Bundespatentgericht, Beschluss vom 17.11.2022, Az. 25 W (pat) 576/19

25. Senat | REWIS RS 2022, 9446

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Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2018 112 717.7

hat der 25. Senat ([X.]) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2022 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Prof. Dr. Kortbein, der Richterin [X.], LL.M., sowie der Richterin Fehlhammer

beschlossen:

Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 36 des [X.] vom 2. Juli 2019 wird aufgehoben.

Gründe

I.

1

Das Zeichen

2

[X.]

3

ist am 14. November 2018 zur Eintragung als Wortmarke in das beim [X.] geführte Register für die nachfolgenden Dienstleistungen angemeldet worden:

4

Klasse 36:

5

Wertpapierdepots; [X.] Versicherungsdienstleistungen; Vermittlung von Bausparverträgen; Vergabe von Verbraucherdarlehen; Vergabe von Hypothekendarlehen und Finanzierungen; Über das [X.] und Telefon bereitgestellte Finanzdienstleistungen; Online-Banking; Führung von Bankkonten; [X.]; Finanzierung von Bauvorhaben; Finanzielle Dienstleistungen in Bezug auf [X.]; Finanzgeschäfte mit Fremdwährungen; Finanzdienstleistungen in Bezug auf Immobilien; Finanzdienstleistungen in Bezug auf den Verkauf und Kauf von Wertpapieren; Finanzanlagegeschäfte; Durchführung von Finanztransaktionen; Dienstleistungen im Zusammenhang mit Bankkarten, Kreditkarten, Debitkarten und Karten für den elektronischen Zahlungsverkehr; Dienstleistungen des Geldverkehrs; Beratung in Bezug auf Versicherungsdienstleistungen; Bankgeschäfte für Privatpersonen; Bankdienstleistungen; Computergestützte Bankgeschäfte; Finanzberatung und Finanzdienstleistungen; Vermittlung und Abwicklung im Bereich der Versicherungen; Finanzdienstleistungen in Bezug auf Spareinlagen und Aktiensparpläne; Vermittlung von Vermögensanlagen, insbesondere Kapitalanlagen.

6

Mit Beschluss vom 2. Juli 2019 hat die Markenstelle für Klasse 36 des [X.]s durch eine Beamtin des gehobenen Dienstes unter Bezugnahme auf den Beanstandungsbescheid vom 5. Januar 2019 die Anmeldung vollumfänglich gemäß § 37 Abs. 1 [X.] zurückgewiesen, weil der angemeldeten Bezeichnung jegliche Unterscheidungskraft fehle (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.]).

