Bundessozialgericht, Urteil vom 04.04.2019, Az. B 8 SO 11/17 R

8. Senat | REWIS RS 2019, 8534

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Jugendhilfeträgers gegen den vorrangig verpflichteten Sozialhilfeträger - Ausschlussfrist


Leitsatz

1. Besteht ein Erstattungsanspruch des erstangegangenen, aber nur nachrangig verpflichteten Trägers der Rehabilitation, richtet sich die Berechnung der Ausschlussfrist, innerhalb der dieser Anspruch geltend zu machen ist, nach dem Recht des für die Leistung originär zuständigen, erstattungspflichtigen Trägers.

2. Nach dem Recht der Eingliederungshilfe beginnt der Lauf der Ausschlussfrist auch bei zeitabschnittsweisen Bewilligungen erst, wenn das Teilhabeziel erreicht und die Rehabilitationsmaßnahme damit abgeschlossen ist.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. Juni 2017 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 108 473,72 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Im Streit ist im Revisionsverfahren noch die Erstattung von Leistungen der Eingliederungshilfe in [X.]öhe von 4704,09 Euro, die die [X.]lägerin im Juli 2009 zu Gunsten des Leistungsberechtigten M [X.] (im Folgenden [X.]) erbracht hat.

2

Der 1998 geborene [X.] ist wegen einer hochgradigen [X.]örminderung schwerbehindert (Gd[X.] von 100, Merkzeichen G, [X.], [X.] und [X.]) und mit einem [X.] Implantat versorgt; verursacht durch die hochgradige Schwerhörigkeit besteht ein allgemeiner Entwicklungsrückstand und eine Sprachentwicklungsstörung. Er besuchte ab 2004 zunächst eine Förderschule und später ein Internat jeweils mit dem Förderschwerpunkt [X.]ören und [X.]ommunikation. An den Wochenenden lebte er bei seiner Mutter im Stadtgebiet der [X.]lägerin. Nachdem es immer wieder zu erheblichen familiären [X.]onflikten gekommen war, bewilligte das Jugendamt der [X.]lägerin vom [X.] an stationäre [X.]ilfe zur Erziehung nach §§ 29, 34 Sozialgesetzbuch Achtes [X.]uch - [X.]inder- und Jugendhilfe - (SG[X.] VIII). [X.] war seither in einer Wohngruppe mit dem Schwerpunkt [X.]ören und [X.]ommunikation in [X.] untergebracht, wo er auch die Wochenenden verbringen konnte, und besuchte die dortige Förderschule. Die [X.]lägerin erteilte der Einrichtung ua eine "bis auf Weiteres" geltende [X.]ostenzusage (vom [X.]) auf Grundlage eines Entgeltsatzes von 149,66 Euro pro Tag zuzüglich einer täglichen [X.]ekleidungspauschale in [X.]öhe von 1,23 Euro und einem monatlichen Taschengeld ua für Juli 2009 in [X.]öhe von 26,50 Euro; daneben übernahm sie [X.]osten für einen Gebärdensprachdolmetscher. In der Folge erteilte sie der Einrichtung weitere [X.]ostenzusagen. Ab August 2009 zahlte der Vater einen [X.]ostenbeitrag.

3

Mit Schreiben vom 14.9.2012 bat die [X.]lägerin den [X.]eklagten um "Übernahme" des Falles in dessen Zuständigkeit und machte für die [X.] ab dem [X.] einen Erstattungsanspruch gemäß § 104 Zehntes [X.]uch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SG[X.] X) geltend. Der [X.]eklagte erstattete die [X.]osten für die [X.] ab 1.9.2011 und bewilligte Leistungen der stationären Eingliederungshilfe vom 1.1.2014 an. Die Erstattung der übrigen [X.]osten lehnte er unter [X.]inweis auf die Ausschlussfrist des § 111 SG[X.] X ab. Auf die Einrede der Verjährung verzichtete er (Schreiben vom 12.12.2013).

