Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.10.2022, Az. 1 StR 269/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 6395

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Gegenstand

Strafzumessung im Steuerstrafverfahren: Steuerhinterziehung in Millionenhöhe; Verschleierung durch Einschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft und Vortäuschen eines Auslandswohnsitzes


Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 21. April 2022 aufgehoben

a) im Ausspruch über die im Fall III. 2. der Urteilsgründe (Hinterziehung der Einkommensteuer für das [X.]) verhängte Einzelstrafe;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.203.744,31 Euro angeordnet. Auf seine Revision hatte der Senat das landgerichtliche Urteil mit Beschluss vom 3. November 2021 (1 [X.]) in einem Fall der Steuerhinterziehung (Hinterziehung der Einkommensteuer für das [X.]) mit den diesbezüglichen Feststellungen aufgehoben, daneben auch im Ausspruch über die in vier Fällen (Hinterziehung der Einkommensteuer für die Jahre 2010 bis 2013) verhängten [X.]n und die Gesamtstrafe. Auch im Ausspruch über die Einziehung hatte das landgerichtliche Urteil im ersten Rechtsgang, soweit diese einen Betrag von 223.969,10 Euro überstieg, keinen Bestand. Im Umfang der Aufhebung hatte der Senat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer zurückverwiesen; im Übrigen hatte er die Revision des Angeklagten verworfen.

2

Im zweiten Rechtsgang hat das [X.] den Angeklagten über den rechtskräftigen Schuldspruch der Steuerhinterziehung in neun Fällen hinaus wegen versuchter Steuerhinterziehung verurteilt und gegen ihn auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren erkannt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf den Strafausspruch beschränkten Revision, die sie auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts stützt. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg.

I.

3

1. Nach den im ersten Rechtsgang getroffenen und von der Aufhebung nicht betroffenen Feststellungen war der zum Schein in [X.] gemeldete, aber in [X.] lebende Angeklagte geschäftsführender Alleingesellschafter der [X.], deren Unternehmenssitz formell in [X.] eingetragen war, tatsächlich jedoch in [X.] lag. Über diese Gesellschaft erbrachte er in den Jahren 2010 bis 2014 – teilweise mittels unterbeauftragter „Freelancer“ – [X.] für verschiedene inländische Unternehmen, insbesondere für die E.    Handelsgesellschaft H.        , von deren Geschäftssitz in M.         aus er auch die Geschäfte der [X.] führte. Die Leistungen für die [X.]      stellte er für die [X.] unter Hinweis auf das Reverse-ChargeVerfahren ohne Umsatzsteuer in Rechnung.

4

In dem Bestreben, von der günstigeren Besteuerung in [X.] zu profitieren, ließ sich der Angeklagte unter Vorspiegelung eines dortigen Wohn- und Unternehmenssitzes einkommensteuerlich in [X.] veranlagen, wobei er zur Verschleierung seiner Absichten die Gesellschaft nicht als „Domizilgesellschaft“ eintragen ließ. In [X.] gab er dagegen weder für sich noch für die [X.] für die Jahre 2010 bis 2013 eine Steuererklärung ab. Durch die Nichtabgabe der Steuererklärungen verkürzte er für die [X.] bis 2013 Einkommensteuer und [X.] in Höhe von 223.969,10 Euro sowie für die [X.] bis 2014 von der [X.] geschuldete Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 2.391.197,01 Euro.

5

2. Nach den vom [X.] im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen gab der weiterhin in [X.] lebende Angeklagte, der im [X.] als Geschäftsführer der [X.] aus nichtselbständiger Tätigkeit 64.038 Euro erwirtschaftete und dem daneben in diesem Jahr aus Gewinnausschüttungen der [X.] Kapitalerträge in Höhe von 3.648.192 Euro zuflossen, auch für den Besteuerungszeitraum 2014 in [X.] keine Einkommensteuererklärung ab. Am 13. Oktober 2016 – noch vor Abschluss der wesentlichen Veranlagungsarbeiten für das [X.] am 12. Februar 2017 – wurde dem Angeklagten die Einleitung des gegen ihn in der Sache geführten Strafverfahrens bekanntgegeben. Bei ordnungsgemäßer Erklärung hätte er für den Besteuerungszeitraum 2014 Einkommensteuer in Höhe von 928.756 Euro und [X.] in Höhe von 51.019,21 Euro abführen müssen (Fall III. 2. der Urteilsgründe; vormals Fall [X.]) 5.).

