Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.09.2020, Az. IX B 109/19

9. Senat | REWIS RS 2020, 3557

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Gegenstand

(Nichtzulassungsbeschwerde: Verfahrensmangel (Verletzung der Sachaufklärungspflicht, § 76 Abs. 1 FGO))


Leitsatz

1. NV: Von den Verfahrensbeteiligten angebotene Beweise muss das FG grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will. Auf die beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel unerreichbar ist oder wenn das Beweismittel unzulässig oder absolut untauglich ist. Zudem ist das FG nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen.

2. NV: Hingegen steht die Zuziehung eines Sachverständigen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Das dem Tatsachengericht bei der Einholung von Sachverständigengutachten nach § 82 FGO i.V.m. § 404 ZPO zustehende Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 14.11.2019 - 3 K 223/16 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Gründe

1

Die Beschwerde ist begründet.

2

Es liegt ein von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des Finanzgerichts ([X.]) beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 [X.]O).

3

1. Das [X.] hat seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 [X.]O, dazu unter a) verletzt, indem es die Behandlung der Zuschüsse der [X.] nicht weiter aufgeklärt hat (dazu unter b). Entsprechendes gilt für die Annahme des [X.], die Klägerin sei nur bis September 2004 Gesellschafterin der Z-GmbH gewesen (dazu unter c). Hingegen greift die Rüge mangelnder Sachaufklärung --soweit sie den Umfang der tatsächlich ausgeführten Bauarbeiten [X.] nicht durch (dazu unter d).

4

a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Das Gericht ist dabei an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 76 Abs. 1 Satz 5 [X.]O). Das gilt aber nur in dem Sinne, dass das [X.] von sich aus auch Beweise erheben kann, die von den Parteien nicht angeboten sind. Von den Verfahrensbeteiligten angebotene Beweise muss das [X.] grundsätzlich erheben, wenn es einen Verfahrensmangel vermeiden will. Auf die beantragte Beweiserhebung kann es im Regelfall nur verzichten, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist, wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel unerreichbar ist oder wenn das Beweismittel unzulässig oder absolut untauglich ist. Zudem ist das [X.] nicht verpflichtet, unsubstantiierten Beweisanträgen nachzugehen (vgl. nur Beschluss des [X.] --BFH-- vom 22.06.2016 - III B 134/15, [X.], 1571, Rz 11, m.w.N.; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 115 Rz 310 "Beweisantrag").

5

Während das [X.] die von den Verfahrensbeteiligten angebotenen Beweise grundsätzlich erheben muss, steht die Zuziehung eines Sachverständigen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Das dem [X.] bei der Einholung von Sachverständigengutachten nach § 82 [X.]O i.V.m. § 404 der Zivilprozessordnung (ZPO) zustehende Ermessen wird nur dann [X.] ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. [X.] vom 02.08.2016 - IX B 46/16, [X.], 1744, Rz 3; Gräber/Ratschow, a.a.[X.], § 115 Rz 310 "Sachverständiger").

6

b) Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin zu Recht gerügt, das [X.] habe den Sachverhalt bezüglich der Berücksichtigung der Zuschüsse der [X.] nicht hinreichend aufgeklärt.

7

aa) Dabei sei der Sachverhalt unter Berücksichtigung der von ihr, der Klägerin, freiwillig erstellten Buchführung aufklärbar. Ein Einblick in die Buchführung nebst der zugrunde liegenden Belege hätte sich aufdrängen müssen, denn dort seien alle bezahlten Beträge einzeln gebucht worden, und zwar Zuschüsse und [X.] getrennt. Dementsprechend hätte das [X.] anhand der Buchführung und der Belege die Höhe des Zuschusses und der [X.] sowie den Umstand, dass nur der saldierte Betrag in der Anlage V angesetzt worden sei, erkennen können.

8

bb) Diese Rüge hat Erfolg. Zwar hat das [X.] ausgeführt, die Klägerin habe schon nicht substantiiert dargelegt und nachgewiesen, dass im Streitjahr 2004 höhere Erhaltungsaufwendungen für das Objekt [X.] als erklärt angefallen seien. Die von ihr erstellte Aufstellung zur Ermittlung der als Werbungskosten abziehbaren Erhaltungs- bzw. Instandsetzungsaufwendungen sei nicht geeignet, den Nachweis der tatsächlichen Höhe der Erhaltungsaufwendungen zu erbringen (unter [X.] (3) der Entscheidungsgründe).

9

Dem kann der [X.] jedoch nicht folgen. Denn die Klägerin hat im Klageverfahren substantiiert vorgetragen, dass den Zuschüssen Werbungskosten gegenüberstünden, mit denen diese verrechnet worden seien. So hat sie im Schriftsatz vom [X.] ausgeführt: "Die Klägerin hat gem. individueller Anlage zur Anlage V, [X.] 2004 Instandhaltungskosten von 241.555,62 [X.] gehabt, als WK in Anlage V aber nur [X.] 54.920,00 angesetzt, [X.] 6. Nicht geltend gemacht als WK wurden [X.] 186.635,62." Es hätte daher nahegelegen, dem klägerischen Vortrag nachzugehen und die Handhabung bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung für 2004 aufzuklären, z.B. durch Heranziehung der von der Klägerin (freiwillig) erstellten Buchführung und der dazugehörigen Belege.