4

Die [X.]lage auf Zahlung von (zuletzt) 108 473,72 Euro für die [X.] vom [X.] bis zum 31.12.2010 hat in beiden Instanzen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.6.2015; Urteil des Landessozialgerichts <[X.]> Nordrhein-Westfalen vom [X.]). Das [X.] hat zur [X.]egründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Erstattungsanspruch bestehe auf Grundlage von § 104 SG[X.] X, weil die [X.]lägerin nach § 10 Abs 4 Satz 2 SG[X.] VIII nachrangig gegenüber dem beklagten Träger der Eingliederungshilfe verpflichtet gewesen sei. Der Erstattungsanspruch sei auch rechtzeitig iS des § 111 Satz 1 SG[X.] X geltend gemacht worden. Die erbrachte "Leistung" sei eine solche der Jugendhilfe. Die Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SG[X.] X für die Geltendmachung eines jugendhilferechtlichen [X.]ostenerstattungsanspruchs beginne nach der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts ([X.]VerwG) erst mit dem Ablauf des letzten Tages, an dem die jeweilige (Gesamt-)Leistung im Sinne der jeweiligen Vorschriften erbracht worden sei. Dies sei hier die [X.]eimerziehung, die während des gesamten Aufenthalts in der Wohngruppe unverändert durchgeführt worden sei.

5

Der [X.]eklagte rügt mit der Revision die Verletzung von § 111 SG[X.] X. Die Rechtsprechung des [X.]VerwG zu [X.] nach §§ 89 ff SG[X.] VIII sei auf das Verhältnis zwischen Jugendhilfeträger und Sozialhilfeträger nicht übertragbar. Entscheidend müsse der Leistungsbegriff des [X.] sein. Es handele sich um eine wiederkehrende Leistung, sodass nach Ablauf des jeweiligen Leistungszeitraums, der durch die monatliche Abrechnung mit dem Leistungserbringer gekennzeichnet sei, sukzessive die Frist zu laufen beginne.

6

Der [X.]eklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 12. Juni 2017 und des [X.] vom 16. Juni 2015 aufzuheben und die [X.]lage abzuweisen.

7

Die [X.]lägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ). Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass die [X.]lägerin einen Anspruch auf Erstattung der [X.]osten für Leistungen hat, die sie an [X.] im Juli 2009 erbracht hat.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der von der [X.]lägerin statthaft im Wege der allgemeinen Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) verfolgte Anspruch auf [X.]ostenerstattung für Leistungen der Eingliederungshilfe, die sie an [X.] im Juli 2009 in Höhe von 4704,09 Euro erbracht hat. Soweit das [X.] den Beklagten für die [X.] bis zum 31.12.2010 zur Zahlung von (weiteren) 103 769,63 Euro verurteilt hat, haben die Beteiligten im Revisionsverfahren einen sog [X.] entsprechend dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens geschlossen. Über diese Ansprüche hat der [X.] daher keine Entscheidung mehr zu treffen.

Anspruchsgrundlage für den klägerischen Erstattungsanspruch ist § 104 Abs 1 Satz 1 [X.] (idF des [X.] vom [X.], [X.] 1983) iVm § 14 [X.] behinderter Menschen - (<[X.]>; hier idF des [X.] schwerbehinderter Menschen vom 23.4.2004, [X.] 606). Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 [X.] vorliegen, ist nach § 104 Abs 1 Satz 1 [X.] der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der vorrangig verpflichtete Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers [X.]enntnis erlangt hat. So liegt der Fall hier.