7

Zur Begründung ist ausgeführt, dass das zur Eintragung als Marke angemeldete Zeichen erkennbar aus der Abkürzung „VR“ für „[X.]“ (virtuelle Realität) und dem Adjektiv „[X.]“ (frei von Mängeln, vollkommen) gebildet sei. Die angesprochenen Verkehrskreise würden der angemeldeten Marke in ihrer Gesamtheit lediglich einen beschreibenden Hinweis dahingehend entnehmen, dass die beanspruchten Dienstleistungen der Klasse 36 unter Nutzung von perfekter [X.] bzw. mit einem perfekten Service von [X.] angeboten oder erbracht würden oder perfekte [X.] zum Gegenstand, Thema oder Inhalt hätten. Gerade in der von der Anmeldung betroffenen Versicherungs-, Finanz- oder Bankbranche würden immer mehr Geschäfte, Transaktionen oder Beratungen per Telefon oder über das [X.] abgewickelt. Dass auch [X.] gerade in diesen Bereichen zunehmend an Bedeutung gewinne und die jeweiligen Dienstleistungen unter Zuhilfenahme von [X.] erbracht würden, belege die bereits mit dem Beanstandungsbescheid vom 5. Januar 2019 übermittelte sowie die dem Zurückweisungsbeschluss ergänzend beigefügte [X.]recherche. Selbst wenn es sich bei „[X.]“ um keinen üblichen oder gängigen Ausdruck handele, so führe die Kombination der Bestandteile nicht zu einer Wortneuschöpfung, die mehr als die bloße Summe ihrer beschreibenden Teile sei. Vielmehr werde der Verkehr die Wortbildung ohne weitere Gedankenschritte oder Analyse als eine Aneinanderreihung mehrerer sachbezogener Bestandteile im Sinne eines perfekten Services im Bereich [X.] ansehen. Der Bindestrich zwischen „VR“ und „[X.]“ könne die Schutzfähigkeit ebenfalls nicht begründen, weil es sich um ein sprach- und werbeübliches Gestaltungsmittel handele, das nicht vom beschreibenden Gesamteindruck wegführe. Zwar bestehe Übereinstimmung mit der Anmelderin, dass das Kürzel „VR“ auch im Zusammenhang mit Volks- und Raiffeisenbanken verwendet werde. Allerdings werde die Abkürzung „VR“ in diesem Fall nicht in Alleinstellung, sondern stets in Kombination mit dem Begriff „Bank“ verwendet. Der Verweis der Anmelderin auf Voreintragungen sei unbehelflich, insbesondere auch deshalb, weil ihnen eine Reihe von zurückgewiesenen Anmeldungen von Zeichen mit dem Bestandteil „VR“ gegenüberstehe.

8

Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit ihrer Beschwerde, die sie insbesondere damit begründet, dass aus der Verwendung der Buchstabenkombination „VR“ im Sinne von „[X.]“ im [X.] nicht geschlussfolgert werden könne, die angesprochenen Verkehrskreise würden der Abkürzung auch in Verbindung mit den beanspruchten Dienstleistungen der Finanz-, Versicherungs- und Bankbranche diese Bedeutung beimessen. In diesem Kontext werde die Buchstabenkombination „VR“ vielmehr als Hinweis auf die genossenschaftliche Finanzgruppe der Volks- und Raiffeisenbanken angesehen. Abgesehen davon gebe es eine ganze Reihe weiterer Begriffe, die mit „VR“ abgekürzt würden. Eine Deutung im Sinne von „[X.]“ komme auch deshalb nicht in Betracht, weil die beanspruchten Dienstleistungen ausschließlich realer Natur seien, bei deren Erbringung der angesprochene Verkehr Seriosität und Sensibilität erwarte. Dies gelte jedoch nicht im Rahmen der „virtuellen Realität“ bzw. in einem „virtuellen Raum“. Eine Erbringung der gegenständlichen Dienstleistungen in einer virtuellen Realität sei damit ausgeschlossen. Die von der Markenstelle beigebrachten Fundstellen würden allenfalls Zukunftsvisionen aufzeigen. Konkrete Ansätze zur Umsetzung seien damit nicht belegt. Im Übrigen sei „[X.]“ kein üblicher und gängiger, sondern ein sprachregelwidrig und grammatikalisch falsch gebildeter Ausdruck, dem sich ein Sinngehalt in Verbindung mit den angemeldeten Dienstleistungen nur mit erhöhtem Interpretationsaufwand entnehmen lasse.

9

Die Anmelderin hat mit Schriftsätzen vom 12. August 2019 und 29. Juli 2021 das [X.] wie folgt beschränkt:

„... ausgenommen sämtliche vorgenannten Dienstleistungen, soweit sie einen Bezug zu einer „virtuellen Realität“ (VR) besitzen, insbesondere mittels [X.] erbracht werden oder inhaltlich-thematisch [X.]en betreffen“,

hilfsweise wie folgt:

„... alle vorgenannten Dienstleistungen, soweit diese lokal oder online über das [X.] in tatsächlicher, realer und wirklicher Form erbracht werden“

und äußerst hilfsweise wie folgt:

„... alle vorgenannten Dienstleistungen, soweit diese ausschließlich in tatsächlicher, realer und wirklicher Form lokal oder online über das [X.] erbracht werden und ohne einen Bezug zu virtuellen Realitäten zu haben, insbesondere dass diese nicht mittels Computer-simulierter Wirklichkeit erbracht werden oder inhaltlich-thematisch Computer-simulierte Wirklichkeit betreffen“.

