Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.01.2012, Az. VI ZR 43/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 9627

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]/11
Verkündet am:

31. Januar 2012

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
[X.] § 823 Abs. 1 Hc; [X.] § 7; [X.] §
115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
a)
Der Halter eines Kraftfahrzeuges, der sich der polizeilichen Festnahme durch Flucht unter Verwendung seines Kraftfahrzeuges entzieht, haftet
unter dem Gesichtspunkt des [X.]
sowohl nach § 823 Abs. 1 [X.] als auch nach §
7 [X.] für einen bei der Verfolgung eintretenden Sachschaden an den ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen, wenn dieser Schaden auf der ge-steigerten Gefahrenlage beruht und die Risiken der Verfolgung nicht außer Verhältnis zu deren Zweck stehen.
b)
Dies gilt auch in Fällen, in denen der Fahrer eines [X.] zum Zwecke der Gefahrenabwehr vorsätzlich eine Kollision mit dem fliehenden Fahrzeug herbeiführt, um es zum Anhalten zu zwingen.
c)
Der Anspruch auf Ersatz des dabei an den beteiligten Polizeifahrzeugen ent-standenen Sachschadens
kann nach §
115 Abs.
1 Satz
1 Nr. 1 [X.]
auch als Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer des Fluchtfahrzeuges gel-tend gemacht werden.

[X.], Urteil vom 31. Januar 2012 -
VI [X.]/11 -
OLG [X.] in [X.]

LG

[X.]
-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
31.
Januar 2012
durch den Vorsitzenden [X.],
die Richter
[X.], Pauge und [X.] und die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 13.
Zivilsenats in [X.] des [X.]s [X.] am Main vom 19.
Januar 2011 aufgehoben.
Die Berufung der [X.] gegen das Urteil des Landgerichts [X.] vom 10. März 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Am 23.
April 2008 entzog sich der Versicherungsnehmer der [X.] mit dem
von ihm geführten
und
bei der [X.] haftpflichtversicherten [X.] in [X.] ([X.]) einer Verkehrskontrolle. Dabei
verletzte er eine Polizeibeamtin. Einsatzkräfte der Polizei des [X.] [X.]
nahmen
daraufhin die Verfolgung auf und -
ab der Anschlussstelle [X.] an der BAB
5
-
auch die Polizei des [X.], des [X.]. 1
-

3

-

Der Versicherungsnehmer der [X.] fuhr zwischen 180 und 200
km/h, wechselte dabei mehrfach die Fahrstreifen und nutzte auch den Standstreifen. Um den Flüchtigen zu stoppen, entschloss sich die [X.], den [X.] auf der BAB
5 an der Anschlussstelle [X.]-Eberstadt zu verlangsa-men, indem zwei Dienstfahrzeuge mit geringer Geschwindigkeit
die beiden Fahrstreifen befuhren und ein Lkw-Fahrer, den die Polizei um Hilfe ersucht [X.],
mit seinem Sattelzug
auf gleicher Höhe langsam auf dem
Standstreifen
fuhr. Da alle drei Fahrstreifen damit blockiert waren, wurde der herannahende Versi-cherungsnehmer der [X.] gezwungen, abzubremsen. Er versuchte,
zwi-schen den beiden Polizeifahrzeugen hindurchzufahren. Bei diesem Versuch wurde er von einem weiteren [X.] Polizeifahrzeug von hinten gerammt, so dass er zwischen den beiden die linke und die rechte Fahrspur [X.] Polizeifahrzeugen durchgeschoben wurde. Das Fluchtfahrzeug wurde [X.] von einem weiteren Fahrzeug des klagenden [X.] an die [X.] abgedrängt und gestoppt. Der Versicherungsnehmer der [X.] wurde vorläufig festgenommen.
Mit seiner Klage macht das [X.] gegen den Haftpflichtversiche-rer des Fluchtfahrzeuges den an seinen vier Polizeifahrzeugen entstandenen Schaden
und weitere Kosten
in Höhe von insgesamt 17.271,84

Landgericht hat der Klage in Höhe von 17.032,84

Übrigen stattgegeben. Auf die Berufung der [X.] hat das Oberlandesge-richt in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