Die [X.]lägerin ist nachrangig verpflichteter Leistungsträger. Sie hat auf den [X.] hin ihre Zuständigkeit gegenüber [X.] geprüft und bejaht. Eine Weiterleitung innerhalb der Frist des § 14 Abs 1 Satz 1 [X.] ist dementsprechend nicht erfolgt. In solchen Fällen hat der erstangegangene Träger den notwendigen Rehabilitationsbedarf unabhängig davon zu erbringen, ob ein anderer Rehabilitationsträger zuständig gewesen wäre. Für das [X.] zwischen den Trägern begründet § 14 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 1 und 2 [X.] damit eine nachrangige Zuständigkeit des [X.] Trägers, wenn er nach den Zuständigkeitsregelungen außerhalb von § 14 [X.] unzuständig, ein anderer Träger aber zuständig gewesen wäre. Dies ermöglicht es, dass der erstangegangene Rehabilitationsträger im Rahmen eines Erstattungsstreits sich die [X.]osten der Rehabilitationsmaßnahme nach § 104 Abs 1 Satz 1 [X.] vom vorrangig zuständigen Rehabilitationsträger erstatten lässt (stRspr; vgl nur [X.] vom 26.6.2007 - B 1 [X.]R 34/06 R - [X.], 267 = [X.]-3250 § 14 [X.], Rd[X.] 9 ff).

Für die Anwendung des § 14 Abs 1 und 2 [X.] genügt es, dass die [X.]lägerin (jedenfalls) als örtlich und sachlich zuständige Trägerin der Jugendhilfe (§ 69 Abs 1 [X.] iVm § 2 Erstes Gesetz zur Ausführung des [X.]inder- und Jugendhilfegesetzes und § 1 der Verordnung über die Bestimmung Großer kreisangehöriger Städte und Mittlerer kreisangehöriger Städte zu örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe vom 8.11.1991 - Gesetz- und Verordnungsblatt NW 598) nach § 6 Abs 1 [X.] 6 [X.] eine Rehabilitationsträgerin ist und [X.]en erbracht hat. Bei der von ihr erbrachten Maßnahme handelte es sich in der Sache um eine [X.]. Auf Grundlage der bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) lag bei [X.] zumindest auch eine körperlich wesentliche Behinderung durch die hochgradige Schwerhörigkeit vor (vgl § 1 [X.] 5 Eingliederungshilfe-Verordnung ). Die Unterbringung in der Wohngruppe war nach seinen Feststellungen auf die Entwicklung des [X.] gerade als hörgeschädigtes und in seiner allgemeinen und sprachlichen Entwicklung gestörtes [X.]ind ausgerichtet. Die [X.] in einer spezialisierten Fördereinrichtung für hörgeschädigte [X.]inder und Jugendliche ist damit von Beginn an sowohl als notwendige Hilfe zur Erziehung als auch als Rehabilitationsmaßnahme erfolgt. § 14 [X.] ist auch im Verhältnis solcher Rehabilitationsträger anwendbar, die - die Regelungen des § 14 [X.] hinweggedacht - in einem Vorrang-/Nachrangverhältnis (hier nach § 10 Abs 4 [X.] [X.]; dazu sogleich) stehen können (vgl BSG vom 25.9.2014 - [X.] [X.] 7/13 R - [X.], 53 = [X.]-3500 § 54 [X.] 13, Rd[X.] 21; BSG vom 26.10.2017 - [X.] [X.] 12/16 R - [X.]-1750 § 524 [X.] 1 Rd[X.] 18). Eine zielgerichtete Zuständigkeitsanmaßung durch die [X.]lägerin, die die Erstattung nach § 104 [X.] ausschlösse, ist auf der Grundlage der den [X.] bindenden Feststellungen des [X.] nicht gegeben.