Sie macht geltend, mit diesen Einschränkungen sei jeder sachliche Bezug zu einer „virtuellen Realität“ ausgeschlossen und sichergestellt, dass der Bestandteil „VR“ vom angesprochenen Verkehr als unternehmenskennzeichnendes Merkmal, insbesondere als Abkürzung des Firmennamens, verstanden werde.

Mit schriftlichen Hinweisen vom 18. Juni 2021, 17. August 2021 und 6. Juli 2022 hat der [X.] mitgeteilt, dass er das Zeichen für nicht schutzfähig und die Verzeichnisbeschränkungen durch negative [X.] für unzulässig erachte.

In der mündlichen Verhandlung vom 17. November 2022 hat die Anmelderin das [X.] wie folgt beschränkt:

Klasse 36:

Über das Telefon bereitgestellte Finanzdienstleistungen; Finanzgeschäfte mit Fremdwährungen, nämlich Umtausch von Fremdwährungen; Durchführung von Finanztransaktionen, nämlich Ausführung von Überweisungen durch ein Finanzinstitut; Dienstleistungen im Zusammenhang mit Bankkarten, Kreditkarten, Debitkarten, nämlich Herausgabe solcher Karten; Dienstleistungen des Geldverkehrs, nämlich Entgegennahme und Ausgabe von Bargeld.

Die Anmelderin beantragt,

den Beschluss des [X.]s, Markenstelle für Klasse 36, vom 2. Juli 2019 aufzuheben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die nach § 64 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. § 66 Abs. 1 Satz 1 [X.] statthafte Beschwerde ist zulässig und begründet.

1. [X.] ist das in der mündlichen Verhandlung am 17. November 2022 beschränkte [X.] zugrunde zu legen.

Gemäß § 39 Abs. 1 [X.] kann die Anmelderin jederzeit das [X.] einschränken. Hierbei ist allerdings das Gebot der Rechtssicherheit zu beachten (vgl. u. a. [X.] [X.], 674 Rn. 114 bis 117 - Postkantoor; [X.], 778 Rn. 9 - [X.]). Danach muss der Umfang des Markenschutzes aus dem Waren- und [X.] klar und eindeutig hervorgehen (vgl. u. a. [X.] [X.], 822 Rn. 46 ff. - [X.]). Die Einschränkung eines Verzeichnisses hat sich dementsprechend auf die allgemeinen und objektiven Eigenschaften sowie Zweckbestimmungen der beanspruchten Waren bzw. Dienstleistungen in einer wirtschaftlich nachvollziehbaren und rechtlich abgrenzbaren Weise zu beziehen, wobei es auf dauerhafte charakteristische Kriterien ankommt (vgl. [X.], 340 Rn. 29 - [X.]; [X.], 725 Rn. 33 - [X.]). Diesen Anforderungen genügen die vor der mündlichen Verhandlung eingereichten Einschränkungen der [X.]se nicht. Zum einen sind die Zusätze

„... ausgenommen sämtliche vorgenannten Dienstleistungen, soweit sie einen Bezug zu einer „virtuellen Realität“ (VR) besitzen, insbesondere mittels [X.] erbracht werden oder inhaltlich-thematisch [X.]en betreffen“,