2
-

4

-

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Meinung, dem Kläger stehe der gegen den Haftpflichtversicherer geltend gemachte Schadensersatzanspruch unter ver-kehrsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu, was eine deliktische Haftung des Versicherungsnehmers der [X.] für den Schaden nicht ausschließe. Das Schadensersatzbegehren des [X.] sei an der Vorschrift des §
7 [X.] zu messen, dessen Anwendungsbereich vor dem Hintergrund seines Schutz-zweckes weit auszulegen sei.
Unter dem Gesichtspunkt des "[X.]" komme bei [X.] zwar eine Haftung grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Schadenseintritt erst durch eine
eigenverantwortlich [X.] Ursache des geschädigten [X.] ausgelöst worden sei. Diesem Erfordernis des [X.] werde bereits genügt, wenn ein Kraftfahrer einer polizeili-chen Anordnung nicht nachkomme und er sich einer gerechtfertigten Feststel-lung seiner Personalien durch Flucht zu entziehen versuche. Gleichwohl falle der im Streitfall geltend gemachte Schaden des [X.] nicht mehr unter den Normzweck des §
7 [X.]. Denn die Polizeifahrzeuge seien hier als Mittel des unmittelbaren Zwanges eingesetzt worden, wobei den Fahrern bewusst gewe-sen sei, dass ihre eigenen Dienstfahrzeuge durch die von ihnen herbeigeführte Aktion zwangsläufig beschädigt werden würden. Die Beamten des klagenden [X.] hätten in die Beschädigung ihrer eigenen Fahrzeuge eingewilligt, um ein rechtmäßiges hoheitliches Handeln durchzusetzen. Der dadurch entstande-ne Schaden könne nicht mehr in den Anwendungsbereich des §
7 Abs.
1 [X.] fallen, weil sich eben
keine Gefahr mehr verwirklicht habe, die von dem bei der [X.] versicherten Fahrzeug ausgegangen sei.
Die [X.]
-

5

-

en nicht durch die Fahrweise des Fluchtwagens entstanden, sondern gelegent-lich eines gerechtfertigten Einsatzes unmittelbaren Zwangs gegen einen [X.], der zuvor eine Straftat begangen habe. Schadensursache sei mithin letztlich nicht mehr der "Betrieb" des
bei der [X.] versicherten [X.] gewesen. Bei einer wertenden Betrachtung verbiete es sich, den Be-triebsvorgang des Fluchtwagens hier
mit einzubeziehen, weshalb die tatbe-standlichen Voraussetzungen des §
7 [X.] nicht mehr vorlägen mit der weite-ren Folge, dass nicht mehr in eine Abwägung der Verursachungsbeiträge [X.] sei.

II.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprü-fung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann ein Schadensersatzanspruch des klagenden [X.] wegen des Schadens an den Polizeifahrzeugen nicht deshalb verneint werden, weil die Polizeibeamten die entstandenen Schäden dadurch selbst verursacht haben, dass sie das Flucht-fahrzeug vorsätzlich rammten, um die Verfolgungsjagd zu beenden.
1. Das Berufungsgericht hat
zunächst
übersehen, dass ein Direktan-spruch gegen den beklagten Haftpflichtversicherer nach §
115 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 [X.]
auch
wegen einer unerlaubten Handlung ihres Versicherungsneh-mers im Sinne des §
823 Abs.
1 [X.] in Betracht kommt, wenn diese "durch den Gebrauch"
des versicherten Kraftfahrzeuges erfolgt.

Nach §
115 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 [X.] kann der Dritte seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungs-4
5
6
-

6

-

gesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt. Die Zulässigkeit einer Direkt-klage des [X.] gegen die Beklagte setzt mithin voraus, dass
er
einen Scha-densersatzanspruch geltend macht, der im Rahmen der Kraftfahrzeughaft-pflichtversicherung von der [X.] gedeckt werden muss. Die Vorschrift des §
1 [X.] verpflichtet den Halter eines Kraftfahrzeuges, eine [X.] zur Deckung der "durch den Gebrauch des Fahrzeuges" verursachten Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden abzu-schließen und aufrechtzuerhalten. An das Pflichtversicherungsgesetz knüpft §
10 Abs.
1 [X.] an, wo es heißt, dass die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung diejenigen Schäden deckt, die "durch den Gebrauch des im [X.]" verursacht worden sind
(vgl. Senat, Urteil
vom 26.
Juni 1979 -
VI
ZR 122/78, [X.]Z 75, 45, 47; Beschluss vom 8.
April 2008 -
VI
ZR 229/07, [X.] 2008, 338 und [X.], Urteil vom 10.
Juli 1980 -
IVa
ZR 17/80, [X.]Z 78, 52, 53
f.).
Der Begriff des Gebrauchs schließt den Betrieb des Kraftfahrzeuges im Sinne
des §
7 [X.] ein, geht aber auch darüber hinaus.
Bei der Kraftfahrzeug-haftpflichtversicherung ist das Interesse versichert, das der Versicherte daran hat, "durch den Gebrauch ... des Fahrzeugs" nicht mit Haftpflichtansprüchen belastet zu werden, gleich, ob diese auf §
7
[X.], den §§
823
ff. [X.] oder an-deren Haftungsnormen beruhen (vgl.
Senatsurteil vom 26.
Juni 1979 -
VI
ZR 122/78, aaO
S.
48; [X.] Urteil vom 23.
Februar 1977 -
IV
ZR 59/76,
VersR 1977, 418, 419 mwN;
Stiefel/[X.], [X.], 18.
Aufl., A.1.1 Rn.
23; s. auch [X.] in [X.]/[X.]/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 3.
Aufl., §
10 [X.] Rn.
19). Im Streitfall hat der Versicherungsnehmer der [X.] das [X.] Kraftfahrzeug als Fluchtfahrzeug "gebraucht", um sich einer Polizeikontrolle bzw. einer vorläufigen Festnahme zu entziehen.
Die bewusst herbeigeführte Kollision mit einem Polizeifahrzeug, um ihn zu stoppen, stand deshalb in unmit-telbarem Zusammenhang mit dem konkreten Gebrauch des Fahrzeuges.
7
-

