Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.01.2017, Az. StB 40/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 17600

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:110117BSTB40.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

StB 40/16

vom
11. Januar 2017
in dem Ermittlungsverfahren
gegen

wegen
Mitgliedschaft in einer terroristischen [X.] im Ausland

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des [X.] sowie des Beschwerdeführers und seines Verteidigers
am 11. Ja-nuar 2017
gemäß §
304
Abs.
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[X.] beschlossen:

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.] vom 17. November 2016 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
I.
Der Beschuldigte wurde am 17. November 2016 aufgrund des [X.] des [X.] vom selben Tage (5 [X.] 409/16) festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der jugendliche Beschuldig-te habe sich in den Jahren 2013 bis 2015 in [X.] und an anderen Orten im Ausland als Mitglied der "[X.]" und damit an einer außereuropäischen terroristischen [X.] beteiligt, deren Zwecke oder Tätigkeiten darauf ge-richtet seien, Mord (§
211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB, §§ 1, 3 [X.].
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Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 5. Dezember 2016 hat der Be-schuldigte Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt. Der Ermittlungsrichter des [X.] hat der Beschwerde mit Beschluss vom 7. Dezember 2016 (5 [X.] 454/16) nicht abgeholfen. Der [X.] hat [X.], den Haftbefehl aufrechtzuerhalten.

