Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.11.2021, Az. 1 StR 215/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2021, 1385

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Gegenstand

Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen: Eintritt des Taterfolgs; versuchte Steuerhinterziehung nach Kenntnis von der Einleitung eines Strafverfahrens


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. Januar 2021 aufgehoben

a) im Fall [X.]) 5. der Urteilsgründe (Hinterziehung der Einkommensteuer für das [X.]) mit den diesbezüglichen Feststellungen;

b) im Ausspruch über die in den Fällen [X.]) 1. bis 4. der Urteilsgründe (Hinterziehung der Einkommensteuer für die Jahre 2010 bis 2013) verhängten Einzelstrafen und im Ausspruch über die Gesamtstrafe;

c) im Ausspruch über die Einziehung, soweit die Einziehung des Wertes von Taterträgen einen Betrag von 223.969,10 Euro übersteigt.

2.Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3.Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.203.744,31 Euro angeordnet.

2

Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen und formellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3

Nach den Feststellungen des [X.]s war der zum Schein in [X.] gemeldete, aber in [X.] lebende Angeklagte geschäftsführender Alleingesellschafter der [X.], deren Unternehmenssitz formell in [X.] eingetragen war, tatsächlich jedoch in [X.] lag. Über diese Gesellschaft erbrachte der Angeklagte in den Jahren 2010 bis 2014 - teilweise mittels unterbeauftragter „Freelancer“ - [X.] für verschiedene inländische Unternehmen, insbesondere für die [X.]     , von deren Geschäftssitz in M.     aus er auch die Geschäfte der [X.] führte. Die Leistungen für die [X.]      stellte er für die [X.] unter Hinweis auf das Reverse-Charge-Verfahren ohne Umsatzsteuer in Rechnung.

4

In dem Bestreben, von der günstigeren Besteuerung in [X.] zu profitieren, ließ sich der Angeklagte unter Vorspiegelung eines dortigen Wohn- und Unternehmenssitzes einkommensteuerlich in [X.] veranlagen. In [X.] gab er dagegen für die Jahre 2010 bis 2014 weder für sich noch für die [X.] Steuererklärungen ab. Durch die Nichtabgabe der Steuererklärungen verkürzte er nach den Berechnungen des [X.]s für die [X.] bis 2014 Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt 1.203.744,31 Euro, wovon 979.775,21 Euro auf das [X.] entfielen, sowie bei der [X.] angefallene Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 2.391.197,01 Euro. Die Veranlagungsarbeiten des für die Festsetzung der Einkommensteuer zuständigen Finanzamts waren für das [X.] am 22. November 2015 und für das [X.] am 12. Februar 2017 im Wesentlichen abgeschlossen.

II.

5

Die Revision des Angeklagten ist teilweise begründet.

6

1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den in der Zuschrift des [X.] genannten Gründen ohne Erfolg.

7

2. Die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung aufgrund unterlassener Abgabe der Einkommensteuererklärung für das [X.] (Fall [X.]) 5. der Urteilsgründe) hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Schuldspruch wegen vollendeter Hinterziehung der Einkommensteuer (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) wird für das [X.] von den getroffenen Feststellungen nicht getragen, weil hiernach unklar bleibt, ob dem Angeklagten die Einleitung des Ermittlungsverfahrens wegen Hinterziehung der Einkommensteuer bezüglich des Veranlagungszeitraums 2014 vor Abschluss der Veranlagungsarbeiten am 12. Februar 2017 bekannt gegeben wurde und daher dessen Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2014 strafrechtlich suspendiert war.

8

a) Bei der Hinterziehung von [X.] durch Unterlassen tritt - sofern nicht vorher ein Schätzungsbescheid ergangen ist - der Taterfolg der Steuerverkürzung zu dem [X.]punkt ein, zu dem die Veranlagung stattgefunden hätte, wenn die Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht worden wäre; dies ist spätestens dann der Fall, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart und den betreffenden [X.]raum im Wesentlichen abgeschlossen hat (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 19. Januar 2011 - 1 [X.] Rn. 8 und vom 28. Oktober 1998 - 5 StR 500/98 Rn. 3; jew. mwN).

9

b) Nach den getroffenen Feststellungen waren die Veranlagungsarbeiten für den Veranlagungszeitraum 2014 am 12. Februar 2017 im Wesentlichen abgeschlossen. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist zu besorgen, dass dem Angeklagten in der [X.] vor Abschluss der Veranlagungsarbeiten für den Veranlagungszeitraum 2014 die Einleitung eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens - auch wegen Hinterziehung von Einkommensteuer für das [X.] - zur Kenntnis gelangt ist, etwa durch eine Durchsuchung.

c) Sollte der Angeklagte bereits vor Abschluss der Veranlagungsarbeiten für im Wesentlichen das [X.] und damit vor Tatvollendung Kenntnis von dem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren erlangt haben, wäre wegen des Verbots des Zwangs zur Selbstbelastung („nemo tenetur“) die Erklärungspflicht für die das [X.] betreffende Einkommensteuererklärung suspendiert gewesen; der Angeklagte wäre daher nur wegen Versuchs (§ 370 Abs. 2 [X.], §§ 22, 23 StGB) - und nicht, wie vom [X.] angenommen, wegen Vollendung - zu bestrafen (vgl. [X.], Beschluss vom 1. Juni 2021 - 1 [X.] Rn. 8 mwN).

3. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall [X.]) 5. der Urteilsgründe entzieht der insoweit verhängten [X.], dem Ausspruch über die Gesamtstrafe sowie der [X.], soweit sie sich auf die in diesem Fall erlangte Steuerersparnis bezieht, die Grundlage. Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine neue in sich stimmige Strafzumessung bezüglich der die Hinterziehung von Einkommensteuer betreffenden Taten zu ermöglichen, hebt der Senat auch die in den Fällen [X.]) 1. bis 4. der Urteilsgründe verhängten [X.]n auf.

4. Die dem Schuldspruch im Fall [X.]) 5. der Urteilsgründe zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem zur Aufhebung führenden Rechtsfehler berührt, so dass diese ebenfalls aufzuheben sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Übrigen haben die Feststellungen Bestand.

Raum     

        

     Jäger     

        

Hohoff

        

Ri[X.] [X.] befindet
sich im Urlaub und ist
deshalb an der Unterschrift
gehindert.

                          
        

Raum   

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 215/21

03.11.2021

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Saarbrücken, 5. Januar 2021, Az: 2 KLs 5 Js 461/16

§ 370 Abs 1 AO, § 22 StGB, § 23 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.11.2021, Az. 1 StR 215/21 (REWIS RS 2021, 1385)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1385

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