6

3. Das [X.] hat gegen den Angeklagten im zweiten Rechtsgang aus dem [X.] des § 370 Abs. 1 AO, dabei in den Fällen, in denen der Angeklagte Einkommensteuer in Höhe von mindestens 50.000 Euro verkürzte bzw. solches im letzten Fall mit einem Betrag von fast einer Millionen Euro versuchte, unter Verneinung der Indizwirkung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO Einzelfreiheitsstrafen von zweimal fünf Monaten (Fälle III. 1.1. und 4. der Urteilsgründe), zweimal acht Monaten (Fälle III. 1.2. und 3. der Urteilsgründe) sowie einem Jahr und sechs Monaten (Fall III. 2. der Urteilsgründe) verhängt; diese sowie die rechtskräftigen [X.]n für die Fälle der Umsatzsteuerhinterziehung in den Jahren 2010 bis 2014 von zweimal drei Monaten, sechs Monaten, acht Monaten sowie einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe hat es auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zusammengeführt.

II.

7

Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung der im zweiten Rechtsgang im Fall III. 2. der Urteilsgründe verhängten Einsatzstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe sowie des Gesamtstrafenausspruchs.

8

1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Strafausspruch beschränkt. Zwar hat die Beschwerdeführerin beantragt, das Urteil „hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs“ aufzuheben. Mit diesem Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der [X.] nicht in Einklang, der zufolge die Staatsanwaltschaft ausschließlich die Strafzumessung beanstandet. Widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung, ist unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 [X.] das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 12. Mai 2021 – 5 [X.] Rn. 10 mwN). Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung versteht der Senat das [X.] dahin, dass die Staatsanwaltschaft sich allein gegen den Strafausspruch wendet und mit ihrem Rechtsmittel die Entscheidung des [X.]s, im Fall III. 2. der Urteilsgründe (vormals Fall [X.]) 5.) keine Einziehung anzuordnen (vgl. dazu [X.], Urteil vom 8. März 2022 – 1 [X.]/21 Rn. 25-28), nicht angreifen will.

9

2. Der Strafausspruch hält im tenorierten Umfang – auch in Anbetracht des eingeschränkten [X.] (vgl. nur [X.], Urteil vom 22. März 2022 – 1 [X.] Rn. 5 mwN) – rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sowohl die [X.] als auch die Bemessung der [X.] im Fall III. 2. der Urteilsgründe genügt nicht dem vom Senat aufgestellten Grundsatz, wonach bei der Hinterziehung von Steuern in Millionenhöhe eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei besonders gewichtigen Milderungsgründen in Betracht kommt (vgl. [X.], Urteile vom 7. Februar 2012 – 1 [X.], [X.]St 57, 123 Rn. 29 und vom 2. Dezember 2008, [X.]St 53, 71 Rn. 42; jeweils mwN).

Diese Rechtsprechung hat das [X.] nur bei der Gesamtstrafe in den Blick genommen ([X.]). Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, warum die letzte Tat mit einem angestrebten Hinterziehungsbetrag von nahezu einer Million Euro ein dem Grundtatbestand der Steuerhinterziehung unterworfener „Normalfall“ sein soll. Insbesondere angesichts des festgestellten [X.] fehlt es insgesamt an Milderungsgründen von besonderem Gewicht. Mit seiner in [X.] zu [X.] angemeldeten Kapitalgesellschaft hat der Angeklagte eine Struktur aufgebaut, die auch der Bereicherung durch Steuerhinterziehung dienen sollte; zudem hat er das Ziel verfolgt, das Steueraufkommen durch wiederholte Tatbegehung über einen längeren Zeitraum nachhaltig zu schädigen und durch die gezielte Gründung einer Auslandsgesellschaft einen schwer aufklärbaren Sachverhalt geschaffen (vgl. zu alledem [X.], Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 [X.], [X.]St 53, 71 Rn. 47).

3. Die Aufhebung der im Fall III. 2. der Urteilsgründe verhängten [X.] entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage. Die von der [X.] für die Hinterziehung der Einkommensteuer für die Jahre 2010 bis 2013 verhängten [X.]n – in diesen Fällen hinterzog der Angeklagte jeweils Einkommensteuer im lediglich mittleren fünfstelligen Bereich – bleiben hiervon unberührt; insoweit hat weder die Staatsanwaltschaft durchgreifende Rechtsfehler aufgezeigt noch sind solche sonst ersichtlich.

4. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da diese von dem Rechtsfehler, der zu der [X.] geführt hat, nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).

Jäger     

  

Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. [X.] ist urlaubsbedingt
gehindert zu unterschreiben.

  

Wimmer

 

 

Jäger

 

 

  

Leplow     

  

     Pernice     

  

Meta

1 StR 269/22

19.10.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Saarbrücken, 21. April 2022, Az: 8 KLs 1/22

§ 370 Abs 1 Nr 1 AO, § 370 Abs 3 S 2 Nr 1 AO, § 46 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.10.2022, Az. 1 StR 269/22 (REWIS RS 2022, 6395)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6395

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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