„... alle vorgenannten Dienstleistungen, soweit diese lokal oder online über das [X.] in tatsächlicher, realer und wirklicher Form erbracht werden“

oder

„... alle vorgenannten Dienstleistungen, soweit diese ausschließlich in tatsächlicher, realer und wirklicher Form lokal oder online über das [X.] erbracht werden und ohne einen Bezug zu virtuellen Realitäten zu haben, insbesondere dass diese nicht mittels Computer-simulierter Wirklichkeit erbracht werden oder inhaltlich-thematisch Computer-simulierte Wirklichkeit betreffen“

nicht ohne Weiteres verständlich. Zum anderen werden mit ihnen Modalitäten der Erbringung der Dienstleistungen festgelegt bzw. ausgeschlossen. Nach ihren allgemeinen und objektiven Eigenschaften sowie Zweckbestimmungen werden die fraglichen Tätigkeiten jedoch nicht abgegrenzt, zumal sie typischerweise vor Ort und/oder online erbracht werden und eine virtuelle Inanspruchnahme in beiden Fällen in Betracht kommt. Zudem ist bei dem letztgenannten Zusatz zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Halbsatz

„…, insbesondere dass diese nicht mittels Computer-simulierter Wirklichkeit erbracht werden oder inhaltlich-thematisch Computer-simulierte Wirklichkeit betreffen“

um einen Ausnahmevermerk handelt, um im Rahmen der [X.] erbrachte Dienstleistungen auszuschließen. Eine solche Art der Erbringung wird jedoch insbesondere durch den [X.] „VR“ im Sinne von „[X.]“ zum Ausdruck gebracht. Eine Einschränkung der Waren bzw. Dienstleistungen, die einer durch das Zeichen vermittelten Aussage (bewusst) entgegensteht, ist ebenfalls nicht wirtschaftlich nachvollziehbar und rechtlich abgrenzbar (vgl. [X.], a. a. [X.] - Postkantoor).

Im Übrigen sind [X.] nicht zulässig, die ein neues Schutzhindernis begründen (vgl. [X.]/Hacker/Thiering, [X.], 13. Auflage, § 8 Rn. 482). „[X.]“ ausschließende Zusätze können vorliegend jedoch zu einer Täuschungsgefahr führen, so dass der Eintragung des in Rede stehenden Zeichens § 8 Abs. 2 Nr. 4 [X.] entgegenstehen würde.

Auf die Frage der Zulässigkeit einer hilfsweisen Einschränkung kommt es somit nicht mehr an.

Demgegenüber ist das in der mündlichen Verhandlung am 17. November 2022 von der Beschwerdeführerin zugrunde gelegte [X.] klar und eindeutig.

2. In Verbindung mit den beschwerdegegenständlichen Tätigkeiten kann dem Anmeldezeichen nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.]) und stellt auch keine freihaltebedürftige beschreibende Angabe dar (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.]). Der Zurückweisungsbeschluss des [X.]s vom 2. Juli 2019 war demzufolge aufzuheben. Im Übrigen ist die Beschwerde gegenstandslos geworden.

a) Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als betrieblicher Herkunftshinweis aufgefasst zu werden. Denn die Hauptfunktion einer Marke liegt darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. [X.], 569 Rn. 10 - [X.]; [X.], 731 Rn. 11 - [X.]; [X.], 1143 Rn. 7 - [X.]; [X.], 270 Rn. 8 - Link economy; [X.], 1100 Rn. 10 - [X.]!; [X.], 825 Rn. 13 - [X.]; [X.], 850 Rn. 18 - [X.]). Auch das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft ist im Lichte des zugrundeliegenden Allgemeininteresses auszulegen, wobei dieses darin besteht, die Allgemeinheit vor ungerechtfertigten Rechtsmonopolen zu bewahren (vgl. [X.] GRUR 2003, 604 Rn. 60 - [X.]; [X.], 565 Rn. 17 - [X.]). Bei der Beurteilung von [X.] ist maßgeblich auf die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise abzustellen, wobei dies alle Kreise sind, in denen die fragliche Marke Verwendung finden oder Auswirkungen haben kann. Dabei kommt es auf die Sicht des normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers im Bereich der einschlägigen Waren und Dienstleistungen (vgl. [X.] [X.], 411 Rn. 24 - Matratzen Concord/[X.]; [X.], 943, 944 Rn. 24 - [X.] 2; [X.] [X.], 850, Rn. 18 - [X.]) zum Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens an (vgl. [X.] [X.], 1143, 1144 Rn. 15 - Aus Akten werden Fakten; GRUR 2014, 872 Rn. 10 - [X.]; GRUR 2014, 483 Rn. 22 - test; [X.] MarkenR 2010, 439 Rn. 41 bis 57 - Flugbörse).

