aus dem - insoweit rechtsfehlerfrei festgestellten - Umstand, dass der Angeklagte D. den Stoß durch den Angeklagten S. und den anschließenden Sturz des Geschädigten die [X.]treppe hinunter aus unmittelbarer Nähe beobachtet hat, auf dessen Vorstellungen von einem möglichen Todeseintritt beim Zurücklassen des Geschädigten geschlossen hat. Eine solche Schlussfolgerung wäre hier jedenfalls nicht ohne weiteres nahe liegend gewesen, da ein Treppensturz nicht unweigerlich zu lebensbedrohlichen Verletzungen führen muss und im vorliegenden Fall auch nicht zu solchen Verletzungen geführt hat.

7

(2) Hinsichtlich des Angeklagten S. hat das [X.] seine Überzeugung, dass auch dieser den Tod des Geschädigten beim Verlassen des [X.] für möglich gehalten habe, auf dessen spätere Äußerungen gegenüber Freunden gestützt, wonach er fürchte, "dass das Opfer versterben könnte." Zwar kann aus einer solchen Äußerung auf die Vorstellungen des [X.] nach der letzten Ausführungshandlung geschlossen werden. Dies setzt allerdings voraus, dass die einer solchen Äußerung zugrunde liegende Vorstellung von einem möglichen Todeseintritt schon unmittelbar nach der letzten Tathandlung vorhanden war (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09 Rz. 2, [X.], 146) und nicht erst durch später hinzu tretende Umstände entstanden ist. Dies hat das [X.] bei seiner Würdigung nicht in ausreichendem Maß bedacht.

8

So hat es die Frage, ob der Angeklagte S. seine Befürchtung, der Geschädigte könne sterben, erst dann zum Ausdruck gebracht hat, nachdem ihm von einer Freundin mitgeteilt worden war, dass sich der Geschädigte im Krankenhaus befinde, ausdrücklich offen gelassen. Hiermit hätte sich das [X.] aber auseinandersetzen müssen. Der Angeklagte S. war unmittelbar nach dem Sturz des Geschädigten bei diesem im [X.] und zerrte ihn in einen Nebenraum. Dies wäre, was das [X.] nicht erörtert hat, jedoch nicht nötig gewesen, wenn er davon ausgegangen wäre, dass sich der Geschädigte bereits durch den Sturz lebensgefährliche Verletzungen zugezogen hätte. In diesem Fall hätte er ihn einfach am Fuß der [X.]treppe liegen lassen und die [X.]tür verschließen können. Dies hätte ausgereicht, um eine baldige Entdeckung der Tat zu verhindern.

9

In diesem Zusammenhang sind die Feststellungen zu dem tatsächlichen Geschehen im unmittelbaren [X.] an den Sturz des Geschädigten zudem unklar. Im Urteil wird nicht ausgeführt, welche Reaktionen der Geschädigte hierbei zeigte. Wäre er für einige Augenblicke bewusstlos gewesen, könnte dies bei dem Angeklagten S. für die Vorstellung von einem möglichen Tod des Geschädigten sprechen. Dagegen könnte eine solche Vorstellung zweifelhaft sein, wenn der Geschädigte auch nach dem Sturz noch deutliche [X.] gezeigt hätte, wenn er etwa laut geschrien oder sich gegen das Verbringen in [X.]raum trotz seiner Fesselung im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Wehr gesetzt hätte. Auch hiermit hätte sich das [X.] auseinandersetzen müssen.

Hinzu kommt, dass die Feststellungen auch die Annahme nicht hinreichend nahe legen, der Angeklagte S. sei hinsichtlich der Folgen seiner Handlungen, insbesondere eines möglichen Todes des Geschädigten, gleichgültig gewesen. Denn der Angeklagte S. hatte noch wenige Augenblicke, bevor er den Geschädigten die Treppe hinunter stieß, weitere schwerwiegende Gewalthandlungen durch den Angeklagten D. noch mit den Worten "[X.] ihn noch um" verhindert. Warum der Angeklagte S. nun innerhalb kurzer Zeit seine Meinung geändert haben und sich nach dem Stoß keine Gedanken mehr um das Überleben des Geschädigten gemacht haben sollte, ist aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich. Angesichts der dargelegten Umstände kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass die von dem Angeklagten S. geäußerte Befürchtung, der Geschädigte könne sterben, erst nachträglich durch die Kenntnis von dem Krankenhausaufenthalt des Geschädigten entstanden ist und nicht die Vorstellungen des Angeklagten unmittelbar nach der letzten Ausführungshandlung wiedergibt. Dies hätte das [X.] bei seiner Beweiswürdigung berücksichtigen müssen.

3. Die Verurteilung der beiden Angeklagten wegen versuchten Mordes hat demnach keinen Bestand. Der [X.] kann den Schuldspruch nicht auf einen besonders schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung umstellen. Es kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass aufgrund neuer Feststellungen ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch rechtsfehlerfrei verneint werden kann.

[X.]                                     Wahl                                        Graf

                   Jäger                                        Sander

Meta

1 StR 537/10

11.01.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Augsburg, 5. Mai 2010, Az: KLs 401 Js 119430/09, Urteil

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 24 Abs 2 StGB, § 25 Abs 2 StGB, § 211 StGB, § 212 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.01.2011, Az. 1 StR 537/10 (REWIS RS 2011, 10614)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10614

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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