[X.] hatte vorrangig einen Anspruch auf Eingliederungshilfe in der Wohngruppe gegen den Beklagten gemäß §§ 53, 54 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ([X.]) iVm § 55 Abs 2 [X.] 6 [X.]. Dieser war für die erbrachten Leistungen "eigentlich" zuständiger Leistungsträger, während für die [X.]lägerin als Jugendhilfeträgerin nur eine nachrangige Verpflichtung bestand. Für Leistungen der Eingliederungshilfe an körperlich oder geistig behinderte [X.]inder und Jugendliche ergibt sich nämlich aus § 10 Abs 4 [X.] [X.] (in der hier maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des [X.] vom 14.12.2006, [X.] 3134) eine gegenüber Leistungen nach dem [X.] vorrangige Leistungsverpflichtung des nach §§ 97 f [X.] sachlich und örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers unabhängig davon, welche Behinderung im Vordergrund steht und ob für die konkrete Maßnahme eine Behinderung oder ein Erziehungsdefizit in der Herkunftsfamilie ursächlich war (vgl BSG vom 25.9.2014 - [X.] [X.] 7/13 R - [X.], 53 = [X.]-3500 § 54 [X.] 13, Rd[X.] 26 ff; [X.] vom [X.] - 5 C 3.11 - [X.]E 142, 18 = [X.] 436.511 § 10 [X.] [X.] 7, Rd[X.] 31 mwN). Für die Erbringung der Eingliederungshilfe in der Wohngruppe (§§ 53, 54 [X.] iVm § 55 Abs 2 [X.] 6 [X.]) war der Beklagte der sachlich und örtlich zuständige Sozialhilfeträger. Seine sachliche Zuständigkeit ergibt sich auf der Grundlage der Feststellungen des [X.] bei Unterbringung in einer stationären Einrichtung aus § 97 Abs 2 Satz 1 [X.] iVm § 2 Abs 1 [X.] 1 Buchst a Ausführungsverordnung zum [X.] des Landes [X.] (AV-[X.] NW vom 16.12.2004 - GVBl [X.] 816 - in der Fassung vom 11.5.2009 - GVBl [X.] 299). Seine örtliche Zuständigkeit folgt aus § 98 Abs 2 [X.]; denn [X.] hatte im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung seinen gewöhnlichen Aufenthalt im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten, der das Stadtgebiet der [X.]lägerin erfasst.

Nach §§ 53, 54 [X.] iVm § 55 Abs 2 [X.] erhalten Personen, die durch eine Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 [X.], § 1 EinglHV wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, die Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. [X.] war durch seine hochgradige Schwerhörigkeit bei einem GdB von 100 wesentlich körperlich behindert (§ 1 [X.] 5 EinglHV). Seine Unterbringung in der speziell auf hörgeschädigte [X.]inder und Jugendliche ausgerichteten Wohngruppe (Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten, § 55 Abs 2 [X.] 6 [X.]) war nach den unangegriffenen Feststellungen des [X.] angesichts des durch diese hochgradige Schwerhörigkeit verursachten [X.] mit Sprachentwicklungsstörung die geeignete Teilhabemaßnahme, da sie erwarten ließ, dass die Behinderungsfolgen gemildert und dem [X.] so die Teilhabe am Leben in der [X.] ermöglicht werde.

Der Erstattungsanspruch für Juli 2009 beträgt der Höhe nach 4704,09 Euro. In diesem Umfang hätte der Beklagte als "eigentlich" zuständiger Rehabilitationsträger Leistungen erbringen müssen. Nach den Feststellungen des [X.] sind für die von der [X.]lägerin an [X.] im Juli 2009 erbrachten Leistungen auf Grundlage der maßgeblichen Vereinbarungen [X.]osten in dieser Höhe entstanden, nämlich für 31 Tage zu einem Tagessatz in Höhe von je 149,66 Euro zuzüglich eines Bekleidungszuschusses in Höhe von täglich 1,23 Euro sowie einem monatlichen "Taschengeld" in Höhe von 26,50 Euro. Nach seinen Feststellungen sind [X.]ostenbeiträge vom Vater des [X.] im Juli 2009 nicht geleistet worden, sodass deren genaue Höhe offenbleiben konnte. [X.]osten wegen Leistungen an einen Gebärdensprachdolmetscher sind von der [X.]lägerin für Juli 2009 nicht geltend gemacht worden.