Keine Unterscheidungskraft besitzen insbesondere Bezeichnungen, denen der Verkehr im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren und Dienstleistungen lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnet (vgl. [X.] [X.], 850 Rn. 19 - [X.]; [X.] [X.], 674 Rn. 86 - Postkantoor) oder sonst gebräuchliche Wörter der [X.] oder einer bekannten Fremdsprache, die – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. [X.] [X.], 270 Rn. 8 - Link economy; [X.], 778 Rn. 11 - [X.]; [X.], 640 Rn. 13 - hey!). Darüber hinaus fehlt die Unterscheidungskraft u. a. aber auch solchen Angaben, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Produkte zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu dem betreffenden Produkt hergestellt wird (vgl. [X.] [X.], 850 Rn. 19 - [X.]).

Nach diesen Grundsätzen kann die Unterscheidungskraft des [X.] für die verbliebenen Dienstleistungen nicht verneint werden. Denn insoweit erschöpft es sich nicht in einer naheliegenden und ohne weiteres verständlichen sachbeschreibenden Angabe, die einem Verständnis als betrieblicher Herkunftshinweis entgegenstehen würde.

(1) Es setzt sich zusammen aus der Abkürzung „VR“ und dem mittels Bindestrich angefügten Adjektiv „[X.]“. Wie die Markenstelle zutreffend ermittelt hat, ist „VR“ die allgemein bekannte und in entsprechenden Verzeichnissen (u. a. [X.], [X.], [X.]verlag, 5. Auflage, 2005) lange vor dem Anmeldezeitpunkt gelistete Abkürzung für „[X.]“ bzw. „Virtuelle Realität“. In Kombination mit dem Adjektiv „[X.]“, das dem Verkehr auch durch den Ausdruck „perfekte Illusion“ bekannt ist, vermittelt das in Rede stehende Zeichen die Bedeutung „perfekte virtuelle Realität“ und kann damit, wie die Markenstelle ebenso zutreffend ausgeführt hat, darauf hinweisen, dass so bezeichnete Dienstleistungen mittels perfekter virtueller Realität erbracht oder zu ihrer Erbringung Techniken, die eine perfekte virtuelle Realität generieren, eingesetzt werden.

(2) „[X.]“ bzw. „virtuelle Realität“ bezeichnet die Darstellung und gleichzeitige Wahrnehmung der Wirklichkeit in einer in Echtzeit computergenerierten, interaktiven virtuellen Umgebung (vgl. Onlineenzyklopädie „wikipedia.org“, Stichwort „Virtuelle Realität“). Als solche ist sie in allen Bereichen einsetzbar, in denen Räume, Gegenstände oder Situationen simuliert werden sollen, um dem Nutzer zu ermöglichen, in sie einzutauchen, sich auszuprobieren, Erfahrungen zu sammeln oder mögliche Abläufe kennenzulernen. Über die Spiele- oder Filmbranche hinaus wird davon auch in vielen anderen Bereichen des Wirtschaftslebens Gebrauch gemacht, wie etwa im Rahmen der Flugsimulation, der Konfiguration von Prototypen in der industriellen Fertigung, der Modellierung von Bauvorhaben oder sonstiger Infrastrukturmaßnahmen. Wie den [X.] der Markenstelle sowie den ergänzenden, mit Hinweis vom 18. Juni 2021 übersandten Belegen entnommen werden kann, wird [X.] auch in der Immobilien- und der Versicherungsbranche zur Visualisierung von Gebäuden oder Versicherungsrisiken verwendet.