cc) Dass die Klägerin den Verfahrensmangel in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] nicht gerügt hat, ist nicht mit einem Verlust ihres [X.]s (§ 155 [X.]O i.V.m. § 295 ZPO) verbunden. Ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht liegt trotz unterlassener Rüge vor, wenn das [X.] --wie hier-- eine konkrete Möglichkeit, den von seinem Rechtsstandpunkt aus entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären, nicht genutzt hat, obwohl sich ihm die Notwendigkeit der weiteren Aufklärung auch ohne Antrag nach Lage der Akten und dem Ergebnis der Verhandlung hätte aufdrängen müssen (vgl. nur [X.] vom 28.02.2018 - V B 145/16, [X.], 636; vom 23.10.2019 - IX B 20/19, [X.], 215; Gräber/Ratschow, a.a.[X.], § 115 Rz 290).

dd) Der Verfahrensmangel ist zudem erheblich. Es erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass das [X.] durch weitere Aufklärung des Sachverhalts zu der Erkenntnis gelangt wäre, dass die Zuschüsse der [X.] (durch Saldierung mit Werbungskosten) bereits einkünfteerhöhend berücksichtigt worden sind.

c) Ferner hat die Klägerin zu Recht beanstandet, das [X.] habe weitere Ermittlungen zur Gesellschafterstellung der Klägerin anstellen müssen.

aa) Die Klägerin hat vorgebracht, das [X.] habe den Sachverhalt aufklären und Beweis erheben müssen durch Einsicht in den Treuhandvertrag, das Handelsregister und die Gesellschafterliste. Das hätte sich dem [X.] aufdrängen müssen, weil die Gesellschafterstellung, insbesondere ihr Beginn, entscheidungserheblich gewesen sei und sich aus den Akten ergeben habe. Ebenso hätte das [X.] den Zeitpunkt des [X.] feststellen müssen; die Liquidationsunterlagen, Bilanzen etc. hätten vorgelegen.

bb) Auch dem ist zu folgen. Der [X.] kann dem [X.] in seiner Einschätzung, die Klägerin habe weder substantiiert dargelegt noch nachgewiesen, dass sie ihre Geschäftsanteile im September 2004 nur zu treuen Händen auf die Erwerberin übertragen habe (unter II.3. der Entscheidungsgründe), nicht folgen. Vielmehr ergibt sich aus dem als Anlage [X.] 9 zum Schriftsatz vom 30.10.2019 von der Klägerin übersandten Beschluss des [X.], dass die Klägerin bis zur Löschung der Z-GmbH einzige Gesellschafterin der Gesellschaft war (vgl. dazu auch den als Anlage [X.] zum Schriftsatz vom [X.] übersandten Treuhandvertrag vom 10.09.2004, der zwar erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung übersandt worden ist, aber bereits zusammen mit der [X.] beurkundet worden war). Dem hätte das [X.] nachgehen und den Sachverhalt weiter aufklären müssen.

cc) Die Klägerin hat ihr [X.] nicht durch [X.] Einlassen in der mündlichen Verhandlung verloren. Die weitere Sachverhaltsaufklärung hätte sich dem [X.] aufdrängen müssen.

dd) Das angefochtene Urteil kann auch auf der unterbliebenen weiteren Sachaufklärung beruhen. Es erscheint nicht fernliegend, dass die Anteile an der Z-GmbH der Klägerin in den Streitjahren weiterhin steuerlich zuzurechnen waren. Zudem ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin im Zuge der Liquidation der Z-GmbH mit (Darlehens-)Forderungen gegenüber der Gesellschaft ausgefallen ist und dass diese nach den [X.] Streitfall weiterhin anwendbaren (s. [X.]surteil vom 11.07.2017 - IX R 36/15, [X.], 427, BStBl II 2019, 208)-- Grundsätzen zur Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen im Rahmen des § 17 Abs. 1, 4 des Einkommensteuergesetzes (nach Abschluss der [[X.]) zu berücksichtigen sind.

d) Der [X.] lässt es dahinstehen, ob mit dem weiteren Vorbringen der Klägerin, das [X.] hätte den Umfang der Bauarbeiten (durch Sachverständigengutachten und Auswertung des sichergestellten Fotokonvoluts) aufklären müssen, eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht ausreichend dargelegt worden ist. Dem könnte entgegenstehen, dass das [X.] seine Entscheidung auch damit begründet hat, dass der Werbungskostenabzug ausscheidet, weil die Klägerin keine Nachweise über die Zahlung der streitigen Rechnungsbeträge vorgelegt hat. Angesichts der umfangreichen weiteren Begründung des [X.] vermag der [X.] indes nicht zu erkennen, ob diese Begründung die Entscheidung des [X.] alleine getragen hätte.

2. Der [X.] hält es für sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 [X.]O zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

4. Von einer Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der [X.] gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2  2. Halbsatz [X.]O ab.

Meta

IX B 109/19

15.09.2020

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 14. November 2019, Az: 3 K 223/16, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 82 FGO, § 404 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.09.2020, Az. IX B 109/19 (REWIS RS 2020, 3557)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3557

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