Diesem [X.]ostenerstattungsanspruch für die im Juli 2009 erbrachten Leistungen, den die [X.]lägerin im September 2012 gegenüber dem Beklagten geltend gemacht hat, steht der Ablauf der Ausschlussfrist des § 111 [X.] (in der Fassung des [X.]) nicht entgegen.

Nach § 111 [X.] ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der [X.] ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht (Satz 1). Der Lauf der Frist beginnt nach [X.] der Vorschrift frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht [X.]enntnis erlangt hat. Seit der Änderung von [X.] zum 1.1.2001 (vgl Art 10 [X.] 8 des [X.]) ist der Zeitpunkt der Entstehung des Erstattungsanspruchs, auf den [X.] bis zum 31.12.2000 für den Beginn der Ausschlussfrist abstellte, nicht mehr entscheidend. Mit dieser Änderung des Gesetzes ist - ohne dass dies in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommt (vgl BT-Drucks 14/4375 S 60) - neben das Ziel zügiger [X.]larstellung der Verhältnisse (zur ursprünglichen Gesetzesbegründung BT-Drucks 9/95 S 26) zumindest auch der Gesichtspunkt der materiellen Ausgleichsgerechtigkeit getreten (vgl nur BSG vom 10.5.2005 - B 1 [X.]R 20/04 R - [X.]-1300 § 111 [X.] 3 Rd[X.] 13; [X.] in jurisP[X.]-[X.], § 111 Rd[X.] 3, Stand Januar 2019; [X.] in [X.]/[X.], [X.], [X.] § 111 Rd[X.] 2, Stand Dezember 2013; kritisch Roller in von [X.]/Schütze, [X.], 8. Aufl 2014, § 111 Rd[X.] 2; [X.], LP[X.]-[X.], 5. Aufl 2018, § 111 Rd[X.] 2).

Vorliegend kommt nur eine Berechnung der Ausschlussfrist nach Satz 1 in Betracht. Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der [X.] anschließt, scheidet die Anwendung des Satzes 2 von vornherein aus, wenn der erstattungsverpflichtete Träger eine Entscheidung über Leistungen, wie sie der erstattungsberechtigte Träger erbracht hat, überhaupt nicht mehr treffen kann und darf (BSG vom 10.5.2005 - B 1 [X.]R 20/04 R - [X.]-1300 § 111 [X.] 3 Rd[X.] 14; ebenso [X.] vom [X.] - [X.]E 137, 368 = [X.] 435.12 § 111 [X.] [X.] 5, Rd[X.] 16; kritisch [X.], aaO, [X.] § 111 Rd[X.] 54). Ein solcher Fall liegt bei der Erbringung von Leistungen der Rehabilitation durch den [X.] Träger iS des § 14 [X.] vor. Da der erstangegangene Träger den Leistungsantrag nicht innerhalb von zwei Wochen (vgl § 14 Abs 1 Satz 1 [X.]) weitergeleitet hat, bleibt er nach § 14 [X.] im Verhältnis zum Leistungsberechtigten zuständig, auch wenn seine Zuständigkeit von Beginn an nur nachrangig war (s oben). Die in § 14 Abs 1 und 2 [X.] geregelte Zuständigkeit erstreckt sich im Außenverhältnis (behinderter Mensch/Rehabilitationsträger) auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation für Rehabilitationsträger vorgesehen sind. Eine Übernahme des [X.] durch den vorrangig verpflichteten Rehabilitationsträger ist ausgeschlossen (im Einzelnen BSG vom 1.3.2018 - [X.] [X.] 22/16 R - [X.]-3250 § 14 [X.] 28 Rd[X.] 30 - 32); für eigene Entscheidungen des erstattungsverpflichteten Trägers gegenüber dem Leistungsberechtigten ist kein Raum.