(3) Vor diesem Hintergrund hat die Markenstelle zu Recht darauf geschlossen, dass der damit vertraute Verkehr das Anmeldezeichen grundsätzlich auch in Zusammenhang mit Bank- und Finanzdienstleistungen als Hinweis auf den Einsatz von perfekter [X.] verstehen wird, zumal sich zahlreiche Berichte in Fach-, aber auch in allgemeinen Medien über die Nutzungsmöglichkeiten von VR in diesen Bereichen finden (vgl. Rechercheergebnisse, übermittelt mit Hinweis vom 18. Juni 2021). Dies gilt nach Auffassung des [X.]s jedoch nicht für die Dienstleistungen, für die die Anmelderin nach Einschränkung ihres Verzeichnisses nunmehr noch Schutz beansprucht. Denn bei ihnen handelt es sich zum einen um Vorgänge, die ausdrücklich nicht mithilfe von EDV erfolgen und deshalb nicht unter Verwendung von [X.] erbracht werden können. Hierzu gehören

Über das Telefon bereitgestellte Finanzdienstleistungen“.

Zum anderen betreffen sie rein technische Abwicklungsvorgänge. Anders als bei Bank- und Finanzdienstleistungen allgemein, in deren Rahmen etwa vermögensbildende Szenarien oder potentielle Finanzmarktentwicklungen mittels [X.] veranschaulicht und simuliert werden können, ist der Einsatz derartiger Instrumente bei den verbliebenen Dienstleistungen

„Finanzgeschäfte mit Fremdwährungen, nämlich Umtausch von Fremdwährungen; Durchführung von Finanztransaktionen, nämlich Ausführung von Überweisungen durch ein Finanzinstitut; Dienstleistungen im Zusammenhang mit Bankkarten, Kreditkarten, Debitkarten, nämlich Herausgabe solcher Karten; Dienstleistungen des Geldverkehrs, nämlich Entgegennahme und Ausgabe von Bargeld“,

die die bloße Ausführung von Zahlungen, den Tausch bzw. die Ein- und Auszahlung von Bargeld sowie die Ausgabe von Karten und damit keinerlei zukunftsorientierte Beratungs- oder [X.] beinhalten, nicht mehr naheliegend. Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, dass die angesprochenen Durchschnittsverbraucher und Fachleute das Zeichen „[X.]“ in diesem Zusammenhang unmittelbar als sachbezogenen Hinweis auf die Art und Weise der Dienstleistungserbringung bzw. auf die hierbei eingesetzte Technik auffassen werden.

b) Da in Verbindung mit den beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen nicht ernsthaft anzunehmen ist, dass sie mit Hilfe von [X.] erbracht werden, sich auf [X.] beziehen oder diese zum Gegenstand haben, stellt sich die angemeldete Bezeichnung „VR-Perfekt“ auch nicht als unmittelbar beschreibende Sachaussage gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] dar. Zwar greift dieses Schutzhindernis auch dann, wenn eine aktuell nicht feststellbare sachbeschreibende Bedeutung in der Zukunft zu erwarten ist (vgl. für geografische Herkunftsangaben: [X.] GRUR 1999, 723 Rn. 31 bis 34 - [X.]; [X.] GRUR 2003, 882, 883 - Lichtenstein; BPatG [X.], 491, 494 f. - [X.]; [X.]/Hacker/Thiering, a. a. [X.], § 8 Rn. 426 ff.), doch auch unter Berücksichtigung zukünftiger wirtschaftlicher Entwicklungen ergeben sich hierfür unter Zugrundelegung der gegenwärtigen Sach- und Recherchelage keine hinreichenden Anhaltspunkte.

3. Weitere Schutzhindernisse sind nicht ersichtlich.

Meta

25 W (pat) 576/19

17.11.2022

Bundespatentgericht 25. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 17.11.2022, Az. 25 W (pat) 576/19 (REWIS RS 2022, 9446)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9446

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