7

-

a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann
jemand, der durch [X.] einen anderen zu selbstgefährdendem Verhalten [X.], diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluss auf einer mindestens im Ansatz
billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter Hand-lung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, der infolge des durch die [X.] gesteigerten Risikos entstanden ist (vgl. Senatsurteile vom 12.
März 1996 -
VI
ZR 12/95, [X.]Z 132, 164, 166; vom 3.
Juli 1990 -
VI
ZR 33/90, [X.], 111, 112; vom 29.
November 1977 -
VI
ZR 51/76, [X.], 183, 184; vom 21.
Februar 1978 -
VI
ZR 8/77, [X.]Z 70, 374, 376 und vom 3.
Oktober 1978 -
VI
ZR 253/77, [X.], 1161, 1162). Eine auf sol-cher Grundlage beruhende deliktische Haftung ist insbesondere in Fällen bejaht worden, in denen sich jemand pflichtwidrig der (vorläufigen) Festnahme oder der Feststellung seiner Personalien durch Polizeibeamte oder andere dazu [X.] Personen durch die Flucht zu entziehen versucht und diesen Personen dadurch Anlass gegeben hat, ihn zu verfolgen, wobei
sie dann infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben (vgl. Senatsurteile vom 24.
März 1964 -
VI
ZR 33/63, [X.], 684, 685; vom 3.
Februar 1967 -
VI
ZR 115/65 und VI
ZR 117/65, [X.], 580
f.; vom 13.
Juli 1971 -
VI
ZR 165/69, [X.], 962, 963
f.; vom 13.
Juli 1971 -
VI
ZR 125/70, [X.]Z 57, 25, 28
ff.; vom 29.
Oktober 1974 -
VI
ZR 168/73, [X.]Z 63, 189, 191
ff. und vom 13.
Januar 1976 -
VI
ZR 41/75, [X.], 540, 541).
b) Voraussetzung für eine deliktische Haftung ist in solchen Fällen stets, dass der in Anspruch genommene Fliehende seinen Verfolger in vorwerfbarer Weise zu der selbstgefährdenden Reaktion herausgefordert hat (vgl. Senatsur-teile vom 29.
November 1977, vom 21.
Februar 1978, vom 3.
Oktober 1978 und vom 3.
Juli 1990, jeweils aaO). Dabei muss sich das Verschulden insbesondere auch auf die Verletzung eines der in §
823 Abs.
1 [X.] genannten Rechtsgüter erstrecken, d.h. der Fliehende muss sich bewusst gewesen sein oder zumin-8
9
-