Die Ausschlussfrist nach Satz 1 stellt auf den Ablauf des letzten Tages ab, für den die Leistung erbracht wurde. Das [X.] - ([X.]) und das [X.] als die für alle Sozialleistungsbereiche geltenden Bücher enthalten keine eigenständige Definition des Begriffs der Leistung, auf den im Rahmen der Ausschlussfrist zurückgegriffen werden könnte. Mit der Leistung iS des Satzes 1 ist vielmehr die dem Anspruchsberechtigten erbrachte Sozialleistung gemeint; maßgeblich ist also der Leistungsbegriff des jeweiligen Sozialleistungsbereichs, in dem der geltend zu machende Anspruch auf [X.]ostenerstattung im Einzelfall seine Rechtsgrundlage findet.

Für den Fall des Erstattungsanspruchs, der sich für den [X.] Träger einer [X.] aus § 104 Abs 1 Satz 1 [X.] iVm § 14 [X.] ergibt, ist wegen des Begriffs der erbrachten Leistung damit auf die Regelungen des "eigentlich" verpflichtet gewesenen Trägers zurückzugreifen, an den der erstangegangene Träger den Antrag des Leistungsberechtigten entgegen § 14 Abs 1 Satz 1 [X.] nicht innerhalb von zwei Wochen weitergeleitet hat. Das System der verschiedenen Erstattungsansprüche im Anwendungsbereich des § 14 [X.] und mithin auch die Auslegung des § 111 Satz 1 [X.] muss dem Primärzweck des § 14 [X.] dienen, nämlich der schnellen Zuständigkeitsklärung im Außenverhältnis unter Beibehaltung des gegliederten Sozialsystems im Innenverhältnis. Nicht im Verhältnis zum behinderten Menschen, sondern vielmehr im [X.] der Rehabilitationsträger untereinander wird dem gegliederten Sozialrechtssystem Rechnung getragen. Dieser Ausgleichsmechanismus, den der Erstattungsanspruch nach § 104 [X.] verwirklicht, sichert zugleich, dass der Rehabilitationsträger seine Zuständigkeit im Rahmen von § 14 [X.] bejahen kann, ohne allein deshalb verpflichtet zu sein, im Verhältnis zu anderen Rehabilitationsträgern diese Lasten auch endgültig zu tragen. Infolge der fehlenden Weiterleitung hat er über die Leistungen an den behinderten Menschen nach allen in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen zu entscheiden, der Erstattungsanspruch ergibt sich aber (nur) aus der Leistung, die er nach den Vorschriften des "eigentlich" zuständigen Trägers erbringt, sodass dieses, gegenüber dem behinderten Menschen im Außenverhältnis zur Anwendung kommende Recht - hier das [X.] - für die Bestimmung des Laufs der Ausschlussfrist maßgeblich ist. Die Ausschlussfrist läuft damit im Ergebnis ein Jahr nach dem Tag ab, an dem der Leistungsfall, für den der erstangegangene Leistungsträger wegen der fehlenden Weiterleitung zuständig geworden ist, endet. An diesem Ergebnis ändert sich nichts für den Fall, dass - wie vorliegend - eine weitere (nachrangige) Anspruchsgrundlage für die erbrachte Leistung besteht, die sich nach dem Recht des [X.] Trägers richtet.