II.
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdäch-tig.
a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines drin-genden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
[X.]) Die in [X.] operierenden [X.] haben sich -
von radikal-religiösen Anschauungen geleitet -
zum Ziel gesetzt, alle ausländischen [X.] vom Gebiet [X.]s zu vertreiben und auf dem gesamten St[X.]ts-gebiet einen [X.] St[X.]t unter Geltung der Scharia als einziger Rechts-grundlage zu errichten; dabei nehmen sie auch zivile Opfer in Kauf.
Die [X.] ist streng hierarchisch organisiert. An ihrer Spitze steht der uneingeschränkte politisch-religiöse Führer, der gleichzeitig auch militäri-scher Befehlshaber ist. Dabei handelte es sich zunächst um Mullah [X.], der nach den bislang vorliegenden Erkenntnissen entwe-der im [X.] oder 2015 starb. Sein Nachfolger [X.] Akhtar
Muhammad 3
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Mansur kam am 21. Mai 2016 bei einem [X.] Drohnenangriff im Grenzgebiet zwischen [X.] und [X.] ums Leben. Aktueller Anführer der Organisation ist [X.], der von Sirajuddin [X.] und [X.]´qub ([X.] des ersten Führers [X.]) vertreten wird.
In die Entschlussfassungen der Führung maßgeblich eingebunden ist ein [X.]. Er besteht aus den -
gegenwärtig etwa 22 -
höchsten militärischen Kommandeuren und nicht-militärischen Vertretern, von denen einzelne für ver-schiedene Aufgabenbereiche wie "Politik", "[X.]", "Finanzen", "Angelegenhei-ten der Gefangenen" oder "Öffentlichkeitsarbeit" verantwortlich sind. Dem [X.] sind zudem zehn Kommissionen angegliedert, in denen über spe-zielle Themen beraten wird.
Die [X.] verfügen über eine Vielzahl von Kämpfern auf der untersten Hierarchieebene, die teilweise von lokalen Paschtunen-Stämmen organisiert sind und als Kampfverbände handeln. Für die Planung und Durchführung der militärischen Operationen, die Rekrutierung von Mudschahedin in [X.] und die Ausbildung der Kämpfer in Trainingslagern ist die [X.] zuständig, der die [X.]führer aller afghanischen Provinzen angehören.
Zur Umsetzung ihrer Ziele begehen die [X.] -
räumlich auf das St[X.]tsgebiet von [X.] beschränkt -
Selbstmordattentate, Minen-
und Bombenanschläge, Entführungen, Geiselnahmen und gezielte Tötungen. [X.] sind sowohl die ausländischen "Invasoren", insbesondere die [X.], als auch die politischen und religiösen Führer des afghani-schen St[X.]tes, die [X.] sowie die Polizei. Bei den Aktionen der [X.], die über moderne Waffen und Kommunikationsmittel verfügen, kommt 9
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es häufig auch zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung, die von den [X.] zu Propagandazwecken genutzt werden.
Die [X.] finanzieren sich auf [X.] sowohl durch Spenden und Sachmittel der örtlichen Stammesstrukturen und religiösen Gemeinschaf-ten als auch durch kriminelle Aktivitäten wie Schmuggel, Schutzgelderpressun-gen und Entführungen. Auf [X.] bildet neben Spenden aus dem In-
und Ausland der Drogenhandel die Haupteinnahmequelle der Organi-sation.
bb) Der Beschuldigte schloss sich im [X.] den [X.] an. Es ist bislang unklar, ob er zu diesem Zeitpunkt noch [X.] war; jedenfalls war er nach seinem 14. Geburtstag am 22. Mai 2013 noch mindestens [X.] lang Mitglied der [X.]. Er wurde zunächst in
einem Trai-ningscamp in [X.] ausgebildet und erlernte Kampftechniken sowie den Umgang mit Waffen. Im [X.] daran erhielt er von seinem Kommandanten ein vollautomatisches Sturmgewehr des Typs [X.] ([X.]). Anfang 2014 wurde er nach [X.] verlegt und bekam dort sechs Monate lang
Islamunterricht. Danach kehrte er nach [X.] zurück und wurde in der [X.] stationiert. Dort nahm er, mit seinem Sturmgewehr bewaffnet, an zumindest drei [X.] gegen die [X.] teil.
b) Der dringende Tatverdacht beruht im Hinblick auf die terroristische [X.] der [X.] auf den diesbezüglichen Auswerteberichten des [X.]. Hinsichtlich der mitgliedschaftlichen Beteiligungshandlungen des Beschuldigten, namentlich seiner Teilnahme an den [X.], ergibt sich der dringende Tatverdacht aus dessen geständigen Angaben bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 17. November 2016. Diese sind [X.]; sie stehen insbesondere in Einklang mit Lichtbildern, auf denen der Be-12
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schuldigte mit einer [X.] bewaffnet und mit umgehängtem Patronen-gurt zu sehen ist.
c) Danach hat sich der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Mitglied an einer terroristischen [X.] im Ausland beteiligt, strafbar ge-mäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB, §§ 1, 3 [X.].
Er war seit seinem 14. Geburtstag am 22. Mai 2013 strafrechtlich ver-antwortlich im Sinne der §§ 1, 3 [X.]. Es ist davon auszugehen, dass er nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug war, das Unrecht seines Handelns einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, zumindest seitdem er im [X.] an seinen Aufenthalt in [X.] im Jahr 2014 nach [X.] zurückgekehrt war und sich dort an [X.] beteiligte, bei denen er selbst gezielt auf Menschen schoss.
Demgegenüber kommt es entgegen der von dem Verteidiger vertretenen Ansicht aus Rechtsgründen nicht in Betracht, dem Beschuldigten im Hinblick auf die politischen Verhältnisse in [X.] sowie darauf, dass er möglich-erweise erst 13 Jahre alt war, als er sich den [X.] anschloss, "im Rahmen einer Gesamtabwägung" die Schuldfähigkeit abzusprechen. Im Gegensatz zu der von dem Verteidiger vertretenen Auffassung ist es in diesem Zusammen-hang auch ohne Bedeutung, dass gemäß Art. 38 Abs. 3 Satz 1 der [X.] die Vertragsst[X.]ten "davon Abstand nehmen", [X.], die das fünfzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, zu ihren [X.]n einzuziehen. Das lässt die Verantwortlichkeit des Beschuldigten ebenso unberührt wie der Umstand, dass derjenige, der im Zusammenhang mit interna-tionalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikten sog. Kindersoldaten rekrutiert bzw. zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet, ein 15
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Kriegsverbrechen im Sinne von Art. 8 Abs. 2 Buchst. [X.] bzw. Art 8 Abs. 2 Buchst. [X.] und § 8 Abs. 1 Nr. 5 [X.] begeht.
Der dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer außereuropäi-schen terroristischen [X.] trägt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Ob und inwieweit sich aus der Teilnahme des Beschuldigten an Kampfeinsät-zen ein konkretisierbarer (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 17. Dezember 2015
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StB 15/15, [X.], 745, 746) Tatverdacht wegen zumindest versuchter Tötungsdelikte im Sinne der §§
211, 212 StGB ergibt, die bislang nicht Gegen-stand des Haftbefehls sind, kann deshalb dahinstehen.
d) Die nach § 129b Abs. 1 Sätze 2 und 3 StGB erforderliche Ermächti-gung zur strafrechtlichen Verfolgung von Straftaten des Beschuldigten im Zu-sammenhang mit der [X.] der [X.] liegt vor.
2. Es besteht jedenfalls der Haftgrund der [X.] (§ 112 Abs.
3 [X.] i.V.m. § 2 Abs. 2, § 72 [X.]).
Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit nicht [X.] Freiheitsentzug zu rechnen, und zwar auch in Anbetracht seines geringen
Alters sowie der strafmildernd zu bewertenden konkreten Umstände, unter de-nen er sich den [X.] anschloss. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz ste-hen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Insbesondere hat der Beschuldigte in [X.] keine persönlichen oder gefestigten sozia-len Bindungen. Deshalb ist zu erwarten, dass er sich, sollte er in Freiheit gelan-gen, dem Strafverfahren entziehen wird. Zumindest begründen die genannten Umstände die Gefahr, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Beschuldigten vereitelt werden könnte, so dass die Fortdauer der Untersu-chungshaft auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift (vgl. 18
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Meyer-Goßner/[X.], [X.], 59. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) auf den Haftgrund der [X.] gemäß § 112 Abs. 3 [X.] zu stützen ist.
Eine vorläufige Anordnung über die Erziehung oder andere Maßnahmen (§ 72 Abs. 1 Sätze 1 und 3, § 71 [X.]) sind nicht geeignet, den
Zweck der [X.] in gleicher Weise zu erfüllen (§ 72 Abs. 4 [X.]). Der Erlass eines Unterbringungsbefehls gemäß § 71 Abs. 2 [X.] oder eine mit Auflagen nach § 116 [X.], § 2 Abs. 2 [X.] verbundene Haftverschonung kommen nicht in Betracht. Nach einer Mitteilung des [X.] S.

ist eine
Unterbringung des Beschuldigten in einem Heim der Jugendhilfe nicht möglich. Im Übrigen erfordern diese Maßnahmen die Gewissheit, dass der Betroffene für sie zugänglich ist; davon kann im Hinblick auf den Beschuldigten jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sicher ausgegangen werden. Heime der Jugendhilfe sind zudem nicht in gleicher Weise fluchtsicher wie Jugendhaftan-stalten.
3. Schließlich steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch un-ter Berücksichtigung der besonderen Belastungen, die dieser für den [X.] zur Folge hat, zurzeit noch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 [X.], § 72 Abs. 1 Satz 2 [X.]).
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4. Bei dieser Sachlage bestand für die von dem Beschuldigten [X.] mündliche Verhandlung
(§ 118 Abs. 2 [X.]) keine Veranlassung.
[X.] Gericke Tiemann

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Meta

StB 40/16

11.01.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.01.2017, Az. StB 40/16 (REWIS RS 2017, 17600)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 17600

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