8

-

dest fahrlässig nicht erkannt und bei der Einrichtung seines Verhaltens [X.] nicht berücksichtigt haben, dass sein Verfolger oder durch diesen ein unbeteiligter Dritter infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahr einen
Schaden erleiden könnte (vgl. Senatsurteil vom 3.
Juli 1990 -
VI
ZR 33/90, aaO).
c) Im Streitfall sind die Schäden an den Polizeifahrzeugen bei der gebo-tenen wertenden Betrachtungsweise auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts dem Versicherungsnehmer der [X.] haftungsrechtlich sowohl objektiv als auch subjektiv zuzurechnen.
aa) Wesentlicher Gradmesser für eine Herausforderung zur Verfolgung mit der Überbürdung des gesteigerten Verletzungsrisikos auf den
Fliehenden ist insbesondere
die angemessene [X.], nach der
die Risiken der Verfolgung und der Beendigung der Flucht nicht außer
Verhältnis zu dem Ziel der Ergreifung des Fliehenden stehen dürfen, weil ansonsten die Schädigung nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm fällt (vgl. Senatsurteile
vom 13.
Juli 1971 -
VI
ZR 125/70, [X.]Z 57, 25, 31
f.; vom 29.
Oktober 1974 -
VI
ZR 168/73, [X.]Z 63, 189, 192
f. und vom 12.
März 1996 -
VI
ZR 12/95, [X.]Z 132, 164, 169).
Der Versicherungsnehmer der [X.] hat
sich nach den [X.] des Berufungsgerichts einer Verkehrskontrolle entzogen, dabei eine Poli-zeibeamtin verletzt und
sich danach über viele Kilometer hinweg mit den
ihn verfolgenden Polizeifahrzeugen mit hoher Geschwindigkeit eine Verfolgungs-jagd mit mehrfachem Fahrstreifenwechsel unter Mitbenutzung des Stand-streifens geliefert. Da von diesem rücksichtslosen Verhalten eine erhebliche
Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer ausging, stand die Entscheidung, die Flucht durch eine Kollision mit dem Fluchtfahrzeug auf die erfolgte Art zu been-10
11
12
-

9

-

den,
nicht außer
Verhältnis zu dem Ziel der Beendigung der Flucht und der Er-greifung des Fliehenden.
bb) Die Schäden an den Polizeifahrzeugen sind dem Versicherungs-nehmer der [X.] auch subjektiv zuzurechnen.
Die subjektive Seite der Haftung, d.h. der Vorwurf, eine Rechtsgutsver-letzung seines Verfolgers schuldhaft herbeigeführt zu haben, setzt voraus, dass der Fliehende damit rechnen musste, verfolgt zu werden, und dass er auch vo-raussehen konnte, seine Verfolger könnten dabei möglicherweise zu Schaden kommen (vgl. Senatsurteile vom 12.
März 1996 -
VI
ZR 12/95, [X.]Z 132, 164,
171
und vom 3.
Juli 1990 -
VI
ZR 33/90, [X.], 111, 112, jeweils mwN).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wusste der Versiche-rungsnehmer der
[X.], dass er
verfolgt wird,
und musste auch damit rechnen, dass für seine Verfolger und ihre Fahrzeuge bei seiner Fahrweise nicht nur
ein
gesteigertes Risiko bestand, während der [X.] einen Schaden zu erleiden, sondern auch bei einer Beendigung der Flucht durch eine bewusst herbeigeführte Kollision mit dem Fluchtfahrzeug. Bei
einer Verfol-gungsjagd,
wie sie im Streitfall stattgefunden hat,
ist es nicht fernliegend, dass die Polizeibeamten erforderlichenfalls
auch Schäden an den Polizeifahrzeugen in Kauf nehmen, um den Flüchtenden zu stoppen und Schlimmeres zu verhin-dern.
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann auch eine Haf-tung des Versicherungsnehmers der [X.] nach §
7 Abs.
1 [X.]
nicht ver-neint werden.
13
14
15
16
-

10

-

a) Voraussetzung des §
7 Abs.
1 [X.] ist, dass eines der dort genann-ten Rechtsgüter "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges" verletzt worden ist. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass dieses [X.] nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats entsprechend dem umfas-senden
Schutzzweck der Norm weit auszulegen ist. Denn die Haftung nach §
7 Abs.
1 [X.] ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines [X.] erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will [X.] alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten
Schadensabläufe erfas-sen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines
Kraft-fahrzeugs
entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug [X.] ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen werten-den Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist (vgl. Senatsurteile vom 19.
April 1988 -
VI
ZR 96/87, [X.], 641; vom 5.
Juli 1988 -
VI
ZR 346/87, [X.]Z 105, 65, 66
f.; vom 6.
Juni 1989 -
VI
ZR 241/88, [X.], 923, 924
f. und vom 3.
Juli 1990 -
VI
ZR 33/90, [X.], 111, 112). Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der [X.] schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist (vgl. Senatsurteile vom 3.
Juli 1962 -
VI
ZR 184/61, [X.]Z 37, 311, 315
ff.; vom 27.
Januar 1981 -
VI
ZR 204/79, [X.]Z 79, 259, 262
f.; vom 6.
Juni 1989 -
VI
ZR 241/88, [X.], 923, 924
f. und vom 3.
Juli 1990 -
VI
ZR 33/90, [X.], 111, 112).
b) Im Streitfall ist ein Polizeifahrzeug auf einer Bundesautobahn auf das Fluchtfahrzeug aufgefahren und hat es zwischen den davor fahrenden Polizei-fahrzeugen hindurchgeschoben, wonach ein anderes Polizeifahrzeug das Fluchtfahrzeug gegen die Leitplanke gedrängt und damit die Flucht beendet 17
18
-