Die Ausschlussfrist wegen der für Juli 2009 erbrachten Leistungen der stationären Eingliederungshilfe hat allerdings - entgegen der Auffassung des Beklagten - weder mit dem Ende des jeweils mit der Einrichtung abgerechneten Monats noch mit dem Ende des jeweiligen Zeitabschnitts begonnen, für den die [X.]lägerin eine [X.]ostenzusage erteilt hat. Nach den Feststellungen des [X.] war [X.] kontinuierlich und ohne qualitative Veränderungen der dortigen Betreuung dauerhaft in der Wohngruppe untergebracht. Damit handelt es sich (auch) nach den Regelungen der §§ 53, 54 [X.] iVm § 55 [X.] um eine einheitliche Leistung, auch wenn sie in mehreren Zeitabschnitten erbracht worden ist (vgl [X.], aaO, [X.] § 111 Rd[X.] 26). Allein die Notwendigkeit in bestimmten Zeitabschnitten die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Leistung (in [X.]) zu überprüfen und die darauf fußende Praxis der Träger, [X.]ostenzusagen gegenüber dem Leistungserbringer nur abschnittsweise zu erteilen und die Leistungen monatsweise abzurechnen, führt nach dem Recht der Eingliederungshilfe nicht dazu, dass im [X.] an einen solchen Zeitabschnitt (jeweils) ein Anspruch auf eine neue Teilhabeleistung entsteht. Es handelt sich nicht um eine wiederkehrende Leistung; denn erst wenn das [X.] erreicht ist, ist die Sachleistung vollständig erbracht. Im Übrigen endet der Leistungsfall, auf den sich der [X.]ostenerstattungsanspruch nach § 104 [X.] iVm § 14 [X.] bezieht, ggf dann, wenn ein maßgeblich veränderter Rehabilitationsbedarf entsteht (vgl BSG vom 25.9.2014 - [X.] [X.] 7/13 R - [X.], 53 = [X.]-3500 § 54 [X.] 13, Rd[X.] 22). Dies war nach den bindenden, von dem Beklagten nicht mit [X.] angegriffenen Feststellungen des [X.] vorliegend zwischen Juli 2009 und dem Zeitpunkt der Geltendmachung im September 2012 nicht der Fall.

Dem kann der Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, eine solche Auslegung widerspreche dem Zweck des § 111 Satz 1 [X.], zügig die Verhältnisse der Träger zueinander klarzustellen. Schon die Änderung des § 111 [X.] [X.] zeigt - wie oben ausgeführt -, dass auch Gesichtspunkte der materiellen Ausgleichsgerechtigkeit im Anwendungsbereich des § 111 [X.] eine Rolle spielen sollen. Dieser Gedanke tritt im Verhältnis des [X.] zum eigentlich zuständigen Rehabilitationsträger in den Vordergrund. Die Funktion, die dem Erstattungsanspruch nach § 104 [X.] im Verhältnis von Rehabilitationsträgern zueinander zukommt, besteht gerade darin, dass die "eigentlichen" Zuständigkeiten, nach denen die Sozialleistungssysteme voneinander abzugrenzen sind (und dabei gerade auch die [X.]ostenträgerschaft), erheblich bleiben sollen. Mit diesem Ziel des Erstattungsanspruchs ist ohne Weiteres vereinbar, dass erst nach Abschluss der jeweiligen Maßnahme der Lauf der Ausschlussfrist beginnt. Bei langfristigen Maßnahmen bietet die Verjährung nach § 113 [X.] dem erstattungsverpflichteten Träger noch einen ausreichenden Schutz. Auf die Einrede der Verjährung hat der Beklagte hier aber ohnehin verzichtet, sodass die Frage nach der Fristberechnung ungeprüft bleiben kann.

Die [X.]ostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 63 Abs 2 Satz 1, 47 Abs 1 und 2, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (G[X.]G).

Meta

B 8 SO 11/17 R

04.04.2019

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Dortmund, 16. Juni 2015, Az: S 41 SO 530/14, Urteil

§ 104 Abs 1 S 1 SGB 10, § 14 Abs 1 S 1 SGB 9, § 14 Abs 2 S 1 SGB 9, § 10 Abs 4 S 1 SGB 8, § 10 Abs 4 S 2 SGB 8, § 53 Abs 1 S 1 SGB 12, § 54 Abs 1 S 1 SGB 12, § 55 SGB 9, § 111 S 1 SGB 10, § 111 S 2 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 04.04.2019, Az. B 8 SO 11/17 R (REWIS RS 2019, 8534)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 8534

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