Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.11.2018, Az. 4 B 2/18

4. Senat | REWIS RS 2018, 1659

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Gegenstand

Bestimmung der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1, 2 BauGB; keine Änderung des Gebietscharakters eines Gewerbegebiets durch Zulassung einer Asylbewerberunterkunft


Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung, die ihr die Klägerin beimisst.

3

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer [X.]edeutung über den der [X.]eschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der [X.]eschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des [X.]undesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, so bereits [X.], [X.]eschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]E 13, 90 <91>; siehe auch [X.]eschluss vom 1. Februar 2011 - 7 [X.] - juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.

4

a) Nach Auffassung der [X.]eschwerde kann ein Revisionsverfahren zur Klärung der Frage beitragen, ob Immissionen, die von der in der näheren Umgebung vorhandenen [X.]ebauung ausgehen, dazu führen, dass die nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 und 2 [X.]auG[X.] in diese Richtung weiter zu ziehen ist. Die Klägerin bezieht diese Frage auf die von den [X.] ausgehenden Immissionen und stellt vor diesem Hintergrund die Abgrenzung der näheren Umgebung durch den Verwaltungsgerichtshof in Frage. Nach ihrer Auffassung müsste die nähere Umgebung aufgrund dieser Immissionen auch auf die westlich der [X.] anschließende Wohnbebauung erstreckt werden. Eine die Revision eröffnende grundsätzliche [X.]edeutung ist damit nicht dargetan.

5

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass der die nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 [X.]auG[X.] bildende [X.]ereich so weit reicht, wie sich die Ausführung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den [X.] [X.]harakter des [X.]augrundstücks prägt oder doch beeinflusst (stRspr, grundlegend [X.], Urteil vom 26. Mai 1978 - 4 [X.] 9.77 - [X.]E 55, 369 <380>; vgl. etwa auch [X.], Urteil vom 8. Dezember 2016 - 4 [X.] 7.15 - [X.]E 157, 1 Rn. 9 m.w.N.), wobei auf das abzustellen ist, was in der Umgebung tatsächlich vorhanden ist ([X.], Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 [X.] 5.12 - [X.]E 148, 290 Rn. 10; [X.]eschlüsse vom 13. Mai 2014 - 4 [X.] 38.13 - Zf[X.]R 2014, 574 Rn. 7 und vom 27. März 2018 - 4 [X.] 60.17 - Zf[X.]R 2018, 479). Vor diesem Hintergrund würde sich die für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. [X.]ei dem von der [X.]eschwerde in den [X.]lick genommenen Grundstück handelt es sich nicht um das [X.]au-, sondern um ein Nachbargrundstück. Dieses kann daher zur [X.]estimmung der näheren Umgebung nur insoweit beitragen, als es das [X.]augrundstück prägt. Davon ist der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen, denn er hat dieses Grundstück in die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 [X.]auG[X.] insofern maßgebliche nähere Umgebung einbezogen.

6

Dass etwaige Immissionen, die dem den Gegenstand des beantragten Vorbescheids bildenden großflächigen Lebensmitteldiscountmarkt zuzurechnen sind und die auf die [X.]ebauung westlich der [X.] einwirken, hier zu berücksichtigen wären, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Das gilt für den umgekehrten Fall (Einwirkung von Immissionen auf das [X.]augrundstück, die der [X.]ebauung westlich der [X.] zuzurechnen sind) in gleicher Weise. Die aufgeworfene Frage ist deshalb nicht entscheidungserheblich.

7

b) Der Verwaltungsgerichtshof ist auf der Grundlage der Eindrücke, die er durch die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Lichtbilder gewonnen hat, davon ausgegangen ([X.]), dass die Grenzen der nach § 34 Abs. 1 Satz 1 [X.]auG[X.] maßgeblichen näheren Umgebung des [X.]augrundstücks mit dem Plangebiet des unwirksamen [X.]ebauungsplans "[X.]" vom 11. Februar 2014 übereinstimmen ([X.]). [X.] sind insoweit - wie dargelegt - nicht geltend gemacht.

8

Von dieser Grenzziehung ausgehend hat das [X.]erufungsgericht die Eigenart der näheren Umgebung als faktisches Gewerbegebiet nach § 34 Abs. 2 [X.]auG[X.] i.V.m. § 8 [X.]auNVO qualifiziert. Die derzeit auf den Grundstücken der Klägerin vorhandenen [X.] änderten an der Qualifizierung der näheren Umgebung als Gewerbegebiet nichts. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich hierbei auf zwei Gründe gestützt: Zum einen auf die Würdigung, dass die [X.] angesichts der Dominanz des ehemaligen [X.]etriebsgebäudes der D. den [X.]harakter der Umgebung nicht zu prägen vermögen; zum anderen und "abgesehen davon" darauf, dass nach der Regelung in § 246 Abs. 10 [X.]auG[X.] [X.] in einem Gewerbegebiet nicht als wesensfremd angesehen werden könnten. Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende [X.]egründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser [X.]egründungen ein [X.] aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa [X.], [X.]eschluss vom 9. Dezember 1994 - 11 PKH 28.94 - [X.]uchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 Satz 4). Daran fehlt es hier, weil die [X.]eschwerde in [X.]ezug auf die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass [X.] in einem faktischen Gewerbegebiet nicht als wesensfremd angesehen werden könnten und damit am Gewerbegebietscharakter nichts änderten, keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf darlegt.