11

-

hat. Dass dies "bei dem Betrieb" der beteiligten Kraftfahrzeuge
im fließenden Verkehr
auf einer Bundesautobahn erfolgte, begegnet nach den vorstehenden Grundsätzen ebenso wenig Bedenken
wie bei einem "normalen" Auffahrunfall. Die Tatsache, dass das Auffahren
im Streitfall
vorsätzlich erfolgte, um das Fluchtfahrzeug zu stoppen, hat lediglich
Bedeutung für die Frage, ob der Unfall für einen der Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis im Sinne des §
17 Abs.
3 [X.]
n.[X.] bzw. §
7 Abs.
2 [X.] a.[X.]
war.

Die obergerichtliche Rechtsprechung hat in vergleichbaren Fällen [X.] entschieden, dass ein Verkehrsunfall in Bezug auf die unfallbeteiligten Polizeifahrzeuge zwar nicht aus tatsächlichen, wohl aber aus Rechtsgründen im Sinne des §
7 Abs.
2 [X.] a.[X.]
unabwendbar sein kann, wenn Polizeibeamte zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Aufgaben ein fliehendes Fahrzeug verfolgen und es bei der [X.] zu einer Kollision zwischen den beteiligten Fahr-zeugen kommt. Eine rechtliche Unabwendbarkeit
wurde
dabei auch
in Fällen bejaht, in denen der Fahrer des [X.] zum Zwecke der [X.] vorsätzlich eine Kollision mit dem fliehenden Fahrzeug herbeiführte, um es zum Anhalten zu zwingen (vgl. [X.], 1525;
NJW 1988,
1096; [X.] NZV 1997,
180; a.A. [X.], [X.], 125
f.). Dem schließt sich der erkennende Senat an.
c) Die
Frage der rechtlichen Unabwendbarkeit
in Verfolgungsfällen
ist un-ter dem Gesichtspunkt des [X.] vergleichbar zu beantworten wie die Frage einer
Haftung nach §
823 [X.].
Wer sich der polizeilichen Festnahme durch Flucht unter Verwendung eines Kraftfahrzeuges entzieht, haftet für einen bei der Verfolgung eintretenden Sachschaden an den ihn verfolgenden Polizei-fahrzeugen, wenn dieser Schaden auf der gesteigerten Gefahrenlage beruht und die Risiken der Verfolgung nicht außer Verhältnis zu deren Zweck standen (vgl. Senatsurteile vom 12.
März 1996 -
VI
ZR 12/95, [X.]Z 132, 164, 166 ff.
19
20
-

12

-

und
vom 29.
Oktober 1974 -
VI
ZR 168/73, [X.]Z 63, 189, 191 ff.). Soweit das Berufungsgericht den Ausführungen im Senatsurteil vom 3.
Juli 1990 -
VI
ZR 33/90, aaO etwas Anderes entnehmen will, wird übersehen, dass es in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall gerade nicht zu einer Kollision der beteiligten Fahrzeuge gekommen war.
3. Nach alledem kann
das
Berufungsurteil keinen Bestand haben. Da keine weiteren Feststellungen mehr zu treffen sind, kann der Senat in der Sa-che selbst entscheiden und das erstinstanzliche Urteil wiederherstellen.
Galke
[X.]
Pauge

[X.]
von Pentz

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 10.03.2010 -
2 O 246/09 -

OLG [X.] in [X.], Entscheidung vom 19.01.2011 -
13 [X.] -

21

Meta

VI ZR 43/11

31.01.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.01.2012, Az. VI ZR 43/11 (REWIS RS 2012, 9627)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9627

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI ZR 43/11 (Bundesgerichtshof)

Fahrzeughalterhaftung für die bei Verfolgung eines fliehenden Verdächtigen verursachten Schäden an einem Polizeifahrzeug infolge der …


VI ZR 279/13 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 133/11 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 253/13 (Bundesgerichtshof)


VI ZR 265/14 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VI ZR 43/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.