9

Die [X.]eschwerde möchte insoweit rechtsgrundsätzlich klären lassen,

ob die Eigenart der näheren Umgebung einem Gewerbegebiet nach § 8 [X.]auNVO entspricht, wenn in der näheren Umgebung durch [X.]efreiung nach § 31 Abs. 2 [X.]auG[X.] zulassungsfähige Nutzungen existieren, insbesondere nach § 246 Abs. 10 [X.]auG[X.] durch [X.]efreiung zulassungsfähige [X.].

Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. [X.] konkret ist die Frage nur, soweit sie auf "nach § 246 Abs. 10 [X.]auG[X.] durch [X.]efreiung zulassungsfähige [X.]" abstellt. Insoweit lässt sie sich mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres im Sinne des Verwaltungsgerichtshofs beantworten (vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 24. August 1999 - 4 [X.] 72.99 - [X.]E 109, 268 <270>, vom 16. November 2004 - 4 [X.] 71.04 - NVwZ 2005, 449 <450> und vom 31. Juli 2017 - 4 [X.] 12.17 - NVwZ-RR 2017, 967 Rn. 5). Nach dem am 26. November 2014 in [X.] getretenen § 246 Abs. 10 Satz 1 [X.]auG[X.] ([X.]G[X.]l. I S. 1748) kann bis zum 31. Dezember 2019 in Gewerbegebieten für Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des [X.]ebauungsplans befreit werden, wenn an dem Standort Anlagen für [X.] Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder allgemein zulässig sind und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen [X.]elangen vereinbar ist; gleiches gilt für faktische Gewerbegebiete im Sinne von § 34 Abs. 2 [X.]auG[X.] i.V.m. § 8 [X.]auNVO. Mit der Regelung wollte der Gesetzgeber die unter § 246 Abs. 10 [X.]auG[X.] fallenden Anlagen in (faktischen) Gewerbegebieten unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichen, obwohl die Rechtsprechung wohnähnliche Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbewerber vielfach nicht als Anlagen für [X.] Zwecke angesehen habe, die in Gewerbegebieten als Ausnahme zugelassen werden könnten (so [X.]T-Drs. 18/2752 S. 12 m.w.N.), weil sie als gewerbegebietsunverträglich eingestuft wurden (vgl. [X.]/[X.], in: [X.]attis/[X.]/[X.], [X.]auG[X.], § 246 Rn. 22 m.w.N.). Dem Gesetzgeber ging es somit darum, [X.] kraft Gesetzes als gewerbegebietsverträglich einzustufen. Anhaltspunkte dafür, dass hiermit auch der Gebietscharakter in Frage gestellt werden sollte, lassen sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen; eine solche Annahme wäre auch fernliegend. Hieraus folgt, dass es sich bei einer Unterkunft, die im Wege der [X.]efreiung über § 246 Abs. 10 Satz 1 [X.]auG[X.] in einem (faktischen) Gewerbegebiet zugelassen wird, in der Regel um keine gebietsfremde Nutzung handelt (vgl. etwa [X.]lechschmidt, in: [X.]/[X.]/[X.]ielenberg/[X.], [X.]auG[X.], § 246 Rn. 68 m.w.N.). Liegt ein festgesetztes oder faktisches Gewerbegebiet vor, dann wirkt sich die Zulassung von Unterkünften für Flüchtlinge oder Asylbegehrende in der Regel nicht auf den Gebietscharakter aus. Mehr ist im Hinblick auf die vorliegende Fallgestaltung verallgemeinernd nicht zu sagen.

Damit erübrigt sich eine Erörterung, ob in [X.]ezug auf die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass die [X.] angesichts der Dominanz des ehemaligen [X.]etriebsgebäudes der D. den [X.]harakter der Umgebung nicht zu prägen vermögen, der [X.] der grundsätzlichen [X.]edeutung oder der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) dargelegt und gegeben ist. Denn diese [X.]egründung kann hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert ([X.], [X.]eschluss vom 9. September 2009 - 4 [X.]N 4.09 - Zf[X.]R 2010, 67 = juris Rn. 5).

2. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 B 2/18

15.11.2018

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 10. Oktober 2017, Az: 3 S 1342/17, Urteil

§ 34 Abs 1 BauGB, § 34 Abs 2 BauGB, § 246 Abs 10 BauGB, § 8 BauNVO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.11.2018, Az. 4 B 2/18 (REWIS RS 2018, 1659)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 1659

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AN 9 K 20.01545

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